10 Jahre Half-Life 2 - Rise and Shine, Mr. Freeman

Half-Life 2 feiert Geburtstag! Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum erzählt Redaktions-Trainee Dimitry von seiner ersten nervenaufreibenden Begegnung mit Valves Shooter-Meilenstein und der damals noch jungfräulichen Vertriebsplattform Steam.

»Das darf doch nicht wahr sein!«, ruft mein 15-jähriges Ich, nachdem es seit Stunden versucht, das brandneue, lang erwartete Half-Life 2 zum Laufen zu bekommen. Und dabei bin ich perfekt vorbereitet: Im ersten Schritt habe ich meine Eltern mit guten Noten und vorbildlichem Verhalten davon überzeugt, dass man mir guten Gewissens ein Spiel für Erwachsene anvertrauen kann.

Ein monatelanger Sparplan hat mir dann ermöglicht, das Spiel zum Vollpreis mitsamt einer neuen Grafikkarte zu kaufen, alles ist exakt nach Anleitung verbaut - und trotzdem will mein Rechner einfach nicht funktionieren, weil mir der Anzeigetreiber andauernd abschmiert. Klar, solche Startprobleme sind nichts Besonderes, jeder hat sie mal erlebt. Aber sie sind ja auch nur der Anfang eines Leidensweges, der mich in den kommenden Wochen Blut, Schweiß und Tränen kosten wird.

Wo kaufen?
Half-Life 2 ist - natürlich - bei Steam erhältlich. Entweder als Einzelspiel oder in verschiedenen Paketen inklusive Episode 1 & 2, Team Fortress 2 und mehr.

In Ravenholm sind wir fast vollständig auf die Gravity Gun und die Hilfe des verrückten Priesters angewiesen. In Ravenholm sind wir fast vollständig auf die Gravity Gun und die Hilfe des verrückten Priesters angewiesen.

Anlaufschwierigkeiten

Ich renne prompt zum PC-Laden meiner Wahl, versuche dem Fachmann klarzumachen, dass er meinen Rechner so schnell wie möglich wieder an den Start bringen muss. Es geht schließlich um Half-Life 2. Zuhause stapeln sich alle Artikel aller Fachmagazine zum Thema; ich brenne darauf, wieder Gordon Freeman zu sein, die Source Engine auszuprobieren, und das muss er als PC-Geek doch verstehen. Als Antwort bekomme ich ein saarländisches: »A jo, do müsse mir mo gucke«. Ja, gucken Sie mal. Schnell.

In den darauffolgenden Tagen klingle ich häufig durch, frage, hake nach, merke aber bald, dass der Mitarbeiter problemlos ins Dschungelbuch passen könnte: Ruhe und Gemütlichkeit sind ihm wichtige Tugenden. Also sitze ich die Tage aus, während auf dem Schulhof (zumindest in meiner Wahrnehmung) jeder über nichts anderes redet. Denn Half-Life 2 ist damals eines jener Spiele, das selbst die coolen Kids haben wollen, unabhängig davon, ob sie sonst was mit dem Medium anfangen können. Und das ist so unfair.

Die Verfolgungsjagden mit dem Kampfhubschrauber sind eines der Highlights von Half-Life 2. Die Verfolgungsjagden mit dem Kampfhubschrauber sind eines der Highlights von Half-Life 2.

Schließlich bekenne ich mich öffentlich zu meiner Spieleleidenschaft, prophezeie seit Monaten, dass Ragdoll-Physik der wichtigste Schritt zum Gameplay der nächsten Generation ist, schwärme von der unfassbar realistischen Schwerkraft in Hitman 2 und Max Payne 2. Und dann erzählt mir irgendein Typ, der Doom nicht von Quake unterscheiden kann, dass die Gravity Gun mit ihren Möglichkeiten definitiv die Zukunft ist. Wie großartig man in Half-Life 2 Backsteine in Combine-Soldaten feuern kann, wie verblüffend realistisch Feinde umfallen, wenn man ihnen die Lichter ausknipst.

Er will gar nicht aufhören: Man liefert sich in einem Boot eine Verfolgungsjagd mit einem Kampfhubschrauber, kämpft wie im Film Starship Troopers gegen Killer-Insekten, befehligt Widerstandskämpfer in Schlachten gegen ein totalitäres Alien-Regime. Und das Beste: Im düsteren Ravenholm zerlegt man Zombies, indem man ihnen Sägeblätter um die Rübe feuert. Ich weise ihn mit metaphorisch tränendem Auge darauf hin, dass das keine Zombies sind, sondern von Headcrabs befallene Zivilisten. Er quittiert das mit einem fachmännischen »Häh?«, ich blicke seufzend auf die Uhr in der Hoffnung, dass der Tag endlich rumgeht.

Online-Aktivierung? Was ein Quatsch!

Und dann ist es endlich soweit. Ich komme zuhause an, meine Mutter hat den PC bereits abgeholt, die Geduldsprüfung ist bestanden. Hastig fahre ich den Rechner hoch, mir ist völlig gleich, weshalb er vorher Probleme hatte - Hauptsache, er läuft jetzt rund. Vorbei sind die Tage, in denen ich die Packung von meiner Couch aus angestarrt habe, endlich kann ich Half-Life 2 installieren. Dazu noch den ganzen Extrakram: DirectX, dann noch so ein Programm namens Steam, wird wohl eine Software wie GameSpy sein; alles Dinge, die ich wie gewohnt durchklicke, damit ich endlich spielen kann. Denke ich, und stolpere über die Online-Aktivierung.

Wer oder was hinter dem ominösen G-Man steckt, ist eines der größten Rätsel der Half-Life-Serie. Wer oder was hinter dem ominösen G-Man steckt, ist eines der größten Rätsel der Half-Life-Serie.

Online … das heißt, ich kann Half-Life 2 ohne Internet nicht spielen? Mein Blick schweift zum Anschreiben, das seit knapp zwei Tagen neben dem Monitor liegt: Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund von Wartungsarbeiten wird das Internet bis voraussichtlich - »Das darf doch nicht wahr sein!«, fluche ich zum zweiten Mal. Online-Aktivierung? Wer hat sich denn den Quatsch ausgedacht?! Ich studiere das Anschreiben, lese es wieder und wieder, drehe die Wörter, aber es führt kein Weg dran vorbei: Ich darf noch gut eine Woche auf Internet warten.

Ein atmosphärischer Meilenstein

Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil dieser Leidensweg der Grund für eine astronomisch hohe Erwartungshaltung ist, mit der mein 15-jähriges Ich - als das Internet dann endlich funktioniert - an Half-Life 2 herangeht. Ich habe mich so lange auf das Spiel gefreut, so lange meinen Schulkollegen beim Schwärmen zugehört, so oft die Zeitschriften gewälzt, dass ich fast schon die beste Spielerfahrung meines Lebens erwarte. Und dass Half-Life 2 diesem Anspruch zumindest in den ersten Spielstunden tatsächlich gerecht werden kann, ist für mich fast schon der alleinige Beweis, dass ich einen Meilenstein der Shooter-Geschichte auf dem Schirm habe.

Dass es gerade zu Beginn so punktet, liegt vor allem daran, dass Valve ein Meister im Erzeugen von Atmosphäre ist. Wo Black Mesa mich noch mit einem Querschnitt durch alle Areale, die ich später bereisen werde, ködern kann, packt mich City 17 emotional, indem es mich völlig wehrlos mit einer totalitären Macht konfrontiert. Hinter jeder Ecke sehe ich Combine-Soldaten, die Zivilisten misshandeln, für jeden Fehltritt meinerseits gibt's einen Schlag mit dem Knüppel.

Gleichzeitig wärmt sich mein Spielerherz an den vielen wiederkehrenden Elementen, auf die ich seit Jahren warte: Barney Calhoun, Held der Half-Life-Erweiterung Blue Shift, der H.E.V.-Anzug, die Brechstange. Was viele als plakativ bezeichnen, ist genau das, was ich mir als Fan von Gordon Freeman erhofft habe. Umso berauschender ist das Gefühl, als ich zum ersten Mal eine Pistole in der Hand halte, mich endlich gegen die Combine wehren kann.

Gerade durch das umfangreiche Einführungskapitel, in dem ich (abseits vom Aufheben einer Dose zur Belustigung der Wachen) nicht mehr als zuschauen kann, baut Valve so eine immense Spannung auf, dass ich es kaum erwarten kann, mit der Action loszulegen. Und hier greift wieder das, was ich als pubertierender Prophet von Physikeffekten schon lange propagiere: Das Spielgefühl ist so viel besser, weil ich dank Source-Engine die Aliens mit einem echten Gefühl von Wucht von den Vorsprüngen schießen kann. Die Gravity Gun setzt da als Spielerei eigentlich nur das I-Tüpfelchen drauf, zumindest für mich.

Packender Widerstand mit Unterbrechungen

Und hier liegt auch der Grund, warum mir Half-Life 2 nach dem Kampf gegen den Hubschrauber weit weniger Spaß gemacht hat als im ersten Drittel. Den Heli abstürzen zu sehen, der mich schon so oft genervt hat, ist der Höhepunkt dessen, was mir in City 17 am besten gefällt: der Widerstandskampf gegen die Combine. Alles was danach kommt - die Spielereien mit der Gravity Gun, der Überlebenskampf in Ravenholm, die Küstenabschnitte, in denen ich vor allem Insekten mit meinem Buggy über den Haufen fahre - ist für mich eher eine Ablenkung, auf die ich im Zweifelsfall verzichten kann.

Die geskripteten Ereignisse sind wesentlich filmreifer als noch im ersten Teil - gerade Robo-Hund Dog liefert spektakuläre Einlagen. Die geskripteten Ereignisse sind wesentlich filmreifer als noch im ersten Teil - gerade Robo-Hund Dog liefert spektakuläre Einlagen.

Fast schon verliere ich die Lust, doch dann setzen die Entwickler Gordons Kampf die dramaturgische Krone auf. Unter dem Motto »Folgt Freeman« bin ich plötzlich ein Rebellenführer, neben mir bewaffnen sich die einst unterdrückten Bürger, und ich trage dem Feind den Kampf vor die Haustür.

Für mich ist das der emotionale Höhepunkt von Half-Life 2, nachdem ich so viel Zeit damit verbracht habe, in der finsteren Welt einfach nur zu überleben. Dank der Source-Engine sehen die Figuren lebendiger aus als je zuvor, oft lade ich Spielstände neu, weil einer meiner Leute das Zeitliche gesegnet hat. Ich juble triumphierend, als der erste Combine-Kampfläufer aus den Latschen kippt. Aus dem stummen Physiker Gordon Freeman ist ein (immer noch stummer) Anführer geworden, den die Aliens zu Recht fürchten.

Eine emotionale Achterbahnfahrt

Vielleicht wird Half-Life 2 als Ganzes meinen damals astronomischen Erwartungen nicht gerecht. Möglicherweise ist das auch schlicht unmöglich. Aber gerade der Weg hin zu diesen übertriebenen Ansprüchen, die emotionale Achterbahnfahrt, ist eine Anekdote, die ich bis in die Gegenwart mit einem Lächeln in mir trage. Doch auch darüber hinaus verdient sich Half-Life 2 einen Platz in meiner persönlichen Ruhmeshalle, weil mir so viele Momente, so viele spannende Gefechte bis heute in Erinnerung bleiben.

Doch zurück zu meinem Teenager-Ich. Als ich an einem der darauffolgenden Tage meinen Schulkameraden von meinen atemberaubenden Erfahrungen mit dem Spiel erzählen will, erfahre ich am eigenen Leib, was ich Jahre später im Journalismus-Studium noch einmal lernen sollte: Wenn ein Thema durch ist, interessiert niemanden mehr, was man dazu zu sagen hat. Plötzlich reden die coolen Kids wieder über den ersten Alkohol, die erste Freundin, die erste Zigarette. Und meine Gaming-Kollegen sind längst bei einem neuen Spiel. An diesem Tag verfluche ich die Online-Aktivierung, weil sie mich Zeit gekostet hat, aber schöpfe gleichzeitig Hoffnung daraus, dass es sie zum Glück nur bei Half-Life 2 gibt. Und - da bin ich mir sicher - spätestens bis zum Erscheinen von Half-Life 3 in ein oder zwei Jahren wird sich Valve eines Besseren besinnen und den Steam-Kopierschutz wieder abschaffen.

Die Ameisenlöwen lassen sich mit speziellen Duftbeuteln sogar auf unsere Seite ziehen und auf Combine hetzen. Die Ameisenlöwen lassen sich mit speziellen Duftbeuteln sogar auf unsere Seite ziehen und auf Combine hetzen.

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