Wer vorsichtig ist, lebt länger
Pathfinder stellt keine durchgehend begehbare Welt dar, sondern ist in eine Landkarte mit vielen kleinen Stationen unterteilt, bei Reisen von einem Schauplatz zum anderen lauern traditionelle Zufallskämpfe. Entsprechend sind viele der Stationen Kampfareale mitten im Gestrüpp, in denen es nicht viel zu entdecken gibt. Größere Areale gibt es natürlich auch, etwa weitläufiges Waldgebiete. Oder Dungeons, die sich auf bis zu drei Stockwerke ausweiten und bis zu vier Stunden in Anspruch nehmen können, bis sie komplett erforscht sind.
Begegnungen mit Feinden sind dabei tatsächlich gefährlich. Nach unserem ersten Eindruck hat das mit dem flachen Grinden vieler Konkurrenz-Rollenspiele wenig zu tun. Übermütig sind wir zum Beispiel ins Lager einer starken Truppe von Räubern gestürzt - und liefen prompt in eine Falle, die mehrere Brandbomben auslöste. Mit dem Einsatz des Perception-Skills hätten wir diese vorausahnen können.
Und bevor wir verstanden haben, mit welchen Tränken oder Zaubersprüchen wir unsere aufgescheuchte Party beruhigen können, ist uns der in Panik geratene Haufen entglitten. Creative Director Alexander Mishulin hat uns während der Anspielsession Tipps gegeben, und selbst nach den zwei Stunden hatten wir trotzdem das Gefühl, bloß an der Oberfläche gekratzt zu haben.
Beim zweiten Anlauf bemerken wir: Die Figurenkonstellation ist ungeheuer wichtig. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn einen eher defensiv agierenden Magier sollten wir nicht an die Front einer Gruppe stellen, sondern bevorzugt hinter robuste Kriegerinnen. So kann er aus dem Hintergrund heraus seine Kollegen heilen und kriegt nicht die volle Breitseite an Hiebangriffen ab. Neben einer Handvoll vorgefertigter Formationen dürfen wir die Charaktere auch völlig frei formieren.
In manchen Situationen kann es Sinn machen, die Fernkämpfer voranzustellen. Oder man stellt die Figuren sogar in einer Reihe auf, um einen Gang zu blockieren. Ähnlich wie bei den Genrevorbildern pausiert ein Druck auf die Leertaste das Geschehen, daher können wir in Ruhe über unsere Taktik nachdenken. Erwartungsgemäß ergeben sich mehr Möglichkeiten in höheren Charakterstufen, die weitere Fertigkeiten freischalten.
Dynamik zwischen den Charakteren
Der Einfluss der Vorlage wird bei diesem Fokus auf die Zusammenarbeit der Party sehr deutlich. An einem Tisch müssen Pen & Paper-Spieler ebenso sinnvoll miteinander agieren, um die schweren Aufgaben des Abenteuerpfades bestehen zu können. Owlcat hat vier Szenario-Autoren in Vollzeit, und drei weitere in Teilzeit eingestellt. Im Spiel stecken also Abertausende Zeilen Text mit etlichen Variablen, die auch Spielraum bei Mitstreitern ermöglichen sollen.
Alexander hat uns ein Beispiel verraten: An einer Stelle der Kampagne wollen die Trolle einen eigenen Staat gründen. Entscheiden wir uns dazu, die Ungetüme dabei zu unterstützten, um später auf eine Troll-Armee zurückgreifen zu können, wird uns eine wichtige Person in der Party verlassen. Sie hat durch Trolle ein traumatisches Erlebnis hinter sich. Entscheiden wir uns aber, den Monstern den Krieg zu erklären, bleibt diese Person zwar bei uns, aber die Geschichte schlägt einen anderen Weg ein.
Erzählt wird die Handlung durch sehr lange Dialoge, die viel zu ausufernd sind, um komplett vertont zu werden. Aber: Sie sind hervorragend geschrieben! Die Charaktere bringen ihre eigene Art zu sprechen mit und wirken im mittelalterlichem Kontext glaubhaft. Selbstverständlich sind die Gespräche interaktiv, selbstverständlich wählen wir zwischen verschiedenen Fragen und Antworten, und selbstverständlich hängen manche davon von unseren Talenten und unserer Gut-Böse-Gesinnung ab - nicht umsonst soll Pathfinder in sieben (!) unterschiedliche Enden münden können.
Und haben wir einen der Namen in der umfangreichen Lore nicht mehr im Gedächtnis parat, gibt es ein Glossar, das die wichtigsten erklärt. Dazu muss nicht einmal der Dialog verlassen werden. Die Begriffe sind farblich hervorgehoben und mit einem Mausklick öffnet sich ein kleines Popup mit Zusatzinfos.
Spieler des Tabletops werden eine ungefähre Ahnung haben, welche Themen die Kingmaker-Kampagne ansprechen wird. Fürs neue Publikum hat Alexander nur so viel verraten: Die Spieler betreten die Stolen Lands, die von Adeligen, Banditen und sonderbaren Kreaturen gleichermaßen bevölkert werden. Ziel der Helden ist es herauszufinden, weshalb die Wildnis so zerrissen ist.
Nicht nur aus politischer Sicht, sondern auch in Bezug seiner übersinnlichen Mysterien. Zum Beispiel tauchen immer wieder verfluchte Geister auf. Sie können die Erde nicht verlassen und geben uns Nebenquests. Die Geschichten dahinter sind kleine Puzzleteile zu einen mutmaßlich schrecklichen Geheimnis.
Müde Abenteurer leben gefährlicher
Dieses typische Pen-&-Paper-Gefühl ist bei uns aber bei zwei besonderen Aspekten des Spiels aufgekommen. Zum einen kann und muss die Party nach einer Zeit rasten. Denn die Helden sind irgendwann erschöpft, dann nehmen ihre Ausdauer sowie ihre Körperkraft ab. Also können wir mitten in der Wildnis ein Lager aufspannen. Das sieht relativ gemütlich aus, trotzdem besteht die Gefahr, zufällig überfallen zu werden.
Rasten wird im Spiel als kleiner Management-Part dargestellt. Wir teilen ein, wer Wache schieben muss und welches Essen zubereitet wird - Final Fantasy 15 lässt grüßen. Eine gute Mahlzeit kann die Werte für den nächsten Tag anheben, aber kostet auch entsprechende Rationen. Kochrezepte erhalten wir im Laufe der Kampagne. Wir können sogar festlegen, wer eine Extraportion Schlaf bekommt. Je nach Charakter springt dadurch ein besonderer und einen Tag andauernder Vorteil heraus. Eine ausgeschlafene Kriegerin wird dann zum Beispiel agiler.
Und dann wäre da noch Linzi. Sie ist Frohnatur, Bardin, Buchautorin und eine wichtige Figur in der Kampagne. Die gesangsbegabte Frau hat sich zum Ziel gesetzt, das aufregendste Abenteuerbuch überhaupt zu schreiben, in dem vom nächsten großen Helden berichtet wird. Deshalb begleitet sie unsere Party und kann als fester Bestandteil nicht entfernt werden. Sie verfügt über einen magischen Ring, der sie immer an einen sicheren Ort zurückteleportiert, sollte die Party über den Jordan gehen.
Das klingt erstmal aufgesetzt, doch durch Linzi erhält die Handlung einen charmanten Rahmen. Im Inventar sind in manchen Ecken zum Beispiel ihre Initialen eingebunden. Schließlich schreibt sie ja die Geschichte. Und an relevanten Punkten kommentiert sie selbst das Geschehen. Während unserer Anspielzeit rückte Linzi aber nie so stark in den Vordergrund, dass es die Haupthandlung irgendwie gestört hätte.
Wir hatten eher das Gefühl, dass sie eine gute Leitfigur für Spieler ist, die neu ins Pathfinder-Universum einsteigen. Und Pen-&-Paper-Rollenspieler sind es ohnehin gewohnt, einen Meister vor sich zu haben. Diese Rolle repräsentiert im übertragenen Sinne Linzi, ohne zu sehr zu übertreiben.
Außerdem hat sie als Bardin eine wichtige Waffe: Musik. Mit ihren Liedern kann sie die Motivation ihrer Party steigern, dargestellt durch einen violetten Wirkungskreis. Linzi ist also eine wertvolle Unterstützung im Kampf. Musik ist schön, Musik ist fein, wir dreschen auf die Monster ein.
Michael Cherdchupan
@the_whispering
Pathfinder: Kingmaker soll an der 100-Stunden-Marke kratzen, daher kann ich nach einer zweistündigen Probespiel-Session schwer beurteilen, ob das Spiel wirklich so lange unterhalten wird. Vor allem, da ich den Kingmaker-Modus noch nicht gesehen habe. Aber: Was ich bisher sehen konnte, hat mich als Rollenspiel-Fan sehr angesprochen. Owlcat legt Wert darauf, eine komplexe Welt darzustellen, was vor allem in Schriftform geschieht.
Nicht falsch verstehen: Die Aufmachung ist gut und atmosphärisch. Die Illustrationen im Pastellfarben und die ergreifende, mittelalterliche Musik versetzen in die richtige Stimmung. Aber die Charaktere mitsamt ihren Geschichten entfalten sich vor allem im Kopf der Spieler. Wer also auf Bombastpräsentation steht, wird hier wohl weniger glücklich werden.
Ich mag beide Arten von Rollenspiel, also auch die eher trockenen, die viel Einfühlungsvermögen (und Einarbeitungszeit) verlangen. Lange Dialoge, ein Glossar mit einer umfangreichen Lore? Wenn die Charaktere glaubhaft, die Welt plausibel und meine Entscheidungsmöglichkeiten mannigfaltig sind, verliere ich mich nur zu gern in einer Rollenspielwelt. Um komplexe Kampfsysteme reiße ich mich zwar nicht, aber wenn sie nachvollziehbar sind, arbeite ich mich ebenso gerne dort ein.
Mein erster Eindruck: Die Mühe könnte sich bei Pathfinder: Kingmaker lohnen. Owlcat scheint auf die wichtigsten Aspekte eines CRPGs zu setzen, daher sollten Fans solcher Spiele den Titel in jedem Fall im Auge behalten. Ob alle Elemente - einschließlich der noch fraglichen Verwaltung des Königreiches - auch über Dutzende Stunden hinweg ineinandergreifen und sich eine gute Geschichte entfaltet, das wird wohl erst die fertige Fassung am 26. September zeigen. Bis dahin bin ich vorsichtig optimistisch.
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