Zu große Fußstapfen

Klassische PC-Rollenspiele sind nach Meinung der Spieleproduzenten nicht mehr gefragt. Besser gesagt: Die zu erwartenden Umsätze sind ihnen zu gering und...

von Hans_W am: 15.08.2013

Klassische PC-Rollenspiele sind nach Meinung der Spieleproduzenten nicht mehr gefragt. Besser gesagt: Die zu erwartenden Umsätze sind ihnen zu gering und das Risiko, auf hohen Kosten sitzen zu bleiben, zu groß. Deshalb herrscht eine große Ideenlosigkeit und es blüht der Hang zur Casualisierung, um neue Käuferschichten (Konsolenspieler) zu erschließen. Da erstaunt schon der Versuch von „Overhaul Games“, die Baldur’s Gate-Reihe mittels einer Enhanced Edition wiederzubeleben. In dieselbe Kerbe schlagen die „Crafty Studios“ mit „Schicksalsklinge HD“. Besonders ideenreich ist das auch nicht, aber wenn man eine exzellente Vorlage gut kopiert, könnte ein für Nostalgiker vielversprechendes Resultat die Folge sein.

An einem gebührenden Nachfolger von Jagged Alliance haben sich schon einige Firmen erfolglos abgearbeitet. Die derzeitigen Genre-Größen (Skyrim, Dragon Age, Witcher) verschieben den Schwerpunkt immer weiter in Richtung actionbasierender Kämpfe. Anyway…

Per Definition – nämlich: kleines Studio, das sich um die Nachstellung eines alten Spiels bemüht – kann dieses Spiel nur Begeisterung innerhalb eines kleinen Publikums hervorrufen, nämlich dem Kreis, der die historischen Vorgänger kennt und schätzt. Also handelt es sich hierbei vorranging um eine Reminiszenz des klassischen PC-RPGs aus dem „Das Schwarze Auge“ (DAS) Universum.

Es ist eines jener altmodischen Spiele, die Geduld und Mühe abverlangen und bei denen das Scheitern eine Option ist, die der Spieler sich von Beginn an vor Augen zu führen hat. Von Beginn an bedeutet, dass der Spieler eine Gruppe/Party aus sechs Mitgliedern zusammenstellen muss. Hier kann man bereits fatale Fehler begehen, wenn man das Grundgesetz missachtet: Die Gruppe muss hinsichtlich der gewählten Klassen ausgewogen sein. Während spätestens seit „Neverwinter Nights“ jede Charakterklasse alles irgendwie ein bisschen kann (und manches ein bisschen besser beherrscht als die andere), ist bei DSA die Trennung absolut: Jede Klasse hat seine spezielle Befähigung und man braucht Experten in allen Bereichen, um jeder Situation gewappnet zu sein. Im DSA-Regelwerk besitzt jeder Charakter sowohl positive als auch negative Grundwerte, Talente und Zauber, die bei der Charaktererstellung ausgewürfelt und verteilt werden, und bei jedem Stufenaufstieg gezielt verbessert werden können. Geht man diese Angelegenheit zu lässig an, kann es zum Beispiel passieren, dass ein kraftstrotzender Krieger mit hohem Wert für Totenangst fluchtartig das Schlachtfeld verlässt, wenn die Gruppe einem Trupp Untoter gegenübersteht (zumindest in der Theorie…).

Eine planvolle Vorgehensweise ist die Grundvoraussetzung zum Gelingen. Das betrifft nicht nur die Taktik der rundenbasierten Kämpfe. Bevor man sich in einen Dungeon begibt, sollte man sich vergewissern, dass die Heldengruppe für Tage hinreichend versorgt ist mit Nahrung, Wasser, Tränken, Kräutern, Survival-Gerätschaften etc., sonst wird die Gruppe im Dungeon langsam aufgerieben. Auch sollten magiebegabte Gruppenmitglieder ihre zum Zaubern notwendigen Astralpunkte sehr gezielt einsetzen, da sie sich nur während der Nachtruhe -die in unwirtlichen Gegenden gestört ist - langsam regenerieren. Da der Erfolg einer Expedition mühsam erarbeitet werden muss, nimmt man umso begeisterter die Belohnung der Mühe entgegen. Sie besteht einerseits aus den seltenen aber mächtigen magischen Gegenständen, aus den wenigen Stufenaufstiegen, die die Gruppe erfährt - und vor allem aus der sich nach und nach entfaltenden Story. Der Schwierigkeitsgrad ist keineswegs hoch, aber man muss sich in das Spiel einarbeiten und einlesen. Moderne PC-Spiele räumen dem Spieler von Grund auf sämtliche Hindernisse aus dem Weg. Er soll permanent getragen werden auf einer Welle des Erfolgs. Die heutigen Gamedesigner verbinden das Scheitern des Spielers stets mit Frustration, die zur Folge habe, dass der Spieler enttäuscht aufgibt. Das Gegenteil ist wahr: Nur wenn die Möglichkeit des Scheiterns besteht, ist der Erfolg am Ende (gefühlt) auch etwas wert. So entsteht ein motivierendes System aus Belohnung und Anreiz. Moderne Rollenspiele, bzw. Actionspiele mit Rollenspielanleihen, zeigen dem Spieler offen, wofür sie ihn halten: einen lesefaulen, entscheidungsschwachen Trottel. Zu früheren Zeiten sind wichtige Spielelemente nicht durch blinkende Symbole hervorgehoben worden, die dem Spieler keine andere Wahl lassen, als sie anzuklicken. In „Schicksalsklinge“ muss der Spieler überlegen, wie er Einfluss auf die Handlung nehmen kann, wo er wichtige Personen trifft bzw. ausfindig macht. So ist es keine schlechte Idee, hin und wieder Tavernen zu bereisen, um sich unter die Einheimischen zu mischen…

Soweit das Konzept. Sprechen wir nun über die Umsetzung. Das Spiel in Version 1.01, die am Tag der Veröffentlichung vorlag und worauf sich die meisten Rezensionen beziehen, kann mit einem Wort beschrieben werden: Desaster. Fehler in jeder Hinsicht sowie „Platzhalter“ und eine unvollständige Umsetzung sind Grund für die - zurecht  - vernichtenden Kritiken. Meine Rezension bezieht sich nun auf Version 1.18 (15.08.13). Es ist wichtig, dies festzustellen, weil die Entwickler beinahe täglich neue Patches nachliefern, die schlimmsten Fehler beseitigt haben und nun viele Spielelemente implementiert sind, die in der Urversion nicht enthalten waren. Obwohl das Spiel eher an eine fortgeschrittene Beta-Version erinnert denn an ein Release, kann man, ohne über eine hellseherische Gabe zu verfügen, annehmen, dass „Schicksalsklinge HD“ in absehbarer Zeit als vollständig und weitgehend fehlerfrei gelten wird, sofern die Entwickler die Arbeit mit gleichbleibendem Tempo fortsetzen. Dass sie es können und gewillt sind, haben sie in den vergangenen beiden Wochen (seit Release) bewiesen.

In technischer Hinsicht bietet das Spiel einen durchwachsenen Eindruck. Auf der Habenseite befinden sich: eine schöne Architektur, hübsche Dungeontexturen, ansehnliche Licht-Schatten-Verhältnisse, eine sehr gute Übersichtskarte, das traditionelle Interface sowie ein guter (deutscher) Sprecher. Ebenfalls gut gelungen ist das Inventarfenster und die Darstellung der Charakterdaten. Die Mängel sind leider nicht von der Hand zu weisen: Die Charaktermodelle und Kampfanimationen sind sehr hässlich, Kampfsounds sind schlicht und unvollständig, die Umgebung ist nur mit wenig Objekten geschmückt und diese sehen deshalb künstlich platziert aus. Insgesamt scheint es nur zwei bis drei Modelle für Nichtspielercharaktere zu geben, die die Ortschaften bevölkern. Die Umgebung wirkt auch deshalb häufig sehr steril. Die Schlachtfelder wiederholen sich oft und sind trist. Winzige Objekte auf den Schlachtfeldern versperren den Weg für Bewegung oder Fernkampf. Als nach wie vor problematisch erweist sich die Spielperformance: Abhängig von der Tageszeit, also den Lichtverhältnissen, und der Zahl an Objekten bricht die Bildwiederholrate auf wenige Frames pro Sekunde ein, was scheinbar unabhängig von der (theoretischen) Leistungsfähigkeit des PCs ist.  Prinzipiell ist mir die technische Modernität nicht so wichtig wie der Stil. Ich hätte es als die bessere Lösung empfunden, wenn die Entwickler statt auf eine halbgare 3D-Grafik zu setzen sich für detaillierte, handgezeichnete Bilder (z.B. in den Tempeln, Tavernen, Geschäften…) entschieden hätten.

Fazit: Wer bereit ist, auf eine moderne Technik zu verzichten, wer eine entsprechende Leidensfähigkeit und Frusttoleranz mitbringt, findet mit „Schicksalsklinge HD“ ein sehr anspruchsvolles, spannendes und langfristig motivierendes Spiel. Die Atmosphäre des Vorgängers von 1992 wird gut eingefangen. Sobald man die Spielmechanik verstanden hat, ist der Schwierigkeitsgrad fair. Zwar ist die Handlung streng linear und der Wiederspielwert insofern eher gering, aber die variantenreiche Herangehensweise an Kämpfe, die Nebenmissionen und teilweise verborgenen Rätsel, die man gerne sämtlich lösen möchte, und die vielfältigen Möglichkeiten bei der Zusammenstellung der Gruppe, laden zu weiteren Durchgängen ein.

Die enttäuschende Erkenntnis ist, dass die schwache Kopie eines Klassikers der RPG-Geschichte immer noch interessanter und fesselnder ist als nahezu alle Neuentwicklungen der letzten Jahre.


Wertung
Pro und Kontra
  • Klassisches RPG in der Welt des "schwarzen Auges"
  • Taktische Kämpfe
  • Detailreiche Charakter- bzw. Gruppenentwicklung
  • Noch zu viele Bugs
  • Teils unvollständig
  • Technische Umsetzung stellenweise miserabel

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(8)
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