Am Ende gibt es Pfannkuchen und am Anfang steht in That Dragon, Cancer der Tod. Zu den Pfannkuchen: später. Jetzt: Krebs. Im Alter von einem Jahr entwickelt Joel Green Hirntumore. In seiner Entwicklung ist er eingeschränkt.
Er kann schlecht hören, auf einem Auge ist er blind, er spricht nur wenige Worte. Einen Großteil seines Lebens verbringt er im Krankenhaus: Chemotherapie. Mit fünf Jahren stirbt Joel. Das ist das tl;dr. Über die Momente dazwischen - das Warten, die Unsicherheit, Joels Lachen, seine Familie, seinen Schmerz -- darüber handelt das Spiel, das Joels Eltern mit einem kleinen Team aus Künstlern und Freunden entwickelt haben.
Momentaufnahmen
Wir sind eine Ente. Am Ufer des Teiches eine Familie: Die Greens, stilisiert irgendwo zwischen hipper Low-Poly-Ästhetik und japanischen Origami-Faltfiguren. Ein kleiner Junge wirft Brot ins Wasser. Wir klicken auf das Brot.
Die Ente schwimmt, sie frisst, sie quakt und je näher wir kommen, desto mehr kriegen wir mit vom Gespräch der Familie: »Joel ist fünf, aber er kann nicht sprechen...«, sagt eines der Green-Kinder. »Du weißt, er ist krank«, sagt Ryan, der Vater.
Joel klatscht und lacht. Schnitt. Wir sind Ryan mit Joel am Spielplatz. Wir klicken auf die Schaukel und schubsen Joel mit rhythmischen Klicks an. Wir klicken auf das Smartphone auf der Bank. Ryans Frau Amy spricht über einen Check-Up-Termin im Krankenhaus. Schnitt.
Wir sind auf der Intensivstation. Ein Gerät schlägt Alarm, wir drücken wahllos Knöpfe, Ryan ist hilflos. Schnitt. Wir sind in Ryans Gedanken. Er ertrinkt im Meer, wir klicken und klicken und klicken und er erreicht die Oberfläche nicht.
That Dragon, Cancer besteht aus Momentaufnahmen. Kurzen Szenen, die schlaglichtartig Eindrücke geben auf vier Jahre Krankheit. Es ist damit Teil einer Reihe von Titeln, die persönliche Erlebnisse spielbar machen: Zum Beispiel Dys4ia, in dem Anna Anthropy über ihre Hormontherapie erzählt, oder Nina Freemans Cibele, in dem es um die erste Online-Beziehung geht, und, natürlich, Zoë Quinn und Patrick Lindseys Text-Adventure Depression Quest. »Art Games«, Kunstspiele, sagt Wikipedia dazu; Empathie-Spiele, schlagen Kritiker vor; »wie Myst nur ohne Puzzle«, schreibt uns Amy Green in der Mail mit dem Steam-Code.
Herausfordernd, im traditionellen Sinn, ist That Dragon, Cancer nicht. Die 14 Szenen, aus denen es besteht, lassen sich in etwa zwei, maximal drei Stunden spielen. Rätselhaft ist ein paar Mal nur, was wir als nächstes anklicken sollen.
In den kurzen Mini-Spielen, die die Erzählung aufbrechen (ein kurzer Plattformer, ein Kart-Rennen), ist unsere Leistung irrelevant. Die Lösung ist sogar oft: Nichts tun. Innehalten. Pause machen.
Wie ein Spiel, das nicht funktioniert
Die Autorin Jenn Frank sieht That Dragon, Cancer 2013 während der Game Developers Conference. Sie erlebt die wohl härteste Szene des ganzen Spiels. Ryan ist alleine im Krankenhaus. Joel ist nicht zu sehen, aber Jenn hört ihn. Joel schreit vor Schmerz, er schlägt seinen Kopf gegen die Gitter der Krippe.
Es sind seine echten Schreie, die sein Vater aufgenommen hat. Ryan kann nichts dagegen tun. Die Autorin klickt auf verschiedene Objekte im Raum und Ryan beschreibt, wie er versucht zu trösten, zu wiegen, Joel Saft zu geben. Alles vergeblich.
Am Ende der Szene betet Ryan und die Schreie hören auf. Jenn Frank schreibt über die Erfahrung und schafft damit innerhalb der Entwickler-Community für Aufmerksamkeit. Das Team der inzwischen gescheiterten Android-Konsole OUYA kommt auf Ryan und Amy zu.
Die Geldgeber und Entwickler vom Indie Fund wollen helfen. Zum Schluss gibt es noch eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne, um den Endspurt zur Veröffentlichung zu schaffen.
Die Idee zum Spiel, das erzählt Ryan Green in den vielen Leitartikeln über That Dragon, Cancer, kommt ihm in der Kirche, als er über die Nacht nachdachte, in der Joel nicht aufhören konnte zu schreien.
Es wäre wie ein Spiel, aber alle vertrauten Spielmechaniken - Wiegen, Trösten, Fruchtsaft reichen - sind wie ausgesetzt. Nur das Gebet bleibt noch.
That Dragon, Cancer ist ein christliches Spiel. Ryan und Amy sind gläubig. Ihr Co-Designer, Josh Larson, arbeitet an religiösen Spielen für das US-Studio Soma Games. That Dragon, Cancer nimmt ihr gesamtes Leben ein.
Ryan und Josh geben ihre anderen Jobs auf. Die Greens benutzen ihr gesamtes Erspartes. Sie sprechen die Dialoge ein, nehmen Joel und ihre anderen Kinder auf. Es ist ein persönliches Spiel, intim, am Voyeurismus grenzend.
Die Ehrlichkeit der Greens
Es gibt so viele Arten, auf die That Dragon, Cancer hätte scheitern können: Ein religiöses Spiel, das uns das Gebet als Krebsmedizin empfiehlt. Oder ein Spiel, das uns eigentlich nur zum Weinen bringen soll. Mit trauriger Musik, einem tragischen Thema, simplen Aussagen. Stattdessen ist That Dragon, Cancer einfach ehrlich.
Vielleicht ist das die größte Leistung: That Dragon, Cancer geht schmerzhaft offen um mit den Greens. Die Religion? Wir hören Ryans Vorwürfe, Amy würde sich mit ihrem Glauben selbst belügen.
Ryans Versinken in Verzweiflung und Depression, werden von ihm selbst als selbstsüchtig dargestellt. Auch Amys Angst vor der Reaktion ihrer Freunde, darüber, dass sie wieder schwanger wurde, während eines ihrer Kinder stirbt: Auch das ein Thema.
Die Fragen der Greens, wenn die Ärzte die Diagnose verkünden, sie sind nicht unbedingt die, die man erwarten würde, aber genau deswegen treffen sie so hart.
Und jetzt endlich: Die Pfannkuchen. Am Ende gibt es die Idee der Greens vom christlichen Himmel. Joel inmitten von Pfannkuchenstapeln, neben ihm ein Mops. Keine Engel, kein Chor, keine Tore und kein gleißendes Licht.
Wir klicken und blasen Seifenblasen. Joel lacht. Bis wir aufhören. Dann ist das Spiel zu Ende. Und dann wird sehr schnell klar, worum es in That Dragon, Cancer geht. Das Festhalten an Joels Erinnerung. An allem, was die Greens empfunden haben, um nicht zu vergessen. Das hier ist ein Denkmal für Joel.
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