Der Ton wird rauer...

Von Roadwarrior · 12. Februar 2019 · ·
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  1. In den letzten paar Jahren ist mir beim Lesen von Beiträgen in Foren und vor Allem unter den Artikeln - auch und besonders bei Gamestar & Gamepro - der Ton deutlich schärfer wurde. Man wird wesentlich schneller auf persönlicher Ebene attackiert und sogar beleidigt.
    Ich hab' mich da eine ganze Weile selbst reflektiert, bevor ich mir eine Art "Urteil" zu dem Thema gebildet habe. Vielleicht bin ich ja empfindlicher geworden im Alter oder aber ich habe durch meinen Beruf vielleicht eine andere Empfindlichkeit für Abwertung bzw. Geringschätzung entwickelt. Aber nachdem ich von der Metaebene drauf geblickt habe muss ich sagen, dass es offenbar wirklich etwas "anders" geworden ist.

    Vor vielen Jahren, als unser größtes Streitthema noch solche Sachen waren wie "Nvidia vs. ATi" oder "Ist Unreal cooler als Quake?" hatten wir irgendwie noch einen anderen Maßstab. Heute wird nahezu jeder Kommentar maximal kontrovers betrachtet, politisch abgeklopft und auf eventuell vorhandene tiefgreifende Aussagen geprüft.

    Vor nicht allzu langer Zeit habe ich selbst eine ziemlich bezeichnende Erfahrung zu diesem Thema gemacht. Es ging in einem Artikel auf Gamepro um neu angekündigte Spiele und die Tatsache, dass man sich in manchen Games den Avatar bzw. den Protagonisten nicht aussuchen kann. Ich habe mir neben anderen Spielern erlaubt zu sagen, dass es mir auch lieber ist, ich kann zu Beginn eines Spieles aussuchen, ob ich nun Männlein oder Weiblein spielen möchte. Begründet habe ich das mit der Tatsache, dass ich mich besser in einen männlichen Charakter versetzen kann und ich dadurch ein intensiveres und tieferes Spielerlebnis bekomme. Als Beispiel für Spiele dieser Art nannte ich seinerzeit etwa "Horizon: Zero Dawn" oder das nun irgendwann erscheinende "Last of Us 2". Ich habe auch deutlich zu verstehen gegeben, dass ich Frauen nicht geringschätze oder ähnliches, mir ging es allein um mein subjektives Empfinden beim Spielen selbst. Für diese Meinung wurden ich und auch andere Spieler aufs Massivste attackiert und auf sehr persönlicher Ebene beleidigt. In meinem Fall ging es sogar soweit, dass ich über meinen Twitter-Account denunziert und verunglimpft wurde, indem man meine Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen und ohne differenzierte Meinung dort zerrissen hat, natürlich suggestiv präsentiert. Auch ich selbst hätte die Aussagen in der Form als dumm und völlig sexistisch betrachtet, wenn ich die Wahrheit nicht kennen würde.

    Versteht mich nicht falsch, mir ist es relativ egal, ob sich jemand aufgrund einer solchen Aktion als Weltverbesserer oder Frauenversteher profilieren will, das macht gar Nichts mit mir. Es ist lediglich ein Beispiel dafür wie wenig nötig ist, um auf einen Menschen los zu gehen und eine abartige Form von Cybermobbing zu starten.
    Mein Beruf schenkt mir die nötige Ruhe sowas mit sanftem Lächeln zu ignorieren - ich bezweifle, dass der durchschnittliche Mensch dazu in der Lage wäre. Ich bin Zyniker und noch dazu viel zu alt, um mich von solchen Sachen aus der Bahn werfen zu lassen. Aber schade finde ich es.

    Ich hatte immer den Eindruck in den alten Zeiten, dass trotz aller Differenzen die es manchmal gibt die Gamer an einem Strang ziehen. Heute werden Entwickler und Publisher per Shitstorm attackiert, Journalisten (auch hier drin) abgewertet und User gemobbt - und Alles nur, weil es oft nicht der eigenen Meinung oder dem eigenen Willen entspricht. Was aus dem alten "leben und leben lassen" geworden ist, frage ich mich sehr oft. Wie oft ich in "Black Out" in den letzten Tagen das Wort "Hurensohn" oder "Motherfucker" gehört habe nach einem Abschuss kann ich nicht zählen - natürlich lache ich auch drüber im ersten Moment, aber eigentlich find' ich es nur noch traurig.

    Nun, ich werde im März 44 Jahre alt. Meine "Laufbahn" begann 1981 mit dem Atari 2600 und ich habe mein Hobby von Anfang an sehr geliebt, so sehr, dass das Wort "Gamer" sogar auf meinen Arm tätowiert wurde. Es hat meine Ehe überdauert, ich habe meine Geschwister und meine Freunde beeinflusst und ich ziehe nach wie vor gerne in den "Kampf" gegen die Jungs und Mädels da draußen - aber die Euphorie lässt nach. Immer öfter ziehe ich mich in den Einzelspieler-Part der Games zurück, zocke alte Klassiker oder gammle "analog" vor meinem Plattenspieler herum. Es ist deutlich schwerer geworden, noch begeistert zu sein...auch von den Spielen selbst. Nach langer Zeit hat das dann "Read Dead Redemption 2" mal wieder geschafft. In meiner Wahrnehmung war das ein tolles, wunderschönes und auch technisch grandios umgesetztes Open World Spiel - mit einem doofen Ende. Dennoch ein Traum. Lesen musste ich sehr häufig, wie enttäuschend es sei, was Alles falsch gelaufen wäre und so weit und so fort. Was ist nötig, damit die Leute noch "zufrieden" sind im Jahr 2019? Anthem ist zu wenig bioware-mäßig, FC New Dawn ist zu bunt, Metro Exodus erscheint nicht da, wo es die Meisten gern gehabt hätten...ein Spiel ist zu wenig zugänglich, ein Anderes ist zu casual. Ich frage mich oft, ob die Leute nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen, als ständig nur zu meckern. Es kann einen Menschen krank machen, wenn er sich ständig in seiner Unzufriedenheit suhlt, ich meine das Ernst. Ich arbeite mit Menschen, die psychisch angegriffen sind und irgendwann den Halt verloren haben - der Weg von der Unzufriedenheit ins Burnout ist ein wesentlich Kürzerer als man denken mag.

    Jeder Einzelne von Euch ist mir als Partner oder als Gegner in diversen Spielen willkommen...ob ihr nun Mädel oder Mann seid, schwarz oder weiß, Akademiker oder Pizzabäcker. Ich will einfach gern mit coolen Leuten spielen, das wollte ich im Jahr 2000 auf meiner ersten LAN und ich will es auch heute noch fast 20 Jahre später. Mit manchen werde ich nun nicht mehr mithalten können - Andere werden sich wundern, was mit Mitte 40 noch möglich ist. Noch kann ich mich wie ein kleines Kind freuen über den Release eines Spiels...ich hoff' das bleibt noch eine Weile so. Hater und Flamer und Stresser werde ich mit Zynismus überziehen oder einfach ignorieren, soweit es mir möglich ist. Ob es nun gefällt oder nicht, es muss auch solche Menschen geben.

    Carry on forever :)

    Über den Autor

    Roadwarrior
    1975 auf die Welt losgelassen bekam ich 1982 von meinen Eltern zu Weihnachten ein Atari 2600 überreicht - seitdem nahm die Spirale ihren Lauf. Ich bin seit inzwischen etwa 40 Jahren "ingame". Durch verschiedene Berufe, Beziehungen, eine Ehe, Wohnorte und Weltanschauungen hindurch waren in meinem Leben in den letzten 25 Jahren nur 3 Sachen konstant: Motorräder. Heavy Metal. Gaming.
    EgoremiX, Yeager und ReignCaster gefällt das.

Kommentare

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  1. ReignCaster
    In dem Artikel finde ich viel wieder, das ich auch bei mir selbst sehe (ich alter Sack). Ich glaube aber nicht, dass der Einzelne wirklich "giftiger" geworden ist. Spiele wie AC: Odyssey, BF5 oder WoW: Battle for Azeroth standen 'heftig in der Kritik' (freundlich ausgedrückt) und jetzt schau doch mal, wie die bei den Gamestars abgeschnitten haben. Es wirkt auf mich eher so, dass Trolle einfach mehr trollen. Das wirkt sich erstmal auf den allgemeinen Umgangston aus. Und was noch schlimmer ist: Vor allem den Jüngeren wird so signalisiert, dass ein derartiger Umgangston in Ordnung ist.
      TheRoadwarrior gefällt das.
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