Das Spiel, das ein Buch sein wollte

Es hätte alles so schön sein können: The Old City: Leviathan rühmt sich auf seiner Steam-Seite damit, ganz auf die Narration fokussiert zu...

von actors shadow am: 13.07.2016

Es hätte alles so schön sein können: The Old City: Leviathan rühmt sich auf seiner Steam-Seite damit, ganz auf die Narration fokussiert zu sein. Daneben stellt es faszinierende Screenshots, die dezent an die dystopischen Welten eines Dishonored erinnern. Grund genug, beim Steam Summer Sale das mittlerweile nicht mehr ganz so junge Indie-Spiel von 2014 zu erstehen. Was kann für einen Freund experimentellen Erzählens schon schiefgehen? Eine ganze Menge, wie sich zeigen wird.

 

Viel Tamtam - nichts dahinter

The Old City beginnt altgewohnt. Der Spieler wacht als namenloser Held irgendwo im Nirgendwo auf. Wer er ist, was er hier macht und wohin die Reise geht, muss sich jeder selbst zusammenreimen. Anhaltspunkte dazu findet er in der Spielwelt, die mal an ein Fabrikgelände erinnert, mal mittelalterliche Einflüsse hat. An allen Ecken lassen sich bedeutungsträchtige Dokumente finden, immer wieder fügt auch der Charakter selbst durch Monologe ein paar Fragmente zur großen Erzählung hinzu. Die Spielwelt überschüttet einen geradezu mit großen Namen aus Bibel (Abraham, Jonah, der namensgebende Leviathan) und Mythologie (Stichwort Minotauren). Jedes Wort scheint wichtig, jeder Gegenstand von Bedeutung. An vielen Stellen macht das Spiel den Eindruck, als habe ein Theologie- und Philosophiestudent vor seinem Abschluss noch einmal all seine Gedanken niederschreiben wollen – und wäre dabei kläglich gescheitert. Denn viele der Erzählstränge werden nicht zu Ende gedacht, oft führen die Assoziationen ins Nichts. Die alte Stadt schürt Erwartungen, die es nicht einhalten kann. Zugegeben – der Moment, an dem die einzelnen Fragmente nach und nach zu einem Ganzen werden, existiert und führte bei mir zu einem gewissen Erfolgserlebnis. Ebenso hat das Ende eine zumindest interessante Moral. Doch im Großen und Ganzen ist gerade die so wichtige Geschichte zu unzureichend, um wirklich zu befriedigen. Das mag allerdings auch daran liegen, dass The Old City als Dreiteiler geplant war – dessen Nachfolger bis heute fehlen. Doch nicht nur bei der Geschichte verschenkt das bis zu vierstündige Spiel Chancen. Auch beim Gameplay leistet es sich einige Schnitzer.

 

Das Spiel ohne Spiel

The Old City: Leviathan ist als Walking Simulator konzipiert. Der Spieler wandert also alleine in Ego-Ansicht durch eine Welt. Rätsel, Kämpfe oder Ähnliches gibt es nicht. Das ist vorderhand nicht schlimm, Gone Home war ganz ähnlich konzipiert und ein Meilenstein. Im Gegensatz zu Gone Home erzählt The Old City seine Geschichte aber nicht durch die Spielwelt – zu großen Teilen scheint die vollkommen autark von der Erzählung zu funktionieren. Was den Erzählstrang voranbringt, sind (englische) Notizen. Überall in der Spielwelt lassen sich kleine Zettel finden, außerdem gibt es noch sieben Textfragmente als Sammelobjekte. Und gerade die haben es in sich. Viele der 'Notizen' könnten auch als Kurzgeschichten fungieren und erstrecken sich über mehrere Seiten. Den größten Teil des Spiels verbringt der Spieler also lesend in uninspirierten Textfenstern. Fast möchte ich sagen: Medium verfehlt. Als literarischer Text oder Buch hätte die dystopische Geschichte wahrscheinlich gut funktioniert, doch das Medium Spiel füllt sie nicht aus. Die Landschaft dient nur dazu, den Spieler von einem Dokument zum nächsten wandern zu lassen, sie fügt dem Ganzen nur wenig hinzu.

 

Eine Welt wie keine andere

Das ist schade, denn genau das Setting ist es, das The Old City vor einer niedrigeren Wertung bewahrt. Denn das Spiel hat den Fotografen in mir geweckt wie selten ein anderes zuvor. Regelmäßig bin ich stehen geblieben, habe Perspektiven geändert, um die Landschaft für einen Screenshot perfekt ins Bild zu rücken. Die Texturen sind zwar nie ausgesprochen hoch, aber die virtuellen Räume sind fantastisch gestaltet. Hier wartet das Spiel mit faszinierend surrealer Atmosphäre auf.  Die (recht spärliche) Musik tut ihr Übriges. Alleine für diese unglaublichen Eindrücke lohnt es sich schon fast wieder, das Spiel zu kaufen.

Wenn nicht andere Mängel im Gameplay den Spielspaß rund um die Umgebung weiter zerstören würden. So wirkt beim Lauftempo des Charakters selbst Manny Calavera aus Grim Fandango wie ein Olympia-Sprinter. Auch ist die Wegfindung, euphemistisch gesagt, gewöhnungsbedürftig: Meist ist der Ausgang der elf Kapitel durch ein "Exit" markiert, doch nicht immer ist das "Exit" auch der Ausgang. Öffnet der Spieler jedoch die falsche Türe, landet er unweigerlich im nächsten Kapitel. Für Menschen, die wie ich alles von der Spielwelt sehen wollen, ist das eher unschön.

The Old City: Leviathan hat durchaus vernünftige Ansätze, eine ungewöhnliche Spielwelt, eine vernünftige Grundstory. Aber mir kommt es so vor, als haben die Entwickler oft nicht weit genug gedacht und als hätten sie nur wenig Gedanken daran verschwendet, das Medium Spiel voll auszukosten. Schade also, dass die alte Stadt hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.


Wertung
Pro und Kontra
  • - Wunderschöne Landschaften
  • - Interessante Ausgangslage
  • - Philosophische Gedanken greifen zu kurz
  • - Mehr Text als Spiel
  • - Wanderung durch die Spielwelt ist belanglos
  • - Zu langsamer Charakter
  • - Problematische Wegfindung

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Weniger als 5 Stunden



Kommentare(3)
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