Ein Rollenspiel zum Mitdenken
Die Rätsel gehen über schnödes Schalterdrücken hinaus. Schon die Alchemie-Puzzles sind großartig! Es gilt, mithilfe einer Textaufgabe und per logischem Ausschlussverfahren, die richtigen Ingredienzen, deren Wirkung und den richtigen Fundort herauszufinden (siehe Screenshot, denn ein Bild sagt mehr ...).
Einige im Wortsinn zauberhafte Objekte, ein magischer Hammer etwa, erweitern das Gameplay. Das Klopfwerkzeug formt Gestein zu Brücken und schafft neue Wege. Die telekinetischen Fähigkeiten einer Greifenfeder ermöglicht es indes, Gewichte zu heben, sodass gewisse Plattformen, befreit von ihrer Last, den Heldentrupp wie in einem Aufzug ins zuvor unerreichbare nächste Stockwerk fährt. Erkunden wird ohnehin belohnt, jeder Level ist mit Eastereggs gespickt. Klar, dass sich gerade in Geheimgängen die besten Ausrüstungsgegenstände herumtreiben.
Zum Lachen in den Kerker
Prima ist, dass sich die glorreichen Sieben in puncto Charakterzeichnung unterscheiden. Sie ziehen sich schon mal gegenseitig auf, und wir erfahren einiges aus ihrem virtuellen Leben. Das erinnert unter anderem ans altehrwürdige Baldur's Gate 2 oder auch Dragon Age. Dank der humorvollen Dialoge entsteht eine sympathische Leichtigkeit, wenn etwa Recke X den Kollegen Y wegen einer potthässlichen Affenmaske ärgert, die er in Ermangelung eines anderen Helms aufsetzen möchte/muss (»Hey, das ist doch eine klare Verbesserung!«).
Diskussionen darüber, wie Skelette überhaupt Bogenschießen können, wo sie doch gar keine Augen haben, beweisen, dass die Entwickler das Genre und ihr eigenes Spiel nicht bierernst nehmen. Ja, bei Operencia kann man schon mal zum Lachen in den Kerker! Wobei das Spiel nur Englisch vertont ist und die deutschen Untertitel und Bildschirmtexte manchmal eher ungewollt komisch ausfallen.
Wenn der Spieler eine Kiste öffnet und der Schriftzug »Leider! Schatz!« aufploppt, entsteht über dem Kopf des Benutzers schon mal ein World of Warcraft-Gedenk-Fragezeichen. Die Formulierung »Kontaktiere den Feind!« indes scheint ein mahatma-gandhistischer Euphemismus für »Angriff!« zu sein.
Ein unverbrauchtes Szenario
Banausen kritisieren gern, dass Fantasy-Storys quasi alle gleich sind und oft mit Logiklücken gespickt. Held rettet Welt, Ende, aus, Micky Maus. Und warum zur Hölle hat Gandalf zum Beispiel einen pimpeligen pelzfüßigen Pygmäen zum Schicksalsberg geschickt, statt einfach mit seinem ach so tollen Fernet-Branca-Adler First Class zu fliegen und den Einen Ring selbst in den Vulkan zu schnippen? Antwort: Weil Tolkiens Roman dann ein recht dünner Roman geworden wäre.
Mit Operencia verhält es sich ähnlich, auch hier ist nicht die Story der Star, sondern das Universum dahinter. Es präsentiert sich wohltuend unverbraucht und basiert auf der mitteleuropäischen Sagenwelt, wobei ungarische Legenden als Herzstück fungieren. Auch der Mythos um den Weltenbaum spielt eine Rolle.
Er taucht im Kontext mit dem englischen Märchen Jack and the Beanstalk (Hans und die Bohnenstange) auf. Dazu gesellen sich historische Orte und Persönlichkeiten. Unter anderem führt das Abenteuer in die rumänische Burgruine Deva, und Hunnenkönig Attila legt einen Cameo-Auftritt hin.
Den weißen Wunderhirsch, dem der Held zu Beginn folgt, um seine Bestimmung als Weltenretter zu finden, halten nur Nichtswisser für zu dick aufgetragen. Okay, im echten Leben sind Menschen schon für harmlosere Visionen in der geschlossenen Psychiatrie oder Drogenklinik gelandet. Und ja, das das Vieh heißt obendrein auch noch zungenbrecherisch Csodaszarvas, wahrscheinlich weil es sich beim Glücksrad kein »e« kaufen konnte.
Es stammt aber aus einem jahrhundertealten Gute-Nacht-Märchen über die Herkunft der Ungarn und Hunnen. Der weiße Paarhufer gilt als nationales Symbol, quasi wie hierzulande der Hirsch auf den grünen Likörflaschen. Lange Rede, kurzer Sinn, die Zen Studios sind vor allem tolle Weltenbauer. Als Geschichtenerzähler taugen sie nicht ganz so klasse, ohne es aber komplett zu vergeigen: Sonnenkönig Napkirály wurde entführt, das Böse kriecht aus allen Löchern, Held rettet Welt, Ende, aus, Micky Maus - siehe oben.
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Der Froschkönig ist ein Jabba
Operencia ist ein polygongewordenes Oxymoron. Im Grunde also eine Unmöglichkeit, eine Absurdität, so wie die rhetorischen Formulierungen »alter Knabe«, »eingefleischter Veganer«, »mehrstündige Call of Duty-Kampagne«, »kundenorientierter Game-Launcher«, oder »innovativer Battle-Royal-Modus«. Ja, Operencia entpuppt sich doch tatsächlich als abwechslungsreicher Dungeon Crawler!
Er glänzt mit vielen phantasievollen Schauplätzen. Dazu kommt ein kreatives Monster- und Charakterdesign, und zwar von Beginn an. Wir erkunden zum Beispiel ein versunkenes Schloss, dessen Decken und Wände zum Teil aus Wasser bestehen, obwohl das physikalisch völlig unmöglich ist. Am Ende stehen die Helden dem Levelboss gegenüber, einem Froschkönig in der XXL-Jabba-the-Hutt-Variante.
In einem düsteren Wald indes lebt ein großer, knorriger Herr namens Olfa, der an Fußpilz leidet. Hier gilt es, die Wurzeln des gigantischen Baumwesens vom Fungi zu befreien. Wenn der Mond strahlt, sich die Schatten bewegen und der Uhu ruft, ist gruseln angesagt!
Die Orchesterklänge des Filmkomponisten Arthur Grósz ergänzen das akustische Gemälde. Der Ungar hat schon bei Crysis 3 mitgemischt, war an der Fernsehserie Law & Order: UK beteiligt und - jetzt der absolute Hammer - am Pferdefilm Immenhof: Das Abenteuer eines Sommers. Falls dieser sarkastische Ausrutscher despektierlicher klingt, als er gemeint war: Die Musik ist wirklich klasse, und es heißt nicht umsonst »Wer fühlen will, muss hören!«
Zum grafisch märchenhaften Gesamteindruck passen auch die handgemalten, minimalistisch animierten Zwischensequenzen, die einem Bilderbuch entsprungen sein könnten. Nur die Dialoge wirken oft störend statisch. Am Ende gewinnt der Dungeon Crawler made in Hungary trotzdem die Kerkermeisterschaft der Neuzeit knapp vor Legend of Grimrock 2, während Bard's Tale 4 deutlicher zurückbleibt. Operencia gelungen, Langeweile tot!
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