Nicht perfekt, aber unterschätzt

Einleitung Kane & Lynch ist ein linearer 3rd-Person Shooter, der vor allem durch seine Erzählweise und die beiden Protagonisten heraussticht. Ich habe...

von Lucky Number Slevin am: 28.07.2016

Einleitung

Kane & Lynch ist ein linearer 3rd-Person Shooter, der vor allem durch seine Erzählweise und die beiden Protagonisten heraussticht. Ich habe das Spiel nun zum wiederholten Male installiert und erneut viel Spaß damit gehabt. In der folgenden Rezension möchte ich auf die wichtigsten Punkte eingehen und erklären, warum ich besonders den ersten Teil für unterschätzt halte. Da ich auf Details der Handlung eingehen werde: Spoilerwarnung! Außerdem wird der Multiplayer mit keinem Wort erwähnt werden, da er bei mir nie richtig funktioniert hat und er für mich auch keine Rolle spielt. Der Singleplayer zählt. 

 

Die Story und wie sie erzählt wird 

In vielen Kommentaren zu Kane & Lynch beschweren sich die Spieler über eine zu dünne Handlung. Zugegeben, diese ist für sich genommen auch nicht sehr komplex. Die Spielfigur Kane hat in der Vergangenheit Mist gebaut. Was genau, warum und wieso wird nicht wirklich geklärt, sondern immer nur kurz in Dialogen angerissen. Fakt ist: seine alten Bosse wollen ihr gestohlen geglaubtes Geld wieder haben. Damit das auch passiert stellen sie Kane den zweiten Protagonisten Lynch zur Seite. Dieser soll Kane auf Schritt und Tritt folgen und jeden Tag Bericht erstatten. Natürlich klappt nicht alles wie es soll und es geht alles nach hinten los. Die Geschichte der Beiden ist düster, brutal und führt dem Spieler immer wieder vor Augen, dass Kane und Lynch keine Engel sind. Ganz im Gegenteil.
Warum ich die Geschichte trotz der auf den ersten Blick fehlenden Details so mag, liegt hauptsächlich an den Dialogen. Wie bereits erwähnt wird eigentlich kein Zusammenhang bis ins Detail erklärt, sondern immer nur angerissen und das ist unglaublich gut gemacht. Man erfährt immer nur so viel, wie man wissen muss. Nicht mehr und nicht weniger. Was dadurch erreicht wird, ist dass die Dialoge im Spiel einen  ungeheuren Realismus erreichen. 

Um ein aktuelles Gegenbeispiel zu nennen: Star Wars Episode 7. Der Film beginnt mit dem Angriff auf ein kleines Wüstendorf, bei dem der neue Antagonist Kylo Ren einen Ältesten verhört. In diesem Gespräch erfährt man alle möglichen Informationen: Kylo heißt Kylo Ren, er sucht eine Karte, er stammt aus einer Familie die eigentlich auf der hellen Seite der Macht steht und er hat sich dafür entschieden seine Familie zu verraten und die Fronten zu wechseln. Das alles sind zweifelsohne wichtige Informationen, aber kein Mensch auf der Welt (und auch nicht in einer anderen Galaxie) würde einen Dialog so führen, wie die beiden es tun. “Ich weiß dass du dich Kylo Ren nennst” - sagt kein Mensch. “Ich weiß aus welcher Familie du kommst” (frei zitiert), ebenfalls ein völlig sinnloser Satz, wenn man sich vorstellt dass die Szene eine reale Situation abbildet. Kylo weiß wie er selbst heißt, er weiß auch selbst aus welcher Familie er abstammt und er weiß, dass sein Gegenüber das auch weiß. Der einzige Grund, warum der Älteste all diese Sachen sagt, ist um dem Zuschauer wichtige Handlungsdetails zu erklären. Dafür opfern die Dialogschreiber aber den Realismus, den ein Dialog eigentlich haben sollte.
Warum dieses lange Gerede über Star Wars? Weil es das perfekte Beispiel dafür ist, wie man es nicht machen sollte. Und weil Kane & Lynch das perfekte Beispiel dafür ist, wie man es machen sollte. Die Charaktere sprechen, wie man es auch in der Realität erwarten würde. Warum sollte eine Figur im Spiel groß und breit erklären, was in Kanes Vergangenheit passiert ist? Alle Anwesenden sind bestens mit seiner Geschichte vertraut! Warum sollte Kane Lynch erzählen, warum er eine Bank ausraubt, um sein eigenes Schließfach zu öffnen? Er vertraut Lynch nicht und es geht ihn schlicht und ergreifend nichts an. Nichtsdestotrotz wird der Spieler, wie schon gesagt, nicht völlig im Dunklen gelassen. Er erfährt genug, aber mehr eben auch nicht. 

Diese Erzählweise zieht sich durch das gesamte Spiel und wird an keiner Stelle aufgegeben. Großartig! Zusammen mit der dunklen Grundstimmung und den beiden Enden, die beide schlecht sind (man kann sich quasi nur falsch entscheiden), erzeugt das eine meiner Meinung nach sehr düstere, realistische Stimmung, die mich zumindest in die harte, kompromisslose Welt des Spiels hineingezogen hat. Direkt dazu zählt auch, dass die deutschen Synchronstimmen der beiden Protagonisten wirklich perfekt gewählt sind und meiner Meinung nach die englischen Originale um Längen übertrumpfen. Ich empfehle wirklich das Spiel auf Deutsch zu spielen. 

Durch diese Erzählweise erklärt sich meiner Meinung nach übrigens auch, warum man so oft die Kritik liest, die Charaktere seien platt und hätten keine Tiefe. Dem ist auf jeden Fall nicht so! Man muss nur richtig hinhören, dann erhält man erstaunlich viele Einblicke in die Vergangenheit der Charaktere. So ist es meiner Meinung nach zum Beispiel gar nicht so klar, ob Lynch seine Frau wirklich selbst umgebracht hat. Wenn man aufpasst, wird das nämlich häftig in Frage gestellt. Aber es gibt eben keinen Dialog in dem jemand sagt: “Hm, ich frage mich ob Lynch seine Frau wirklich umgebracht hat. Das würde nämlich gar keinen Sinn machen, wenn man bedenkt dass (…)”. So würde nämlich niemand sprechen. Naja, außer in einer weit entfernten Galaxie vielleicht ;) 

 

Warum dumme KI nicht immer schlecht sein muss

Um es gleich zu Anfang zu sagen, die KI der Gegner ist dumm. Richtig dumm. An manchen Stellen fragt man sich sogar wirklich, ob die Polizisten, Revolutionäre und Söldner überhaupt eine KI haben. Und oft stört das. Mir ist aber aufgefallen, dass es im Fall von Kane & Lynch auch einen positiven Nebeneffekt hat. Ein Leben ist in diesem Spiel nichts wert. Das bekommt man auch alle paar Minuten unter die Nase gerieben. Wenn Lynch in einem Anfall dutzende Zivilisten tötet, dann ist das für Kane nicht schlimm, weil er Unschuldige getötet hat, sondern weil so das Aufgebot der Polizei und damit das Risiko der gesamten Operation viel größer geworden ist und weil Lynchs unkontrollierte Wutanfälle Kane in Schwierigkeiten bringen könnten. Die toten Zivilisten interessieren niemanden. Im Laufe der Handlung opfert Kane immer wieder Menschenleben, oder ist zumindest bereit, dies ohne Nachzudenken zu tun. Er sagt auch, was er darüber denkt:

Lynch: Du weißt schon dass du sie alle in den Tod schickst?
Kane: Ist mir scheißegal, mir geht es nur um meine Tochter. 

Durch die wirklich dumme KI wird dieser Eindruck noch verstärkt. Was dir da vor den Lauf kommt, sind keine Menschen, sondern nur nerviges Kanonenfutter, was sich Kane in den Weg stellt. Kein Mitleid, keine Reue. Nur das eigene Ziel vor Augen was es zu erreichen gilt. Egal was es kostet. Ich kann verstehen wenn man es aus spielerischer Sicht schade findet, dass die Gegner kein Gehirn zu haben scheinen, aber inhaltlich macht es ironischerweise sogar Sinn. Ich weiß nicht, ob das von den Entwicklern beabsichtig war. An manchen Stellen sterben so viele NPCs, auf so sinnlose Art und Weise, dass ich zumindest nicht um den Gedanken herum gekommen bin, dass die Entwickler vielleicht genau das wollten. In Havanna schickt Kane eine ganze kleine Arme direkt in das Kreuzfeuer von mehreren MG-Nestern. Natürlich sterben alle innerhalb von Sekunden, ohne auch nur ein bisschen Schaden anzurichten. Das sieht von oben - man befindet sich zu diesem Zeitpunkt in Sicherheit auf einem Dach - zugegeben ziemlich dumm aus, wenn all die Menschen blind in ihren Tod laufen, aber es hinterlässt auch einen sehr bitteren Beigeschmack. Letzteres ist im Bezug auf das Spiel positiv gemeint. 

 

Grafik, Sound und was sonst noch anfällt

Insbesondere beim Sound haben sich die Entwickler wirklich viel Mühe gegeben. Die Sprecher sind perfekt gewählt und der Waffensound für einige Schießprügel ist enorm gut. Kanes Standardgewehr hat ein so cooles Schussgeräusch, da kann jedes Battlefield 4 nur den Hut ziehen. Auch der Soundtrack ist ziemlich gut und vom selben Komponisten, der uns auch schon in einigen Assassins Creed Teilen beglückt hat. 

Grafisch sieht das Spiel nach heutigen Standards natürlich sehr altbacken aus. Dennoch ist es immer noch ansehnlich und ich würde es nicht als hässlich beschreiben. Es sieht eben so aus, wie Spiele vor ein paar Jahren so aussahen. Nicht mehr, nicht weniger. 

Die meisten Animationen sind zudem gut gemacht und durch die wirklich gute Soundkulisse fällt die Grafik meist auch gar nicht so auf. Einzig die Explosionen sehen teilweise so schlecht aus, dass man ein wenig mit der Stirn runzeln muss. Tatsächlich gibt es aber nicht so viele große Explosionen, dass es ernsthaft ins Gewicht fallen würde.
Da ich ansonsten nicht viel davon halte, Grafik mit Worten zu beschreiben, weil es am Ende des Tages immer Geschmackssache und extrem subjektiv ist, schaut euch einfach einen Trailer an. Das sagt in Punkto Grafik mehr als jeder Text es je könnte. 

Eine größere Sache habe ich dann aber doch auszusetzen und zwar am Setting. Die ersten 3/4 des Spiels befindet man sich in “modernen” Stadt-Szenarien. Ein verlassenes Kaufhaus, ein Gefängnis, ein Club in Tokyo (eines der besten, atmosphärischen Levels der Spielegeschichte, was die audiovisuelle Darstellung angeht!), eine Straßenschlacht in Tokyo, etc. Diese Levels sind alle sau cool und versprühen einen nicht abzustreitenden Charme, wie es der Film “Heat” einst getan hat. Besonders die Flucht aus dem Retomoto-Hauptquartier, bei der man sich zwischen Autos auf einer breiten Straße gegen die Polizei nach vorne kämpft, könnte direkt aus dem Film kopiert sein (und das meine ich sehr positiv). Aber danach macht das Spiel etwas. Es verfrachtet die Handlung in das braune, langweilige Havanna und danach in einen noch langweiligeren Dschungel. Klar, das passt zur Handlung und im Prinzip sollte es bestimmt für Abwechslung sorgen, aber ich mochte die Stadt-Levels sehr viel mehr. Daher war der drastische Wechsel des Szenarios gegen Ende des Spiels für mich auch ein ziemlicher Rückschritt, verglichen mit den ansonsten wirklich tollen Levels!

Die kurze Spielzeit spielt für mich übrigens keine Rolle, da die 4-5 Stunden in meinen Augen sehr gut gefüllt sind. Ich bin mir auch nicht sicher, ob länger hier wirklich besser gewesen wäre. Aufgrund des schnellen Tempo des Spiels, vermutlich eher nicht.

 

Fazit

Wie ihr sicherlich schon gemerkt habt, mag ich das Spiel. Es unterscheidet sich bis heute angenehm von anderen Shootern und versprüht seinen ganz eigenen, düsteren, dreckigen Charme. In einer kompromisslosen Welt voller Hass und Menschen, die sich gegenseitig keine zwei Meter über den Weg trauen, sorgt besonders die Erzählweise der Dialoge dafür, dass mich die ansonsten recht simple Geschichte in ihren Bann zieht. Gerade jetzt, wo das Spiel nur noch ein paar Euro kostet, spätestens aber im Sale, sollte man dem Spiel eine Chance geben.

Edit: Mir ist bewusst, dass eine 89er Wertung sehr hoch erscheint. Ich bin aber der Meinung, dass eine einzelne Prozentzahl nicht wirklich aussagefähig ist. Dafür ist schließlich der Text da. Die 89 ist folgendermaßen entstanden: Ich finde das Spiel sehr gut, daher eine hohe Wertung. Aber es nicht perfekt, also keine 90+. 


Wertung
Pro und Kontra
  • Dialoge bzw. Erzählweise
  • Story
  • Sehr gute, düstere Stimmung
  • Soundkulisse
  • (dumme KI)
  • Die beiden Protagonisten
  • Grafik wirkt mittlerweile angestaubt
  • dumme KI
  • drastischer Wechsel des Szenarios gegen Ende
  • ggf. Spielzeit

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



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