Das beste Spiel überhaupt?

Im Weltall hört dich niemand schreien. Diese kleine werbeträchtige Floskel aus Hollywoods Marketingabteilung beschreibt sehr gut das Gefühl, wenn man sich...

von - Gast - am: 15.09.2010

Im Weltall hört dich niemand schreien. Diese kleine werbeträchtige Floskel aus Hollywoods Marketingabteilung beschreibt sehr gut das Gefühl, wenn man sich tödlichen Gefahren weit entfernt jeglicher Zivilisation ausgesetzt sieht. Das funktionierte schon in „Alien“ sehr gut, ebenso in „Event Horizon“ und sogar im zweiten großen Abschnitt von „2001“. Vermischt man Elemente der genannten Machwerke zusammen und gibt noch einen Happen Eigenständigkeit hinzu, beschreibt das schon mal die Richtung, in die „System Shock 2“ geht, ganz gut.

Die Qual der Wahl
################

Schon zu Anfang, nachdem wir die Trainingsstationen absolviert und die Steuerung erlernt haben, werden wir mit den Spielablauf entscheidenden Wahlmöglichkeiten konfrontiert. Wählen wir den Soldaten, Techniker oder lieber doch die Verbesserung unserer PSI-Kräfte? Danach geht es in die Ausbildung, in der wir gezielt Charakterpunkte verbessern. Dazu durchschreiten wir einen von drei Durchgängen, dessen Shuttle uns zum jeweiligen Ort der Ausbildung fliegt. Drei Jahre später ist es dann endlich soweit, und wir erreichen endlich unser eigentliches Ziel: die Von Braun, die als erstes überlichtschnelles Raumschiff zu ihrem Jungfernflug antritt.

So weit, so gut. Doch schon die nächste Aktion verheißt nichts Gutes. Wir werden aus dem Kälteschlaf gerissen, Bildfetzen zeigen verstörende Szenen von bedrohten Besatzungsmitgliedern. Schon stehen wir mutterseelenallein in der Kryokammer und werden so dann von Dr. Polito, einer Wissenschaftlerin, kontaktiert, die uns durch die Gänge lotst.
Das Spiel wirft uns also schnell ins kalte Wasser. Schnell kommt Hektik auf, als die Satelittenanlage abgesprengt wird und in unserer Nähe aufschlägt. Also heißt es rennen, bevor der Druck entwichen ist. Sofort wird der Spieler in das Geschehen mit hineingezogen, die ersten Leichen plastern unseren Weg, und mutierte Menschen erschießen Besatzungsmitglieder – zwar nüchtern präsentiert, aber spannend wie die Hölle.

Schnell lernen wir auch, dass das Spiel kein reiner Egoshooter ist, sondern auch einen wichtigen und komplexen RPG-Part verpasst bekam. Für das Genre war das durchaus neu, für die Reihe nicht mal so sehr, denn schon im Vorgänger war es wichtig, sein Inventar und die Charakterwerte sinnvoll einzusetzen. Mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet ist es scheinbar ein Leichtes, die ersten Gegner zu besiegen, aber das Spiel versteht es hervorragend, Umsichtigkeit und Planung vom Erfolg unseres Vorgehens abhängig zu machen. Wir sollten also die Karte nutzen, Emails und Logs anhören sowie das gesamte nutzbare Inventar, sofern möglich, zu durchstöbern. Dass erledigte Gegner keine Ruhepause bedeuten, verstärkt die Spannung um einiges, denn wir werden zur gesamten Spielzeit keine Ruhe finden. Haben wir Abschnitte von Gegnern gesäubert, sind etwas später wieder welche da – das mag im ersten Augenblick generisch wirken, ist aber dem Spiel sehr dienlich zur Unterstützung der Atmosphäre.

Verwaltungsaufwand
################

Wie viele Features Irrational Games hier eingefügt hat, erschließt sich dem Spieler nach und nach. Hier sammeln wir durchaus Zugangskarten, um die nächsten Bereiche zu erreichen, aber auch vieles abseits des Hauptfadens stellt uns das Spiel zur Verfügung. Dabei spielen auch unsere einzelnen Fähigkeiten eine entscheidende Rolle. Manche Kisten bedürfen eines bestimmten Hackerranges, Waffennutzung und gar Reparaturnötigkeiten können wir nur vollziehen, wenn wir die nötigen Fähigkeitspunkte dafür haben. Haben wir zum Beispiel keine Punkte für schwere Waffen investiert, sind wir eben auch unfähig, diese überhaupt zu benutzen. Dass dies mit unseren Veranlagungen zu tun hat, erschließt sich Neulingen erst mal überhaupt nicht. Hier mag ein kleiner Schwachpunkt des Spieles liegen, denn Anfänger fühlen sich dadurch schwer überfordert. Es bedarf hier also einer langwierigen Einarbeitung, und die wiederkehrenden Monster machen dieses Unterfangen um so schwieriger.
Wer aber die nötige Geduld mitbringt, dem erschließen sich bald die vielen spielerelevanten Features, die dem Spieler helfen – oder auch schaden.
Nicht nur die Monster sind eine permanente Bedrohung, auch die Von Braun selbst wäre nicht böse über unser Ableben. So müssen wir uns vorsehen, dass wir nicht in Kamerafallen laufen oder von Selbstschussanlagen durchlöchert werden. Xerxes, der Schiffscomputer, ist noch um einiges verwegener als „Mutter“ aus dem Alien-Film, denn der arbeitet nun für die „Masse“, eine biologische Form, die sich auf dem Schiff ausgebreitet hat und die Schuld für das Massensterben trägt.

Was weiter passiert ist, erfahren wir derweil durch die Logs und Emails, die auf dem gesamten Raumschiff verteilt sind. Hierdurch erschließen sich auch kleine Nebengeschichten, die auch vorherige Ereignisse gut durchleuchten. Es wird erzählt, wie die Von Braun die so genannten Anneliden auf das Schiff holte und die Besatzung allmählich veränderte. Auch hier wird noch ein Schippchen Spannung mit draufgelegt. Noch schlimmer: wechseln wir in den Inventarmodus, um unsere Ausrüstung zu modifizieren oder schlicht nur die Karte studieren, läuft die Zeit der Umgebung in Echtzeit weiter (zum Vergleich: In Deus Ex wird das Spiel pausiert). Wer also in dem Modus zu tun hat, sollte sich ein sehr ruhiges Eckchen aussuchen. Es ist mir nämlich nicht selten passiert, dass ich beim Reparieren meiner Waffen von einem Hybridenmonster überrascht worden bin. Schockmomente der besonderen Art.

Technik, die... begeistert
######################

Es dauert eine Weile, bis sich dem Spieler der Bezug zum ersten Teil so richtig erschließt. Die eigentliche Hauptfigur, die wahnsinnig gewordene KI Shodan (ich erspare mir aus Faulheit mal die Punktierungen), wird uns erst ab der Hälfte offenbart. Doch hat sie maßgeblichen Anteil an den Geschehnissen, und so reiht sich eine weitere, wichtige Komponente in den Handlungsstrang ein. Mehr möchte ich ab hier nicht verraten. Denn wer weiterspielt, dem werden einige Überraschungen präsentiert.

Kommen wir mal zum Leveldesign. Selten habe ich etwas derart Komplexes und sinnvoll Aufgebautes erleben dürfen. Es gibt mehrere Decks, die es zu erreichen gilt, dazwischen stehen aber auch etliche Aufgaben, die mit der Funktionalität der Umgebung in Verbindung stehen. Hier heißt es nicht nur Karten sammeln, die farblich eindeutig gekennzeichnet sind, sondern auch Aufgaben erledigen, die sich nach und nach, ebenfalls sich teils überraschend aufbauend, ergeben. Das sieht zuweilen sehr schön aus, wenn auch etwas matschig und auch unförmig. Die organischen Feinde sind in der Originalversion sehr kantig, genauso wie im Vorgänger „Dark Project“. Wem das nicht gefällt, der kann auch einige Mods ausprobieren, mit denen eine rege Fancommunity die Modelle der Hybriden oder Midwifes stark überarbeitet haben. Auch Texturen lassen sich so verschönern.

Wo die Grafik schon für das Jahr 1999 nicht mehr die frischeste gewesen war, macht der Sound fast alles wieder wett. Die Kulisse trägt zu einem großen Teil zur Entfaltung der Spannung bei. Es brummt, zischt und knattert an allen Ecken und Enden, und die klasse vertonten Monsterkommentare tun dazu ihr Übriges. Hier hat mir sogar die deutsche Version noch besser gefallen, denn die modifizierten Stimmen lassen so oder so dem Spieler das Blut in den Adern gefrieren. Bei der Musik kommt es zuweilen darauf an, in welchem Abschnitt wir uns befinden. In bestimmten Räumen setzt die jeweilige Musik ein, aber auch hier wurde darauf geachtet, welchen Abschnitt man wie musikalisch untermalt. Die Palette reicht hier von treibenden Drum & Bass-Rhythmen bis hin zu hässlichen Synthi-Tonfolgen.

Nachdem ich schon auf die Komplexität eingegangen war, wieviel es auch im Inventar zu tun gibt, muss ich aber auch sagen, wie intuitiv sich das steuern lässt. Hat man erst einmal die unsinnige Tastenbelegung verändert, reichen ein paar Griffe, um die beiden Modi im Wechsel leicht verwenden zu können. Das erfordert zwar selbstredend etwas Übung, aber nach einer guten Stunde beherrscht man dies wunderbar.

Nachhaltigkeit
############

Es dürfte nicht wundern, dass System Shock 2 eine Weile brauchte, um als wirklich bahnbrechend bezeichnet zu werden. Die Komplexität mit seinen RPG- und teils auch Adventure-Elementen war für die Jahrtausendwende wohl zu viel des Guten, denn in dieser Zeit entwickelten sich Shooter erst richtig weiter, nachdem „Half-Life“ das Genre auf völlig neue Wege geführt hatte. Also war SS 2 seiner Zeit um Längen voraus. Erst später zeigte sich das Potenzial des Spiels, wurde aber auch schnell durch die Änderung der Betriebssysteme unspielbar. Um so schöner, dass durch einige frei herunterladbare Hilfsprogramme und vor allem durch Windows 7 der Späthit wieder spielbar ist.

Warum ich so für das Spiel schwärme?, werdet Ihr Euch jetzt wohl fragen. Nun, noch lange vor „Dead Space“, „Bioshock“ oder „Doom 3“ zog es alle Register, um dem Spieler eines der intensivsten Spieleerlebnisse zu bescheren. Diese Mischung aus Cyberpunk, Science Fiction und Horror spielt sich wie eine interaktive „Alien“-Monsterhatz mit vielfältigen Aufgaben und tollem philosophisch angehauchtem Plot. Wage ich mich daran, es zu spielen, muss ich geradezu bereit sein, mich gegen ständig auftauchende Monsterwesen zu behaupten und dazu mein Köpfchen einzusetzen, um auch weiterzukommen. Hier nimmt mich das Spiel nicht an der Leine und zieht mich umher, das erfordert Aktionen. Und ja – ich muss wissen, d-d-dass mich im Weeeltall keiner-keiner schr-r-r-eien hööööört...


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(9)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.