Nachdenken, statt Mitmachen - Teil des Problems

In den USA lässt sich die Unterhaltungsindustrie dieser Tage genau so in der Killerspiele-Debatte einseifen, wie hierzulande. Sind Videospiele also doch Teil des Problems?

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In den vergangenen Tagen war sie mal wieder da, die Gewaltdebatte. Nicht hier in Deutschland, sondern in den USA. Dort hat das Massaker an der Sandy Hook-Grundschule erneut dafür gesorgt, dass sich die Gesellschaft allerlei Fragen stellt, was die Ursachen solch sinnloser Gewalt angeht. Einer der ersten Vorschläge der Schusswaffenlobby: Gewalt in den Medien ist es, die den Täter dazu getrieben haben könnte, aus dem an sich harmlosen Sturmgewehr eine Mordwaffe zu machen. Ein Argument so logisch, dass sich US-Vizepräsident Joe Biden dazu entschloss, ein Treffen mit Vertretern der Spieleindustrie anzuberaumen. Erstaunlicherweise entschloss sich die Industrie anscheinend, dieser Einladung zu folgen.

Artikel von Krawall.de
Dieser Artikel ist ursprünglich auf unserer Schwester-Website Krawall.de erschienen. Wir veröffentlichen den Text mit freundlicher Genehmigung der Redaktion auch auf GameStar.de.

Der Autor
Marco Kämpf ist 37, verheiratet und empfindet einen irrationalen Stolz darauf, dass seine Tochter lieber "Street Fighter" und "Zelda: A Link to the Past" spielt, als irgendeine Tierarzt-Simulation. Natürlich würde er sie nicht "Dishonored" spielen lassen. Erstmal müsste sie nämlich "Thief" spielen, damit sie weiß, wie das wahre Meisterwerk aussieht.

Nun bin ich nicht gegen einen politischen Dialog. Hier in Deutschland konnten wir mitverfolgen, welche Fortschritte dadurch erzielt werden können. Vor Jahren hätte die Mehrzahl der CDU-Politiker wohl gerne noch vermeintliche Killerspieler in den Straßen niedergeritten. Im vergangenen Jahr wurde dann plötzlich »Crysis 2« - auch mit Stimmen von CDU-Abgeordneten - zum Spiel des Jahres gewählt. Gab natürlich jede Menge Geschrei, vermutlich aus der Bänkeregion 50+, aber es ist passiert.

Unser aller liebster Chefredakteur Andre Peschke ist selbst Mitglied in der Jury zu jenem Deutschen Computerspiele Preis. Auch er ist überzeugt davon, dass selbst die "gescheiterten" Debatten in den letzten vier Jahren ein Erfolg waren. Weil die Bedenkenträger in der Jury sich hier nicht mit zwei Steilvorlagen in einer Polit-Talkshow aus der Affäre ziehen konnten, sondern sich mit echten Experten auseinanderzusetzen hatten. Wer da nicht völlig versteift war in seiner Haltung, musste die eigene Meinung hinterfragen.

Trotzdem halte ich die Vorgänge der letzten Tage in den USA für ein absurdes Kasperltheater. Eine Diskussion über das immer weiter zunehmende Gewaltniveau in allen Medien? Ich hebe als Erster die Hand und sage: "Dafür!" Aber ein US-Vize-Präsident, der sich zum Thema "Wie können wir Fälle von Massenmord an Schulen künftig vermeiden?" mit der Spieleindustrie treffen will? Das Einzige, was noch dümmer ist, als diese Prämisse, ist die Tatsache, dass die Spieleindustrie sich auf diese Farce eingelassen hat.

Waffen gegen Tyrannen

'Den Kopf voller Videospiele und das Haus voller Waffen' - Titel wie diese kommen uns hier in Deutschland sehr bekannt vor. 'Den Kopf voller Videospiele und das Haus voller Waffen' - Titel wie diese kommen uns hier in Deutschland sehr bekannt vor.

Was ich dabei verstehen kann, ist die politische Seite. Die hat in den USA ein praktisch unüberwindbares Problem: Ihre Verfassung garantiert quasi den Waffenbesitz. Eine Vorschrift, die ursprünglich mal den gut gemeinten Sinn hatte, die Bürger der USA in die Lage zu versetzen, im Zweifel gegen ein oppressives Regime zu rebellieren. "Wenn die Menschen ihre Regierung fürchten, herrscht Tyrannei."

"Wenn aber die Regierung ihre Bürger fürchtet, herrscht Freiheit", soll Thomas Jefferson zum Thema gesagt haben. Würde heute jedoch der einzelne, aufrechte Amerikaner mit seiner M15 einem Kampfpanzer gegenübertreten, würden ihm vermutlich schnell die Grenzen dieses über 200 Jahre alten Ideals aufgezeigt. Trotzdem: Die Idee, dass Knarren Freiheit bedeuten, wird Amerikanern seit jeher von Kindesbeinen an eingetrichtert. Entsprechend kaufen die Leute dort auch schon seit Ewigkeiten Schusswaffen. Laut Schätzungen befinden sich bis zu 270 Millionen davon in zivilem Besitz. 270.000.000 Feuerwaffen!

So gerne wir also aus 6.000 Kilometern Entfernung schreien, sie sollen die Schießprügel endlich mal verbieten: die Sache ist echt kompliziert. Insbesondere für einen Politiker, der ja gerne wiedergewählt werden will. Joe Biden, den Vizepräsidenten, verstehe ich also. So eine Videospielekomission ist schnell und mit millionenfach weniger Geschrei eingerichtet. In ein paar Monaten kann man das dann im Sande verlaufen lassen - aus die Maus. Hat keinem wehgetan.

Vernachlässigte Verantwortung

Was ich nicht verstehe: Warum macht die Spieleindustrie bei diesem Mummenschanz mit? Kris Graft, der Chefredakteur der Entwickler-Webseite Gamasutra, hat die Idiotie dieses Vorgehens wunderbar auf den Punkt gebracht, als er schrieb: "Wenn du dich mit Joe Biden zum Thema 'Gun Control' triffst, dann sagst du damit aus, dass du Teil dieses Problems bist - und damit bist du Teil des Problems."

Joe Biden traf sich mit führenden Vertretern der Spielebranche, darunter auch EA-Boss John Riccitiello. Joe Biden traf sich mit führenden Vertretern der Spielebranche, darunter auch EA-Boss John Riccitiello.

Goldrichtig! Die Spieleindustrie hat in den langen Jahren der Gewaltdebatte verschiedene Stadien durchlaufen. Am Anfang stand das blinde Leugnen aller Verantwortung, das ich persönlich bisher am widerlichsten fand. Man verschanzte sich hinter dem Schutzschild, dass keinerlei negative Auswirkungen von Spielen bewiesen wären. Na klar, Schlauberger, weil die Wirkung von Medien aller Art auf den Menschen bis heute nur dürftig erforscht ist - einfach weil uns noch keine gute Methode eingefallen ist, wie das gehen soll. Immerhin sprechen statistische Vergleiche zwischen Ländern mit unterschiedlich freiem Zugang zu gewalttätigen Medien recht deutlich gegen einen starken Effekt. Dass trotzdem eine Industrie, die sich gern Etiketten wie "Massenmedium", "Kulturgut" oder "Kunst" anheftet, Verantwortungsbewusstsein demonstrieren muss- diese Einsicht hat sich bis heute nicht durchgesetzt. Daran ändert auch die Teilnahme am Treffen mit dem Vizepräsidenten nichts.

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