Der Spielecode für ein schlechtes Gewissen

Vorwort Zu Beginn meines Reviews möchte ich das Vorwort nutzen, um einen Appell an die Spielezeitschriften zu richten. „Über die Frage, ob...

von RISAG am: 20.11.2014

Vorwort

Zu Beginn meines Reviews möchte ich das Vorwort nutzen, um einen Appell an die Spielezeitschriften zu richten. „Über die Frage, ob auch Spiele Kunst sind oder nicht, debattieren Kritiker seit Jahren“, so heißt es in einem Text in der Juni Ausgabe der GameStar. Ich finde es gut, dass die GameStar derartiges thematisiert und Computerspiele als Kunst ansieht. Doch wieso erscheinen dann nicht einmal ein paar Berichte im Vorfeld über ein in meinen Augen künstlerisch wertvolles Spiel wie This War of Mine? Stattdessen taucht auf der GameStar Page ein Bericht über den sinnlosen Grass Simulator auf. Während Testberichte zu AAA-Titeln sofort am Release Tag veröffentlicht werden, taucht der Test zu diesem sehr gelungenen Indie-Titel erst Tage später auf. Ist der Test zu This War of Mine etwa nur erschienen, weil es bei Steam eine große positive Resonanz erfährt? Wäre der Titel kein Erfolg, wäre er wohl links liegen gelassen worden. Was bringt es denn auch über ein zwar gutes, aber medienunwirksames Spiel zu berichten?

Die GameStar sagt zudem, sie wolle dem Titel keine Spielspaßwertung geben, weil sie meinen ein Spiel könne nicht ernst sein und gleichzeitig Spaß machen. Diese Begründung leuchtet mir nicht ganz ein. Denn gerade der ernsthafte Unterton macht den Spielspaß von This War of Mine aus.

Sollte man eine Kirche im Krieg ausrauben?

 

1. Überblick

This War of Mine ist ein sogenanntes Survival-Game. Man startet mit drei oder vier vom Spiel zufällig ausgewählten Charakteren in einem heruntergekommenen Haus während eines Bürgerkrieges. Jeder dieser Personen hat dabei eine besondere Stärke und kann unterschiedlich viel tragen. Bruno beispielsweise ist ein guter Koch, während Pavle ein schneller Läufer ist. Jeder von diesen Charakteren hat auch eine eigene Persönlichkeit, doch hierzu später mehr. Zuerst soll ein Blick auf die Spielmechanik geworfen werden.

 

2.1 Gameplay-Tagsüber (gut)

Das Gameplay lässt sich in zwei Phasen unterteilen. Zum einen wäre da die Zeitspanne während es hell ist und zum anderen der Abschnitt bei Dunkelheit. Wenn es hell ist, spielt das Geschehen im eigenen Haus statt. Zu Beginn entrümpelt man das Gebäude und findet ein paar nützliche Bauteile oder Nahrung und Medikamente. Alles wird mit der Maus gesteuert. Mit Hilfe der Werkbank können die neuen Bauteile dazu verwendet werden, um zum Beispiel ein Bett zu bauen, damit das Bedürfnis der Personen nach einem guten Schlaf gedeckt wird. Und in den Wünschen liegt ein weiterer Kernbereich des Gameplay. Ähnlich wie bei den Sims muss täglich der Hunger und andere Bedürfnisse der Menschen gestillt werden. Schaffen wir es nicht unsere Charaktere mit ausreichend Nahrung zu versorgen oder ihre Verletzungen zu heilen, werden unsere Schützlinge sterben. Doch wie kommt man an neue Ressourcen fürs Überleben? Hier setzt dann die zweite Phase des Gameplays ein und zwar die Nacht.

Unsere Baumaterialien nutzen wir, um Gegenstände herzustellen.

 

2.2 Gameplay-Nachts (sehr gut)

Auf einer Übersichtskarte wählt man ein Ziel aus und verteilt Aufgaben an die Bewohner. Der Spieler kann bestimmen wer Wache hält und wer die Nacht im neu gebauten Bett verbringen darf. Eine Person und zwar am besten die, welche am meisten tragen kann, schicken wir zum Beute machen. Im Gegensatz zur ersten Phase, können wir hier also nur eine Person steuern. Im Laufe des Spiels werden die Auswahlmöglichkeiten auf der Übersichtskarte immer größer. Welche Gebiete am Anfang zugänglich sind entscheidet wieder der Zufall. Allgemein wird vieles im Spiel zufallsgeneriert, so dass man immer ein neues Spielerlebnis erfährt. Zur Auswahl gibt es gefährliche und ungefährliche Gebiete. Dank kleiner Beschreibungen erfährt man, was in dem jeweiligen Gebiet für Ressourcen auf den Plünderer warten. Geht es ins zerbombte Haus (eines der wenigen Orte, die immer gleich sind) findet man zahlreiche Materialien zum Bau neuer Einrichtungsgegenstände. Oder man schleicht sich durch bewachte Häuser und versucht nicht erwischt zu werden.

Auf der Übersichtskarte wählen wir unser Ziel zum Plündern.

Dank rot markierter Stellen werden Geräusche geortet. Durch Schlüssellöcher können Räume beobachtet werden. Auf das krach verursachende Brecheisen sollte in einer Situation, in der eine Wache nicht weit weg patrouilliert, lieber nicht zurückgegriffen werden, um den Schrank zu öffnen. Wir können aber auch radikaler vorgehen und die Wachen töten. Das Töten ist allerdings in den meisten Fällen sehr schwierig. Im 1 gegen 1 Kampf verliert man nicht selten. Wenn der Gegner dann noch eine Schusswaffe besitzt, sollte lieber die Flucht ergriffen werden. Mit einem Messer kann man allerdings den Feind von hinten anschleichend angreifen, was zu einem erheblichen Schadensbonus führt. Eventuell stirbt der Gegner sogar mit einem Stich. Trotzdem ist Vorsicht bei den Kämpfen geboten. Häufig sind mir meine Charaktere im Kampf gestorben, da ich am Anfang nie die Flucht ergreifen wollte.

Wie auch am Tag gibt es einen Timer. Läuft dieser ab, ist die Phase vorüber. In der Nacht sollte die Spielzeit aber nicht auslaufen, da sonst die Heimreise gefährlich wird. Kehrt der Plünderer ins eigene Heim zurück, erfahren wir, ob im Unterschlupf versucht wurde einzudringen. Dies kann zu Verletzungen und fehlenden Gegenständen führen. Eine Schusswaffe im Haus ist daher nicht zu verachten.

Das Problem an der ersten Phase ist irgendwann die sich wiederholenden Tätigkeiten. Jeden Tag den selben Ablauf von Kochen, Wasser aufbereiten usw. mit der linken Maustaste durchzuklicken, macht auf Dauer nicht so viel Spaß. Hier fehlt es an Abwechslung. Trotzdem macht es sehr viel Laune das Haus aufzubauen und die Gegenstände upzugraden. Zudem kommt man ins Grübeln und muss sich überlegen, in welchen Gegenstand oder in welches Upgrade die begrenzten Ressourcen fließen sollen.

Die zweite Phase ist meistens sehr spannend. Wenn man sich unbemerkt durch ein Haus schleichen will und man weiß, dass der Gegner mit seiner Schrotflinte deutlich überlegen ist, kommt Spannung auf. Man kann nie genau sagen, wann man auf feindselige oder friedfertige Menschen trifft. Das Klauen muss natürlich unauffällig geschehen, sonst kann auch ein netter Mensch zum Feind werden. Wobei man in einem bestimmten und immer gleich auftauchenden Gebiet „Glück“ haben kann, weil die Bewohner zu alt sind, um sich zu wehren. Und hier kommen wir zum interessantesten Aspekt des Spiels und zwar den moralischen Entscheidungen.

Das Gameplay lässt sich in zwei Phasen unterteilen (1.Tagsüber 2.Nachts).

 

3. Atmosphäre/Stimmung/Story (ausgezeichnet)

Eine wirkliche Story gibt es in This War of Mine nicht. Das braucht es aber auch nicht. Denn das Spiel erzählt viele kleine Geschichten. Geschichten, die einem zum Teil zum Nachdenken anregen und einem sogar manchmal ein schlechtes Gefühl vermitteln, was super ist und weshalb ich dieses Spiel als Kunst ansehe. So fühle ich mich schlecht, wenn ich die armen alten Menschen ausraube, um das Überleben meiner Charaktere zu sichern. Der ältere Herr bittet mich, die Medikamente seiner Frau nicht mitzunehmen, da sie diese dringend braucht. Trotzdem stecke ich mir die Packung in die Tasche. Als ich am nächsten Tag das Haus ein zweites Mal besuche, sind beide tot. Es ist zwar „nur“ ein Computerspiel, aber man fragt sich, wie man selbst in einer derart missligen und lebensbedrohlichen Lage handeln würde. Vor allem reicht schon das Virtuelle aus, um mir ein schlechtes Gewissen zu vermitteln. Dank solcher Geschichten fesselt einen das Spiel. Zum Glück gibt es ebenfalls fröhlichere Storys. So rette ich eine Frau vor einem Soldaten, der sie vergewaltigen will und erfahre später von einer anderen Person, dass es ihr gut geht. Oder ich erhalte von meinen mir fremden Nachbarn Gemüse, da es für sie selbstverständlich ist, neuen Nachbarn etwas vorbei zu bringen. Neben all dem Elend, das während dem Spiel auftaucht, blitzt manchmal das Gute im Menschen auf. Es sind die kleinen Gesten während des Krieges, die so gütig und schön erscheinen.

Wie am Anfang erwähnt haben die Charaktere ihre eigenen Persönlichkeiten. Bringt man zum Beispiel einen unschuldigen Zivilisten um, so wird dies von den Charakteren bewertet. In Tagebucheinträgen sind die Gefühle zu verfolgen. So ist es Bruno herzlich egal, wie sein Kumpel an die neuen Gegenstände gekommen ist, da für ihn sein Überleben im Vordergrund steht. Und warum musste Pavle unbedingt den Nachbarn beim Aufbau ihres Hauses helfen, wenn er doch hier gebraucht wird? So egoistisch wie Bruno ist das andere Gruppenmitglied nicht. Er findet es schlimm, dass ein Zivilist gestorben ist, findet es hingegen gut, dass Pavle den Nachbarn in einer Notsituation hilft. Hier kann ich den Entwicklern nur allerhöchsten Respekt für die Atmosphäre zollen, die in diesem Titel erzeugt wird. Die Geschichten und realistischen Konsequenzen des Spiels fangen die miserablen Zustände für Zivilisten während eines Krieges wunderbar ein. Dies wird durch den Grafikstil verstärkt.

 

4. Grafik/Technik (sehr gut)

This War of Mine hat seinen eigenen Stil. Farben sind so gut wie kaum vorhanden. Fast alles ist in schwarz-weiß gehalten und die Hintergründe sind größtenteils mit einem „bleistiftartigen“ Effekt versehen. Alles wirkt trist und zerstört. Die dunkle und düstere Atmosphäre wird sehr schön wiedergegeben.

Die Animationen und Bewegungen der Charaktere sind rund und wirken stimmig. Auch der Soundtrack passt zum dunklen Gesamtbild des Spieles und erzeugt Spannung in gefährlichen Gebieten. Waffengeräusche und ähnliches erinnern an den noch tobenden Krieg. Speichern ist nicht möglich. Nach jedem Tag wird automatisch gespeichert. Das ist sehr gut, da so das Survival-Gefühl verstärkt wird. Negativ ist aber, dass es nur einen „Speicherslot“ gibt, d.h. ich kann immer nur ein aktives Spiel am Laufen haben. Möchte ich ein neues Spiel beginnen, wird das alte Überschrieben. Das hätte man anders lösen können.

This War of Mine hat einen ganz eigenen und stimmungsvollen Grafikstil.

 

5. Wiederspielwert (sehr gut)

Dass man nicht speichern und dadurch den Tod eines Charakters nicht durch Laden rückgängig machen kann, erhöht natürlich den Schwierigkeitsgrad. Das Spiel reizt einen aber trotzdem zum erneuten Versuch, weil sich jedes Spielerlebnis durch die zufälligen Ereignisse und der zufälligen Gruppenkonstellation anders anfühlt. Des Weiteren sind in den meisten Gebieten zum Plündern verschiedene Variationen gegeben (ein paar Ausnahmen, wie das Haus mit den alten Leuten). Einmal treffen wir im Supermarkt auf nur einen Soldaten, das andere Mal auf eine Gruppe bewaffneter Leute. Zwar war es das schon an Variation (zumindest meiner Erfahrung nach), aber es reicht, um einen immer in der Spannung zu halten, da man nicht weiß wie gefährlich die Gegend nun wirklich ist. Wann ein Händler vorbei schaut und wer an der hauseigenen Tür klopft ist ebenfalls zufällig. Es kann also sein, dass man nicht das Glück hat, dass die Nachbarn vorbeikommen und einem einfach so Gemüse schenken.

 

6. Schwierigkeitsgrad (schwer)

Durch das fehlende manuelle Speichern, die schwierigen Kämpfe und die wenigen Ressourcen, die man tragen kann, besitzt das Spiel einen ordentlichen Schwierigkeitsgrad. Der Schwierigkeitsgrad ist aber auch ein Motivationsschub, da das Handeln wohl durchdacht sein muss und jede brenzlige Aktion das Ende bedeuten könnte. Ich empfehle keine Guides oder dergleichen zu lesen. Es ist ebenfalls ein Reiz des Spiels, dieses durch „trial and error“ kennen zu lernen. Außerdem sollte jeder für sich entscheiden, was er wann braucht. Kritik lässt sich daran üben, dass manches zu unverständlich bleibt. Wenn ich zum Beispiel die Kochplatte upgraden will, wäre es schön, wenn mir das Spiel zeigen würde, welche konkrete Verbesserung das Upgrade bringt (z.B: es wird 1 Wasser weniger pro Mahlzeit verbraucht oder dergleichen). Ich finde zwar das generelle Fehlen von offensichtlichen Tipps gut, aber wenn ich meine hart verdienten Ressourcen für etwas benutze, nur um festzustellen, dass es mir nicht so viel bringt, dann ist das einfach nur ärgerlich.

Auch der eigene Unterschlupf ist Ziel von Plünderern.

 

7. Übersetzung (schwach)

Damit noch zur Übersetzung. So viel zu übersetzen gab es nicht, dennoch haben sich ein paar seltsame Übersetzungen eingeschlichen. Ich weiß, dass es sich um einen Indie-Titel handelt und nicht so viel Geld für Dinge wie die deutsche Übersetzung vorhanden ist, trotzdem muss ich dies ankreiden. Ein Beispiel: Möchte ich das Spiel verlassen beziehungsweise ins Hauptmenü zurückkehren, steht unglücklicherweise „Aufgeben“ anstatt „Spiel verlassen“ da. Zum Teil sind sogar Textpassagen nicht übersetzt worden und so taucht plötzlich ein englischer Tagebucheintrag auf. Die Übersetzung ist also nur von durchschnittlicher Qualität.

 

8. Fazit

This War of Mine hat eine nicht so gelungene deutsche Übersetzung und wiederholt sich beim Tagesablauf im eigenen Unterschlupf zu häufig. Nachts geht es schon deutlich spannender zu und neben dem tollen Grafikstil ist diese unfassbar gute Atmosphäre dank der ans Herz gehenden moralischen Entscheidungen gelungen. Großes Respekt hierfür an die Entwickler! So schlecht habe ich mich selten bei einer Tätigkeit gefühlt und gleichzeitig Spaß gehabt. Das klingt unlogisch? Ich hoffe nach dem Durchlesen dieser Rezension nicht mehr so sehr. This War of Mine beleuchtet den Krieg von einer Seite, die meistens in Spielen komplett außer Acht gelassen wird. Hier sind es nicht die heldenhaften Soldaten, die die bösen Terroristen oder Nazis besiegt haben, sondern einfache Zivilisten, die ums Überleben kämpfen. Traurige Geschichten werden hier deutlich häufiger erzählt, als die fröhlichen. Letztere fallen dafür umso mehr auf und bringen mich dazu über unsere jetzigen vergleichsweise paradisischen Zustände nachzudenken. Zustände die dazu führen, dass man „Probleme“ hat, wie dass das Internet mal nicht geht oder man den Bus verpasst hat und nun weitere 10 Minuten auf den nächsten warten muss. Zustände die dazu führen, dass man solche schönen Momente, wie das Vorbeibringen des Gemüses in This War of Mine, gerne mal übersieht. Obwohl es diese Augenblicke in unserem Leben gibt. Aber das Problem beim Menschen ist eben Folgendes: Nur wenn es ihm schlecht geht, erkennt er das Gute.

 

9. Review-Video mit Spielszenen

Wer Lust hat, kann unser Review-Video mit Spielszenen und kleinen Sketchen zu This War of Mine auf YouTube anschauen:

http://youtu.be/3frRPkPSI1c



Wertung
Pro und Kontra
  • Toller Grafikstil
  • Moralische Entscheidungen mit Auswirkungen
  • Gutes Schleichsystem
  • Zufallsbasierte Events erhöhen den Wiederspielwert
  • Ausbauen des Hauses
  • Häufig gleicher Ablauf im eigenen Unterschlupf
  • deutsche Übersetzung zum Teil seltsam

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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