Bauer sucht Spiel - Warum Berufssimulationen so erfolgreich sind

In Deutschland boomt ein obskures PC-Genre: die Berufssimulation. Simpelspiele vom Landwirtschafts- bis zum Holzfäller-Simulator sind dürftig gestrickt, gehen aber trotzdem weg wie warme Semmeln. Warum? Und wer kauft die Spiele, die angeblich jeder doof findet?

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Unter erfahrenen Spielern rangiert der Landwirtschafts-Simulator in der Liste der persönlichen Abneigungen gemeinhin weit oben, gleich hinter »schwerer Ausnahmefehler« und wahrscheinlich noch vor »CDU-Alleinregierung«. Manche begegnen ihm schulterzuckend oder höhnisch, andere gar missgünstig, beinahe hasserfüllt. Und gerade sie müssen nun stark sein: Der Landwirtschafts-Simulator 2009 rangierte im vergangenen Jahr auf Platz 9 der meistverkauften PC-Spiele in Deutschland.

Die Bauern-Simulation ging nach Angaben des Herstellers Astragon hierzulande 250.000 mal über den Ladentisch. Das ist gut die doppelte Stückzahl eines Need for Speed: Shift, dreimal häufiger als Arma 2, das Vierfache von Mirror’s Edge und zehnmal mehr als Borderlands. Im Jahr 2009 haben ähnlich viele Deutsche den Landwirtschafts-Simulator gekauft wie GTA 4. Natürlich hinken derlei Vergleiche, weil sich unter anderem die Frage stellt, seit wann ein Titel auf dem Markt ist. Trotzdem sind es beeindruckende Zahlen, die beweisen: Irgendeine Art der Faszination muss dieses Agrarökonomen-Spiel trotz einer GameStar-Wertung von mageren 50 Punkten ausüben. Nur welche? Und auf wen?

Spielzeug für große Jungs

»Ich erfülle mir einen Kindheitstraum«, gesteht Michael Busch aus dem unterfränkischen Münnerstadt, einer der Käufer des Landwirtschafts-Simulators. Busch wollte als Dreikäsehoch eben nicht Feuerwehrmann, Lokführer oder Polizist werden, sondern Bauer.

Landwirtschafts-Simulator: Zu Beginn dürfen Sie nur ältere Fahrzeuge steuern, wie etwa diesen klapprigen Mähdrescher. Landwirtschafts-Simulator: Zu Beginn dürfen Sie nur ältere Fahrzeuge steuern, wie etwa diesen klapprigen Mähdrescher.

So wie dem heute 25-jährigen Gärtner geht es vielen Anhängern des Landwirtschafts-Simulators. Auch Manuel Adams (29), der auf halbem Weg zwischen Trier und Köln lebt, nennt den »Toys for Boys«-Faktor: Spielzeug für große Jungs. Ein nicht zu vernachlässigender Teil der Simulator-Käufer sind tatsächlich zudem reale Landwirte oder Menschen, deren Eltern einen bäuerlichen Betrieb führen. Diese Spieler leben oft ebenso etwas aus, was sie in der Realität nicht können: zum Beispiel stets modernste Maschinen zu nutzen und auf flächenmäßig deutlich umfangreicheren Feldern zu ackern.

»Wer träumt nicht davon, mal wirklich große Traktoren zu fahren?«, stellt Henning Schwanede aus Heilshorn bei Bremen eine für Landwirtschafts-Simulator-Jünger bedeutsame rhetorische Frage. Uns würden zwar sofort zwei, drei Leute einfallen, aber wichtig an der Aussage des 16-jährigen Bauernsohns ist vor allem das Stichwort »groß«. Wir haben viele Fans des Spiels befragt, und wie Marius Maute aus der Nähe von Sigmaringen schwärmte beinahe jeder davon, unter anderem »die größten Maschinen der Welt steuern zu dürfen«. Größe ist eben doch entscheidend.

Riesige Internet-Szene

Eine dritte Gruppe, die dem Landwirtschafts-Simulator frönt, ist die der Tüftler. Denn der Astragon-Titel ist enorm Mod-freundlich und entwickelt sich stetig weiter. Die Zielgruppe schätzt das sehr.

Der als Mod für den Landwirtschafts-Simulator erhältliche GTA-380-Geräteträger mit Knerveland CTC Grubber lässt Bauernherzen höher schlagen. Der als Mod für den Landwirtschafts-Simulator erhältliche GTA-380-Geräteträger mit Knerveland CTC Grubber lässt Bauernherzen höher schlagen.

Das Angebot reicht nicht nur vom Misthaufen im Besonderen bis zum Kalkmisthaufen im Speziellen, auf Internetseiten wie der LS-Mod-Schmiede finden sich etliche aufwändige, von Hobbyspielmachern kreierte Zusatzinhalte. Klaus Figge aus Twistetal in Nordhessen offenbart, dass er sich bei rund 60 Foren angemeldet hat, um stets informiert zu sein. Thomas Gieß und Michael Koch, die in Lübbenau bei Cottbus beziehungsweise Jettingen im Landkreis Böblingen wohnen, gefällt es besonders, dank der »Texas«-Mod auch mal einen US-Großbauern mimen zu dürfen, der Baumwolle erntet und presst oder Reis drischt. Andere geraten wegen des »Kaweco Tridem Güllefass«, einem »Air Cart Seeder« von John Deere mit Zwölf-Meter-Sähmaschine oder einem »Big Bud«-Monstertraktor aus dem Häuschen. Gerüchten zufolge würden einige für einen »Fendt GTA 380 Turbo«-Geräteträger sogar den Hamster ihrer kleinen Schwester verkaufen.

Selbst innerhalb der verschworenen Internetgemeinschaft sieht man den Landwirtschafts-Simulator in seiner nackten Verkaufsfassung kritisch. Das Rohprogramm sei inhaltlich dürr, so der Tenor, erst die Vielfalt an Mods mache ihn unverwechselbar. »Der Reiz ist, dass man aktiv ins Spiel eingreifen und sich seine eigene kleine Welt bauen kann«, erklärt der Wahl-Berliner Rincewind H. Stuart, der ursprünglich aus den Vereinigten Staaten stammt.

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