Nex Machina ist wie das Leben: zu Anfang noch sehr unübersichtlich, dann immer noch relativ chaotisch, aber wenigstens bunt; schließlich überblickt man das Chaos und lernt, die Zeit zu genießen. Der Twinstick-Shooter des finnischen Entwicklerstudios Housemarque aus dem Jahre 2017 ist möglicherweise einer der letzten seiner Art. Es ist der Schwanengesang eines altmodischen Genres, das seine größten Erfolge auf aus heutiger Sicht antiken Arcade-Automaten gefeiert hat. Es ist dabei ein widersprüchliches Spiel, das gerade seine überholten Eigenschaften zu einer Erfahrung machen, die heute relevanter kaum sein könnte. Denn das oberflächliche Chaos, das es uns bietet, entpuppt sich irgendwann – nach einiger Zeit und einigem Engagement – als perfekt inszeniertes Zusammenspiel aus audiovisuellem Bombast und lesbarem Spieldesign. Hier greifen Form und Funktion mustergültig ineinander.
Doch um was geht es bei Nex Machina? Mit einer Geschichte hält sich das Spiel gar nicht erst lange auf. Stattdessen schießt es unseren kleinen Avatar auf einem futuristischen Motorrad in Hochgeschwindigkeit direkt aufs Schlachtfeld. Was sich dann anschließt, benötigt auch keine Geschichte. Nex Machina lebt wie alte Jump’n’Runs von der Freude an der Bewegung und dem Beherrschen weniger Mechaniken: Mit dem linken Analogstick bewegen wir uns, mit dem rechten bestimmen wir die Richtung unseres Blasters. Blick- und Schussrichtung fallen ganz zusammen, eine gesonderte Taste zum Schießen ist gar nicht erst geplant. So schießen wir ununterbrochen – nämlich auf die in endlosen Wellen spawnenden Feinde und überall versteckten Geheimnisse. Dabei helfen uns verschiedene Fähigkeiten wie Verbesserungen der Primärwaffe, ein Dash, ein Schild und unterschiedliche Spezialwaffen. Am Ende lässt sich jedoch alles auf wenige Aktionen runterbrechen: Bewegung, schießen, dashen. Da es keine Geschichte gibt, stellt sich die Frage nach dem Warum kaum. Keine Narration treibt uns an und auch die „Sekundärziele“ – Menschen, die wir in jedem Level retten sollen – dienen wie alles in Nex Machina der Spielmechanik. Ihre Rettung erschwert das eigene Überleben nur noch mehr. Nein, in Nex Machina tun wir alles ausschließlich für den Fortschritt – den im Spiel und den der eigenen Leistung. Das Spiel spricht Tugenden vergangener Zeiten an. Es will, dass wir lernen. Dass wir bereit sind, uns zu verbessern. Es will, dass wir investieren. Wenn wir das tun, erkennen wir, dass hinter der bunt-chaotischen Oberfläche ein atemloses Ballett der Projektile und der Nanosekundenentscheidungen darauf wartet, verstanden und gemeistert zu werden.
Die vermeintlich größte Schwäche des Spiels wird damit zum Katalysator seiner Stärken. Nex Machina lässt sich in ca. 45 Minuten durchspielen – sofern man es beherrscht. Der Umfang ist mit sechs Welten, an deren Ende jeweils ein Boss wartet, nämlich einigermaßen überschaubar. Startet man auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad (wozu dringend geraten sei), ist schon nach fünf Welten Schluss. Bis man das Spiel zum ersten Mal beendet hat, vergehen aber einige Stunden, denn schon auf dem Einsteiger-Schwierigkeitsgrad verlangt einem das Spiel viel Reaktionsvermögen und Konzentration ab. Auf den höheren Schwierigkeitsgraden findet man sich in einer Hölle aus Projektilen und Gegnern wieder, die Bosse lassen einen wahren Regen an Geschossen auf uns los, die Spielgeschwindigkeit ist insgesamt deutlich erhöht und auch die Anzahl der Continues schwindet mit dem Erhöhen der Anforderungen.
Das alles mag abschreckend wirken; aber Nex Machina ist nicht unbedingt nur ein Spiel für Perfektionisten, sondern auch für solche, die es werden wollen. Es lebt von unserer Freude, den eigenen Fähigkeiten beim Wachsen zuzusehen. Dass es Highscorelisten (sogar Crossplatform) bietet, unterstreicht diese Eigenschaft mehr, als dass es uns Spieler zu Highscorejägern zum Selbstzweck umerzieht. Nex Machina will uns zu geduldigen Stickakrobaten machen und seine Mittel der Wahl sind ein Cocktail aus Farbrausch, pumpenden Beats (der Soundtrack ist erstklassig) und stilsicheren Voxelexplosionen. Bei alledem bleibt das Spiel nicht immer ganz ohne Frustmomente. So müssen nach dem Ableben einzelne Upgrades erst wieder aufgesammelt werden. Gelingt einem das nicht, ist das Upgrade hin und die Bosskämpfe bieten häufig keine Möglichkeit es zurückzuerlangen, was den Schwierigkeitsgrad der ohnehin fordernden Begegnungen weiter hochschraubt. Das Sterben, hat es den Anschein, will uns Nex Machina eben komplett abgewöhnen. Schaffen wir das, nehmen wir allerdings einiges an Spannung, Nervenkitzel und Erfolgserlebnissen mit. Vielleicht sind wir durch die Spielerfahrung sogar etwas mehr im Stande, uns vermeintlich chaotischen Herausforderungen zu stellen und irgendwann auch in der größten Hektik dieser Welt zu meditativer Ruhe zu finden.
tl;dr: Nex Machina ist ein brillantes Spiel und für alle geeignet, die bereit sind, in ein Videospiel Zeit zu investieren und dabei auch mal die Zähne zusammenzubeißen. Es belohnt dafür mit hervorragendem Design, schnellem präzisem Gameplay und irgendwann (hoffentlich) mit der Gewissheit, eine fordernde Aufgabe bewältigt zu haben. Nex Machina ist sein Geld wert.
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