Wutbürger Online - Massenproteste in Eve Online

Wie ähnlich sich die echte Welt und virtuelles Spiele-Universen sein können, hat Eve Online schon oft gezeigt. Dass das nicht immer angenehm ist, mussten die Entwickler nun am eigenen Leib erfahren.

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Freitag, der 24. Juni. Eigentlich will ich nur ein paar Stunden lang in Eve Onlineeintauchen, schließlich hat der Entwickler CCP einen Tag zuvor das (wie immer kostenlose) Addon Incarna veröffentlicht. Doch diesmal ist alles anders. Zunächst steckt mich der Server in eine ungewöhnlich lange Warteschleife, bevor ich schließlich rein darf – und nicht schlecht staune: Statt der üblichen Verkaufs- und Betrugsversuche im Sonnensystem »Jita«, dem größten Handelszentrum des Eve-Universums, erinnert die Szene eher an die realen Proteste gegen Stuttgart 21. Durch das Chatfenster fließen wütende Protestrufe, Hunderte Piloten versuchen, den Server absichtlich zu überlasten, indem sie ein harmloses Monument beschießen. Mit Erfolg: Der Einsatz zahlloser Waffensysteme zwingt die Internet-Infrastruktur in die Knie, das Spielen in dem stark frequentierten Sonnensystem wird von massiven Lags (Verbindungsverzögerungen) behindert – eine virtuelle Sitzblockade.

Hinweis: Wir haben die ursprüngliche Kolumne zum Incarna Update für Eve Online um CCPs Reaktionen auf die Proteste erweitert.

Die Vorgeschichte

Was ist passiert in Eve Online? Einem Titel, der in der Vergangenheit so viel Geschlossenheit und Nähe zwischen Entwicklern und Spielern demonstriert hatte wie kaum ein anderer. Im mittlerweile neunten Jahr klettern nicht nur die Abonnentenzahlen des Science-Fiction-MMOs langsam aber stetig nach oben, auch abseits des eigentlichen Spiels gibt es kaum woanders eine so aktive und vielfältige Verbindung zwischen Firma und Kunden. Das reicht vom jährlich am Hauptsitz von CCP in Reykjavik, Island stattfindenden Fan-Fest (inklusive optionalem Freizeitprogramm für die Frau/Freundin) über zahllose Spieler- und Entwickler-Blogs bis hin zu einem von den Abonnenten demokratisch gewählten Spielerrat, den CCP zweimal jährlich in den Firmensitz einlädt, um die Zukunft von Eve Online zu besprechen.

Die mit dem Add-On »Incarna« eingeführten Kapitänsquartiere sehen zwar schick aus, verlangsamen aber die Bedienung und haben relativ hohe Hardware-Anforderungen. Die mit dem Add-On »Incarna« eingeführten Kapitänsquartiere sehen zwar schick aus, verlangsamen aber die Bedienung und haben relativ hohe Hardware-Anforderungen.

Und eigentlich sollte es so weitergehen, mit Incarna macht Eve sogar einen besonders großen Schritt: Erstmals können Spieler mit Ihrem 3D-Charakter die Raumstationen betreten und sich darin bewegen. Vorher existierte der Pilot nur als plattes Menü-Portrait, im Weltraum lenkte man stets das gerade aktive Raumschiff. Entgegen anders lautender Versprechen stellen sich die neuen »Kapitänsquartiere« aber nicht als optionales Extra heraus, sondern als Zwangsneuerung, die alten Menüs sind verschwunden. Zudem bestehen die Kajüten vorerst aus nur einem Raum, indem Sie auch noch mutterseelenallein hausen. Grafisch macht der zwar einiges her, verlangt aber nach relativ starker Hardware: Wer zwei Accounts gleichzeitig nutzt, wie es viele Eve-Spieler tun, erlebt auf älteren Rechnern schnell eine Ruckelorgie.

Micro-Transactions

Incarna bringt darüber hinaus einen virtuellen Klamotten-Laden, der Kleidungsstücke für die neuen 3D-Avatare feilbietet. Bezahlt wird mit der ebenfalls neu eingeführten Währung »Aurum«, die man für echtes Geld kauft. Neben den 3D-Avataren ziehen also erstmals auch sogenannte »Micro-Transactions« in Eve Online ein, das ansonsten auf dem klassischen Abo-Modell mit monatlichen Gebühren basiert. Micro-Transactions sind dagegen ein Geschäftsmodell vieler Free2Play-Titel, in denen man für allerlei Extras (meist kleine) Echtgeld-Beträge überweist. Manche Titel beschränken sich dabei auf rein kosmetische Kaufoptionen wie etwa Kleider, andere bieten auch bessere Waffen an und verschaffen Bezahlkunden somit spielerische Vorteile – genannt »Pay to Win« (»Bezahle, um zu gewinnen«) wie etwa bei Battlefield: Heroes.

Die überzogenen Preise im neu eingeführten NeX-Shop belustigten die Spieler anfangs eher. Die überzogenen Preise im neu eingeführten NeX-Shop belustigten die Spieler anfangs eher.

Doch weder die engen Kapitänsquartiere (die weniger Funktionen bieten als der gute, alte Schiffshangar), noch der neue Bezahl-Shop führen direkt zu den Protesten. Viele Eve-Spieler sahen die bereits vorab angekündigten Micro-Transactions zwar skeptisch, hielten sie aber auch für bedeutungslos. Denn CCP hatte versichert, dass diese auf reine Kosmetik beschränkt bleiben würden. Zunächst sorgte die von CCP erhoffte neue Umsatzquelle denn auch eher für Belustigung, denn das teuerste Item, ein Monokel, kostet umgerechnet fast 70 Dollar – mit MICRO-Transaction hat das wenig zu tun.

Geleakte Dokumente

Allein das Cover des internen CCP-Newsletters sorgte für viel Empörung. Allein das Cover des internen CCP-Newsletters sorgte für viel Empörung.

Die Proteste flammen erst auf, als kurz nach dem Incarna-Start ein interner Newsletter von CCP mit dem Motto: »Greed is good?« (»Gier ist gut?«) auftaucht. Auf dem Cover posiert Michael Douglas als skrupelloser Banker aus dem Film Wall Street, der Inhalt ist entsprechend brisant: Die Entwickler denken über Micro-Transactions als zukünftiges Geschäftsmodell nach, nicht nur für den Playstation-3-Shooter Dust 514, sondern auch für das geplante Online-Rollenspiel World of Darkness, das im gleichnamigen Universum spielt und somit auf derselben Vorlage basiert wie die beiden PC-Spiele Vampire: The Masquerade - Bloodlinesund Vampire: The Masquerade - Redemption. Und entgegen der ausdrücklichen Entwicklerversprechen diskutiert der Newsletter auch die Möglichkeit, in Eve Online eventuell mehr als nur Zierrat zu verkaufen. Etwa spezielle Munition, besondere Raumschiffe oder Ruf bei den Fraktionen, den sich der Spieler sonst langwierig erarbeiten muss.

Als dann auch noch eine allem Anschein nach authentische, interne E-Mail des CCP-Chefs die Runde macht, eskaliert die Situation vollends. Denn Hilmar Petursson gratuliert darin nicht nur zum erfolgreichen Start von Incarna und dazu, dass bereits 52 der absurd teuren Monokel verkauft seien. Sondern er wertet auch die Reaktionen der Spieler als vorhersehbar ab, da die ja sowieso immer über Veränderungen maulen würden.CCP sei es in diesem Fall also egal, was die Spieler sagen, wenn auch nicht was diese tun – die Reaktion hat sich der CCP-Chef aber sicher ganz anders vorgestellt. In einer ersten offiziellen Stellungnahme spielt einer der leitenden Entwickler die Aufregung dann auch noch herunter und stellt einen Vergleich mit 1.000 Dollar teuren, japanischen Designer-Jeans an: Wenn man für coole Klamotten im echten Leben viel Geld bezahlt, so die Botschaft von CCP, dann kann man dafür doch auch im Spiel tiefer in die Tasche greifen. Dieses Statement hat der Entwickler bald bereut, denn es löst etwas aus, das mit »Shitstorm« noch freundlich umschrieben ist: Massenhafte Proteste in Foren, in Chats und im Spiel selbst.

Hunderte Spieler beschießen ein harmloses Monument im größten Handelszentrum »Jita«, um den Server zu überlasten und ihren Protesten Gehör zu verschaffen. Hunderte Spieler beschießen ein harmloses Monument im größten Handelszentrum »Jita«, um den Server zu überlasten und ihren Protesten Gehör zu verschaffen.

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