Still und unauffällig hockt der Indie-Titel Icey seit November letzten Jahres im Steam-Store. Ok, so einfach wollen wir uns rausreden, denn ein echter Geheimtipp ist Icey nicht. Das Spiel ist uns einfach in der herbstlichen Spieleflut abgesoffen, trotz mittlerweile Tausender euphorischer Steam-Reviews.
Nostra culpa, wie der Lateiner sagen würde - aber für Empfehlungen ist es bekanntlich nie zu spät. Die holen wir also hiermit nach: Holen Sie sich Icey, denn das irrwitzige Actionspiel wird Ihnen mit (Achtung Spoiler!) 83-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenso viel Spaß machen wie uns.
Vordergründige Action
Auch wenn es in diesem Fall vom Entwickler so beabsichtigt ist, kann Icey als Paradebeispiel dafür herhalten, wie sehr der erste Eindruck täuschen kann. Der erste Blick auf Icey zeigt nämlich schlicht einen flotten Actionprügler. Oder anders gesagt, ein Devil May Cry als Anime und in 2D.
Zumindest beginnt das Spiel so: Als titelgebendes blaues Roboter-Mädel verdreschen wir schwertschwingend allerlei unfreundliche mechanische Schergen. Icey reagiert so intuitiv und präzise, dass wir Kombos, Ausweich-Dashes und Finisher zu einem pfeilschnellen Schwert-Tanz aneinanderreihen. So hacken wir von einem Bildschirm zum nächsten Dutzende Roboter zu Klump und treffen in regelmäßigen Abständen auf kurzweilige, teils bildschirmfüllende Bosse.
Wer sowas mag, bekommt mit Icey ein überraschend griffiges, befriedigendes Actionspiel, das alle Noten des Genres beherrscht. Selbst Anfänger zaubern schnell beeindruckende Kombo-Ketten auf den Schirm, und wer die Feinheiten wie Konter-Attacken oder den immer hilfreichen Finisher mit automatischer Heilung verinnerlicht hat, brennt ein ziemlich spaßiges Action-Feuerwerk ab.
Gegen erkämpftes oder gefundenes Geld können wir Iceys Kombos oder Spezialangriffe verbessern. Ab und an warten dann noch recht simple Hüpf- oder besser gesagt Quickdash-Passagen durch einfache Minenfelder und der eine oder andere ruhige Moment vor einer besonders malerischen Kulisse. Stichwort malerisch: Mit ihrem detaillierten Manga-Stil könnt Icey direkt aus dem Anime-TV gehüpft sein. Die Welt ist super gezeichnet, die Animationen sind wunderbar flüssig und die Effekte krachen.
Zwar fällt uns recht bald eine gewisse Abwechslungsarmut bei der Gegnervielfalt auf, einzelne Umgebungen sind dröge, und es ist generell etwas zu leicht, besonders für Genrekenner. Aber bevor wir uns in Erbsenzählerei ergehen - all das ist nicht der Hauptgrund, warum man Icey spielen sollte.
Hintergründiger Humor
Kurioserweise hat Icey nämlich nicht nur mit Devil May Cry viel gemeinsam, sondern auch mit dem schrägen Indie-Hit The Stanley Parable. Auch in Icey plappert im Hintergrund ein eigenwilliger Erzähler, in diesem Fall der Entwickler selbst. Keine Angst, wir verraten damit nicht allzu viel, denn schon kurz nach dem zehnminütigen Tutorial nimmt Icey eine ziemlich abgefahrene Wendung. Wir haben gerade den ersten Boss zerlegt, als das Spiel scheinbar abstürzt und uns mit Fehlermeldungen bombardiert. Kurz danach werden wir in den Level zurückgeworfen, uns wird klar, dass wir dem Erzähler und seiner ziemlich linearen Story so gar nicht vertrauen können.
In ziemlich enthusiastischem Chinesisch (mit englischen Untertiteln, die englische Sprachausgabe entsteht noch) scheucht er uns die leuchtenden Pfeile entlang zum nächsten Story-Checkpoint. Frech wie wir sind, laufen wir bei der ersten Gelegenheit aber nicht in die gewünschte Richtung und siehe da, der Erzähler versteht die Welt nicht mehr. Schon können wir uns einiges anhören: Ob wir denn nicht die Welt retten wollen? Warum wir uns das Leben unnötig schwer machen? Warum wir in einem leeren Raum stehen bleiben? Oder ob uns das mit viel Liebe programmierte Spiel gar zu leicht ist?
Kurz gesagt: Icey ist auf den ersten Blick ein solides Hack&Slash, hat aber darüber eine genial-komische Meta-Ebene. Ausgehend von unserem Ungehorsam dem Erzähler gegenüber eröffnen wir uns zahlreiche surreale Momente. Etwa wenn wir plötzlich in einem Level stehen, der nur aus einer Skizze besteht, was der Erzähler peinlich berührt entschuldigt. Oder wenn er uns vorwirft, wir würden seine zehnjährige Arbeit an dem Titel nicht gebührend schätzen und im Anschluss noch über die Review-Kultur auf Steam herzieht.
Clevere Trickserei
Die meiste Zeit über veräppelt uns der Entwickler sogar nach Strich und Faden. Er beschimpft uns als »trophy-geilen« Pragmatiker, wirft uns in extra schwere Situationen, macht sich über unser Scheitern lustig oder empfiehlt uns, lieber einen entspannenden Karpfen-Simulator zu spielen (gibt es übrigens als Zen Koi Simulator wirklich!).
Mehr wollen wir an dieser Stelle nicht vorwegnehmen, denn Icey zieht einen Großteil seiner Faszination daraus, dass man selbst seine Geheimnisse und die wirkliche Geschichte hinter dem 08/15-Plot rund um einen Antagonisten namens Judas lüftet. Ignoriert man die Anweisungen des Erzählers, entdeckt man eine ausgefallene Geschichte rund um digitale Götter, gefälschte Entwickler-Mails und allerlei andere seltsame Vorgänge. Es gibt wenige Gründe, das nicht zu tun.
Ja, die Gegnervielfalt lässt zu wünschen übrig, stellenweise ist das Ding zu leicht, und kurz ist es obendrein. Aber erst durch mehrere, knapp zweistündige Durchläufe entdeckt man verschiedene Enden beziehungsweise einen befriedigenden, klärenden Twist des Ganzen. Und all die hintergründigen Ideen machen Icey zu einem der cleversten Actionspiele seit langem.
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