Grim Dawn - Diablo sollte sich warm anziehen

Huch! Was ist mir da grad zwischen Tastatur und Maus durch gehuscht?! Was, ein Hack-and-Slay-Spiel? Grim Dawn? Noch nie gehört... ach, das ist von...

von Black Baron am: 24.03.2016

Huch! Was ist mir da grad zwischen Tastatur und Maus durch gehuscht?! Was, ein Hack-and-Slay-Spiel? Grim Dawn? Noch nie gehört... ach, das ist von ehemaligen Titan-Quest-Entwicklern, die sich jetzt Crate Entertainment nennen? Hm, naja, dann könnte man's ja mal anschauen, von denen gab's schon länger nix mehr. Achso? Weil sie seit über 5 Jahren an diesem Spiel gewerkelt haben? Ach, das gab's schon vor ein paar Jahren im Early-Access... und Ende Februar ist es final erschienen. Dann müsste es ja auch recht ausgereift sein, oder? Na dann, mal auf ins Abenteuer...

Gottseinschrank hab ich genau das gemacht... wenn nicht, dann wär mir eines der besten Hack-and-Slay-Spiele (für jüngere Leser: ARPG) überhaupt entgangen! Doch Gemach, Gemach, ich sollte erstmal näher auf das Spiel eingehen, bevor ich weiter den Jubelperser in mir fabulieren lasse. Schließlich ereilt uns seit Diablo 3 wieder eine neue Welle an Hack-und-Schnitzel-Spielen, wie die Van-Helsing-Reihe oder auch das wohl exzellente, kostenlose und auch sehr komplexe Path of Exile. Große Konkurrenz also.

 

Die Maus-Kaputtmachspiele sind zurück


Also, was Grim Dawn ist, wurde schon geklärt, aber zur Sicherheit nochmal kurz und knapp: Grim Dawn ist ein Action-Rollenspiel mit isometrischer Perspektive und Fokus auf flotte Klicki-Klicki-Töt-Kämpfe, mitunter mit hohem Wuselfaktor. Wie Diablo und das schon erwähnte Titan Quest, ersteres ist definitiv das große Vorbild, letzteres der geistige - und auch technische - Vorläufer. Die Charaktererstellung ist denkbar simpel, man wählt einen männlichen oder weiblichen Charakter -den/die man als Hardcore-Charakter (nur ein Leben, also einmal tot immer tot) erstellen kann oder auch nicht-, entscheidet sich für einen Schwierigkeitsgrad und gibt einen Namen ein. Beim ersten Mal lässt sich nur Normal als Schwierigkeitsgrad wählen, die anderen Schwierigkeitsgrade müssen erst erspielt werden... aber netterweise hat der Entwickler für den normalen Schwierigkeitsgrad einen sogenannten "Veteranen"-Modus integriert, der für Spieler gedacht ist, die mit dem Spielgenre vertraut sind, und welcher neben einer etwas größeren Herausforderung auch leicht erhöhte Chancen auf gute Beute gewährt. Nach dem Spielstart folgt eine kurze Einleitung mittels einer eher zweckmäßig designten Introsequenz aus animierten, comichaften Bildern... eigentlich so ziemlich der einzige Aspekt, der eine Differenz im "Productionvalue" zum "Genre-Primus" Diablo 3 aufweist. Zurück zur Story: Man ist ein "Besessener", der von ein paar hartgesotten wirkenden Raubeinen gehängt werden soll... offenkundig sieht man im Spielecharakter eine große Bedrohung. Als das Urteil vollstreckt wird, bemerken die Henker jedoch, dass die besitzergreifende Präsenz kurz vor unserem Ableben den Körper verlässt und entflieht. Man rettet uns in letzter Sekunde und nennt uns von da an nicht mehr "Besessen" bzw. "Possessed", sondern den/die "Taken"... was in etwa das gleiche heißt, aber darauf anspielt, dass die besetzende Kraft weg ist... vielleicht nur vorerst, glauben manche.

 

Jeder will jeden töten


Anschließend startet man auch schon in seine ersten Aufgaben für die Überlebenden im ehemaligen Gefängnis "Devil's Crossing", die zunächst nicht über übliche Genrekost hinausgehen: Töte soundsoviele besessene Untote, besorge Artefakt sowieso. Moment, Überlebende? Ja, und zwar von einer Art Holocaust, den die Menschen eben als "Grim Dawn" bezeichnen. Was ist passiert? Zwei Mächte außerhalb Cairns - die Welt, in der wir uns bewegen - führen Krieg gegeneinander und wollen die Welt für sich einnehmen. Die einen werden Chthonians genannt, Dämonen, und die Aetherials, Energiewesen, die in der Lage sind von den Geschöpfen Cairns Besitz zu ergreifen... genau das, was mit unserem Recken passiert ist. Beide Parteien sind verfeindet, beide wollen Cairn erobern... und die Menschen sind die Leidtragenden. Denn die Aetherials können, wie schon erwähnt, Lebewesen besetzen und haben die Menschen auf Grund ihrer fortgeschrittenen Kultur, die an das 19. Jahrhundert erinnert, und wegen ihrer natürlichen Vielseitigkeit als Gefäße auserkoren. Die Chthonians wollen das unterbinden... indem sie die Menschen einfach vernichten und so die einfachste Methode gefunden haben, um die Aetherials effektiv ihrer Resourcen zu berauben, im sogenannten Grim Dawn. Da hilft es auch überhaupt nicht, dass es menschliche Paktierer auf beiden Seiten gibt, die sich treudoof für die Zwecke der jeweiligen Fraktion ausnutzen lassen. Unterm Strich heißt das also: Viel Arbeit für uns. Hoffentlich auch viel Spaß?

 

Jetzt wird in die Hände gespuckt...


Wir als quasi von den Aetherials Berührter tragen nun genretypisch einiges an Potential in uns, das wir im Spielverlauf ARPG-typisch durch Levelaufstiege und den damit verbundenen Attributs- und Talentverbesserungen abrufen. Sobald wir losstarten, sind wir aber genauso ein Handtuch, wie alle anderen Charaktere... auch unsere Klasse legen wir erst beim ersten Levelaufstieg fest und wählen sechs Klassen aus: Arcanist (selbsterklärend, ein Magier), Demolitionist (Sprengmeister mit magischen Fähigkeiten), Nightblade (Schurke), Occultist (eine Mischung aus Hexenmeister mit Flüchen und Nekromant/Beschwörer), Shaman (offensive Nahkämpfer mit Magiebegabung, die Tiere als Begleiter nutzen) und der gute alte Soldat... als Haudrauf im Nahkampf oder auch Fernkampf(bevorzugt jedoch ersteres), der viel wegstecken kann. Der Clou: Mit Level 10 (was ein bisschen früh ist meiner Ansicht nach) kann man eine zweite Klasse wählen... dadurch entsteht eine neue Mischklasse. Ich habe mich z.B. für einen Soldaten entschieden, den ich später mit dem Nightblade kombiniert habe, das Resultat: Ein sogenannter Blademaster. Dadurch kann man gezielt Talente beider Klassen kombinieren, was durchaus Potential hat... aber sich wohl erst auf höheren Stufen so richtig entfalten kann. Trotzdem ein netter Einfall, der der Charakterentwicklung zusätzliche Tiefe gibt... und es z.b. als Blademaster einem Soldaten ermöglicht auch zwei Einhandwaffen zu führen, wenn man das möchte.

 

In den Sternen liegt unsere Zukunft


Zusätzlich zu den Klassen mit ihren durchaus typischen aktiven wie passiven Kampffähigkeiten gibt es noch die Möglichkeit dem Charakter durch das Reinigen befleckter Schreine weiter Feinschliff zu geben. Jene Schreine finden sich Schwierigkeitsgrad-abhängig in der Spielwelt verteilt und geben jeweils einen sogenannten Devotion-Punkt. Dieser Punkt lässt sich einem von vielen Sternbildern zuordnen, welche pro Punkt bestimmte Boni gewähren. Ein komplettes Sternbild gewährt einen Sonderbonus, der entweder in einem spürbaren Wertebonus besteht oder ein "Huckepack-Talent" gewährt, welches sich einem vorhandenen Skill zuweisen lässt. Dadurch schaltet man mächtigere Sternbilder frei, da die Konstellationen auf insgesamt 5 verschiedenen Aspekten bzw. Pfaden aufbauen. Man muss also die Sternbilder ein wenig studieren, wenn man seinen Weg zu einem bestimmten Sternbild planen und dabei keine Punkte als Lückenfüller verballern möchte. Auf diese Weise kann man z.B. die Hauptattacke mit einem Zusatzangriff aufwerten, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ausgelöst wird, oder man wählt eine der Passivfähigkeiten (z.b. Auren) aus, um sie um eine Fähigkeit zu erweitern, die z.b. beim Unterschreiten eines bestimmten Lebenspunkte-Prozentsatzes ausgelöst wird. Solche Zusatzskills finden sich auch bei manchen hochwertigen Items, allerdings leveln die Sternbilder in 14 Ausbaustufen mit und bleiben auch beim Itemtausch erhalten. Und je komplexer und weiter vom Zentral-Bild weg liegend die Sternbilder sind, desto mächtiger und somit lockender sind die Boni. Zum Glück lassen sich sowohl Skillpunkte wie auch Devotions-Punkte bei einem bestimmten NPC in Devil's Crossing zurücksetzen... gegen Münzen, allerdings zu sehr moderaten Preisen. Ein Verskillen lässt sich also im Grunde problemlos wieder ausbügeln... und man kann viel experimentieren und die Skills an die Wunschausrüstung anpassen - genau wie auch umgekehrt. Dadurch gewährt Grim Dawn dem Spieler mehr Freiheiten, als die meisten Genre-Vertreter, ohne dafür mehr Fleißarbeit zu verlangen, als das Spiel an sich einfach zu spielen.

 

"My Inventory is full!"


Items sind ein weiterer wichtiger Punkt eines Spiels dieser Art: Wir kennen das seit Diablo, man wird mit Gegenständen geradezu beworfen, manche davon nützlich, das meiste davon trägt man aber eher zum Händler oder "Dismantler", ein NPC, der Gegenstände in wertvolle Crafting-Items zerlegen und/oder von uns eingesetzte Verbesserungen entnehmen kann, was Geld kostet und je nach gewählter Variante die Zerstörung des Gegenstandes oder der Verbesserung zur Folge hat. Somit muss man also entscheiden, ob man den Gegenstand weiter nutzen möchte und nur eine andere Verbesserung einsetzen will, oder ob die Verbesserung nicht eventuell doch wertvoller - weil selten - ist - durchaus im Rahmen des Möglichen. Später kann man die Verbesserungen auch zerstörungsfrei entnehmen, was jedoch kostspieliger ist. Gegenstände gibt es in der Welt von Cairn durch das Töten von Gegnern und das Öffnen von Behältern. Genretypisch werden sie in unterschiedliche Kategorien unterteilt, die ihre Qualität und somit ihre Nützlichkeit bestimmen:  über normale und magische Gegenstände, die zu anfangs noch nützlich sein können, bis zu seltenen und epischen Gegenständen, die mitunter mit mächtigen Boni und sogar Zusatzskills - wie denen der Sternbilder - aufwarten und somit besonders begehrenswert sein können, bis hin zu Gegenstand-Sets, deren Komplettierung Zusatzboni gewähren... wobei man im "Midlevel-Bereich", also vor der Höchststufe, eher Glück haben muss ein Set komplettieren und dann auch noch davon profitieren zu können... die Gefahr den Gegenständen "davon zu leveln" ist nämlich groß. Und dann gibt es auch noch sogenannte "Monster Infrequents", die knapp unter den epischen Gegenständen anzusiedeln sind. Man erhält sie von bestimmten Monstern, mit einem speziellen Design und besonders starken Stats, was sie durchaus nützlich machen kann. Als Krönung winkt die Jagd nach Legendarys, die nochmals ne ordentliche Schippe drauf legen und die besten Items darstellen. Alles in Allem sehr traditionelle Kost, die Grim Dawn hier liefert. Schön aber, dass die Entwickler trotzdem viel Fleiß betrieben und alles in allem das Ganze sehr sinnvoll ausbalanciert haben. Noch schöner: Man kann das UI so einstellen, dass gefundene Beute erst ab einer bestimmten Qualitätsstufe überhaupt angezeigt wird... nicht nur erspart man sich dadurch einen Bildschirm voller Itembezeichnungen, die man ohnehin ignorieren (wollen) würde, man kann diese Gegenstände dann auch nur überhaupt sehen und gar aufheben, wenn man die ALT-Taste gedrückt hält. Eine wunderbare und sehr sinnvolle Neuerung, die die Itemhatz stark vereinfacht und dem Spieler allzu schnell überfüllte Taschen erspart. Die Gegenstände haben außer einem Mindestlevel und - je nach Item-Art - ein oder zwei Attributswerte als Mindestvorraussetzung zum Anlegen, keine Klassen- oder Typ-Begrenzung... man kann also durchaus auch "unpassende" Gegenstände verwenden, falls man nichts besseres findet und man trotzdem die nötigen Attribute hat, auch wenn sie evtl. für die eigene Klasse nur bedingt nützlich sind. Das dürfte dem Mischklassen-System geschuldet sein, da hier ja auch plattentragende  Schwert-Schild-Zauberer oder robentragende Pistoleros mit Bombenarsenal möglich sind.

 

Arbeit zieht Arbeit nach sich


Das Crafting indes ist leider eher bemüht und fast zu kompliziert (wohlgemerkt nicht zu komplex), zumal man die sinnvollsten Rezepte wohl erst im hochstufigen Bereich finden dürfte... ich selbst habe mir nur testweise ein paar Gegenstände gecraftet und schnell gesehen, dass sie den Aufwand nicht wert waren. Neben Waffen und Rüstungen kann man auch Schmuckstücke herstellen, und auch verschiedene Tränke und mächtigere Runen zum Herstellen oder auch Aufwerten von Gegenständen... allerdings dürfte das erst im Endgame richtig interessant sein. Einzig sogenannte Relikte können von Anfang an durchaus sinnvoll sein, da sie mächtige Stats haben können und zusätzlich zu den üblichen Schmuck-Items wie Medaillons und Ringen weitere Feintuning-Möglichkeiten bieten und sich je nach Rezept miteinander kombinieren lassen und dadurch noch mächtigere Stücke ergeben. Allerdings verliert man sich hier schnell in einem Sammelsurium aus fitzeligen Kleinstgegenständen, die sich zu mächtigeren Gesamtvarianten kombinieren lassen und zum einen als Crafting-Zutat dienen, zum anderen bei Rüstungs- und Schmuckteilen und auch Waffen eingesetzt werden können, um bestimmte Stats zu verbessern und Sonderboni zu erlangen. Durchaus mächtiges Potential, allerdings sehr unübersichtlich, weil sie in duzentfachen Variationen vorhanden sind und somit schnell das Inventar füllen, wo sie sich zudem nicht nach den Gegenstandsarten, auf die sie anwendbar sind, sortieren lassen. Das führt dazu, dass man später lange Zeit mit der Maus jedes Teil absucht, um den Tooltipp zu studieren... und wenn man durch ist, hat man wieder vergessen, welches Teil da vorhin noch war, das man sich geistig vorgemerkt hat. Hier hilft nur, dass man eine interessante Zutat eben manuell aus dem Haufen rauspickt und separiert im Inventar platziert, um es sich auf diese Art quasi vorzumerken. Umständlich und bisweilen auch nervig. Teilweise lassen sich diese Zutaten gezielt in der Spielwelt "farmen", manche kann man aber nur beim Schmied herstellen lassen, weil sie aus mehreren niedrigstufigeren Zutaten kombiniert werden, wofür man dann auch das entsprechende Rezept benötigt. Diese lassen sich zum Teil bei manchen Händlern erwerben, manche erhält man von besiegten Gegnern oder aus Truhen, allerdings eher selten. Das Ganze ist an sich nur eine profanere und leider wie schon gesagt recht unübersichtliche Variante des Edelstein- und Runensystems der Diablo-Reihe. Trotzdem lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen, insbesondere Waffen lassen sich dadurch mit etwas Glück und der richtigen Kombination ganz gehörig aufwerten.

 

Denn zum Tot-Klicken sind sie da


Man sieht also: Das Charaktersystem ist vielseitig, durchaus komplex und im Gesamten recht motivierend, denn die genretypische Itemspirale funktioniert auch in Grim Dawn bestens. Die lange Entwicklungszeit hat sich also sehr gelohnt. Doch wie ist nun das Spiel selbst? Man fängt also als Nichts an und wird nach und nach zu einem effektgeladenen Monstermassen-Plätter. Dabei entwickelt Grim Dawn von Anfang an ein ähnlich fluffiges Spielgefühl, wie auch alle anderen guten Genrevertreter: Man attackiert, nutzt Spezialangriffe um z.B. Gegnermassen auszudünnen und zu kontrollieren. Und man nimmt auch mal die Beine in die Hand für einen taktischen Rückzug, was durchaus vorkommt. Dabei kann man auch geschickt die Levelgeometrie ausnutzen, um große Gegnerhorden z.B. ganz im spartanischen Stil durch Engstellen zu lenken und sie so weniger gefahrvoll auseinander zu nehmen. Bei besonderen Kämpfen und vor allem Dungeonbossen verhindern die Entwickler das zwar manchmal durch sich schließende Fallgitter und Tore, aber in dem Fall müssen ohnehin die Ausrüstung und die Charakterentwicklung, sowie die eigenen spielerischen Fähigkeiten, stimmen. Dabei bekommt man es mit einer recht vielseitigen Gegnerschar zu tun: Es gibt Untote Horden in verschiedensten Varianten, fehlgeleitete Dämonen-Anbeter, menschliche Verbrecherbanden, die sich die großen Möglichkeiten durch die zerschlagenen Imperiums-Truppen zu Nutze machen wollen, besessene Magier und Aetherial-Paktierer, Dämonen und natürlich auch die Fauna. Die KI - wenn sie denn so bezeichnet werden darf - ist wie üblich auf Verhaltensmuster beschränkt: Es gibt die tumben Drauflos-Stürmer, die den Spieler schnell bedrängen sollen, dann gibt es Fernkämpfer, die zusätzlich mit Bomben u.Ä. nerven können, feindliche Heiler, die sich gern im Gegner-Dickicht verstecken und möglichst flott ausgeschaltet werden sollten... und natürlich starke Bossgegner, die nicht nur mit fetter Beute locken, sondern oft auch über einzigartige Spezial-Attacken und Kombinationen diverser Schadensarten- und Resistenzen verfügen, und somit oft bestimmte Taktiken erfordern. Das eigene Leben indes wird durch eine interessante Mechanik geregelt, die zugleich traditionell wie modern wirkt: Jeder Charakter verfügt neben der roten Lebensleiste auch über eine sogenannte Konstitution, die der Lebensleiste als gold-transparenter Balken überlagert ist. Verliert man leben, muss man es nur ein paar Sekunden schaffen keinen weiteren Schaden abzubekommen, und der Lebensbalken füllt sich recht flott wieder auf. Dabei verliert man an Konstitution. Je mehr Konstitution man also hat, desto öfter und mehr Leben kann man so auch im Kampf regenerieren. Daneben gibt es noch den klassischen Heiltrank, der quasi als "Oh Shit!"-Button fungiert und das Leben schlagartig wiederherstellt... oft Kampfentscheidend bei Bossen. Konstitution hingegen lässt sich durch von Gegnern fallen gelassene oder in der Spielwelt verteilte Essensrationen wieder aufwerten. Zur Not kann man sich auch in Devil's Crossing bei einem Lagerkoch verköstigen lassen. Allerdings gibt es für gewöhnlich ausreichend Rationen in der Spielwelt.

 

Eine große weite Welt


Durch diese optische und spielerische Vielfalt fällt es nicht mal mehr so ins Gewicht, dass die Spielwelt einem festen Design folgt, also nicht aus zufallsgenerierten Leveln besteht. Wie auch beim Gegner-Design haben sich die Entwickler nämlich viel Mühe gegeben, damit man das auch sieht: die handgebaute Spielwelt ist recht schmuck und es macht durchaus viel Spaß Cairn bis in die letzten Winkel zu erkunden... nicht zuletzt, weil auch immer wieder versteckte Passagen mit besonderen Schätzen locken und sich auch der eine oder andere Elite-Gegner mit wertvoller Beute abseits der Wege finden lässt. Und auch wenn man es momentan vielleicht nicht mehr hören kann: Grim Dawn ist im Grunde ein Open-World-Spiel, da alle Teile zusammenhängen, fließend ineinander übergehen und im Gegensatz zu etwa der Diablo-Reihe nicht in "Akte" unterteilt sind. Dadurch fühlt sich die Spielwelt einen Tick glaubwürdiger an... sofern man das von einem Spiel mit Iso-Perspektive behaupten kann. Cairn lässt sich auf einer übersichtlichen Karte darstellen, entweder als Umgebungskarte, auf der Dungeon-Eingänge, Schreine, NPCs und andere Dinge in relativ näherer Umgebung eingeblendet werden, oder als übersichtliche Weltkarte, in der alle aktiven wie inaktiven und gefundene Schreine, sowie die einzelnen Regionen mit Namen verzeichnet sind. So hat man ein Gespür für die Größe der Welt und kann sich selbst besser verorten. Die Umgebungskarte lässt sich zusätzlich als Minimap in der rechten oberen Ecke des Bildrandes einblenden, damit man z.b. frühzeitig versperrte Wege erkennt. Das Schnellreisesystem ist besonders komfortabel und hilfreich: Wie bei Diablo gibt es in jedem größeren Gebiet und auch in manchen Dungeons ein Portal, hier Rift genannt. Zusätzlich kann der Spieler - wohl auf Grund der vormaligen Besessenheit des Spielecharakters - ein "persönliches" Rift öffnen... mit dem er aber anders als beim Townportal von Diablo, das immer in die gerade aktuelle Spielerbasis führt, zu jedem anderen Rift reisen kann. Das reduziert das Backtracking deutlich und macht es nur dann nötig weite Strecken erneut zu laufen, wenn man z.B. vergisst, ein persönliches Rift in regelmäßigen Abständen zu öffnen... quasi eine Art Quicksave. Dabei gibt es aber immer nur eines dieser Rifts... öffnet man ein solches also in einem Dungeon, sollte man beim Zurückreisen - z.B. wenn man Beute zu einem Händler getragen hat und zurück in den Dungeon möchte - den lokalen Rift nutzen... auch wenn man ein paar Meter dorthin laufen muss. Sonst ist der Rift im Dungeon weg und man muss idR lange Laufwege wieder dorthin zurücklegen. Also sinnvoll begrenzt und doch komfortabel.

 

Wer mit Wem?


Auch bei den Fraktionen hat sich Crate bemüht mehr in die Tiefe zu gehen: Zum einen gibt es ein Fraktionssystem, wie man es sonst aus Open-World- und vor allem MMO-RPGs kennt. Man erfüllt Aufträge für eine Fraktion und steigt in deren Gunst mittels Fraktionspunkte auf, und je nach Aktion kann das eine andere Fraktion erzürnen, was zu Gunstverlust führt. Tötet man z.B. für Devil's Crossing Mitglieder von Cronley's Gang, steigt man im Ansehen der einen und verliert Ansehen bei der anderen. Zum einen führt das dazu, dass man stufenweise in der Gunst aufsteigt und dadurch bei Fraktionshändlern spezielle Gegenstände freischaltet. Zum anderen führt die verfeindete Fraktion mit zunehmendem Grad der Ablehnung starke Monster ins Feld, die sonst bei "normaler" Feindseligkeit nicht auftauchen würden... und die geben wieder Rufpunkte und natürlich hochwertige Beute als Belohnung. Dabei ist das Fraktionssystem eher als interessantes Beiwerk zu betrachten... es gibt durchaus einzelne Gegenstände je nach Fraktion, für die es sich lohnen kann Ruf zu farmen. Zwingend nötig ist das aber nicht. Zumal man ab einem gewissen Punkt, wenn man alle Quests einer Fraktion durch hat - was schnell passiert - nur noch wenig Ruf über das Töten bestimmter Fraktionsfeinde erhält, oder über Kopfgeld-Quests. Von denen man aber pro Fraktion nur fünf pro Spielsitzung machen kann. Wer also hier gezielt farmen möchte, muss ggf. jedes mal nach fünf erfolgreichen Aufträgen ausloggen und wieder neu einloggen... in dem Fall sind dann auch alle bereits getöteten Gegner wieder in der Spielwelt. Trotzdem funktioniert das System ganz gut, ohne zu sehr in Grinding auszuarten.

 

Zeitlos und bewährt


Überhaupt stimmt die Technik bei Grim Dawn, obwohl es sich um das mittlerweile über 10 Jahre alte Engine-Gerüst von Titan Quest handelt... man sieht es dem Spiel nicht an! Die Effekte sind teils beeindruckend, die Animationen butterweich, die Texturen knackig scharf und die Level- und Objektgeometrie deutlich über Diablo-3-Niveau. Dadurch erzeugt Grim Dawn einen düsteren Look, wie ihn die meisten ARPG-Fans mögen, und welcher im Gegensatz zu Diablo 3 auch zeitgemäßer wirkt und weniger durch "Stil" punkten will, sondern durch einen klassisch-düsteren Fantasy-Look, wie man ihn von Diablo 1&2 kennt. Allerdings hat Grim Dawn dennoch einen eigenen Stil, der sich am Besten als leicht viktorianisch-gotisch bezeichnen lässt, auch wenn es in einem Wüstenabschnitt mit huttragenden Pistoleros als Gegnern einen Hauch Western gibt. Beim Ortswechsel sind die Ladezeiten dennoch recht kurz, trotz der großen Spielwelt, erst Recht mit einer SSD. Meist dauert es keine 5 Sekunden, bis man wieder loslegen kann... man muss von Glück reden, wenn man den Spieltipp des Ladebildes noch fertig lesen kann. Den Sound muss man als eher solide bezeichnen: Die Kampfeffekte sind toll und klingen je nachdem wuchtig/satt oder scharf und zischend, signalisieren auch bestimmte Effekte und geben ein ordentliches Feedback, allerdings ohne dabei besonders aufzufallen... viele Sounds meint man aus anderen Spielen zu kennen. Die Musik ist zwar gelungen, zumal manche Stücke eine deutliche Remineszenz an die großen Vorbilder sind, leider sind sie aber nicht situations- und ortsabhängig. Dadurch entsteht schnell ein Abnutzungseffekt, besonders bei längeren Spielsitzungen. Die Steuerung ist sehr gelungen, geht leicht von der Hand, und weil Crate-Entertainment darauf verzichtet haben einen Wust an Skills pro Klasse zu designen, bekommt man auch keinen Knoten in die Finger. Nur selten ist es mir passiert, dass ich in panischer "Todesangst" während eines Bosskampfes nicht auf Anhieb die richtige Taste für den Heiltrank fand und dabei Staub beißen musste. Dabei verhält sich die Steuerung im Kampf sogar ein wenig kontextsensitiv: mein Blademaster verfügt über eine Fern-Attacke mit kurzer Reichweite, die eine Schneise bis zum Ziel reißt und alle Gegner im Weg trifft. Wenn ich die allerdings auslöse, während sich ein Feind in Nahkampfreichweite unter meinem Mauszeiger befindet, wird automatisch die stärkere Nahkampfattacke ausgelöst und erst nach Ableben des Gegners die Fernattacke... sehr sinnvoll, gerade bei größerem Gewusel. Welches übrigens - freilich je nach Hardware und Konfiguration - sehr flüssig abläuft. Zwar schwankte auf meinem System (i5 2500K, 16GB RAM, GTX 980ti) die Framerate mitunter stark zwischen 80+ und manchmal nur 30-40 fps, aber das hängt stark von der Effektgewalt und der Anzahl der Gegner (wegen der dargestellten Geometrie) ab... sollte es mal deutlich zu langsam laufen, verlangsamt sich aber - zumindest wohl im Singleplayer - der Spielablauf, sodass es im Grunde nicht passieren kann, dass man auf Grund von Rucklern drauf geht. Das kennt man mittlerweile auch aus anderen ARPGs - soweit ich mich erinnere das erste mal in Titan Quest, wer hätte das gedacht.

 

Fazit und Meinung


Was lässt sich also abschließend über Grim Dawn sagen? Spielerisch ist es meiner Ansicht nach besser, als Diablo 3, auch wenn Letzteres von Blizzard sehr gut gepflegt und gehegt wird... die Charakterentwicklung von Grim Dawn ist aber von Beginn an vielseitiger und befriedigender, zumal nicht so stark auf Grinding angelegt (Stichwort Paragon-Level bei Diablo 3). Auch die Grafik gefällt mir besser, weil sie einen realistischeren und düstereren Look hat. Die Story reißt bei Leibe keine Bäume aus, aber es finden sich in der Spielwelt immer wieder Notizen, die der Welt Fleisch auf die Rippen geben, genau wie die verschiedenen Fraktionen, zwischen einigen muss man sich im Spielverlauf sogar entscheiden, was sich darauf niederschlägt, auf welche Gegenstände man Zugriff bekommt. Man muss zwar auf opulente Rendersequenzen, die eine klare Stärke von Diablo sind, verzichten, aber wenigstens entsteht so keine so große Diskrepanz zwischen dem Look von Zwischensequenzen und dem eigentlichen Spiel. Ich will den narrativen Wert der Diablo-Videos nicht herabwürdigen, vor allem die Sequenzen in Teil 2 und besonders Teil 3 sind toll und sehr cineastisch, aber Grim Dawn kommt auch wunderbar ohne aus... weil es wie gesagt in Sachen Gameplay genug Tiefe besitzt. Dabei könnte man böswillig behaupten Grim Dawn sei lediglich ein Diablo-Klon von vielen... ich sehe es eher so, dass Grim Dawn wie schon sein geistiger Vorläufer Titan Quest (immerhin quasi vom gleichen Entwickler) sich zwar die Diablo-Reihe als großes Vorbild nimmt, aber auch die Mühe macht viele Detailverbesserungen vorzunehmen und Macken im Design anders zu lösen. Anders als Diablo 3 beschränkt mich Grim Dawn nämlich nicht in der Auswahl meiner aktiv nutzbaren Skills, hat aber im Vergleich zu früheren Hack-And-Slays auch weniger Skills... die Talentbäume bieten mehr Verbesserungen für die Skills in verschiedenen Iterationen, wodurch sich ein Angriff mit rüstungsschwächenden Eigenschaften aufwerten lässt... oder auch nicht, wenn ich die Punkte lieber darin investieren möchte, dass mein Kampfschrei nicht nur die Angriffsfähigkeiten meiner Gegner schwächt, sondern sie, wenn sie "schwach" genug sind, auch kurz aus dem Kampf fliehen lässt. Für ein Indie-Spiel ist Grim Dawn jedenfalls ungemein hochwertig und sehr ausgereift... und das für einen geradezu lächerlichen Preis von derzeit 25 Euro bei Steam (auch DRM-frei bei GOG), angesichts des gebotenen Umfangs von rund 40-50 Stunden für einen ausführlichen Durchgang. Man merkt einfach, dass für die Entwickler eine zufriedene Spielerschaft im Vordergrund steht... wohingegen Blizzard bei Diablo 3 die Leute zu Beginn mit einem extrem knausrigen Loot-System ins Spieleigene Auktionshaus treiben wollte, um sich weiter an den Spielern zu bereichern, bevor die Altmeister aus ihrer Geldsucht allmählich wieder aufwachten, als ihnen die Spieler abzuhauen drohten. Nicht falsch verstehen, ich hab Diablo 3 und auch das Addon sehr gern gespielt, aber Grim Dawn ist meiner Ansicht nach zumindest vom Art-Design her und in spielmechanischer Hinsicht das Spiel, das Diablo 3 von Anfang an hätte sein sollen. Deshalb: Fans dieser Spiele sollten unbedingt zugreifen!

 

Aber ein Wort noch: Wer Grim Dawn ausprobieren will, sollte DRINGENST in den Netzwerkoptionen die Option "Cloud-Saving" deaktivieren... und zwar noch vor der Charaktererstellung. Denn diese Option führt sehr oft dazu, dass das Spiel während des Cloud-Zugriffs einfriert... was durchaus bis zu 10 Sekunden dauern kann. Dabei läuft das Spiel aber im Hintergrund praktisch weiter, es kann im Kampf also durchaus passieren, dass der Charakter sofort tot ist, wenn das Spiel weiter läuft. Speichert man hingegen lokal, tritt dieses Problem nicht mehr auf.


Wertung
Pro und Kontra
  • schicke Grafik mit scharfen Texturen und tollen Animationen
  • tolle und angemessen düstere Atmosphäre
  • guter Spielfluss mit einem flotten Spielgefühl
  • vielseitige Charakterentwicklung
  • motivierende Itemspirale
  • gute Lernkurve für Einsteiger
  • erstaunlich reichhaltige Hintergrundgeschichte
  • gute Musikstücke...
  • ...die sich aber leider zu häufig wiederholen und keinem Ort zugeordnet sind
  • unübersichtliches und bisweilen nutzloses Craftingsystem
  • schwache Präsentation der Story

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



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