Das Leistungsprinzip

Dieses Thema im Forum "Smalltalk" wurde erstellt von Legion(CD), 4. Dezember 2019.

  1. SolemnStatement

    SolemnStatement
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    Das funktioniert aber genau so wenig.

    Das Paradebeispiel sind die Bildungsabschlüsse früher und heute. früher war die Hauptschule noch etwas wert und das Abitur oder gar das Studium etwas für feine Pinkel, die Mal Oberstudienrat werden wollen. das hat sich herumgesprochen, so dass immer mehr Eltern ihren Kinden gesagt haben „lern was ordentliches, mach das Abitur und geh studieren!“.

    nun sind einige Jahrzehnte ins Land gezogen und die Hauptschule ist ein Sammelbecken für künftige Sozialfälle (entschuldigt die harte Wortwahl), die Realschule das Mindestmaß für jeden Ausbildungsberuf und das Gymnasium samt Bachelor der Standard für jeden Beruf, der noch einigermaßen Zukunft verspricht. Noch weitere 10-20 Jahre wird wohl Master oder Dr. notwendig sein, um beruflich noch etwas reißen zu können.

    Individuen ist mit Weiterbildung somit geholfen. Am System ändert sich aber nix, nur dass die Sozialfälle von damals gar keinen Abschluss hatten und demnächst bald schon Mittlere Reife
     
  2. Lurtz lost

    Lurtz
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    So langsam ist ja auch die durchschnittliche Lebenserwartung am Stagnieren oder Sinken. In den USA liegen mittlerweile 14 Jahre zwischen dem reichsten und ärmsten 1%. Da kann man schon von einem Ständeunterschied sprechen :ugly:
     
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  3. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Das inflationiert nur die Abschlüsse. Hat keine Auswirkung auf die Umstände.
     
  4. Terranigma

    Terranigma
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    Womit du ja aussagst, dass die Abschlüsse als Qualifikation an sich gar keine Aussagekraft - und keinen Wert - haben. Ich würde dem zustimmen, aber das Leistungsprinzip basiert ja im erheblichen Maße auf der Annahme, dass diese Abschlüsse eine Wertigkeit haben. Interessant ist's da, dass über Bildungsabschlüsse als Maßstab der Leistungsfähigkeit in ökonomischen Kategorien - "Inflation" - gesprochen wird, womit ja deutlich wird, dass auch diese Abschlüsse nur einen Tauschwert haben, an sich aber eben keinen Wert. Insofern erlangen heute viel mehr Menschen höhere Qualifikationen als damals - leisen also mehr - aber es zahlt sich dennoch nicht aus, eben weil viele dieses höhere Niveau erreichen. Daran zeigt sich ja, dass die Ungleichheit systemisch hergestellt wird und nicht das Ergebnis individueller Leistungsunfähigkeit, o.Ä.

    Meh. Deprimiert mich. :(
     
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  5. SolemnStatement

    SolemnStatement
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    genau das widerspricht dem Leistungsprinzip oder viel mehr der Version davon, welche uns allen verkauft wird.

    jeder, der heute 16 Jahre die Schule besucht hat, um einen Bachelor zu machen, hat faktisch deutlich mehr investiert und geleistet als jemand, der früher zb nur 10 Jahre in der Schule war. Trotzdem waren die 10 Jahre Schule für das Individuum damals häufig ertragreicher als die 16 Jahre Schule für den heutigen Kollegen.

    Mehr Leistung bedeutet hier nicht mehr Ertrag, also das Gegenteil des Leistungsprinzips.
     
  6. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Nö, aber wie bei der Geldentwertung ziehen die Preise halt an. Früher hat mein jetziger Arbeitgeber gute und sehr gute Hauptschüler genommen. Auch mittelgute oder gute/sehr gute Realschüler.

    Mit Abi war man eher überqualifiziert. Da hätten wir die Gefahr gesehen, dass jemand ne Ausbildung vor dem Studium rein schiebt.

    Heute nehmen sie gute und sehr gute Realschüler und im Grunde alles oberhalb. Mit Hauptschule kommt man nicht rein.

    Die Unternehmen reagieren auf die Abischwemme.
     
  7. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Heute Abi zu machen ist doch viel leichter als damals. Das wird halt berücksichtigt.
     
  8. Terranigma

    Terranigma
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    Was hat das aber mit dem Leistungsprinzip zu tun ...? Wenn die Preise ansteigen bedeutet dies doch, dass ich heute mehr leisten muss um dasselbe Niveau von damals zu erreichen, d.h. meine Leistung ist nur ein Tauschwert in einer schwankenden Ökonomie. "Abischwemme" ist ja'n verqueres Konzept: wenn Leistung ein Tauschwert ist, so verliert er eine gute Qualifikation einerseits an Wert, weil sie so viele haben, aber gleichzeitig soll sie doch eben Ausdruck der inviduellen Leistungsfähigkeit sein und von äußeren Faktoren unabhängig. Der Mythos der Leistungsprinzips liegt in seinem Kern doch darin, dass es nur auf einen selbst ankommt, während du ja - und ich stimme dir zu - herausstellst, dass es eigentlich auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Erfordernisse ankommt und nicht auf den Einzelnen.

    Das ist verquer. Gemäß der Annahme müssten die Realschule, das Gymnasium sowie alle Studienabschlüsse leichter geworden sein, weil der Anteil an entsprechenden Abschlüssen insgesamt seit Bestehen der BRD gestiegen ist. Kurz: alle Bildungseinreichtungen bis auf die Hauptschule müssten gleichzeitig (vorsätzlich?) ihre Anforderungen abgesenkt haben. ... Wieso eigentlich?
     
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  9. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Auch in geänderten und sich ändernden Rahmenbedingungen kommt es auf die individuelle Leistung an. Und auf X andere Faktoren.
     
  10. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Das weiß ich nicht, aber davon wird landauf landab eben ausgegangen. Im Effekt ist es egal ob es so ist, oder ob alle schlauer geworden sind. Gute Stellen sind naturgemäß limitiert. An der Verfügbarkeit von sehr guten, guten, mittleren, schlechten und sehr schlechten Stellen, ändert das ja nichts.
     
  11. Terranigma

    Terranigma
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    Ja, aber so wird das Leistungsprinzip ja nicht erzählt. Man sagt ja nicht, "Deine Leistung ist zwar wichtig, deren Wert hängt allerdings im Endeffekt von den gegenwärtigen Erfordernissen des Arbeitsmarktes, den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Arbeitsmarktpolitik sowieso zig anderen Faktoren aber, aber Leistung ist trotzdem total wichtig und du kannst alles schaffen, wenn du nur willst." Also ... ne. Damit gewinnt man bei einer Podiumsdiskussion keinen Blumentopf. :D

    Das meine ich ja genau. Deshalb ist's irreführend wenn man allen sagt, dass sie es weit bringen können, wenn sie sich nur anstrengen. Auf die Verfügbarkeit der Stellen hat's ja eben keinen Einfluss wie sehr sie sich individuell anstrengen.
     
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  12. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Du hast gesagt, das die Leistungsfähigkeit nur eine individuelle Komponente hat und keine gesellschaftliche und das ist halt falsch. Man arbeitet ja nicht im luftleeren Raum sondern in Teams und wenn da einer im Team mehr leistet, profitiere davon durchaus auch anderen und auch gesellschaftlich gibt es das. Nennt sich Solidaritätsprinzip aka. starke Schultern tragen mehr.

    Davon abgesehen hast du mit dieser Platzierung "oben und unten" halt gut neoliberale Marktlogik verinnerlicht aber so funktionieren Gesellschaft und die Märkte nicht. Dass in Deutschland 20% der Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten hat nichts mit Marktlogik, Produktivität oder Leistungsbereichtschaft zu tun sondern mit politischen Entscheidungen unter Schröder, die nie korrigiert wurden.
     
  13. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Und damit motiviert man auch niemand. Solche Erzählungen sollen junge Leute motivieren, das Beste aus sich raus zu holen. Desillusioniert werden sie im Zweifel noch früh genug.
     
  14. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Das erwarte ich von allen Menschen. Ist glaube ich mehr als deutlich geworden zuvor.
     
  15. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Man sagt es allen, weil man vorher nicht weiß, wer es schaffen wird und es keinen Grund gibt alle zu demotivieren. Und weil auch kleine Erfolge einen Erfolg darstellen können. Wenn jemand eine Ausbildung bekommt etwa.
     
  16. Terranigma

    Terranigma
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    Na, das ist's doch was ich sage. Es ist eine Legitimation der Verhältnisse, aber keine Erklärung ihres Entstehens. Es ist eben ein Mythos. Als solcher funktioniert er in der Tat, denn er wird ja geglaubt. Eben wie man früher glaubte, dass die eigene Stellung in der Gesellschaft die Ursache in einer göttlichen Ordnung findet. Der Mythos ist heute ein anderer.

    So funktionieren Gesellschaften seit jeher. Als die Ständegesellschaft aufgelöst wurde hat sich an der Verteilung von Armut und Reichtum nichts geändert. Die Dichotomie von Oben und Unten bestand ohne relevante Veränderung weiterhin fort, sie wurde lediglich anders legitimiert. Der Bedeutungsverlust der Hauptschule ist nicht das Resultat der gestiegenen Leistung der Schülerschaft, sondern der veränderten Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Der Bedeutungsverlust der Hauptschule korreliert - zufällig? - mit dem Bedeutungsverlust der Industrie als Hauptwirtschaftszweig. Als man mehr Menschen für "Kopfarbeit" benötigte stelle sich heraus, dass viel mehr Menschen dazu fähig sind als in den Jahrzehnten zuvor angenommen.
     
  17. SolemnStatement

    SolemnStatement
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    legal hat hier die bestmögliche Beweisführung geliefert, dass individuelle Leistung kaum bis keine Rolle spielt, weil externe Faktoren um ein Vielfaches schwerer wiegen. sad but true.

    der einzige Aspekt des Leistungsprinzips, der nachweislich und logisch funktioniert, ist die rein individuelle Sichtweise. Ich als Person P bin in der Lage Ertrag E durch Leistung L zu erreichen. Wenn ich nun meine Leistung L um 20% steigere (Fortbildung, Überstunden, usw.) wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mein Ertrag E steigen.

    Das stimmt und funktioniert fast immer, Hat mit dem propagierten Aufstiegsversprechen durch eigene Hände Arbeit aber nur wenig zu tun. Wie ich woanders schon einmal schrieb: reich wirst du in Deutschland nicht aus eigener Kraft. Punkt. sogar dann nicht, wenn Du aus eigener Kraft Chefarzt oder Unternehmer wirst und 10.000 Brutto monatlich nach Hause bringst. Reich wirst du geboren oder wirst es nie sein. Erneut: das Gegenteil vom Leistungsprinzip.
     
  18. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Wenn du dich vor ne Armee stellst und mit einem Finger auf jeden dritten zeigst und "tot...tot...tot...tot..." sagst, motiviert das nicht rade zum vorwärtsstürmen. :D
     
  19. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Darüber habe ich keine Aussage getroffen. Es gibt nur limitiert gute Stellen, nicht alle können eine bekommen, aber ob du das bist, oder der Kerl neben dir, das hängt auch(!) von deiner Leistung ab. Mal mehr, mal weniger.
     
  20. Terranigma

    Terranigma
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    Verstehe ich schon. Ich widersprach auch nicht der Effektivität des Mythos. Er ist wirkmächtig. Ich widersprach dem Mythos nur entlang der Frage, ob sein Versprechen wahr ist. Das ist's nicht. Es ist halt'n moderner Mythos, der die Gesellschaft zusammenhält und befriedet.
     
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  21. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Ob er für einen selbst wahr wird, hat man manchmal, meistens, selten, auch ein Stück weit selbst in der Hand
     
  22. Terranigma

    Terranigma
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    Das klingt schon fast nach'n Spruch für's Poesiealbum. :D
     
  23. Kugelfisch

    Kugelfisch
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    Was für eine merkwürdige Erwartung an Menschen.
     
  24. Boris Brunz von Brunzelschuetz

    Boris Brunz von Brunzelschuetz
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    Ohne das jetzige System allzu sehr verteidigen zu wollen: Dass hier unsere Gesellschaft mit der von Ständen verglichen wird, ist nicht fair. Im Gegensatz zum feudalen System hat der Durchschnittsbürger VIEL mehr Möglichkeiten. Die Chancengleichheit ist heutzutage wahrscheinlich nicht mehr so hoch wie in den 60ern nach einem Krieg, der die Karten wie kaum ein anderes Ereignis neu gemischt hat - sie ist aber immer noch bedeutend höher als zu jeder Zeit vor 1900.

    Ob ich mit einem "privilegierten" Boomer tauschen würde, weiß ich auch nicht. Altnazis als Eltern, die reale, tägliche Bedrohung einer nuklearen Auslöschung, Stagflation, Wohnungen der Kategorie C ohne Warmwasser, geringere Lebenserwartung etc... Im Nachhinein sieht die Vergangenheit immer rosiger aus.

    Allgemein rate ich einigen Beteiligten hier, angesichts der Ungerechtigkeiten nicht in die Opferrolle zu verfallen. Zum einen macht sie apathisch und zum anderen gibt es außer Geld noch andere Quellen persönlichen Glücks. Das Feld ist nicht derart unfair, wie es die Vermögensverteilung glauben macht. Und ganz am Ende passiert dem Bettler (momentan) noch genau das gleiche wie dem hochnäsigen FDPler.
     
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  25. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Es ist, als ob du keinen Like von mir wolltest:(
     
  26. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Erzählst du deinen Schülern das sie lernen sollen? Lohnt sich das den überhaupt?


    Ok, wenn man sozialen Errungenschaften wie Demokratie, unser Grundgesetz, Bafög, Jahrzehnte des Friedens, Emanzipation und kulturellen wie auch technischen Fortschritt ausklammert, hast du natürlich recht. Du machst es dir zu leicht.



    Ok, und aus deiner Sicht ist das schlecht? Ich finde es ja ehrlich gesagt ganz gut, das weniger Leute einen die Seele vernichtenden Job am Fließband haben und stattdessen Ihren Kopf benutzen.
     
  27. Terranigma

    Terranigma
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    Ich versuche Lernen aus einem humanistischen Menschenbild heraus zu begründen, nicht damit, dass gute Zeugnisnoten ihren Tauschwert auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Oder so gesagt: ich sage ihnen das auch, aber eben in genau diesem Kontext. Ich bin bemüht das Leistungsprinzip nicht als Mythos zu erzählen, sondern klar zu machen wie's in der Gesellschaft aussieht, in welche sie nach ihrem Schulabschluss entlassen werden.

    Es ging in der Diskussion um das Leistungsprinzip bzgl. Armut und Reichtum, was genau hat das mit Demokratie, Grundgesetz, u.Ä. zu tun?

    Nein, ich finde das nicht schlecht. Ich finde die Verklärung schlecht, dass diese Veränderung an der individuellen Leistung des Einzelnen läge, was sie nicht tut. Der Grund für die veränderte Arbeitswelt liegt in der veränderten Wirtschaft und des daran hängenden Arbeitsmarktes. Umgekehrt wird eben ein Schuh drauß: heute dürfen mehr Menschen mit ihrem Kopf arbeiten, weil der Arbeitsmarkt einen Bedarf dafür hat. In den Jahrzehnten zuvor durften sie es nicht, weil der Arbeitsmarkt einen hohen Bedarf an Muskelkraft, nicht an Kopfarbeit voraussetzte. Ich habe die Menschen im Hinterkopf, denen man mit Verweis auf mangelnde Intelligenz, Eignung, Befähigung, u.Ä. den Mythos eingetrichtet hat, sie wären nur als Arbeitskraft in der Industrie zu gebrauchen.
     
  28. Boris Brunz von Brunzelschuetz

    Boris Brunz von Brunzelschuetz
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    Sorry, aber jede gute Geschichte braucht einen unsympathischen, verbrecherischen Antagonisten. Mir kommt da halt spontan immer die FDP in den Sinn. :teach::ugly:
     
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  29. Lurtz lost

    Lurtz
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    Wieso bauen wir die Pfeiler dieses solidarischen Systems dann immer weiter ab? Die Grundpfeiler unseres Sozialsystems stammen ja nicht einmal aus einer demokratischen Gesellschaftsform heraus.

    Und selbst in Teams, wenn am Ende nur der Teamleiter profitiert, nicht die Teammitglieder, hat das auch nichts mit Solidarität zu tun.

    Es gibt auch noch ein Lernen, das einen persönlich weiterbringt, nicht nur der beruflichen Weiterentwicklung dient.

    Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Einer der momentan erfolgreichsten Staaten, China, ist überhaupt keine Demokratie und hebt dennoch Millionen Menschen aus der Armut.
     
  30. Terranigma

    Terranigma
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    Wilhelm III. aus Preußen über die Funktion der Volksschule.
    Der Rahmenlehrplan 1964 zur Einführung der Hauptschule und deren Funktion.
    Die Hauptschule wurde explizit mit Verweis auf die aktuellen Erfordernisse der Arbeits- und Berufswelt eingeführt. Es wird explizit von Unterordnung auch gegenüber monotoner Arbeit gesprochen - im Kontext der Arbeit in der Industrie kann man sich vorstellen, was die Autoren etwa im Sinn hatten.

    Hans-Georg Herrlitz (Bildungswissenschaftler) über das Entstehen und die Funktion der Mittelschule (später Realschule).
    Insofern, ja: dass Veränderungen der Schulstruktur Reaktionen auf Veränderungen der Wirtschaft und Arbeitswelt sind ist innerhalb der Wissenschaft eine Binsenweisheit. Immerhin sollen die Heranwachsenden ja für die Erfordernissen eben dieser Arbeitswelt vorbereitet werden.

    Tut sie derzeit offenbar nicht, weil man damit kaum einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz findet. 1950 lag der Anteil der Beschäftigen im Tertiären Sektor bei ca. 32,5% und der Anteil beim Primären Sektor bei 24,6% und beim Sekundären Sektor bei 42,9%. Heißt: ca. 68% aller Arbeitnehmer haben in der Agrarwirtschaft oder im Produzierenden Gewerbe gearbeitet. Heute machen der Primäre und Sekundäre Sektor insgesamt nur noch 25,7% aus. 74,4% aller Beschäftigen arbeiten im Tertiären Sektor (Dienstleistung). Die Arbeitswelt ist eine völlig andere. Ja, der Bedeutungsverlust der Hauptschule ist das Resultat dieser ökonomischen Veränderungen. Der prototypische Arbeitsplatz ist heutzutage nicht mehr das Ackerland oder die Produktionshalle, sondern das Büro.
     
    Zuletzt bearbeitet: 4. Dezember 2019
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  31. Lurtz lost

    Lurtz
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    Ich glaube nicht, dass der Niedriglohnsektor an der Hauptschule liegt. Eher, wie schon angesprochen, am politischen Willen.

    Das duale Ausbildungssystem gilt ja immer noch als relativ erfolgreich, ein US-Amerikaner mit ähnlicher schulischer Qualifikation dürfte mehr Schwierigkeiten haben einem qualifizierten Beruf nachzugehen?
     
  32. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Hast du deine eigene Argumentation vergessen? Du hast gesagt wird sind noch genau so eine Ständegesellschaft wie vor ein paar hundert Jahren und ich habe dir ein paar der Gründe genannt, warum das nicht so ist.

    Klar ist Deutschland immer noch eine starke Klassengesellschaft, dennoch ist es um ein vielfaches besser als früher.

    Naja, du triffst hier halt irgendwie die Annahme, dass die Wirtschaft sich unabhängig von Menschen verändert hat. Das Wirtschaftssystem ist halt ein Aspekt der Gesellschaft und die wird von Menschen gestaltet. Die Wirtschaft hat sich verändert weil wir Menschen in den letzten Jahrhunderten ein paar industrielle Revolutionen vom Zaun gebrochen haben und uns die Maschinen zum Untertan gemacht haben. Da musst du nicht so tun als gäbe es da jetzt eine unsichtbare Hand des Marktes die das alles war.

    Das wurde allerdings in den Schulen gemacht und wenn ich dir so zuhöre, wird denen jetzt halt eher Wirtschaftsskepsis und -feindlichkeit eingetrichtert, was genau so schlimm ist. So wird man eben zum Spielball der Wirtschaft. Versucht man die Regeln zu verstehen, kann man diese nutzen.

    Aber die Deutschen sind halt Analphabeten wenn es um die Wirtschaft geht und das obwoh wir eines der wohlhabensten und freisten Völker der Erde dank dieser sind.
     
  33. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Weil die Leute die falschen Parteien wählen...

    Dann haste halt nen schlechten Teamleiter. Geht auch andersrum




    Vergleich mal bitte die durchschnittlichen Gehälter.
     
  34. Lurtz lost

    Lurtz
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    Welche sind denn bitte die Richtigen? Die Parteien sind in unserem System doch genauso vor allem ökonomischen Zwängen und der Wirtschaft unterworfen wie alle anderen auch.

    Wer erinnert sich nicht an den ganzen Trubel vor Rot/Grün Ende der 90er, man dachte da kommt das Ende aller Zeiten auf uns zu und jetzt bricht der Hippie-Sozialismus aus. Was ist passiert? Schröder hat seine Freunde reich gemacht und seinen Wählern Hartz IV serviert.
    Ja, klar geht das. Es geht genauso, wie jeder alles werden kann in diesem Land. Das sagt noch lange nichts über die Wahrscheinlichkeiten aus, mit denen das passiert.

    Es hat trotzdem nichts miteinander zu tun. England ist schon lange vor der modernen Gesellschaft überhaupt eine parlamentarische Demokratie gewesen.
     
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  35. Terranigma

    Terranigma
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    Das sagte ich nicht. Ich sagte, die Abschaffung der Ständegesellschaft hatte auf die Verteilung von Armut und Reichtum erst einmal keinen Einfluss und dass der Verweis auf Stände eine Legitimation von Ungleichheit ist und diese systemisch festigt. In diesem Sinne fungiert auch das Leistungsprinzip als Legitimation von Ungleichheit und stellt systemisch - d.h. wiederkehrend und stabil über Generationen hinweg - Ungleichheit her, d.h. eine Abstufung von Oben und Unten. Dass der allgemeine Lebensstandard im Laufe der Jahrhunderte gestiegen ist bestreite ich gar nicht. Wäre auch ziemlich unsinnig dies in einer Diskussion im Internet in einer geheizten Wohnung zu bestreiten. Ich spreche von Ungleichheit und der Frage, ob (a) alle es nach oben schaffen können wenn sie sich anstrengend und ob (b) individuelle Leistung der entscheidende Faktor dafür ist, wo man in dieser Berufshierarchie landet. Da widerspreche ich.

    Es ist keine Feindschaft. Ich erzähle lediglich nicht die Mär vom Leistungsprinzip, weil sie unwahr ist. Natürlich soll man sich anstrengen - was man jeweils auch immer darunter verstehen mag - aber nicht mit Verweis auf das Leistungsprinzip, o.Ä. Ganz banal: weil Bildung hilft die Welt zu verstehen, in ihr zu agieren und sie auch zu beeinflussen. Sachverhalte zu verstehen und einordnen zu können empfinde ich abseits beruflicher Perspektiven an sich schon recht geil und erstrebenswert. Ansonsten macht Leistung auch "Spaß", halt sich in etwas einarbeiten, das einen fasziniert.

    Aber ich werde nicht sagen, "Ihr alle könnt es weit bringen, wenn ihr nur wollt." Es stimmt nicht. Ich sage dies deshalb nicht, weil insb. jene, die's nicht weit bringen - und statistisch gesehen werden dies viele sein - ihr erlebtes Versagen als Ausdruck ihrer eigenen Unzulänglichkeiten einordnen werden. Studien über das Selbstbild von Hauptschülern sowie denen, die man allgemein als "Versager" bezeichnet, zeigen (un)schön, dass diese das Leistungsprinzip verinnerlich haben: wenn sie später im Niedriglohnsektor landen, werden sie nicht die Verantwortung bei der Politik, sondern bei sich suchen. Wenn jeder seines Glückes Schmied ist, so ist umgekehrt auch jeder seines Unglückes Schmied. Aber dies ist nicht wahr.
     
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  36. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Vielleicht eine hohe Erwartung, aber nur so kann man sich doch als Gesellschaft weiter entwickeln, oder nicht?
    Jeder sollte irgendwie versuchen das beste zu geben, um es vllt mal sehr, sehr einfach auszudrücken. Dass das nicht alle machen, ist mir klar. Aber wünschenswert wäre es mMn schon. :nixblick:
     
  37. Legion(CD) Lord of the Wort

    Legion(CD)
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    Warum werde da ich zitiert? Das habe ich nicht gesagt. :ugly:
     
  38. dmsephiroth Drogeriebaron und JRPG-Junkie

    dmsephiroth
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    Und von Deiner Gesundheit auch.

    Ich lese hier permanent nur Annahmen von eher gesunden Menschen.

    Ein Freund von mir ist schwer chronisch krank. Er musste sein 1. Studium abbrechen (das er locker geschafft hätte), nach paar Jahren hat er sich weitergebildet und nochmal versucht zu studieren. Zack er wurde wieder krank, hats aber gerade so gepackt. Inzwischen war er aber (dank diverser Pausen) schon recht alt. Dann hat er ne Weiterbildung gemacht, wurde wieder schwer krank =flog raus. Nun sieht er keine Perspektive mehr, dabei hätte er (wenn die Gesundheit mitgespielt hätte) mind. nen Master, wenn nicht Doktor schaffen können und wäre heute def. in ner gehobenen Position.

    Nicht nur das Elternhaus bestimmt den späteren Erfolg, sondern auch der Glücksfaktor sprich die Gesundheit. Kenne da diverse Beispiele von Bekannten. Das schlimme daran ist, dass die Gesellschaft sowas oft nicht versteht. Chronisch Kranke werden dann als Loser /schlimmeres dargestellt, von Ämtern usw.
    Es ist einfach nur traurig :/ und ein Produkt dieser +Leistungsgesellschaft+.
     
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  39. Nobody606 Ist ein Niemand

    Nobody606
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    Da kann ich auch nur den Arm heben, wenn ich auch mein eigentliches Ziel nicht einmal richtig anpacken konnte. Gymnasium musste in der 9. Klasse abgebrochen werden, bevor ich mir (oder anderen) aufgrund der Behandlung, die ich dort erfuhr, noch etwas angetan hätte. Danach dann zwei Jahre durch Therapie und einer abgebrochenen Ausbildung in einer Einrichtung für "spezielle Fälle" verloren. Auf eigene Faust einen Schulabschluss von zuhause nachgeholt und für die Prüfungen jeweils zweimal quer durch Deutschland hin- und zurückgefahren. Einige Zeit davor begann ich gesundheitlich enorm abzubauen und trotz jetzt schon jahrelanger Suche nach der Ursache wurde eine endgültige diese noch immer nicht gefunden. Als Folge davon schaffte ich den Abschluss mit Ach und Krach mit Gut, verlor danach aber wieder mehrere Jahre, wo ich nichts machen konnte. Am Ende stand dann nur die Aussage vom Arbeitsamt: "In diesem Zustand sind sie für uns nicht vermittelbar, Niemand würde sie nehmen und es wäre zu ihrem Vorteil, sich eventuell erwerbsunfähig bescheinigen zu lassen."

    Tja... Ende von der Geschichte: Mitte 20, zwar einen Abschluss in der Tasche, aber zu alt und gesundheitlich und geistig zu "krank" für den Markt. Dabei könnte ich eigentlich noch immer prima von zuhause aus arbeiten, aber sowas ist offensichtlich einfach zuviel verlangt. Stattdessen wurde ich willentlich auf das Abstellgleis abgeschoben, weil es einfacher ist. Und dazu kommt jetzt auch noch, dass der für mich neue zuständige Mitarbeiter beim Sozialamt das Ganze nicht gewillt zu sein scheint, das Ganze zu akzeptieren und mir das Leben zusätzlich noch schwer machen will. Er ist aber dabei auch nicht der Einzige, der mich augenscheinlich als "Schmarotzer" sieht. Einfach nur wunderbar...
     
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  40. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Wie schon unzählige mal gesagt. An der Stelle ist ja nicht das Leistungsprinzip Schuld, sondern die Gesellschaft und deren Denken in Schubladen. Ich weiß durchaus ganz genau wovon du redest. Ich wurde die erste Hälfte meines Lebens auch in Schubladen gesteckt und das eben von Lehrern, die dieses soziale Kastendenken komplett verinnerlicht hatten und sich dann eben gedacht haben "Der kommt aus armen Verhältnissen, sein Bruder war schon nicht gut in in der Schule, der hat keine Chance mal was zu werden." Nur dank meinen Eltern wurde ich dann nicht in die Hauptschule gesteckt.

    Später hab ich dann einen normalen Arbeiterberuf gelernt und auch da lernst du, wenn du im Blaumann rumläufst, schnell welcher sozialen Schicht du zugeordnet wirst. Die Zuordnung zu der Schicht macht aber nicht die Wirtschaft sondern deine Nachbarn. Der Aufstieg durch Leistung ist hier aber grundsätzlich Möglich, das Wort hierfür nennt sich soziale Mobilität, die ist in Deutschland allerdings im OECD Vergleich schlecht, weil die soziale Durchlässigkeit in Deutschland miserabel ist.

    Und da sind wir eben wieder bei der Schule, weil in Deutschland der Schulerfolg stark von der sozialen Herkunft abhängig ist.

    https://www.spiegel.de/lebenundlern...leichheit-deutschland-holt-auf-a-1234411.html

    Ich selbst war in der Schule auch nie erfolgreich und bin dann erst als es später klick gemacht hat über den 2. Bildungsweg an die Uni gekommen. Und der Weg dahin war tatsächlich sau schwer und vor allem schwerer als er hätte sein sollen. Mittlerweile gründe ich zusammen mit einem ehemaligen Kommilitonen der einen ähnlichen Weg gegangen ist, zusammen ein Unternehmen, eben weil dir auch die Schnauze voll haben von dem System und es besser machen wollen.

    Grundsätzlich kommt man mit Leistung also schon wo hin. Ist es leicht und für jeden möglich? Nein. Da steht aber eine Frage im Raum und zwar, ob es für jeden notwendig ist?

    Und da sind wir wieder bei dem Problem mit denen da "Oben" und denen da "Unten". Trägst du einen blauen Kragen wirst du abwertend angeguckt, mit dem weißen Kragen wirst du dann allerdings wieder komplett anders wahrgenommen. Und da sind mir glaube ich jetzt auch gar nicht so weit auseinander. Ich will nicht, dass das so ist. Ich will aber auch nicht, dass die Menschen mit einem Job im Niedriglohnsektor zufrieden sind. Minimalismus ist ja schön und gut aber die Leute sollen ja auch in der Lage sein sich mal irgendwie einen Urlaub oder ein gutes Essen mit der Liebsten zu leisten. Zufriedenheit mit diesen Verhältnissen ist der Feind, letztendlich gehört der Niedriglohnsektor abgeschafft und harte Arbeit, und das machen eben viele die in schlecht bezahlten Jobs im Handwerk oder der Pflege landen, sollte sowohl gesellschaftlich als auch finanziell anerkannt werden.

    Und der Weg dahin beeinhaltet auch, dass man es einfordert. Wir haben eine der größten Niedriglohnsektoren Europas obwohl wir eines der wohlhabensten Länder der Welt sind. Meiner Meinung nach müssen wir das Leistungsprinzip eben wieder einfodern und zwar so, dass du auch als Arbeiter ein Leben in der Mitte der Gesellschaft führen kannst und nicht durch Zeitarbeit und soziale Ausgrenzung an den Rand gedrängt wirst. Vor 30 Jahren waren wir da nämlich schonmal erheblich weiter.
     
    Zuletzt bearbeitet: 5. Dezember 2019
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