Back to Turkey - Hot N Cold

Von belerad · 4. Mai 2023 · ·
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  1. Nach dem milden Wetter in Georgien, dachte ich, den Winter der südlichen Länder schon hinter mir zu haben, aber da hatte ich mich scheinbar getäuscht.

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    Zurück in der Türkei


    Wie am letzten Tag in Georgien schon befürchtet, war es extrem problematisch, einen Zeltplatz nach dem Grenzübergang zu finden. Nördlich der Straße befand sich das schwarze Meer, mit einer sehr groben Steinküste, die alles andere als einen bequemen Eindruck machte und auf der südlichen Seite ging es steil bergauf, so dass kein Platz für das Zelt war. Der Platz, den ich mir letztendlich ausgesucht hatte, war schließlich das kleinste Übel das sich finden ließ. Am Ufer, direkt zwischen Felsstrand und Autobahn, kurz nach einer Strandhütte, gab es einen kleinen Grünstreifen, der zwar ebenfalls nur Moos und Gräser auf Steinen, aber immer noch besser als der Rest.

    Nach einer sehr beschissenen Nacht und gerade beim Frühstücken bekam ich Besuch aus der Strandhütte. Ich hätte mir selbst eine reinhauen können. Der Besitzer war Host für Couchsurfing und Warmshowers (ähnlich Couchsurfing, jedoch speziell für Radreisende) und lebte in dieser Hütte. Hätte ich mir am Tag zuvor nur kurz die Mühe gemacht, danach zu schauen, oder mal Hallo zu sagen, hätte ich eine weitaus bequemere Nacht gehabt. Dennoch wurde ich von ihm zum erweiterten Frühstück eingeladen und zumindest das hab ich genossen.


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    In dieser Nacht war es auch zu dem großen Erdbeben in der Türkei gekommen und als wir gerade gemeinsam beim Tee saßen, kam es groß in den Nachrichten. Aufgrund einiger Kommunikationsprobleme verstand ich meinen Gastgeber falsch, so dass ich von 10 Toten ausging. Das wirkliche Ausmaß wurde mir erst später in Trabzon bewusst, wo ich auch gleich viele meiner türkischen Freunde, die ich während und vor der Reise kennenlernen durfte, angerufen und nachgefragt habe, ob denn alles in Ordnung sei. Die meisten, die ich anrief, hatten zumindest einen Verwandten oder Bekannten, der vom Erdbeben betroffen waren. Sei es der Verlust von Obdach, Gesundheit oder gar Schlimmeres gewesen.

    Der Weg nach Trabzon war dann noch eine richtige Qual, denn das Wetter wollte mich einfach nicht vorankommen lassen. Es regnete in Sturzbächen und auch der Gegenwind war extrem, so dass ich gehend wahrscheinlich schneller gewesen wäre als radelnd. Aber ich kam, wenn viel später als geplant an, und genehmigte mir erst einmal eine Nacht im günstigsten Hotel Trabzons. Am nächsten Tag war die iranische Botschaft geschlossen und so bummelte ich etwas durch die Stadt und verbrachte den restlichen Nachmittag mit "Biotech", dem neuen RimWorld Addon.

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    Es flockt wieder

    Nachdem ich am nächsten Morgen mein Visum in der Tasche hatte, ging es weiter, mit dem nächsten Ziel Erzincan, wo ich endlich das Rad fixen lassen wollte. Es ging auch wieder richtig gut los, bei bestem Wetter, blauem Himmel und Sonnenschein. Dafür hieß es aber auch, von Meereshöhe aus hoch auf 2.000m zu kommen.
    Bis Mittag hielt sich das Wetter auch, aber der Winter holte mich schnell ein und es wurde immer kälter. Als ich gerade gut die Hälfte der Höhe hinter mir hatte, wurde ich in Dikkaya zum Essen eingeladen. Das hat mir nochmal richtig Kraft gegeben, aber nach weiteren 500hm war Schluss. Nicht nur die Temperatur stürzte immer tiefer, sondern auch der Himmel zog sich immer weiter zu und ich ahnte schon Schlimmes. Wieder einmal baute ich mein Zelt direkt neben der Straße auf und kaum war es gestanden, begann es auch schon zu schneien.

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    Zum Glück hielt sich das Wetter nicht lange und am nächsten Tag schien die Sonne wieder in vollster Pracht, auch wenn es ab dem Zeitpunkt nach dem Pass auch nicht mehr warm werden sollte, eher das Gegenteil.

    Nachdem mir bei der Abfahrt in das nächste Tal vom Fahrtwind beinahe die Finger abgefroren sind, bekam ich eine Nachricht von Mert. Er schafft es nicht rechtzeitig nach Erzincan und braucht noch ein oder zwei Tage länger. Deshalb entschied ich mich kurzerhand dafür, noch bis nach Bayburt weiter Richtung Osten zu fahren. Ich hatte mir eigentlich nichts dabei gedacht. Dass es sich dabei um die kälteste Region der Türkei halten soll, erfuhr ich erst in der Stadt selbst.

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    Im Gefrierschrank angekommen

    Wie mir schon bei meiner ersten Reise durch die Türkei, einige Monate zuvor bewusst wurde, liegt der Osten der Türkei auf einem sehr hohen Plateau. So lag die Region und Stadt Bayburt auf 1.600m. Das führte schon mal dazu, dass ich tagsüber schon an die -10°C hatte und es nachts natürlich nicht besser wurde. Und wie es immer so ist, wenn man richtig kalte Finger hat und am liebsten die Handschuhe nicht ausziehen möchte, muss man feinere Arbeiten verrichten. Meine Bremsbeläge am Vorderrad waren so abgefahren, dass es keinen nennenswerten Kontakt mehr zur Felge gab, was natürlich bedeutet, ohne Handschuhe mit kaltem Metall zu arbeiten - echt toll!

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    Während die -10C in der Sonne noch relativ angenehm waren, war es erst so richtig schlimm, als sie hinter den Bergen am Horizont verschwunden ist. Zum Glück hatte ich zu dem Zeitpunkt schon einen leckeren heißen Eintopf fertig, der zusammen mit ein paar Schlücken Chacha aus Georgien wieder Wärme in den Körper brachte.
    Die Nacht war dann aber dennoch ziemlich unangenehm, als die Temperatur auf -20°C sank. Ich hatte bis auf die Jacke alles an Winterklamotten an und der Körper selbst war nicht zu kalt, aber ich hatte die ganze Nacht das Gefühl, meine Füße sterben ab.

    Sobald man aber wieder auf dem Rad sitzt, wird einem wieder warm und in Bayburt machte ich dann noch eine Besichtigungstour, hoch auf die Burgruine und gönnte mir später einen leckeren Döner. Hier erfuhr ich dann auch, dass hier die kälteste Region ist und man sagte mir, dass es eine verdammt dumme Idee sein, der Bergpass über Otlukbeli, nach Erzincan zu fahren. Aber ich ließ mich natürlich nicht bereden, denn schließlich hatte ich -20°C schon hinter mir und gut überstanden und noch weniger hatte ich Lust, umzukehren oder gar auf einer der Hauptstraßen zu fahren.

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    Bei Demirözü angekommen, dämmerte es schon langsam und mit dem ganzen tiefen Schnee abseits der Straße fand ich keinen Platz für das Zelt. Durch Glück im Unglück fand ich aber dennoch einen Zeltplatz. Direkt am gleichnamigen Stausee stand eine Rohbau, in dem ich das Zelt aufbaute. Zwar von Wind und Schnee geschützt, zog der See ordentlich Kälte an. So hatte ich diese Nacht meinen persönlichen Temperaturrekord von -26°C aufgestellt. Dieses Mal hatte ich aber keine kalten Füße, denn man lernt ja dazu. Meine Jacke habe ich zum Schlafengehen um die Füße gewickelt und das war ausreichend. Dennoch war mit dieser Temperatur die Grenze meiner Ausrüstung erreicht und ich möchte es definitiv nicht kälter haben als in dieser Nacht.

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    Türkische Gastfreundschaft

    Als ich gerade durch Bespinar fuhr, wurde ich mal wieder zu einem leckeren Frühstück eingeladen. Die Menschen in dem kleinen Dorf waren völlig ungläubig, nicht nur, dass ich bei den Temperaturen mit dem Rad unterwegs bin und draußen zelte, sondern dass mich mein Weg weiter, auf der Landstraße über den Pass nach Otlukbeli führt. Man versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich mit dem Rad da nicht hochkomme. Es sei zu steil, zu kalt und es liegt zu viel Schnee. Aber ich hatte die Schnauze voll davon, mir sagen zu lassen, was geht und was nicht. Also bin ich dennoch gefahren.

    Ich habe es nicht bereut. Zwar war es stellenweise sehr steil, musste häufig wegen Schnee und Eis schieben und noch häufiger Fluchen, aber es war trotzdem die richtige Entscheidung gewesen. Nicht nur war die Landschaft wunderschön, sondern in Otlukbeli wurde ich schon wieder Zeuge der türkischen Gastfreundschaft. Ich wurde zum Abendessen eingeladen, bekam einen warmen Platz zum Schlafen, wurde am nächsten Morgen zum Frühstück eingeladen und sogar für die Hürriyet interviewt (auch wenn die aus 10.000km 5.000km gemacht haben).

    (https://www.hurriyet.com.tr/gundem/...ometre-pedal-cevirip-erzincana-geldi-42231354)

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    Aber dennoch war es wieder das gleiche Thema. Gerade noch bin ich den Pass mit 2.100hm nach Otlukbeli gefahren, wollte man mich wieder dazu überreden, den nächsten Pass nicht mehr zu fahren. Meine Route sollte mich eigentlich nach Cayirli und von dort nach Westen über den 2.40m Pass nach Erzincan führen. Wieder einmal durfte ich mir anhören, zu steil, zu kalt, zu glatt, zu viel Schnee und so weiter und wieder einmal wollte ich nicht hören.
    Bis nach Cayirli ging es erst einmal wieder ganz gemütlich runter auf 1.500m und anschließend auf die lange Passstraße. Ich bin an dem Tag dann noch auf 2.200m gekommen, als ich endlich einen schönen Platz fürs Zelt gefunden habe. Etwas abseits der Straße war eine windgeschützte flache Stelle zwischen zwei Bergen, an der auch kein Schnee lag. Ich war gerade dabei, mein Rad durch den Schnee zu schieben, um dort hinzukommen, als die Gendarmerie anhielt und mich wieder auf die Straße zurück holte. “Zelten ist zu gefährlich” war die Aussage, denn es wird zu kalt. Auch mit den Bildern die ich hatte und gutem Zureden, dass mir die Kälte nichts ausmacht, war nichts zu machen und ich musste umkehren. Die Beamten nahmen noch Bilder und Handynummer von mir auf und das war es dann.

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    Ziemlich frustriert machte ich mich also auf den Rückweg nach Cayirli, während die Sonne schon im Begriff war unter zu gehen. Schlimmer war, dass ich wusste, dass es keinen Platz auf dem ganzen Weg gab, wo ich Zelten könnte und so wollte ich schauen, ob ich eine Pension oder ein Hotel in der Kleinstadt finden kann. Aber es kam mal wieder anders als ich dachte und die Gendarmerie hat mitgedacht. Gerade als ich an der Ortsgrenze war, wurde ich von einem weiteren ihrer Fahrzeug angehalten und zu einer Unterkunft für Lehrpersonal geführt, wo ich kostenlos im Gesellschaftsraum übernachten durfte.

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    Die letzten Höhenmeter

    Am nächsten Tag musste ich also einen großen Umweg um die Berge herumfahren. Anstatt wie eigentlich geplant die restlichen 15km und 200hm über den Pass, standen also 115km auf dem Tagesplan. Dafür ging es die ersten 20km durchgehend mit Rückenwind bergab, während der restliche Tag nur noch aus Gegenwind bestand und noch schlimmer, einer Strecke, die ich schonmal gefahren bin.

    Erzincan war für mich dann aber enttäuschend. Aufgrund des Bebens in der Türkei waren alle Universitäten geschlossen, weshalb auch Mert weiterhin nicht in der Stadt war und in nächster Zeit auch nicht kommen würde. Ich blieb für eine Nacht in der gleichen Pension wie im Jahr zuvor und ließ auch den Rahmen nicht schweißen. Ich war der Meinung, dass mein Provisorium einen guten Job macht und das auch weiter halten wird.

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    So nahm ich den letzten Pass in der Türkei in Angriff, den Pülümür Pass. Das war auch der erste richtig schwere Pass, seit ich in Georgien wieder losgefahren bin. Zwar hatte ich schon genügend hohe Pässe seitdem, aber keiner davon war so langgezogen steil wie dieser. Dazu kam, dass sich doch eine leichte Erkältung anzubahnen schien. Ich merkte beim Hochfahren immer wieder, wie ich beim Atmen zu rasseln anfing. Darum wollte ich den Tag auch relativ schnell beenden, hatte aber nicht die Rechnung mit dem darauffolgenden Tal gemacht. Obwohl es seit Erzincan viel wärmer war, lag in diesem engen Flusstal noch überall dick Schnee. So wurde der Tag immer länger, bis ich glücklicherweise einen schneefreien, betonierten Platz unter einem Felsen fand.

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    Dank einer guten Menge “Tiger Balm” auf der Brust, schien die Erkältung am nächsten Tag erstmal besiegt zu sein. Dennoch änderte das nichts daran, dass das nächste Unglück nicht weit war. Kurz nach Tunceli fuhr ich über eine Brücke, wo ein Olivenbaum unterhalb dieser, ein möglicherweise schönes Fotomotiv gab. Natürlich schaffte ich es beim Abstieg, mir mein Knie irgendwie zu verdrehen, sodass ich den restlichen Tag durchgehend Schmerzen hatte. Und der Baum war dann auch nicht so toll, wie er von oben ausgeschaut hatte.

    Am Abend, in der Nähe von Kovancilar, verarztete ich mein Bein so gut ich konnte. Das bedeutete mal wieder “Tiger Balm”, sowie Paracetamol und ein Snickers für die Nacht, sowie Schmerzgel, Paracetamol und ein weiteres Snickers für den nächsten Tag. Es schmerzte zwar immer noch, war aber erträglicher als am Tag zuvor.
    Schlau wäre es mit dem Knie gewesen, die flache Straße bis nach Elazig weiter zu fahren und von dort aus flach nach Süden. Aber Marcus wäre nicht Marcus, wenn er stattdessen nicht weiter in die Berge fahren würde. Zwar keine Passstraße, aber dennoch war es ein relativ anspruchsvoller, aber auch schöner Weg, der mich über die Ortschaft Alacakaya, an die ich keinerlei Erinnerungen mehr habe, bis nach Maden führte.

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    Und plötzlich war da Sommer?!

    Die Nacht an der Schlucht war mal wieder sehr unruhig, da die ganze Nacht über starke Böen das Zelt extrem durchrüttelten. Als ich am nächsten Morgen gerade dabei war, das Zelt zusammenzubauen und es, seit ich wach war, völlig windstill war, ging es von einem auf den anderen Moment wieder los. Ich war gerade dabei die Zeltstangen zu entfernen, als eine Böe anfing, mein Groundsheet in die Schlucht zu wehen, mir mein Zelt aus der Hand zu drehen sowie sonstige Ausrüstung zu verteilen. Zwar konnte ich nach einem kurzen Anfall von Panik meine Ausrüstung aus der Schlucht wieder retten, aber die Zeltstangen hatte es ordentlich verbogen. Glücklicherweise waren sie nicht gebrochen und ließen sich noch benutzen.

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    Dafür ging es den restlichen Tag nur noch bergab und als ich endlich in Diyarbakir ankam, fuhr ich zufällig an einem Decathlon vorbei, wo ich mir erstmal einen neuen Ersatzreifen kaufte. Seit dem Tag war auch der Schnee weg und die Temperatur stieg auf über 20°C und stieg in den nächsten Tagen noch weiter an. Dafür passierte an und für sich fast nichts mehr und die Kilometer bis nach Mardin flogen nur so dahin.

    In Mardin spendete ich einige Zeit, um durch die Altstadt zu wandern, da dies die erste Stadt war, die einen richtig persischen Eindruck machte. Aber bald ging es dann wieder weiter und bei fast 30°C ging es weiter Richtung Cizre, wo ich an der Grenze Iraks stand.

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    Wie immer gibt es noch ein paar mehr Bilder in der Galerie.

    Über den Autor

    belerad
    Baujahr 1982, 30 Jahre Videospielgeschichte und jetzt Abstinent, gehe ich auf Weltreise und versuche Menschen mitzunehmen, die neben dem Zocken, auch auf wirkliches Abenteuer Interesse haben.
    Black_arrow und Bordo gefällt das.

Kommentare

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  1. belerad
    @25Minus
    Vielen Dank, freut mich immer etwas an Response zu bekommen :)
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