Mass Effect. The good, the bad and the ugly. (9)

Von Thore · 30. Mai 2021 · ·
  1. Vage Gerüchte von Allgemeinwissen
    Nach Horizon findet ein Dialog zwischen Shepard und Tim statt. Dieser Dialog ist eine echte Perle.
    Tim beginnt damit, dass er verkündet, dass die Kollektoren es sich ab sofort wohl zweimal überlegen werden, bevor sie noch mal eine menschliche Kolonie angreifen. Wie im letzten Beitrag schon geschrieben: Wenn die Geschütze der Allianz von Anfang an funktioniert hätten, dann wären die Kollektoren nicht weit gekommen, nach allem, was das Spiel uns zeigt. Shepard selbst hatte nur wenig damit zu tun.
    Übrigens habe ich die Frage aufkommen sehen, warum die Normandy nicht das Schiff der Kollektoren angegriffen hat, als es neben der Kolonie geparkt war. Das erkläre ich mir so, dass alle für den Weltraumkampf konzipierte Waffen des ME Universums, regelrechte Massenvernichtungswaffen in einer Atmosphäre sind. Wenn die Normandy mit ihren Geschützen auf das Schiff der Kollektoren gefeuert hätte, während es neben der Kolonie geparkt ist, dann wäre die Kolonie dadurch vollkommen vernichtet worden.

    Shepard fragt, ob Tim was mit dem Angriff zu tun hatte, da Kaiden oder Ashley gesagt haben, dass die Allianz einen Tip über ihn und Cerberus bekommen hätte. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wie funktioniert seine Logik dabei? Die Allianz hat einen Tip über Shepard und Cerberus bekommen, deswegen hat Tim was mit dem Angriff der Kollektoren zu tun?!?

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    (Das ist schon fast komödiantisch)

    Dann kommt ein echtes Highlight, bei dem ich mich gefragt habe, ob der Autor überhaupt noch irgendeinen Plan hat, was er da schreibt.
    Tim sagt, dass er „ein paar vage Gerüchte in Umlauf gebracht hat, dass Shepard am Leben sei und mit Cerberus arbeitet“.
    Der Türsteher auf Omega hat Shepard direkt nach seiner Ankunft erkannt und wusste von seiner Verbindung zu Cerberus (und darüber gelacht, dass es nicht schwer herauszufinden war). Shepard war persönlich bei Anderson und hat mit ihm und dem Rat über Cerberus diskutiert. Die wussten es aber auch schon vor seinem Besuch. Shepard fliegt mit der Normandy durch die Gegend, auf dem das verdammte Logo von Cerberus raufgesprüht ist, und wird ständig vom Autor gezwungen über seine Zusammenarbeit mit Cerberus zu reden. Da ist nichts mit Geheimhaltung.
    Tim verbreitet vage Gerüchte über etwas, was jeder sowieso schon weiß. Aber cooler Satz.

    Tim hatte vermutet, dass die Kollektoren nach Shepard oder seinen früheren Bekanntschaften suchen. Sie wollen seine alten Kontakte entführen, damit Shepard auf sie Jagd macht und sich aus der Deckung wagt (oder so). Okay, aber... das tut er doch sowieso schon?!
    Also Tim bringt vage Gerüchte über etwas in Umlauf, was Allgemeinwissen ist und setzt darauf, dass die Kollektoren diese Gerüchte mitbekommen, sie für voll nehmen und ihre Pläne entsprechend ändern?
    Als Tim die Kollektoren dann mit dem „Kaiden/Ashley“ Köder in eine Falle locken wollte, dann hat er den Teil mit der Falle vergessen. Warum sagt er Shepard nicht im Vorraus, dass es eine gute Chance gibt, dass die Kollektoren Horizon angreifen? Warum wartet er nicht auf das Lähmungsgegenmittel von Mordin, bevor er diese "vagen Gerüchte" überhaupt in Umlauf bringt?
    Und warum suchen die Kollektoren nach Leuten, die Shepard kennen? Was nützt ihnen und ihrem eigentlichem Ziel das? Wenn man ihren Plan, einen Reaper zu bauen, in Betracht zieht, dann ist das sogar kontraproduktiv.
    Wenn Tim diese vagen Gerüchte nicht in Umlauf gebracht hätte, dann wäre Horizon komplett verschont geblieben? Eigentlich haben die Kollektoren doch nur das gemacht, was sie sowieso die ganze Zeit gemacht haben?

    Dieser Dialog macht keinen Sinn. Es fühlt sich nicht so an, als würden zwei Personen miteinander sprechen. Der Spieler kann nur vermuten, was der Autor wohl vermeintlich aussagen wollte.

    Jede Szene in einem Buch, Film oder Videospiel, die den Zuschauer zwingt sich Informationen selbst auszudenken, damit sie fundamental einen Sinn ergibt, ist kaputt. Bei diesem Dialog muss man sich so viel selbst dazu denken, oder einfach ignorieren, dass sie einfach nicht funktioniert. Das Ergebnis sind Charaktere, die sich nicht echt anfühlen. Man kann sie nicht abstrahieren und sie tun immer nur das, was benötigt wird, um irgendwie zur nächsten Szene im Skript zu gelangen. Sie verhalten sich nicht so, wie echte Personen sich verhalten würden und kein anderer Charakter scheint das merkwürdig zu finden. Das ist hier so deutlich, dass Tim kaum noch als Charakter betitelt werden kann. Nichts im Spiel erklärt die Logiksprünge, die er andauernd macht (auch nicht dieses Spionagenetzwerk, das er angeblich hat).

    Tim wird als jemand dargestellt, der kein Problem damit hat Leben zu opfern, um seine Ziele voranzubringen. Das wird nirgends so deutlich wie in diesem „Dialog“. Aber das wusste der Spieler bereits. Die Ansicht, dass es vollkommen verrückt ist, für Cerberus zu arbeiten, wird dabei nur bestätigt. Das Problem dabei ist, dass Shepard auch (mal wieder) nichts Sinnvolles zu sagen hat. Der Dialog ist wieder auf Schienen geschnallt und der Spieler wird gezwungen weiter zu machen.

    Liara
    Zurück zu den Charakteren. Erinnert sich jemand an die etwas schüchterne, höfliche und gelehrte Asari, die ihr Leben dem Erforschen von Protheanischen Ruinen gewidmet hat? Die gibt es nämlich nicht mehr.

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    ("Sorry, die Gelegenheit, das zu studieren, bekommst du nicht. Der Autor macht dich im nächsten Spiel zum Paten und du vergisst alles über Protheaner")

    In den zwei Jahren, nachdem Shepard gestorben ist, hat sie ein Netzwerk aufgebaut, was fast kriminell dargestellt wird. Sie hat ihre eigenen Kommandosoldaten und ist selbst eine eiskalte Geschäftsfrau/Mafiaboss im Handel mit Informationen geworden. Sie erlebt die Offenbarung einer unglaublichen Bedrohung, für die ihre Forschung essentiell ist und entscheidet sich dazu die Karriere zu wechseln?!
    Liara war als Charakter einzigartig und durch ihre Forschung und Studien wichtig für die übergreifende Handlung, um den uralten Zyklus der Vernichtung zu durchbrechen. Aber der Autor meinte wohl, dass wir noch nicht genug knallharte Killer im Spiel haben.

    Das ist keine Charakterentwicklung, das ist ein kompletter Persönlichkeitstausch. So behandelt man keine fiktionalen Charaktere. Man gibt ihnen keine komplett neue Persönlichkeit off-screen zwischen den Werken. Ich finde das richtig schade. Außerdem ist das unnötig: Liara ist über die Story des zweiten Spiels nicht dabei, sondern bleibt in ihrem Büro sitzen. Diese Änderung des Charakters führt zudem zu nichts. Es gibt keine dramatische Rückblende, die ihn erklären könnte, geschweige denn irgendeinen Bezug zur Hautpstory.
    Es ist wie bei Tim, es ist „cooler“, was den Autor langsam echt schämen sollte!

    Samara
    Techno-Space-Paladin mit heftigem Ausschnitt. Whats not to like?!

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    (Ist das die offizielle Justikar-Uniform?)

    Einiges. Der Kodex ihres Ordens klingt nach einer furchtbaren Idee. „Ich muss dich töten, damit du mir nicht im Weg stehst um im Namen der Gerechtigkeit zu morden“ passt so überhaupt nicht in diese Welt. Und dann, als sie klar gemacht hat, dass sie ihrem strikten Regeln auf jeden Fall folgen wird, ist sie einverstanden damit für eine Terrororganisation zu arbeiten? Sie ist einfach „geehrt“ von der Einladung? Sie verlangt keine elaborierten Erklärungen, oder möchte von den Zielen hören, bzw. wie Shepard diese Erreichen möchte. (Das ist nur zum Besten, Shepard weiß das selbst nicht.) Bei Charakteren wie Garrus oder Tali kaufe ich das dem Autor ab, da sie eine Verbindung zu Shepard haben und ihn kennen/ihm vertrauen. Bei z.B. Mordin war es ein einfacher Deal: Du hilfst mir mit der Seuche auf Omega, dann helfe ich dir mit den Kollektoren.

    Samara könnte einen versteckten Grund haben, um für Cerberus zu arbeiten. „Keep your Friends close, but your enemies closer“ oder ähnliches. Dann könnte das Spiel dem Spieler diese Ideen zeigen, und mit ihm darüber diskutieren, so dass eine Abfolge an Motivationen und Handlungen entsteht, die man eine Geschichte nennt. Hat sie aber nicht, sie ist einfach nur "geehrt".

    Mal davon ab: Warum wählt Tim sie überhaupt aus? Gibt es nicht genug andere Biotics in der Galaxie? Wie kommt er darauf, dass gerade sie als Justikar für Cerberus arbeiten würde? (Klar, das tut sie im Endeffekt, aber es macht wenig Sinn)

    Ihre Loyalitätsmission ist allerdings sehr gut und das vollkommen ohne Schießereien. Sie jagt ihre Tochter Morinth, die eine Serienmörderin ist. Das funktioniert komplett über Dialog und hat etwas das „alte“ Bioware durchblicken lassen. Dialog ist wichtiger als jede Schießerei!

    Über den Autor

    Thore
    Jahrgang 85. Ich spiele Videospiele seit ich 7 oder 8 Jahre alt war. Ich bin schon immer von gut erzählten Geschichten fasziniert gewesen.

Kommentare

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  1. starkiller30001
    Logiklücken bei dem Gespräch sind mir auch aufgefallen, ich spiele Mass Effect ganz unvoreingenommen gerade über die Legendary Edition das erste mal vom 1. bis zum 3. Teil und bin jetzt (vermutlich) kurz vor Ende. Ich muss sagen das ich Begeistert bin, anders als du sehe ich einige Sachen nicht wirklich kritisch bzw. finde nicht das sie sich negativ auf das gefühl der gut Erzählten geschichte Auswirken. zugegeben finde ich die Sache mit Cerberus etwas seltsam, allerdings wars mir dann durch mein handeln sowieso egal, ich benutzte sie nur als mittel zum Zweck. Die Restliche Story ist dafür umso besser.

    Und was Liara angeht kann man durchaus mehr erfahren was ihr diesen Sinneswandel verliehen hat, in einer Questhandlung die sich um den "Shadow Broker" dreht wird das aufgearbeitet und ist durchaus eine der Interessantesten Quests im Spiel
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