Das langsamste 4X der Welt

Seit 1927 läuft das langsamste Experiment der Welt. Dawn of Andromeda und sein Erfinder könnten gute Freunde werden.

von Tsabotavoc am: 08.04.2019

 

Seit 1927 läuft das langsamste Experiment der Welt. Es geht dabei darum das Fließverhalten von Teer zu beobachten. Seit damals sind 8 Tropfen gefallen... Dawn of Andromeda und sein Erfinder könnten gute Freunde werden.

Der Test ist einer jener Tests die es einem absolut nicht leicht machen. Denn objektiv betrachtet ist Dawn of Andromeda gar nicht mal so schlecht. Ich könnte beim besten Willen aber keine Zielgruppe dafür benennen denn irgendwie rasselt es zielsicher zwischen allen Stühlen hindurch. Was ging da schief? Gemeinsam mit euch werden wir im Test versuchen die Blackbox aus dem Wrack zu bergen.

Das Universum - ein endloser Einheitsbrei

Ja meine Freunde der jupiterschen Tier- und Pflanzenwelt: Es IST möglich militaristisch und pazifistisch zeitgleich zu sein. Bzw. so richtig religiöse Ungläubige. Bei den Rassentraits wurde von ca. 12 bis mittags gedacht.

Dawn of Andromeda ist ein relativ klassisch aufgebautes 4X-Strategiespiel bei dem ihr die Geschicke einer vorgefertigten, oder selbst erstellten Rasse lenkt. Die Entwickler dachten sich hier: "Weniger ist mehr" in Punkto Rassentraits und entsprechend ist es ziemlich schwer wirklich eine Rasse zu kreieren die sich merkbar von anderen unterscheidet. Aus insgesamt 21 Traits MUSS man 5 wählen. Das sieht dann so aus, das man drei positive, ein neutrales, und ein negatives Trait wählt. Es gehen auch 2 positive und 3 neutrale aber dann ergibt die Rasse überhaupt keinen Sinn. Passt aber gut ins Konzept denn generell ergibt einiges hier keinen Sinn.

Ob ich nun eine Rasse steuere die am liebsten auf Gasplaneten haust, wie auch immer der Leben beherbergen soll, oder sich auf Eisplaneten einkuschelt ist komplett egal. Also bauen wir halt eine Rasse die Weltklasseagrarökonomen sind und am liebsten auf einem Gasplaneten ihre Felder bestellen. Die Jungs und Mädels sind extrem pazifistisch und haben als Rassentechs lauter Waffen. Es ist im Prinzip wurscht was ihr hier zusammentackert denn es spielt sich eigentlich alles ziemlich gleich. 

Das ist dann besonders lustig wenn man eine Rasse hat die ja eigentlich Gasplaneten bevorzugt. Bei der Kolonisierung lässt man die dann aber links liegen um sich auf einem Ozeanplaneten niederzulassen. Ich habe in den 20 Spielstunden nicht verstanden nach welchem System Planeten nun vom Spiel als für die Rasse kolonisierbar gesetzt werden oder eben nicht. 

Vielleicht steckt da sogar eine clevere Mechanik dahinter aber das Spiel kommuniziert sie nicht.

 

Die Kampagne und die Kolonisierung

Was für mich das Spiel einigermaßen gerettet hat sind die Szenarien: Denn wir können quasi die Geschichte der Galaxie nachspielen. Das beginnt beim Anfangsszenario in dem sich die Terraner und das Sythonkollektiv auf galaktischer Ebene gegenübertreten. Ein eher freundschaftliches Szenario das natürlich, nachdem mehr und mehr Spieler die galaktische Ebene betreten, in einem von Terranern ausgebrochenen ersten großen Krieg mündet. Nach Kanon verlieren den die Terraner und ihre Verbündeten und wie es weiter geht erfährt man dann in Szenario drei. 

Aus Kanongründen sollte man wohl die Terraner spielen denn sie sind die Einzigen die in jedem Szenario verfügbar sind aber man kann das Szenario aus der Sicht von jeder Rasse dieser Ära spielen und zumindest hier ist es schon unterschiedlich da sich auch die Siegbedingungen unterscheiden können. Im ersten großen galaktischen Krieg hat man als Terraner z.B das Ziel die Sython zu unterjochen. Die Sython müssen wiederum die Terraner platt machen. Spielt man als Orolith ist man das Zünglein an der Waage: Beide Imperien werben dann sehr aktiv um eure Unterstützung im Krieg gegen den jeweils verhassten Feind. Da man als Orolith im Vergleich zu den beiden Supermächten einen Startnachteil hat sollte man sich gut überlegen ob man sich da wirklich einmischen will. Vor allem da die eigene Siegbedingung in diesem Szenario einfach überleben ist.

Der große Krieg nach ein oder zwei Spielstunden... Ja so groß ist er gar nicht. Gewöhnt euch dran...

In obigem Bildschirm werdet ihr die meiste Zeit verbringen und der erste Gedanke den wohl viele geübte 4X-Veteranen haben werden ist: "Toll. Wie verwalte ich damit mein Imperium wenn es erst mal 50, 60 Planeten hat?" Die Antwort ist hier natürlich ein "Gar nicht" denn so groß wird euer Imperium auch gar nie. Es gibt einen eigenen Planetenverwaltungsscreen aber über den sollten wir lieber gleich den Mantel des Schweigens breiten denn man kann in dem nichts sortieren oder filtern und entsprechend ist er ungefähr so nützlich wie ein Katzenklo in der Hochzeitssuite.

Was man Dawn of Andromeda nicht vorwerfen kann ist, dass es hässlich wäre. Die Rassen haben unterschiedliche Schiffsmodelle, es sind einige interessante Modelle dabei, die Präsentation ist sehr annehmbar wenn auch an vielen Stellen schrecklich unpraktisch. Und der Soundtrack ist mit einer der Besten die ich in 4X Spielen bisher gehört habe. Der Komponist hat hier wirklich einen tollen Job gemacht.

Ja das sind alles Nebenkriegsschauplätze aber niemand kann sagen das es die Entwickler nicht versucht hätten. Es hätte also tatsächlich ein gutes Spiel werden können...

Der Elefant im Porzellanladen

Reden wir nicht mehr um den heißen Brei herum. Dawn of Andromeda ist bis zur Unspielbarkeit langsam und hat eine Menge schrecklicher Designentscheidungen. Den positiven Teil haben wir durch und nun werde ich auf das Spiel eindreschen wie ein Haubenkoch auf ein Kalbsschnitzel. So viel verschenktes Potenzial... ein Jammer.

So sieht ein Koloniebildschirm aus. Hübsch oder? Bis ihr merkt das ihr den Screen mit minimaler Variation auf Wüsten, Ozeanen und sogar Gasplaneten vorgesetzt kriegt. Ja da wurde wirklich alles richtig gemacht...

Dawn of Andromeda liefert vier Geschwindigkeitsoptionen: Pause, Kontinentalverschiebung ist schnell dagegen, Schneckenrennen, Viel zu schnell. Ich bin jemand der bei Stellaris in der Regel auf den langsameren Geschwindigkeitsstufen spielt und sich damit wohlfühlt. Bei Dawn of Andromeda habe ich den Regler meist raufgedreht auf Anschlag. Und das hat alles zusammen keine gute Balance zueinander.

Auf dem Fast Forward Knopf dauert der Bau eines Raumjägers knapp 10 Sekunden. Wenn man auf normale Geschwindigkeit runterdreht? Über 70 Sekunden. Ja ich habe das mit der Stoppuhr gestoppt. Flotten von A nach B zu bugsieren ist auf allem was nicht highspeed ist eine pure Qual denn die Schiffe kriechen förmlich vor sich hin. Wenn man aber auf der höchsten Geschwindigkeit spielt wird man mit Nachrichten teils zugebombt.

Apropos bomben: Krieg ist in Dawn of Andromeda eine sehr binäre Geschichte. Du gewinnst die erste Schlacht und den Krieg oder du kannst das Spiel beenden. Es gibt für den der unterliegt einfach keine Comebackmöglichkeit. In Stellaris, und ja wer in den Ring der 4X-Spiele steigt muss sich eben am Genreprimus messen, ist es unmöglich durch einen Krieg direkt aus dem Spiel geknockt zu werden. Hier ist der Krieg nach der ersten Schlacht entschieden denn weder der Spieler noch die KI haben die Möglichkeit einen Totalausfall bei einer Flotte rechtzeitig zu ersetzen bevor der Feind einen über den Haufen gerollt hat. Sehr langsam über den Haufen gerollt wohlgemerkt wenn ihr nicht den Regler auf Superspeed setzt. In der Zeit in der eine Schlachtschiffflotte sich durch euer halbes Imperium bewegt hat um eure, vielleicht schlecht geschützte, Hauptwelt anzugreifen habt ihr bestenfalls zwei oder drei Raumjägerchen gebaut je Werft. Und Spoiler: So viele Werften hat man am Ende des Tages gar nicht.

 Die Amon Union wird von unserer Flotte direkt am Warppunkt abgefangen. Aufgrund der langsamen Geschwindigkeit der Schiffe kommt es nun zum Tontaubenschießen. Hübsch anzusehen aber nicht sehr fair.

 

Kolonisierung fehlgeschlagen - und einiges anderes


Damit ihr euch eine Vorstellung machen könnt wie zäh es abläuft: Euer Imperium macht am Anfang, wenns hoch kommt, so um die 20 Scheinchen plus in der Woche. Ein Kolonieraumschiff dauert also schon mal 3 Monate, im besten Fall, um überhaupt ein Kolonieschiffchen finanziert zu bekommen. Das schickt man dann zum Planet der Begierde der vom Spiel als kolonisierbar gekennzeichnet ist und nach Ablauf eines quälend langen Timers hat man eine neue Kolonie. Oder eben auch nicht denn die Kolonisierung kann auch irgendwann fehlschlagen. 

Das mag realistisch sein. Spaß machts aber keinen. Und da die Planeten die wir kolonisieren können teils über die halbe Galaxie verteilt sind haben wir kein zusammenhängendes Imperium sondern einen Fleckenteppich. Das trifft auf die Gegner übrigens genauso zu. 

Wir bomben diese Wüstensöhne in die... nun ja... Wüste. Der Planet glüht erst so seit wir ihn bombardieren. Das ist vollkommen harmlos und UN-konform.

Wenn die Kolonie dann mal steht haben wir im Prinzip nur Alleskönnerkolonien: Denn Spezialisierung ist, wenn überhaupt, nur eine temporäre Sache. Nach und nach kann man alles auf jeder Kolonie ausbauen und die Traits des Planeten geben noch nen klitzekleinen Bonus auf das eine oder andere. Im Prinzip ist eine Kolonie also absolut beliebig und austauschbar. Ich habe, nicht wie bei Stellaris oder Master of Orion, meine Forschungswelten oder meine Agrarplaneten. Nein: Jeder Planet kann einfach alles.

Abgesehen davon das im Prinzip alles was wir machen ein Brei ist... In dem Brei schwimmen auch noch ein paar Käfer rum und manche Zutaten fehlen komplett. Schiffe bleiben oft am Warppunkt stecken und fliegen nicht weiter. Man erfährt einfach aus Konsequenz nicht wenn eine Flotte am Ziel angekommen ist und jede Erkundung will von Hand befohlen werden. Das ist vielleicht auch ganz gut denn sonst hätte man einfach gar nichts zu tun streckenweise. Raketen neigen dazu 20x um ein Schiff rumzufliegen bevor sie es treffen sobald das Schiff sich bewegt. Und der Schiffsbau ist nun auch nicht das Gelbe vom Ei.

Die Meiste Zeit wartet man einfach nur. Man wartet bis Geld da ist um ein Schiff zu bauen. Man wartet bis der Einfluss endlich hoch genug ist um einen Kriegsgrund zu fingieren (Durchaus mal 20 Minuten auf dem höchsten Spielgeschwindigkeitsgrad) Man. Wartet.

 

Einmal Schiffsbau extraseicht bitte!

Zugegeben: Nicht komplett seicht aber zu seicht um ein Spiel am Rande der Mittelmäßigkeit zu retten.

Ich fange mit dem Positiven an: Ihr könnt Schiffe selber designen und ihnen Spezialfähigkeiten geben mit denen sie sich selbst oder andere reparieren können, Brände an Bord löschen oder erzeugen können oder Waffen des Gegners hacken können. Ihr könnt diese Schiffe individuell steuern sprich aus der Schlacht zurückziehen oder abkommandieren um Nachzügler des Gegners abzufangen.

Leider ist die Balance total für die Füße und wer sich so Etwas wie strategische Tiefe verspricht sei hier schon mal enttäuscht: Ihr nehmt die größte verfügbare Hülle und baut so viel Hardware rein bis der Unterhalt auf eurem Wunschniveau ist. Nehmen wir mal die Korvette oben: Das ich die in der Schiffsklasse "Schwer" baue und nicht in die "Großkampfhülle" ist eine Entscheidung die ich nur durch Ästhetik begründen kann. Wer will schon eine Flotte aus lauter identisch aussehenden Schiffen haben? Denn - Trommelwirbel - der Unterhalt wird nur durch den Anschaffungspreis des Schiffes bestimmt und nicht dessen Tonnage. Was bedeutet das in der Praxis? Die kleinste Hülle kostet 20 Credits in der Anschaffung. Die Großkampfhülle 60. Was ins Geld geht ist die Ausrüstung. Der Unterschied ist das man für, vernachlässigbare, Einbußen bei Endgeschwindigkeit und Ausweichchance einfach mal die dreifache Menge Grund HP bekommt. 

Was Ausrüstung betrifft: Da die einzelnen Waffen und Ausrüstungsgegenstände, anders als bei z.B Polaris Sector, keine Rohstoffe brauchen gilt hier eigentlich immer: Fortschrittlichere Technik = Immer besser. Das hat mir schon bei Stellaris nicht gefallen aber hier ist es einfach ein weiterer Nagel in den Sarg.

Diplomatie - Soviel Spielraum wie Deutschland 1944

 

Beachtet die vielen Optionen! Beachtet das Menü "Vorschläge" hinter dem noch mehr Optionen sind! Und nun vergesst das alles rasch denn ohne die Investition von Einfluss werdet ihr nichts damit anfangen können.

Die Diplomatie ist ein besonderes Kapitel für sich. Theoretisch kann ich Wirtschaftsembargos gegen andere Reiche anzetteln, mit Kolonien handeln, Technologien austauschen, Nichtangriffspakte und Allianzen aushandeln, Kriegsbeitritte erbitten oder Frieden aushandeln. Theoretisch.

In der Praxis lässt sich die KI auf Deals nur dann ein wenn diese so knallhart klar zu ihrem Vorteil sind, dass kein geistig gesunder Mensch die je aushandeln würde. Ein Beispiel? Um einen beidseitig verbindlichen Nichtangriffspakt mit den Terranern zu erzielen bot ich ihnen an das ich ihre Systeme für zwei Jahre nicht kolonisieren und 1000 Credits. Abgelehnt. Das wäre in deren Situation ein Hammerdeal gewesen durch den sie nur Vorteile gehabt hätten denn die Sython waren gerade dabei ihnen das Perineum bis zum Stehkragen aufzureissen. Warum lehnen die sowas ab? Ganz zu schweigen von einem Deal der mir vielleicht auch irgendetwas nutzt! Denn, wenn ich gewollt hätte, hätte ich mich auch einfach mit den Sython verbünden können und mit meiner Flotte mal wieder gepflegt grillen gehen können. Das habe ich dann in weiterer Folge auch gemacht.

Die Macher wollten vermeiden das die KI diplomatisch über den Tisch gezogen wird. Sie haben es zu gut gemeint. Mit Einfluss kann ich mich bei den KI-Reichen einschleimen und damit tatsächlich diplomatisch etwas machen. Leider wird Einfluss dermaßen schleppend generiert das es ewig dauert um hier auf einen grünen Zweig zu kommen. Das ist wirklich traurig denn die Diplomatie ist ein konzeptionell toller Spielplatz der praktisch nicht aufgeht.

Es hat seinen Reiz

Werde ich Dawn of Andromeda für immer an den Nagel hängen? Nein. Denn diese Langsamkeit hat auch ihren ganz eigenen Charme. Aus der Langsamkeit entsteht nämlich auch ein insgesamt kleinerer Maßstab. Ein Imperium mit 10 Planeten in einer großen Galaxie ist schon ein schöner Brocken. Eine Flotte mit 20 Schiffen die gepanzerte Faust des Imperiums. Würde ich es mir nochmal kaufen wenn ich wüsste was ich jetzt weiß? Vielleicht. Denn ich bin ein absoluter Genrefan. Und so lautet auch das finale Urteil: Wer ein knallharter Fan ist, kann sich das Spiel ansehen denn die Geschichte um die Andromedagalaxie ist interessant und 4X hält sich generell ansonsten mit interessanten Geschichten zurück. Ich und ein paar Puristen werden das Stückchen Freude das darinsteckt herausziehen. Alle anderen sollten aber besser die Finger davon lassen und sich lieber Stellaris, Polaris Sector, Galactic Civilization oder Master of Orion kaufen. Punkt um Punkt sind das einfach alles bessere Spiele.


Wertung
Pro und Kontra
  • Sieht recht ordentlich aus
  • Guter Soundtrack
  • Teils lustige Texte im Diplomatiescreen
  • Es. ist. so. langsam.
  • Austauschbare Racials
  • Nicht nachvollziehbare Kolonisierung
  • Schwache Diplomatie
  • Kein Comeback nach einem verlorenen Krieg

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Ständig

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(4)
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