Die Brüste des Bösen

Von Gunnar Lott · 28. April 2008 · Aktualisiert am 6. Mai 2009 ·
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  1. Früher, da spielte ich so genannte Tabletops. Das sind Strategiespiele mit Armeen von Miniaturen, die man auf einem großen Tisch umherschiebt, den man mit allerlei Zeug zu einer Landschaft umgestaltet hat. Tabletops finden, im Gegensatz zum Tabledance, in der Regel in Hobbyräumen statt und kommen komplett ohne weibliche Beteiligung aus. Dort treten Jungs und Männer gegeneinander an, hetzen Ork-Regimenter, Space-Marine-Kompanien oder Raumschiffgeschwader aufeinander, streiten sich über Regelauslegungen, trinken literweise Coca-Cola Light und gewinnen merkwürdige Pokale auf merkwürdigen Turnieren.

    Großer Spaß, das alles. Man trifft die ganze Nerd-Typologie rauf und runter: die dicken Mathematiker, die angeberischen Diplomexperten, die langhaarigen Metalfans, die bebrillten Soziallegasteniker. Und, uh, mich und meine Freunde. Ahem. Jedenfalls früher, in den Neunzigern. Keine Ahnung, wie das Publikum auf derlei Veranstaltungen heute aussieht. Ich war seit vielen Jahren nicht mehr da.

    Seinerzeit jedenfalls aber begab es sich einmal, dass auf einem dieser Turniere eine Frau anwesend war. Eine echte Frau, ziemlich hübsch, mit allen diesen Körperteilen, die Frauen nun mal haben. Nennen wir sie M. Die Dame erschien in engen Jeans und einer Art vage mittelalterlich anmutenden Oberteil, das ein bisschen wie ein Mieder aussah und ihre Brüste stark herausstellte. Das allein war schon ein bisschen viel für die jungfräulich-männliche Umgebung und sorgte für verstohlene Blicke, leise Seufzer und Sekundenohnmachten von besonders empfindsamen Dunkelelfen-Feldherren. Das Fräulein fand sich aber nicht nur ein, um die Jungs kirre zu machen, sie spielte auch gut und war von brennendem Siegeswillen erfüllt. So sehr, dass sie vor Provakationen, Zänkereien und abstrusen Regeldiskussionen nicht zurückschreckte. Manche knickten vor ihr ein, beugten sich der Gewalt. Andere verteidigten ihre Position, gaben Kontra. Doch auch sie wurden gebrochen, denn Tabletops spielt man, ich sagte es schon, auf dem Tisch. Und bei strittigen Fragen beugt man sich vornüber, um mit Gesten und Maßband zu darzulegen, dass, sagen wir, die Elite-Elfenbogenschützen hinter dem Wall unmöglich weit genug schießen können, um, sagen wir, den eigenen Erzzauberer-Nekromanten zu erwischen. Und wenn M. sich vorbeugte, was sie häufig tat, dann waren übermenschliche Anstrengungen vonnöten, um den Blick von den nun nahezu vollständig sichtbaren Brüsten zu reißen und ach, egal, du hast schon recht, M., ja klar, die Schützen sind zu weit weg, ja, dochdoch, lass uns einfach weiterspielen.

    So errang sie Sieg um Sieg, ein lebender Beweis für die Rückgratlosigkeit des starken Geschlechts und die Tücke des Weiblichen. Vermutlich ist sie mittlerweile im Vorstand eines Megakonzerns und hat Millionen in Liechtenstein.

    Über den Autor

    Gunnar Lott
    Herr Lott ist schon Mitte Ende 30, hat sich aber eine gehörige Portion jugendlicher Starrköpfigkeit bewahrt. Er findet fundierte Meinungen sexy, besonders, wenn sie eloquent vertreten werden. Überhaupt neigt er ein bisschen dazu, der sprachlichen Ästhetik den Vorzug vor sinnvollen Inhalten zu geben. Herr Lott hat kein Lebensmotto, hält aber Use your options and stand your ground für brauchbar. Er findet es zudem wichtig, sich iimmer auf das zu konzentrieren, was man tut. Vor allem gilt das für Gespräche. Herr Lott hält sich für tolerant, lehnt aber langweilige Menschen tendenziell ab. Nachlässigkeit im Denken findet er gefährlich, das beliebte Sich-für-die-Karriere-verbiegen ebenfalls. Herr Lott geht an die Grenze zur Leidenschaft in seinem Hass auf alle Ausprägungen von Willkür, mit Bosheit gemischte Dummheit, Intoleranz und mangelnde Selbstkritik. Gesellschaftliches Engagement und Zivilcourage bewundert er, vielleicht weil er derlei Dinge bei sich gern ausgeprägter sähe.

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