Call of Duty: Advanced Warfare - Dedicated Bullshit

Dedizierter Server ist nicht gleich dedizierter Server. Mit vagen PR-Versprechen führen die Macher von Call of Duty: Advanced Warfare die Käufer an der Nase herum – und beweisen so zum wiederholten Mal, warum man Spiele nicht vorbestellen sollte.

Plötzlich wird der Bildschirm schwarz. Die Host-Migration nervt uns dank Hybrid-Peer2Peer-Technik auch in Advanced Warfare. Plötzlich wird der Bildschirm schwarz. Die Host-Migration nervt uns dank Hybrid-Peer2Peer-Technik auch in Advanced Warfare.

Wenn Activision Blizzard im Frühjahr 2015 ankündigt, dass Emma Watson die Hauptrolle im nächsten Call of Duty übernimmt, bin ich skeptisch. Vielleicht meint der Publisher ja statt der britischen Berühmtheit doch nur eine zufällig gleichnamige Rübenbäuerin aus Sussex. Was man aber natürlich erst nach dem Release merkt, wenn schon genügend Spieler ihr sauer Erspartes rausgerückt haben.

Ich übertreibe? Gut, in Call of Duty: Advanced Warfare spielt tatsächlich der angekündigte Kevin Spacey mit und kein Kevin-Spacey-Double von der Resterampe. Bei anderen Ankündigungen nimmt's Activision allerdings nicht ganz so genau. Knapp einen Monat vor dem Release von Advanced Warfare verkündete Michael Condrey, der Mitbegründer des verantwortlichen Entwicklerstudios Sledgehammer Games, in einem Interview mit der australischen Spieleseite Stevivor: »Ja, wir werden Dedicated Server unterstützen.« Pünktlich zur Veröffentlichung des Spiels unterstrich er diese Aussage nochmal auf Reddit, als er die Frage nach dedizierten Servern mit einem simplen »Yes« beantwortete.

Direkt gelogen war das nicht, von der Wahrheit aber mindestens so weit entfernt wie die Schauspielerin von der Rübenbäuerin. Zwischen dem, was Spieler unter dem Begriff Dedicated Server verstehen, und dem, was letztlich geliefert wurde, liegen Welten - und mir kann niemand erzählen, dass Condrey das nicht wusste. Er hat es vielmehr bewusst verschleiert, weil er vorausgeahnt hat, dass sein Statement um die Welt gehen würde.

Johannes Rohe

Das erinnert mich an die vielbesungene »Uncut«-Version von Call of Duty: Modern Warfare 2. In der deutschen Version des Spiels führt das Erschießen von Zivilisten in der berüchtigten Mission »Kein Russisch« zum sofortigen Game Over. Die internationale Variante lässt dem Spieler hingegen völlige Handlungsfreiheit. Dennoch beharrte Activision auf der Aussage, Modern Warfare 2 sei in Deutschland nicht gekürzt und gab die Veränderung nur zwischen den Zeilen zu.

In beiden Fällen flüchteten sich die Verantwortlichen in Wortklauberei. Klare Statements wie: »Die deutsche Version von Modern Warfare 2 ist leicht angepasst«, oder: »Wir nutzen ein Hybrid-System aus Peer2Peer-Verbindungen und dedizierten Servern«, hätten zu einem Aufschrei geführt, den man im Vorfeld lieber vermeiden wollte. Auch wenn er hinterher natürlich trotzdem kam.

Technik von gestern

Okay, worum geht's also diesmal? Die in Advanced Warfare eingesetzte Hybrid-Lösung aus Dedicated Servern und Peer2Peer-Verbindungen (siehe Kasten) beschert uns massive Lags und ist ein Paradies für Cheater. Probleme, die schon seit langem bekannt sind. Dieselbe Technik kam schließlich schon bei Call of Duty: Ghosts zum Einsatz, das unter identischen Mängeln litt. Cheat-Hersteller sprechen sogar davon, man könne Hacks nahezu unverändert im neuen Spiel einsetzen.

Entwickler und Publisher spielten also bewusst mit unserer Hoffnung, endlich ein ungestörtes Multiplayer-Erlebnis zu genießen. Gleichzeitig wussten sie, dass ihnen die Spieler schon kurz nach dem Release auf die Schliche kommen würden. Das ist eiskalt kalkuliert.

Warum sind dedizierte Server so wichtig?
Von dedizierten Servern spricht man, wenn Mehrspielerpartien auf einem extra dafür abgestellten PC laufen, an dem selbst kein Spieler sitzt. Der Multiplayermodus der PC-Version von Advanced Warfare nutzt eine sogenannte Hybrid-Technik. Dabei werden manche Partien auf Activision-eigenen dedizierten Servern gehosted, andere auf dem PC eines Spielers (Peer2Peer).
Welche Technik in einem Match genutzt wird, hängt laut Activision Blizzard von der bestmöglichen Verbindung ab - selbst bestimmen kann man es nicht, zudem fehlt ein Serverbrowser. Die Konsolenversionen unterstützen ausschließlich Peer2Peer-Verbindungen. Das ist bedauerlich, klassische dedizierte Server haben nämlich gleich mehrere entscheidende Vorteile:

- Chancengleichheit: Weil die Daten aller Spieler auf einem Server koordiniert werden, herrscht Chancengleichheit. Im Peer2Peer-System genießt der Host, auf dessen Rechner alle Informationen zusammenlaufen, je nach eingesetztem System einen entscheidenden Vorteil von mehreren Millisekunden. Weil Spieler keinen Einfluss auf ihre Verbindungsqualität haben, versucht Advanced Warfare darüber hinaus, die Unterschiede künstlich auszugleichen. Diese sogenannte Lag-Kompensation ist aber fehlerhaft und sorgt etwa dafür, dass klare Treffervom Spiel nicht als solche registriert werden.
- Serverbrowser: Im Serverbrowser wählen Spieler einen Server ihrer Wahl. Sie können frei entscheiden, welchen Spielmodus und auf welcher Karte sie spielen möchten, sehen die aktuelle Spieleranzahl sowie die Verbindungsqualität zum Server.
- Schutz vor Cheatern: Administratoren können Cheater kicken und auf dem Server sperren. Wichtige Daten werden auf dem Server berechnet, nicht - wie beim Peer2Peer-System - auf dem PC des Spielers. Das macht Manipulationen deutlich schwieriger.

Als klar wurde, dass Advanced Warfare keine klassischen dedizierten Server nutzt, haben wir Activison selbstverständlich um eine Stellungnahme zu Michael Condreys Aussagen gebeten. Die Antwort war ein recht technisches Statement, das auch an andere Websites verschickt wurde:

»Advanced Warfare verwendet auf allen Plattformen Spielserver, die in Datencentern weltweit gehosted werden sowie Listen Server als Teil unseres Matchmaking-Systems. Unser Ziel ist es, zeit- und ortsunabhängig die bestmögliche Verbindung und die beste Spielerfahrung sicherzustellen. Unser Matchmaking-System nutzt auch Server in unseren Datencentern, die Multiplayer-Partien am PC hosten.«

Auffällig: Obwohl Activision betont, dass einige Mehrspielerpartien auf speziellen Servern gehosted werden, vermeidet man plötzlich die Bezeichnung dedizierte Server. Nachdem der Begriff vorher bedenkenlos verwendet wurde, rudert man nun, da die Fakten auf dem Tisch liegen, zurück.

The same procedure …

Praktisch seit dem ersten Einsatz der Peer2Peer-Technik in Modern Warfare 2 warten insbesondere PC-Spieler sehnsüchtig auf die Rückkehr »echter« dedizierter Server. Eine Hoffnung, die in der jüngeren Seriengeschichte nur Call of Duty: Black Ops ohne Einschränkungen erfüllte, die aber immer wieder durch missverständliche PR-Aussagen geschürt wurde.

Ein Beispiel: Auf der Gamescom 2013 kündigte Infinity Ward zur großen Überraschung von Fans und Medien dedizierte Server für Call of Duty: Ghosts an. Erst im darauffolgenden Oktober nahm dann der Studiochef Mark Rubin auf Twitlonger erstmals den Begriff »Hybrid-System« in den Mund.

Statt von Anfang an die Wahrheit zu sagen und in einen konstruktiven Dialog mit den Fans zu treten, wird so stumpf die Werbetrommel gerührt und erzählt, was die Käufer hören wollen, nur damit diese blind vorbestellen oder gleich am Veröffentlichungstag zuschlagen. Ein Schelm, wer da an Politiker und ihre Wahlversprechen denkt.

Call of Duty: Advanced Warfare - Multiplayer-Screenshots ansehen

Bei der Einführung des Hybrid-Systems haben für Activision meiner Ansicht nach nur zwei Aspekte eine Rolle gespielt: Flexibilität und Kosten. Wer mit einem Ranking System à la CoD auf dedizierte Server setzt, muss diese am Laufen halten, überwachen und mit Updates versorgen (siehe Battlefield 3 und Battlefield 4), auch wenn nur noch wenige Spieler online unterwegs sind - das geht ins Geld. Die Hybrid-Technik erlaubt hingegen eine problemlose Umstellung auf ein reines Peer2Peer-System, falls die Spielerzahlen sinken.

Es ist durchaus möglich, dass Activision Blizzard spätestens, wenn das nächste CoD in den Läden steht, den letzten dedizierten Advanced Warfare-Servern den Stecker zieht und komplett auf Peer2Peer umstellt. »Bis dahin ist auch Gras über die Sache gewachsen«, scheint das Marketing-Kalkül des Publishers zu lauten, »und wer beim Kauf noch zögert, den überzeugen bestimmt Kevin Spacey, Emma Watson oder sonstwer.«

Die Konsequenz aus kruden Aussagen und Halbwahrheiten kann nur lauten: keine Blindkäufe mehr, keine Vorbestellungen! Wer auf Tests und Erfahrungsberichte anderer Spieler wartet, erkennt die Katze im Sack - und kann sie dann ja immer noch kaufen, wenn er möchte.

Selbst wenn man mir beim nächsten Mal wieder irgendwas von dedizierten Servern erzählt, warte ich auf die ersten Tests. Und wenn Emma Watson dann tatsächlich mitspielt, kann ich immer noch das Portemonnaie zücken.

Call of Duty: Advanced Warfare - Die schlimmsten Dinge am Multiplayer-Modus Video starten 01:48 Call of Duty: Advanced Warfare - Die schlimmsten Dinge am Multiplayer-Modus

zu den Kommentaren (70)

Kommentare(70)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.