Atemberaubendes Remake

Der Ur-Shooter erhielt 2014 ein umfassendes Make-over mit richtiger Story und aktueller Shootermechanik. Nach mehr oder weniger gelungenen Remakes eine Chance,...

von TheVG am: 09.02.2020

Nachhaltigkeit ist ein Schlagwort, das aktuell sehr oft Verwendung findet. Im Spielemedium ist der Kontext um die Bedeutung dessen die Wiederaufnahme von alten Franchises, was dafür spricht, wie gut ein Produkt dem Endverbraucher in Erinnerung geblieben ist.

Eigentlich reichte die dünne Storyline von „Wolfenstein 3D“ gerade mal aus, für eine Adaption im Trashkinofomat zu taugen, doch ist der popkulturelle Einfluss des Spiels für die spätere Shooterhistorie immens. Deutlich wird dies, weil die Marke immer wieder aufgegriffen und in neuem technischen Gewand präsentiert wird. Als der Apple II-Urshooter 1981 noch mit einem namenlosen Helden Vorlieb nahm, entwickelte sich der Name B.J. Blaszkowicz mit dem PC zu einer der ältesten Ikonen der Videospielgeschichte.

Es war also interessant zu erfahren, wie sich Machinegames (ehemals Starbreeze Studios) dem altehrwürdigen Stoff annehmen würden, wo sie schon mit ihren Riddick-Spielen für Aufsehen sorgten und dem grummeligen Sträfling mit strahlenden Augen einen würdigen Rahmen spendierten. Wie würden sie nun mit Wolfenstein verfahren? Es sei vorweg genommen, dass die neue Reihe dem id-Pioniershooter nur noch im Kern ähnelt und sich für die Zukunft gerüstet hatte.

Tarantino brutalo

Während unser Pixel-B.J. noch in der titelgebenden Burg nach geheimen Forschungen spionierte, ist der neue ein armes Schwein. Nachdem im zweiten Weltkrieg eine Offensive gegen den berüchtigten General Totenkopf schiefläuft und dieser Blazkowicz vor eine grausame Wahl stellt, entkommt der Held gerade noch und fängt sich auf der Flucht Splitter ein, die ihn vierzehn Jahre lang an den Rollstuhl fesseln.

Cutscenes sind top inszeniert worden und erzählen eine ordentliche Geschichte

So zur Untätigkeit verdammt verfolgt Blazkowicz den Alltag eines Klinikums und wie Regime-Soldaten ein- und ausgehen, sich Insassen abgreifen und die Belegschaft bedrohen. Eines Tages, im Jahre 1960 läuft allerdings das Fass über und B.J. nach Jahren im Wachkoma plötzlich wieder zur Hochform auf. Als der Klinikleiter erschossen wird, erwacht neben seinem Körper auch das konsequente Rechtsverständnis des Ex-Soldaten zu neuem Leben – die Kampfmaschine kann dem Regime wieder gepflegt in den Hintern treten.

Nun, „gepflegt“ mag hier der falsche Ausdruck sein, denn geht unser Alter Ego nicht zimperlich mit den Gegnern um. Der Grad der Gewalt scheint angebracht, denn nach den Eindrücken der benannten Schlüsselszene wollen wir dem General brutalstmöglich den Garaus machen, seinem Gefolge gleich mit. Ganz Tarantino-like können wir in den beachtlichen 10-12 Spielstunden Gegnern die Köpfe wegschießen, Messer in die Kehle rammen oder gleich Soldaten mit ihren Innereien die Wände tapezieren lassen – die deutsche Version ist bis auf das übliche Auslassen von Nazisymbolen uncut.

Kumpelhaft

Klingt alles sehr klassisch und in moderner Weise blutig, was in gewisser Weise auch der Fall ist, allerdings gibt es eine Neuerung, die sich erfreulich von den früheren Titeln abhebt und nicht zu einer oberflächlichen Schießbude verkommen lässt. „The New Order“ erzählt eine abgeschlossene Geschichte, die sich zwar an die alten Trashtraditionen (Nazis, Mechs und Mondbasis) hält, aber die Figuren sehr detailliert skizziert und eine amtliche Inszenierung zu bieten hat. Die Szenen wirken filmisch wie selten gesehen, und die Charaktere wachsen einem schnell ans Herz (oder ist umgekehrt fasziniert von bösen Figuren wie die irre Frau Engel). Alle haben ihre Eigenarten bzw. Schicksale und sind kein Abziehbild mit muskelgestähltem Körper oder knapp überdecktem Endlosdékolletée. Die Mimik ist beispiellos und differenziert, hier wird weniger mit pompöser Epik gearbeitet, sondern über Glaubwürdigkeit Atmosphäre geschaffen, wie man es in Hollywood schon mal vermissen lässt. Jedenfalls sind die zahlreichen Zwischensequenzen durchgängig hochwertig geworden, da freut man sich auf jeden neuen Filmschnipsel, so grausam er auch sein mag.

Frau Engel und ihr "Bubi" spielen ein perfides Spiel mit uns

Soll nicht heißen, dass sich Wolfenstein: The New Order zu einem interaktiven Film entwickelt hätte – die Action macht immer noch den Hauptteil der Zeit aus. Den Spagat hat Machinegames sehr gut geschafft, indem sie die Wechsel nicht allzu statisch gestaltet hatten. Dabei sind sie mit der Zeit gegangen und haben immer mal wieder kurze Interaktionsmomente eingefügt. Ab und zu drücken wir Schalter, Quick-Time-Events sind ebenfalls mit dabei, und da wir ein Versteck als Basis nutzen, gibt es auch dort noch Kleinigkeiten für die Widerstandsbande zu erledigen. Abgesehen von solchen kleinen Goodies verbringen wir die meiste Zeit mit Ballern.

Auch hier kann ich fast jeden Zweifel zerstreuen, da sich die Abschnitte knackig spielen, dazu möchte ich gleich genauer eingehen. Alles beim Alten also, nur wunderbar in die Next-Gen-Ära transportiert und sinnvoll mit Leben gefüllt. Bei all der Intensität wurde nie vergessen, das Gezeigte mit einem Augenzwinkern zu versehen, so präsentiert sich das Spiel sehr unterhaltsam, obwohl mir an manchen Stellen aus verschiedenen Gründen ein Kloß im Halse stecken blieb.

Spielereien

Die Action setzt 1946 ein, als Blazkowicz als Frontsoldat gegen das Regime im Einsatz ist. Wir kämpfen uns durch Bunkeranlagen und Schützengräben, und im ersten Moment fühlte ich mich an Call of Duty erinnert – nicht nur beim Szenario, sondern auch in der Spielmechanik. Als Übungsgelände ist diese Sequenz durchaus brauchbar, wird allerdings einem modernen Shooter längst nicht mehr gerecht. Wir decken uns mit Unmengen Gesundheit, Rüstung und Munition ein, dass es für einen dritten Weltkrieg reichen würde, und da kamen mir Zweifel auf, ob das nun das komplette Spiel über so anhalten würde.

Weit gefehlt. Zwar geizt das Spiel nie mit Muni und Healthpacks, doch wird man die auch immer wieder nötig haben. Die Einführung ist lediglich als Trainingskurs zu verstehen und liefert im Narrativ eine Vorgeschichte und gleichzeitig Motivation, General Totenkopf lieber früher als später abzumurksen. Dazwischen stehen jedoch Armeen von mehr oder weniger gepanzertes Fußherrenvolk und Gegnertypen wie mechanische Supersoldaten, Kampfhunde mit Stahlrüstung und Roboter im Weg, die es zu dezimieren gilt. Nun könnt Ihr B.J. stur durch die Reihen ballern lassen, was keinen nennenswerten Nachteil mit sich bringt, oder Ihr sucht, nachdem Ihr die Areale von Gegnern gesäubert habt, in aller Ruhe nach Verbesserungen, Goldschätzen, Briefen oder Gesundheitsboosts, alternative Wegen und Ecken gibt es genügend.

Beidhändig geht besser bei diesem schwer bewaffneten Roboter-Koloss

Auch während des Kampfes könnt Ihr euch Achievements und Talentverbesserungen verdienen – wer gerne schleicht und leise tötet, wird ebenso belohnt wie mit geübten Kills, etwa am Boden entlang zu rutschen und dabei Kugeln zu verteilen. Solche Spielereien machen einfach Laune und sind dazu spielerisch sinnvoll, bestrafen aber Sammelmuffel nicht wie in der Vergangenheit – denke ich da 1993 an Levels, in denen man gar Geheimtüren suchten musste, um den Ausgang zu erreichen.

Natürlich gehört zu einem anständigen Shooter ein entsprechendes Waffenarsenal. B.J. wird sich nun keine Sammlung á la Serious Sam einpacken können, verfügt aber über abwechslungsreiche Wummen mit den unterschiedlichsten Effekten. Diese reicht vom Wurfmesser bis zum Laserknarre, mit der wir gar Wände und Zäune aufschweißen können und die im normalen Modus zur Railgun taugt. Dazwischen werden wir mit den üblichen Schussgeräten hantieren – Maschinengewehr (später mit Raketenwerfer bestückbar) oder Schrotflinten im futuristischen Design. Gerade diese machen ordentlich Rabatz im so genannten Akimbo-Modus, also dass Blazkowicz zwei davon im Anschlag halten und simultan abfeuern kann.

Schöne Fassade

Diese zahlreichen Sperenzchen würden nicht so gut funktionieren, wenn nicht auch die Verpackung stimmen würde, doch auch hier lässt das Spiel keine Wünsche offen. Der Widerstand hat sich nun mitten im Nazigetümmel in Berlin eingenistet, macht aber immer mal wieder Abstecher in andere Breitengrade (und darüber hinaus).

Deutschland ist natürlich historisch und narrativ bedingt Hauptschauplatz, doch auch London, Kroatien und gar der Mond werden von ihnen aufgesucht. Das schafft nicht nur auf dem Papier Abwechslung, sondern auch optisch. Was mich auch gleich zur Einschätzung der Grafik bringt. Die ist durchgehend auf dem Stand der Technik, doch finden sich immer mal wieder kleine negative Ausreißer. Ich dachte schon, meine Sehstärke wäre noch weiter gesunken als sie schon ist, als ich im Versteck ein Regal mit Konservendosen erblicke – die Emaillebehälter wurden aber tatsächlich mit grobkörnigen Texturen beklebt. Und je natürlicher etwas erscheinen sollte, wurde hier und da schon mal getrickst, und getrickst wurde viel, wenn auch eher zur Stilisierung von Videosequenzen oder Levelaschnitten. Bleibt festzuhalten, dass die Optik schön anzusehen ist, vielleicht im Detail bearbeitungswürdig, doch da will ich gar nicht viel bemängeln, da Mimik und Inszenierung einfach top sind.

Moorhuhn-Passagen zu Beginn des Spiels dienen eher zum Training; spätere Abschnitte spielen sich abwechslungsreicher

Auch beim Sound wurden keine Kompromisse eingegangen, zumindest im direkten Audio-Feedback. Hier und da hätte ich mir mehr Umgebungsanpassungen wie deutliche Delays von Geräuschen in großen Hallen gewünscht, das wäre aber nur das i-Tüpfelchen gewesen, das mir beim Spielen nur auffiel, als ich mal durchschnaufen konnte. Ansonsten stimmt hier eigentlich alles – realistische Umgebungsgeräusche, knallige Waffensounds, engagierte und bekannte Sprecher, moderne und treibende Musikstücke, die fast jede Geschmacksfacette abdecken.

Einzig bei der KI muss man Abstriche hinnehmen, die wahrscheinlich der Genrebeschränkung geschuldet sind. Gegner gehen in Deckung und flankieren uns sogar, sind aber auf ein ganzes Areal gerechnet engstirnig. Beispiel ist ein unterirdischer Rangierbahnhof, wo wir einen Zug kapern sollen. Nachdem wir die Bahnsteige von Soldaten befreit haben, sollen wir einen Gleis aktivieren und geraten an zwei bullige Mechsoldaten im Hulk-Format, begleitet von gepanzerten Kameraden. Geben wir uns durch Beschuss zu erkennen, können wir in einem Flur verschwinden und über den Ausgang die Mechs hinterrücks angreifen. Das Spielchen könnte man nun einfach so weiterführen, doch haben die kleinen „Brüder“ den Braten gerochen und arbeiten sich langsam durch den Flur vor, wo wir mit streuenden Schrotflintensalven beschossen werden. Nach meinem ersten Durchlauf wurde ich auf falschem Fuß erwischt und musste neu laden. Beim zweiten Anlauf stellt man dann dieselbe Taktik fest – was beweist, dass die Jungs eher vorgegebenen Scripts folgen statt situationsbedingt vorzugehen. Das ist in subtiler Weise berechenbar, reicht allerdings völlig aus, um uns für einen abendfüllenden Durchgang bei der Stange zu halten.

Unberechenbar

Wer hätte das gedacht? Ich bin schlicht überwältigt, wie Machinegames die altehrwürdige Marke „Wolfenstein“ zu einem amtlichen, modernen Shooter umgemodelt hatte, ohne bekannte Elemente zu verschmähen. Der deutliche Realismusschub hat dem Spielspaß keinen Abbruch getan, nein, die Hollywood-reife Geschichte hat „Wolfenstein“ sogar noch eine Frischzellenkur verpasst. Dem Spieler wird nun ein Produkt geliefert, das ihm alle emotionalen Facetten abverlangt, ist spielerisch unterhaltsam, angenehm fordernd, dramatisch, witzig, Ekel erregend – was auch immer Ihr möchtet, Ihr werdet es hier finden.

So hat Nachhaltigkeit zu funktionieren, statt nur olle Kamellen auszupacken und lustlos drauf herumzukauen.


Wertung
Pro und Kontra
  • Stimmiger Grafikstil
  • Klasse inszenierte Filmschnipsel
  • Hochklassige Sprecher
  • Amtliche Soundkulisse
  • Treibende Musikstücke
  • Ordentliche Story mit vielseitigen Charakteren
  • Gutklassige Action
  • Viele Goodies abseits des Hauptweges
  • Abwechslungsreiches Leveldesign
  • Referenzen an die alten Zeiten
  • Texturen ab und zu unscharf
  • Rollenspielanteil zu rudimentär
  • Einführung zu schlauchig

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(2)
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