Mir ist es schon wichtig, Blogthemen zu wählen, die sich vielleicht ein wenig außerhalb des Üblichen bewegen. Gerade noch grübele ich über die Wahl meines nächsten Textes, da liefert mir Michael Graf mit seinem aktuellen Klartext-Video doch glatt eine Steilvorlage, die ich eigentlich hinten anstellen wollte. Und das noch nicht einmal wegen meiner gleichen Einstellung zu der Sache, sondern weil es im Nachhinein immer noch so kontrovers diskutiert wird.
Das Thema Gewalt ist nicht nur aufgrund der „Killerspiel“-Debatte in aller Munde. Nein, gerade neue Releases scheinen ohne Blut, herumfliegende Körperteile und in Zeitlupe präsentierte Tötungsanimationen deluxe überhaupt nicht mehr auszukommen. Dies ist eine Entwicklung, die ich schon seit Längerem mokiere. Die Reaktionen darauf waren – ich sag mal – schwer emotional geprägt. Und wenn ich die Kommentare unter dem aktuellen Video lese, kann ich feststellen, dass sich daran eigentlich gar nichts geändert hat.
Darum habe ich mich entschlossen, das Thema nochmals aufzugreifen, die Argumente der Befürworter aufgreifen und meinen Gegensenf dazu abgeben.
- „Gewaltspiele wie Doom wurden wegen/für/schon immer mit der Gewalt entwickelt.“
Ja, eigentlich schon. Doch ist der Unterschied zwischen Doom (1993) und Doom (2016) ein gewaltiger, alleine optisch. Die Darstellung von Realismus konnte damals nur bis zu einem gewissen Grad bewerkstelligt werden, heute sieht die Sachlage völlig anders aus. Die Grafik bewegt sich schon nahe beim Fotorealismus. Damals zerschoss oder teilte der Spieler Zombies und Monster zu groben Fleischklumpen in schemenhafter Pixelgrafik, heute kann man glatt die Äderchen zählen, die die Kettensäge so abtrennt. Inwiefern man das noch als abstraktes Spiel (an)erkennen kann, wird mir parallel zur wachsenden Detailverliebtheit der Animationen immer schleierhafter.
Ferner sollte erwähnt sein, dass Marken wie Doom für sich stehend gerne unter dem Gewaltfaktor stehen bleiben können. In der Masse jedoch wird die Trendentwicklung beim Zeigen von Gewalt zu eben jenem Kritikpunkt. Dishonored, Mafia und andere Marken sind die besten Beispiele dafür, wie die Aufstockung der Gewaltdarstellung das allgemeine Bild eines Mediums verzerren kann. Innerhalb eines Franchises den Splatterfaktor zu erhöhen und das in der Menge verschiedener Titel erkennen zu müssen impliziert auch das Prinzip der Effekthascherei. Da steht eben die Frage im Raum: „Frühere Titel mussten die Gewalt nicht zeigen. Ist sie also bei den Nachfolgern unbedingt notwendig?“
- „Gewalt ist ein Stilmittel.“
Gewalt als Stilmittel hochzuloben, kann bis zu einem gewissen Grad stimmen. Dennoch muss sich solch ein Titel den Vorwurf gefallen lassen, nicht mehr „auf dem Kasten“ zu haben. Die Story von Doom ist flach, was damals vielleicht noch aufgrund technischer Limitierungen durchgehen konnte. Doch war schon Doom 3 ein Beispiel dafür, wie man dem wachsenden Anspruch bei 3D-Titeln einigermaßen gerecht werden konnte. Das letzte Doom wird dagegen hauptsächlich für nichts anderes wie die Gewalt herausgestellt. Das Gameplay hingegen wirkt fast schon bedeutungslos gegen die Drastik der Splattereinlagen.
Andere Titel wie Deus Ex: Mankind Divided (und auch der Vorgänger) oder Mafia 3 hätten diesen Gewaltgrad nicht gebraucht. In Zeitlupe versenkende Messer sind kein Stilmittel im Universum dystopischer Großstädte und auch nicht – mit Abstrichen – bei den Methoden der „Cosa Nostra“. Gegenargumente wie abgeschnittene Pferdeköpfe wirken ähnlich drastisch, unterstreichen aber den Psychoterror innerhalb des Mafiaapparates, während ständiges Zeitlupentöten keinen Kontext erkennen lässt.
Ein Gegenbeispiel wäre da Dead Space. Der Splatterfaktor ist ein spielbestimmendes Element. Er passt auch zum Szenario und wird sogar von der Marker-Story überlagert.
- „Gewalt macht ein Spiel vollständiger.“
Jemand hat erwähnt, dass man bei Jedi Knight ein besseres Spielgefühl verspürt, wenn man mit dem Lichtschwert Arme abschlagen kann. Vielleicht denkt man an die berühmte Szene aus „Das Imperium schlägt zurück“, in der Darth Vader Luke den Arm abtrennt. Diese Szene kann man bildlich und im Beziehungsgeflecht vom Vater zum Sohn als übergeordnete Aussage betrachten, doch was ist mit dem Spiel? Verspürt man ähnliche erzählerischen Absichten, wenn man einer virtuellen Figur die Extremität wegschlägt? Entsteht dadurch Immersion durch eine Erzählung? Nein, sicherlich nicht. Es ist eine reine Handlung ohne identifizierende Bezüge zu irgendeiner Figur. Es sind rein technische Abläufe, die übergreifend zu einer Routinehandlung verkommen. Die Faszination und Schreckmomente werden schnell und effektiv abgestumpft, und nach der 100. Tötung nach demselben Muster wird man bestimmt keinen ähnlichen Gefühlsausbruch erleben wie noch beim ersten Mal. Durch die Schnelligkeit und Häufigkeit in Spielen setzt dieser Effekt sehr fix ein. Also macht solche Gewalt kein Spiel völlig vollständig. Man lechzt früh nach mehr, was derselbe Titel selbstredend nicht mehr bietet, wenn nur ein bestimmtes Niveau gehalten wird. So wird der Anspruch weiter erhöht. Kauft man sich ein Auto mit elektrischen Fensterhebern, will man ja als nächstes mindestens denselben Komfort und nicht wieder von Hand kurbeln.
- „Gewalt in Spielen ist überzeichnet/überspitzt.“
Große Mengen an Gewaltszenen machen aus einem Spiel noch kein überspitztes Element. Es gibt zu viele Faktoren, die erfüllt sein sollten, damit eine Überzeichnung erkennbar ist. Denkt man etwa an Braindead, wurde Splatter mit Humor überspitzt, oft an der Grenze des guten Geschmacks, durch viele absurde Ideen jedoch völlig der Realität entzogen. Weiter kann (nicht muss) die Menge an Blut über solche Eindrücke entscheiden. Ein ernster Unterbau hätte aus Peter Jacksons Splatterorgie dagegen einen Film gemacht, den man in den heimischen Kontrollgremien um einiges stringenter behandelt hätte. Und dabei war dieser schon nur in geschnittener Form in Deutschland erhältlich. Ohne den Humor hätten wir den Film wahrscheinlich nur illegal erwerben können.
Das Doom von 2016 verfügt nicht über diese witzigen Anspielungen. Überzeichnung wird auch gerne vom Betrachter/Spieler missinterpretiert. Die eigene Hemmschwelle wird durch selbstzweckhafte Veröffentlichungen weiter nach oben korrigiert.
- „Gewalt und Splatter ist im Mainstream angekommen. Get used to it!“
Dem Gewalt“gegner“ Spießigkeit zu unterstellen, ist in diesem konkreten Fall schlicht anmaßend. Ich habe meine Jugend mit Splatter- und Horrorfilmen zugetan, fand sie gut, finde sie immer noch gut. Man vergleicht jedoch die Machart damaliger Filme mit denen von heute. Die Grundstimmung hat sich massiv verändert, Inhalt und Aussage hat einen anderen Stellenwert. Betrachte ich jüngere Filme, wirken sie auf mich schemenhaft und rein technisch, mit Klischees vollgestopft, die gerade die alten Schinken so kultig werden ließen. Dass derartige Gewalt mittlerweile auch im TV angekommen ist, beeindruckt mich indes nicht. Auch hier muss die Grenzverschiebung erwähnt sein – was kommt als nächstes? Noch mehr Blut? Noch mehr realer Bezug? Muss man bald Kindesvergewaltigung in aller Bildhaftigkeit zeigen, damit man überhaupt noch emotional berührt ist?
- „Gewalt ist lustig.“
Dies ist auch so eine pauschale Aussage, die für mich aufzeigt, wie abgestumpft die Person sein dürfte, die so etwas behauptet. Mit Spaß und Humor verbinde ich Splatter nicht unbedingt, es gibt auch Ausnahmen (welche ich bereits aufgegriffen habe). Viele verbinden den Ausdruck „lustig“ nüchtern betrachtet auch eher mit Unterhaltung. Ja, Kino und Spiele sind prinzipiell erst einmal Unterhaltung, Ablenkung vom Alltag, dass man eben nicht auf dem Sofa sitzen muss und die Zeit totschlagen. Mit Filmen und Spielen geht die Zeit eben rum. Aber: Charlie Chaplin ist auch lustig, so wie Arnold Schwarzenegger, Pac-Man oder Super Mario. Außerdem herrscht meiner Meinung nach bei manchen pauschal betrachtet ein tief sitzender Zynismus vor. Wir jungen Leute von anno dazumal hatten Splatter nur unter der Ladentheke entdeckt, es war also nichts Normales in unserem Alltag. Dass diese Extremform der Gewalt den Mainstream erreicht hat, kann man mittlerweile schon mit Befriedigung vom Blutrausch gleichsetzen.
Und nun noch ein paar eigene Einschätzungen:
Das Klartext-Video basiert sehr eindeutig auf Michael Grafs eigener Meinung. Wer nun Gamestar-News auflistet, um sie als Gegenargument auf den Tisch zu legen, hat vergessen, dass die meisten News und Artikel eben nicht von Michael stammen. Die selbstkritischen Worte im Video hat wohl die Klientel überhören wollen. Es gibt also augenscheinlich auch unterschiedliche Ansichten unter den einzelnen Redakteuren.
Es hat auch nichts mit „Doppelmoral“ zu tun, wenn man Gewalt grundsätzlich okay findet und sich über die Gewaltdarstellung neuer Titel beschwert. Ja, doch, das ist auch möglich. Auch ich denke so, und ich muss mich jetzt auch nicht von jeweils einer Seite zu sich ziehen lassen. Viele scheinen die Meinung zu vertreten, dass man in einem Disput eindeutig eine Meinung zu vertreten hat. Wer Gewalt kritisiert, kann sie doch nicht noch gut finden. Das ist ein Trugschluss und im Endeffekt auch plumpe Meinungsmache. Wenn ihr schon möchtet, dass man euch als intelligent, differenziert und harmlos anseht, dann müsst ihr in der Sache auch auf andere Meinungen eingehen – sonst geltet ihr als Populisten, sture Menschen oder noch Schlimmeres... Übrigens ist es auch nicht inkonsequent, wenn man beiden Lagern nachvollziehbare Argumente abgewinnen kann. Man befindet sich auch nicht in der „Opferrolle“, wie gerne mal angenommen wird.
Gerade wird Battlefield 1 dafür kritisiert, dass es Krieg als zu weichgespült darstellen würde. Jetzt mal ernsthaft: Wer noch zerfetzte Leiber braucht, um zu erkennen, dass Krieg etwas Schlimmes ist, dem sind ja fast schon die Gefühlsantennen böse verrutscht. Außerdem denke ich daran, wie man Realität und Spiel miteinander aufwiegt. Wir sitzen ja zuhause und konsumieren ein Unterhaltungsmedium. Erzählt das mal den Männern, Frauen und Kindern, die gerade aus Syrien geflüchtet sind und an ein besseres Leben denken. Die sind traumatisiert, werden noch lange an (echten!) zerfetzten Leibern zu knabbern haben, hätten gehofft, dieses Elend nie erleben zu müssen. Und wir sitzen vor dem Bildschirm, wohlig gewärmt, gut genährt und mit Dach über dem Kopf - und verlangen mehr Kriegsrealismus in Spielen... Da frage ich mich schon, inwiefern Befürworter das bemessen. In Doom, Dishonored 2 und Mafia 3 gibt es doch so „schöne“, explizite Gewaltdarstellungen – habt ihr nur der Befriedigung eures Blutdurstes wegen nur diese Forderungen gestellt? Wenn ihr schon den Realismus des Krieges dargestellt sehen wollt, braucht ihr dies dann auch in fiktiven Szenarien wie The Witcher oder Deus Ex?
Als letzten übergeordneten Punkt möchte ich noch die sozialpsychologische Komponente ankratzen. Es wurde gerade wegen der „Killerspiel“-Debatte verstärkt darüber geforscht, nun haben wir Thesen und Antithesen im Raum stehen, ohne etwas Verbindliches heranziehen zu können. Die Beweislage ist also immer noch sehr offen gehalten, nachweisbare und unumstößliche Erkenntnisse sind noch keine eingetreten. Genau deswegen sollten wir uns nicht darin suhlen, dass die Forschung für uns wohlwollende Teilaspekte zu Papier gebracht hat. Es steht immer noch im Raum, dass ein - zwar verschwindend geringer, aber vorhandener - Anteil an Spielern durch ihre tragische Vita Spiele als Motivator für reale Handlungen benutzen könnte. Gerade in einer Leistungsgesellschaft, die die Abgehängten noch weiter nach unten drückt, kann die Bereitstellung solcher Darstellungen als Möglichkeit der Problemlösung zum Bumerang für die Mehrheit werden. Wer also argumentiert, nicht empfänglich für mediale Gewaltdarstellung zu sein, blendet aus, dass ein paar wenige das vielleicht doch sein können. Es geht auch nicht darum, wegen weniger Einzelfälle ein ganzes Medium umkrempeln zu müssen. Man muss Kontrollinstanzen sensibilisieren, und wir erleben momentan genau das Gegenteil. Ich hatte wirklich nichts gegen die Zensur von Gewalt in den 70ern und 80ern, das Problem heute ist anders gelagert. Die Öffnung von FSK bzw. USK gegenüber der Gewaltdarstellung hat mit der verallgemeinerten Akzeptanz die Erwartungshaltung des Konsumenten verschoben. Wir hatten es damals nicht nötig, Petitionen zu starten, nur weil Filme wie Hellraiser in ihrer Urform auf dem Index landeten. Wir haben den Umstand akzeptiert oder es uns zur Aufgabe gemacht, eine ungeschnittene Fassung im Ausland zu suchen, den Aufwand also nicht gescheut.
Bleibt mir nur noch zu sagen, dass ich nicht erwarte, dass jetzt durch das Video und meine eigene Sichtweise ein massives Umdenken eintritt.
Wir haben nun einen Status Quo erreicht, den man nicht hauruckmäßig zurückdrehen sollte. Wer als Mensch Emotionen derart unter Kontrolle hat, reale Taten und deren virtuelle Abbilder strikt trennen zu können, ist zu beneiden. Viel mehr würde ich es jedoch gerne sehen, dass die Konsumenten ihren Konsum weniger darauf ausrichten, ihre Grenzen weiter kontinuierlich nach oben zu verschieben, bis letztlich wirkliche Geschmacklosigkeiten allgemein akzeptiert werden. Ich vergleiche das zum Beispiel mit Situationen aus dem Alltag, etwa mit Verkehrsunfällen und Smartphones, die wie Geier draufhalten, während ein Mensch mit seinem Leben kämpft. Hier ist mediale Interaktion mit der Realität überlagert, und das geht mal überhaupt nicht. Es mag sein, dass der Vergleich zu Spielen hinken mag, aber wann ist der Punkt erreicht, dass man dieses und jenes gleichsetzen muss? Es ist auch falsch, Moral und Ethik völlig außen vor zu lassen und sie mit monetären Gründen tot zu reden. Grenzen wurden gezogen, dass man sie auch einhält, nicht nur um sie einzureißen.
Ich freue mich über eine lebhafte und auf Respekt basierende Debatte und danke euch für´s Lesen.
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