Seite 2: Barrierefreies Gaming - Spielen mit Behinderung

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Neue Controller, neue Möglichkeiten

Aber auch Konsoleros haben mit der neuen Konsolengeneration deutliche Verbesserungen erfahren. Im Zuge der Recherchen für diesen Report haben wir uns mit Steffen Meißner unterhalten, der seit fünfeinhalb Jahren von der Brust abwärts querschnittsgelähmt ist und zwar seine Arme voll bewegen kann, seine Finger aber nicht. Auch wenn ihn das Actionsegment mit Spielen wie Assassin's Creed vor teils unüberwindliche Steuerungshürden stellt, sind Rennspiele wie Forza 4 oder Mario Kart 8 durchaus spielbar.

Während viele über das Touchpad der Wii U schimpfen, ist es für Steffen Meißner ein Segen. Es macht ihm das Spielen deutlich einfacher. Während viele über das Touchpad der Wii U schimpfen, ist es für Steffen Meißner ein Segen. Es macht ihm das Spielen deutlich einfacher.

Wenn es um Barrierefreiheit geht, ist Nintendo für Steffen im Konsolensegment führend. Zwar haben sowohl Xbox One als auch PlayStation 4 neue, sensiblere Gamepads, die mit größeren, griffigeren Knöpfen einfacher zu bedienen sind. Nintendo trumpft aber durch die große Auswahl an Eingabegeräten auf. Neben der Wiimote, die mit einer Handschlaufe befestigt werden und so nicht herunterfallen kann, bringt vor allem das Touchpad der Wii U entscheidende Vorteile. Auch der Support durch Dritthersteller, die einfacher zu bedienende Controller anbieten, ist hier bedeutend größer.

Dafür, sagt Steffen, könne man bei Microsoft und Sony mehr in den Spielen selbst einstellen. Aber auch hier komme es hauptsächlich auf die Entwickler an, welche Optionen sie einbauen und welche nicht. Ob sie den Gorilla sehen. Auf seinem Youtube-Kanal, den Steffen unter seinem eigenen Namen betreibt, zeigt er, wie sich die Plattformen und deren Controller in ihrer Handhabung unterscheiden.

Waldspaziergänge und Kriegseinsätze

Am liebsten spielt Steffen mittlerweile aber auf dem Laptop. »Ich habe da sehr viel Zeit in Minecraft verbracht«, sagt er. »Auch in GTA: San Andreas, GTA 4, Burnout Paradise und vielen anderen Spielen. Wenn ich online zocke, fällt den anderen Spielern nie auf, dass ich querschnittsgelähmt bin. Wenn ich das dann erzähle, sind die Leute meist verblüfft. Sie glauben mir nicht.« Steffen spricht damit in einem Satz genau das an, was vielen Spielern den manchmal frustrierenden Umgang mit ihrer Behinderung erleichtert.

Die Twitcherin FedPoro hat keine Arme und spielt deswegen Leagues of Legends mit den Füßen. Die Twitcherin FedPoro hat keine Arme und spielt deswegen Leagues of Legends mit den Füßen.

Im Alltag sehen Fremde als Erstes Steffens Rollstuhl, in Forza seine Rundenzeiten. Und damit ist er nicht allein. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen exzessives Spielen eine krankhafte Realitätsflucht erzeugt, die Betroffene nur noch im digitalen Raum existieren lässt. Aber gerade für Menschen wie Steffen ist es nicht das Fantastische, das sie am Spielen reizt, sondern das für andere Alltägliche. Laufen, reiten, in einen Laden gehen, einkaufen.

Das sagt auch der 29-jährige GameStar-Leser Peer Harder: »Ich kann über manche Spielecharaktere zumindest zu gewissen Teilen eine Form von Bewegungsfreiheit nachempfinden. Zum Beispiel kann ich nur in Spielen erleben, wie es ist, selbstständig ein schnelles Auto zu fahren. Das ist einer der Gründe, weshalb ich äußerst dankbar bin, dass es dieses Medium gibt.« Peer leidet an einer Zerebralen Tetraparese, einer vollständigen Lähmung aller vier Extremitäten. Videospiele bedeuten für ihn Erlebnisse, die ihm anderweitig verwehrt geblieben wären.

Videospiele ermöglichen nicht nur die Flucht ins Fantastische: Ein Ausritt über Felder oder ein Besuch beim Händler reichen völlig aus. Videospiele ermöglichen nicht nur die Flucht ins Fantastische: Ein Ausritt über Felder oder ein Besuch beim Händler reichen völlig aus.

Und wenn es so »normale« Dinge sind wie Fußballspielen oder ein Waldspaziergang. Mit einem digitalen Avatar haben Menschen die Möglichkeit, nicht über ihre Behinderung definiert zu werden, sondern darüber, wie sie sich in einem Spiel schlagen. Ob sie die Welt retten oder die Gegner um sich herum plätten.

Ob sie gute Flottenkommandeure sind oder strategisch denken, ob sie Tore schießen oder einfach nur ziemlich geschickt im Umgang mit dem Gamepad sind. Und auch, wenn hier eigentlich die Gesellschaft mehr Verständnis aufbringen sollte: Für jemanden, der körperliche Alleinstellungsmerkmale nicht einfach ablegen kann, kann es sehr angenehm sein, von dem Ganzen sozusagen Urlaub zu nehmen.

In solchen Mindmaps sammelt Game Accessibility Tipps für Entwickler, die Barrieren abbauen wollen. In solchen Mindmaps sammelt Game Accessibility Tipps für Entwickler, die Barrieren abbauen wollen.

Game Accessibility
Das Projekt Game Accessibility beschäftigt sich mit dem Abbau von Barrieren in Spielen. Sandra Uhling, eine der Betreiberinnen der Website GameAccessibility.de, erklärt das Konzept wie folgt: »Computer- und Videospiele sind dann barrierearm, wenn sie von möglichst vielen Spielern - mit und ohne Behinderung - in der für sie üblichen Weise gespielt werden können.«

Die wachsende Bedeutung von Spielen im soziokulturellen Leben und das damit verbundene Wachstum der Zielgruppe machen einen Abbau von Barrieren und eine Auseinandersetzung mit dem Thema laut Uhling zur Pflicht für Entwickler. Auf ihrer Internetseite sammelt sie Informationen, Kontakte und Websites, die Entwicklern, Pflegepersonen, Interessierten und Betroffenen weiterhelfen.

Urlaub vom Alltag

Ob nun in einer Einzelspielerkampagne oder online: Spiele erlauben uns, für einen kurzen Moment in eine andere Realität abzutauchen und unseren Alltag zu vergessen. Viele Rollenspiele und MMOs ermöglichen es sogar, ein komplett anderer Mensch zu werden. Oder Elf. Oder Orc. Andere Spieler sehen in solchen Titeln nur das von uns, was wir ihnen zeigen wollen. Das kann, wie in Peers und Steffens Fällen, guttun. Manchmal kann es aber auch frustrieren.

Wenn unsere Leserin Tina Schwertner online Call of Duty oder Battlefield spielt, wird sie öfters aus dem Team geworfen, weil sie die Anweisungen der Teamleader nicht hören kann. Sie wurde taub geboren und verlässt sich beim Spielen vor allem auf optische Signale oder die Vibration des PlayStation-Controllers. Da Vibrationen über den PC nicht übertragen werden, ist der Rechner für sie selten eine Option.

In Multiplayer-Shootern wie Call of Duty kommt oft der Voicechat zum Einsatz – ein Problem für Gehörlose. In Multiplayer-Shootern wie Call of Duty kommt oft der Voicechat zum Einsatz – ein Problem für Gehörlose.

Die Konsole hat dafür einen anderen Nachteil: Nachrichten über den Controller einzugeben, ist während eines Matches viel zu umständlich, also verwenden die Spieler den Voicechat, den Tina nicht hören kann. So gehen Sprachbefehle an ihr vorbei, zum Ärger der Teamkameraden. Für Tina steht und fällt ein Match daher mit verständnisvollen und freundlichen Mitspielern. Wer aber schon mal in einem Multiplayer-Shooter den Voicechat eingeschaltet hat, weiß, dass Rücksichtnahme im Eifer des Gefechts eher Mangelware sind.

Portal 2 hat sogar die Piepser der Automaten untertitelt – hier können Gehörlose ohne Probleme der Geschichte folgen. Portal 2 hat sogar die Piepser der Automaten untertitelt – hier können Gehörlose ohne Probleme der Geschichte folgen.


Ab und an besucht Tina LAN-Partys speziell für Gehörlose, bei denen die Spieler untereinander mit Gebärden und Mimik kommunizieren. Abseits von Shootern treffe sie zudem auf viel Verständnis, sagt sie. Gerade Mehrspielermodi von Rollenspielen oder Action-Adventures haben ein ganz anderes Publikum. Sie lobt vor allem die Community des playstation-exklusiven Action-Adventures The Last of Us.

Das spielt sie übrigens besonders gern, da die Vibrationen des Controllers Stimmung transportieren, die ihr sonst verloren ginge. Ein treibendes Stakkato kann noch so gut platziert sein: Wenn Tina ihn nicht hören kann, geht die ganze Spannung den Bach runter. Das durch den Controller übertragene Herzklopfen jedoch erschafft in Verbindung mit Untertiteln für sie eine fühlbare Atmosphäre.

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