Hoch hinaus, tief hinab: Ein Albtraum

Großstadt. Undefinierter Ort. Undefinierte Zeit. Die Sonne scheint. Ich gehe unbehelligt meines Wegs, weiß nicht woher ich komme, weiß nicht,...

von - Gast - am: 10.05.2016

Großstadt. Undefinierter Ort. Undefinierte Zeit. Die Sonne scheint. Ich gehe unbehelligt meines Wegs, weiß nicht woher ich komme, weiß nicht, wohin ich gehe. Plötzlich höre ich Schüsse. Schwere Schüsse. Automatisches Feuer. Ehe ich mich versehe, renne ich. Hinter mir brechen auf einmal S.W.A.T.-Soldaten aus den Gassen. Von Kopf bis Fuß in schwarz, mit schweren Maschinengewehren in ihren Händen. Sie wirken wie Sturmtruppen, nur noch unwirklicher. Ich weiß nicht, was ich getan habe, aber sie schießen. Ununterbrochen. Ich renne. Meine Flucht führt mich durch Gassen, über Plätze und in die U-Bahn, aber wohin ich auch laufe, die Soldaten sind längst dort. Und sie schießen. Einfach so. Ich kann ihnen nicht entkommen. Sie kommen aus allen Richtungen. Sie schießen.

 

Game Over, man! Game Over!

Und dann wache ich auf. Was ist passiert? Ich konzentriere mich. Da fällt mir ein, dass ich etwas ganz ähnliches erst am Abend zuvor erlebt habe. Nicht real, sondern in einem Videospiel. Ich habe einfach nur dieses ... einschneidende ... Erlebnis noch einmal im  Traum gesehen. Damit hat Mirror's Edge einen Platz in meiner persönlichen Hall of Fame verdient: Es ist das einzige Spiel, von dem ich je einen Albtraum bekommen habe! Die Vergangenheit des Entwicklers D.I.C.E. als Macher der Battlefield-Reihe könnte bei der Erklärung helfen. Denn in Mirror's Edge steckt weniger Jump 'n Run, als das Etikett vermuten lässt. Mehr als 50% des Spiels sind Action. Vielleicht irre ich mich auch, und es sind in Wirklichkeit viel weniger. Aber die Actionpassagen sind so stressig und frustierend, dass sie das ganze Spiel trüben.

Für das Szenario des Spiels - ein autoritärer Überwachungsstaat - ist es zwar logisch, dass ich als Systemfeind verfolgt werde, aber dieses Militäraufgebot geht zu weit. Die Entwickler haben kein Gefühl für die richtige Dosierung der Action. Ich stehe ständig unter Beschuss. Die Spielwelt fühlt sich weniger wie eine Stadt als wie ein Schlachtfeld an. Alle paar Sekunden muss ich vor irgendjemanden davon rennen. Hinter gefühlt jeder zweiten Tür lauert eine Klonarmee S.W.A.T.-Soldaten. Sie verhalten sich wie Roboter, wissen immer, wo ich bin, und treffen mich mit ihren MGs sogar noch auf Distanzen, die ich nicht einmal mit dem Präzesionsgewehr abdecken kann. In einem Level eröffnen die Beamten sogar das Feuer, ohne mich überhaupt gesehen zu haben. Ich mache einen Schritt, und sie versuchen, mich durch eine Wand hindurch zu erschießen. Wie soll ich das Spiel auf diese Weise ernst nehmen, geschweige denn genießen? Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Jump 'n Run spielen, sind aber bereits von der letzten Verfolgungsjagd genervt. Dann starten Sie den nächsten Level, und drei Sekunden später eröffnet schon wieder jemand das Feuer. Einfach so. Bin ich dann noch der einzige, dem der Spaß vergeht?

 



Es hilft natürlich nicht, dass ich nicht nur fliehen, sondern auch kämpfen muss. Ich will dazu gar nicht viele Worte verlieren, denn über das katastrophal schlechte Kampfsystem des Spiels haben Andere schon genug gelästert. Nur soviel sei gesagt: Prinzipiell muss ich niemanden töten. Es reicht, die Soldaten bewusstlos zu schlagen. Am Ende war ich jedoch so frustriert und genervt, dass ich trotzdem zum schweren MG gegriffen habe, obwohl ich Undertale als überzeugter Pazifist beendet habe.

Den entgültigen Abschuss geben aber nicht die S.W.A.T.-Beamten, sondern die fehlerträchtige Sprungsteuerung des Spiels. Das Konzept der Hüpf- und Klettereien ist prinzipiell kein schlechtes, ganz im Gegenteil. Es fühlt sich an wie ein Prince of Persia: Sands of Time aus der Egoperspektive. In seinen besten Momenten entsteht kurzzeitig ein wirklich guter Spielfluss. Der hält aber nur bis zum nächsten grundloßen Sturz in den Tod, der schon an der nächsten Ecke wartet. Die Geschicklichkeitspassagen sind nämlich reiner Trial & Error. Extremer Trial & Error sogar, denn manchmal habe ich nicht das Gefühl, dass gleiche Aktionen zu gleichen Ergebnissen führen. Zweimal der selbe Sprung: Einmal sterbe ich, einmal nicht. Das ist Error ohne Trial. Ich sterbe am laufenden Band, selbst an den trivialsten Dingen. Ich habe mindestens zehn Anläufe gebraucht, um im Tutorial über einen kleinen Stacheldraht zu springen. Von einem angenehmen Spielfluss kann also keine Rede mehr sein.

 



Hätte D.I.C.E. die Kollisionsabfrage nicht gar so pingelig gestaltet oder zumindest dem Prinzen auch noch den Dolch der Zeit gestohlen, wäre mein Bericht wesentlich positiver ausgefallen. So aber werden die guten Ansätze von Mirror's Edge unter tonnenweise Trial & Error und unendlichem Frust begraben. Ich verstehe nicht, warum die Presse den Titel damals so überragend positiv rezipiert hat. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass alle, die sich nicht 100% sicher sind, besonders frustresistent zu sein, einen großen Bogen um Mirror's Edge machen sollten.


Wertung
Pro und Kontra
  • Guter Ansatz
  • Egoperspektive erzeugt guten Spielfluss (zeitweise)
  • Stilsichere Grafik, die gut altert
  • Unglaublich frustrierend
  • Unpräzise Steuerung
  • Pingelige Kollisionsabfrage
  • Schlechtestes Kampfsystem aller Zeiten

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Weniger als 5 Stunden



Kommentare(3)
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