Als Wolfgang Gäbler und Christina Oppermann 1989 in Karlsruhe ihr Unternehmen mit dem sperrigen Namen »Computerdiskettenvertrieb « gründen, hat in Deutschland kaum jemand Internet, und in den Läden stehen nur Spiele von großen Anbietern. Kleine Entwickler und Hobbyprogrammierer setzen dagegen auf das Shareware-Konzept: Einen Teil der Software gibt’s kostenlos, nach einer Probefrist muss der Rest bezahlt werden. Gäbler und Oppermann speichern solche Shareware auf Disketten und schicken Sie mit der Post durch die Republik, auf Katalogbestellung und gegen Gebühr. So beginnt die Geschichte von CDV. Der Diskettenversand ist für Gäbler eigentlich nur ein Nebenverdienst während seines Physikstudiums. Aber das Geschäftsmodell erweist sich als so erfolgreich, dass sich die Weiterführung lohnt. Weil CDVs Kundenkartei wächst und Mitte der 90er die CD als neues Medium auftaucht, lohnt sich bald einweiterer Geschäftszweig: der Vertrieb erotischer Bildersammlungen. Lange vor dem Aufkommen der Internetpornografie ist das ein lukrativer Markt. Schon in jenen Tagen zeichnet sich CDV durch eine Firmenphilosophie aus, die untrennbar mit dem Erfolg der Firma verbunden bleiben wird, aber auch mit ihren Fehltritten: Das kleine Unternehmen kennt keine Berührungsängste, nimmt alles ins Programm, was Potenzial besitzt. Das Portfolio erstreckt sich von Shareware über Sexbildchen bis hin zu Lernsoftware.
CDV profitierte wie kaum eine andere Firma davon, dass der Software-Markt der Neunziger etwas von einem Abenteuerspielplatz hatte, auf dem der Mutige hochklettern konnte. »Die Jahre 96 bis 98 waren die spannendste Zeit«, erinnert sich Claudia Rieflin, anfangs persönliche Assistentin des CDV-Chefs Wolfgang Gäbler, später Pressesprecherin des Unternehmens. Da ist CDV bereits einige Zeit als Publisher im Spielesektor aktiv, wieder mit einem glücklichen Händchen in einer vermeintlichen Nische: Die Firma hatte sich den Deutschland-Vertrieb der beiden id-Software-Shooter Doom und Doom 2 sowie von Duke Nukem 3D (1996) gesichert, die aus der Shareware-Ecke kamen und den Massenmarkt aufrollten. Der Duke katapultiert die Karlsruher schließlich ins Rampenlicht. Ist man zuvor oft als Shareware-Klitsche verschrien und nicht selten belächelt worden, macht CDV nun von sich reden. Und lotet nebenbei noch die Grenzen des Jugendschutzes aus: Alle drei Shooter werden in Deutschland bald nach Erscheinen indiziert.
Aufbruchsstimmung
Trotz des wachsenden Erfolgs ändert sich am Charakter der Firma zunächst wenig, das Arbeitsklima bleibt familiär, die Hierarchien flach. Die Mitarbeiter hängen an der Firma.
Allerdings hinkt die Professionalisierung der Geschäftsentwicklung hinterher, 1995 steckt die Pressearbeit bei CDV noch in Kinderschuhen. Als man dann beginnt, sich aktiv um Kontakte zu den Fachmedien zu kümmern, tut man es dafür umso intensiver. Ob IFA, ECTS, Frankfurter Buchmesse oder Cebit – die Karlsruher sind überall vertreten, wenn auch oft mit bescheidenen Mitteln. Auf der ersten E3 mit eigenem Stand, 1997, quetscht sich CDV in die letzte Ecke des Kellers. Um nicht ganz in der Masse zu versinken, schmuggeln die Mitarbeiter verbotenerweise eine Flasche mit Helium ins Messegebäude, um mit einem Ballon auf sich aufmerksam zu machen. Die unorthodoxe Arbeitsweise mit einem Hauch von Rebellion entspricht noch dem Lebensgefühl der Branche, in der Verträge schon mal mit einem Smiley unterschrieben werden. »Der Erfolg lag wohl daran, dass die Chemie stimmte zwischen den T-Shirt-Trägern von Epic Megagames, Apogee und CDV«, erinnert sich Claudia Rieflin. »Das waren kleine Garagenfirmen, irgendwelche Typen, die da in ihren ungewaschenen Klamotten saßen und deren Autos größer als ihre Büros waren. Das hat irgendwie gepasst. Es war ein bisschen anarchisch.«
Lula
Anarchisch geht es weiter. Hat sich CDV bis dato auf den Vertrieb von Erotiksoftware beschränkt, so tritt die Firma 1997 mit der in der Pornobranche angesiedelten Wirtschaftssimulation Wet: The Sexy Empire erstmals als Publisher auf.
Das Spiel begründet eine ganze Reihe von Titeln um die Klischeeblondine Lula, die um die Jahrhundertwende zu einer der Ikonen des deutschen Spielemarkts aufstieg. Dass man sich an die leicht anrüchige Thematik überhaupt herantraut, liegt an der Hartnäckigkeit des Firmengründers. Wolfgang Gäbler ist überzeugt vom Potenzial des Titels und boxt das Projekt durch – gegen die Sorgen mancher Kollegen, man könnte sich mit Wet ins Abseits manövrieren, ja lächerlich machen. Tatsächlich gibt es hämische Reaktionen. Andererseits schafft es CDVs virtuelles Busenwunder sogar in das Magazin Stern, in dem ein Redakteur Einblicke in seine Gefühlswelt bezüglich der Desktop-Schönheit gibt. Mit ihrer Freizügigkeit sorgt die Lula-Reihe darüber hinaus für internationale Publicity. Vor allem nordamerikanische Medien zeigen großes Interesse am spielerischen Tabubruch.
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