Horror ohne große Herausforderung

Von Juetas · 18. Juli 2017 · Aktualisiert am 13. September 2017 ·
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    The Secret World, das altgediente H.P.-Lovecraftesque MMO, erfuhr mit Secret World Legends Ende Juni einen Relaunch. Die damit unvermeidlichen Änderungen betreffen nicht nur Quests oder Kampfsystem, sondern zudem das Geschäftsmodell. Ein F2P-Reboot ist immer eine große Herausforderung, läuft man doch Gefahr, mit Restriktionen Spieler zu vergraulen. Abgesehen davon muss das Endprodukt Spaß machen. SWL ist ein sehr spezielles Spiel – im positiven wie negativen Sinne.

    Relaunched & Reloaded

    TSW hatte schon vor dem Relaunch eine kleine, aber treue Fanbase. Ein Mitgrund dafür war die Möglichkeit, verschiedenste Waffen und deren Fähigkeiten miteinander zu kombinieren. Von einem Maschinengewehr unterstütze Chaosmagie hinterlässt in den meisten Fällen, neben bleibenden Einschusslöchern, auch einen bleibenden Eindruck. Das fröhliche Kombinieren wurde nun fast gänzlich aus dem Spiel genommen, das Kampfsystem wurde überarbeitet. Lediglich die Haupt- und Nebenwaffe können, nach vorhergehender Freischaltung, ausgewählt, aber alle Skills aller Waffen können nicht mehr frisch und frei durcheinandergewürfelt werden.

    Zu Beginn stehen 9 Startklassen zur Verfügung, wobei es keine Klassen im herkömmlichen Sinn sind. Der Spielstil wird von den Waffen und den damit verbundenen Fähigkeiten geprägt, und jede dieser Klassen hat anfangs zwei unterschiedliche Monstermetzelwerkzeuge. Ein Ausprobieren des zur Verfügung stehenden Arsenals ist vorab nicht möglich. Ohne Investition von Kröten (für Chaosmagier: Geld, nicht Getier) besitzt ein F2P-Spieler nur einen Charakterslot. Wem die Waffe also zu Beginn nicht zusagt, der sollte den Alias schnellstmöglich löschen, um Platz für den nächsten zu machen. Denn jede Waffe hat eine spezielle Eigenschaft oder Fähigkeit, die einem zusagen sollte, wenn man damit seinen virtuellen Lebensunterhalt bestreiten will. Ein neues Schießeisen wird nämlich gegen „Malen der Gunst“ getauscht, und diese müssen erst erspielt, oder für Echtgeld erworben werden. Immerhin: Die Kosten für die Freischaltung der ersten neuen Waffe wurde von Funcom inzwischen gesenkt, um einen Wechsel schneller zu ermöglichen.

    [​IMG]Big Fucking Monster

    Bist du ein Hunde- oder ein Katzenzombievampirmensch?

    Danach dreht es sich um die Fraktionszugehörigkeit. Hier besteht die Auswahl aus Illuminaten, Templer und Drachen. Vor der Entscheidung umreißt ein kurzes Video, was die jeweilige, zur Verfügung stehende Fraktion, ausmacht. Abhängig von der Wahl beginnt die leicht gruselige Reise dann in der jeweiligen Heimatstadt New York, London oder Seoul. Leider gelingt die Bindung an die Fraktion jedoch nicht so richtig. Zwar erfreut sich unser Cowboy mit den Chirurgenhandschuhen nach jedem Quest-Abschluss per Mobiltelefon an einem SMS-Kommentar, viel mehr kommt neben gelegentlichen Abstechern ins HQ aber nicht unbedingt vor. Wünschenswert wären hier Tätigkeiten, die das Zugehörigkeitsgefühl zur gewählten Organisation steigern. Zwar vermitteln die Missionstexte die Absichten und Einstellung sehr gut, aber mehrere, zur Organisation passende Tätigkeiten, würden eine tiefere Bindung schaffen.

    Das Universum, und die Art, wie es präsentiert wird, ist die größte Stärke von SWL. Während der Zahn der Zeit sich gierig an der Grafik und den Animationen satt gegessen hat, war für die Atmosphäre wohl kein Platz mehr im Magen. Wenn wir als Neuankömmling kurz nach Mitternacht das von Nebel heimgesuchte Kingsmouth im US-Bundesstaat Maine durchstreifen, ungeachtet der bedrohlichen und ekelhaften Kreaturen, die sich um uns herum an gefallenen Dorfbewohnern gütlich tun, dann steigt einfach dieses wohlige Unwohlsein auf, das der eine oder andere von guten Horrorspielen kennen dürfte. Das Level des dargestellten Grauens ist dabei hoch genug, um ein wenig zu beunruhigen, aber nicht hoch genug, um Horrorspieleschisser wie den Autor davon abzuhalten, weiterzumachen. Außerdem hält der Charakter ja 2 Pistolen in der Hand, mit denen jeglichen Ungeheuern ratz fatz das Ungeheuersein ausgetrieben wird. Verbunden mit einer schräg bis witzig anmutenden Geschichte, und den dazu passenden NPCs, ergibt dies einen wohlschmeckenden Schaudercocktail, auf dessen Schirmchen ein aufgespießter Draug munter vor sich hin baumelt. Die Tatsache, dass die Gebiete instanziert sind und man somit weniger Spieler trifft, ist für MMO-Fans vielleicht eine kleine Enttäuschung, fügt sich dafür nahtlos in die Welt ein.

    [​IMG]Lovecraftesque

    Draug-Diversität

    Auch die Quests heben sich angenehm vom Einheitsbrei ab. Generell gibt es verschiedene Arten von Aufgaben, diese gehen von Action- über Sabotage- bis hin zu Investigativ und Neben-Quests. Action ist natürlich selbsterklärend, und diese beinhalten meist, dass etwas untersucht und in weiterer Folge getötet wird. Illuminaten verhandeln nicht mit Monstern. Die sprechen ja nicht mal unsere Sprache. Bei Sabotage-Einsätzen geht es darum, dass ein Gebiet infiltriert wird, um Informationen zu sammeln. Dabei warten ausschließlich Gegner der Maximalstufe auf den Infiltrator, die einen natürlich ungespitzt in den Boden rammen würden. Daher muss in diesen Missionstypen den Gegnern und Patrouillen ausgewichen werden, um zum Erfolg zu gelangen. Schleichen, könnte manch einer denken. Das wäre korrekt, wenn es in SWL so etwas wie eine Schleich-Mechanik gäbe. Das heißt also mindestens 5 Waffenlängen Abstand halten, um einem schmerzhaften Ende vorzubeugen. Während das Prinzip spannend ist, ist es leider ein wenig ungelenk umgesetzt.

    Die Investigativ-Aufgaben sind für diese Art Spiel einzigartig, und meist verrückt komplex. Im Tutorial wird anhand eines simplen Beispiels erklärt, wie diese aufgebaut sind. Im Spielverlauf sind sie aber so gut wie nie mehr einfach. Das Spektrum reicht dabei von Logikrätseln mit Bildern und Zahlenreihen, über Recherche zu im Spiel existierenden NPCs mittels implementierten Internet-Browser (!) bis hin zu Entschlüsselung von Morsecodes, und mehr. Viel Geduld ist jedoch notwendig, wenn jemand die herausfordernden Rätsel ohne Lösung aus dem Internet lösen möchte. Um die Ecke denken ist in mehrfacher Ausführung Pflicht. Eine großartige Abwechslung, für die aber nicht jeder geschaffen ist. Zum Glück gibt es für so ziemlich jedes Rätsel Hilfe im Internet, wenn dies denn gewünscht ist. SWL schießt hier in Punkto Herausforderung ein wenig über das Ziel hinaus.



    [​IMG]Auch Beschwerden existieren in deutscher Ausgabe

    Eingeschränkte Merkfähigkeit

    Die Anzahl der Quests, die gleichzeitig aktiv sein können, ist jedoch begrenzt. Im Gegensatz zu Noah kann hier von jeder Quest-Art nur eine aufgesammelt werden, bei Nebenmissionen sind es zumindest drei. Dies führt nicht selten dazu, dass mehrmals dasselbe Gebiet durchwandert wird, um jeweils andere Missionen abzuschließen– ein wenig ärgerlich. Denn meist wird das Umfeld ohnehin sofort unter die Lupe genommen und bietet dann nichts Neues mehr. So wirkt das sehr repetitiv. Es ist ohnehin schade, dass es nur drei Hauptgebiete gibt, in denen der gesamte Level-Prozess abläuft. Wer einen Charakter allein und einen Charakter mit einem Freund zur Maximalstufe führen will, ist somit gezwungen, dieselben Gebiete nochmal zu durchforsten. Hier wäre ein wenig Abwechslung sehr willkommen. Die Hoffnung auf zusätzliche Gebiete stirbt zuletzt, Tokyo zum Beispiel scharrt für August schon in den Startlöchern. Ob diese dann gratis zugänglich sind wird sich jedoch weisen müssen.

    Dungeons dürfen natürlich nicht fehlen, und diese gliedern sich einwandfrei in den vorgegebenen Stil ein. Die Story-Variante der fünf verfügbaren Instanzen ist für drei wunderlich gekleidete Abenteurer gedacht, und überzeugt vor allem wieder durch Atmosphäre. Herausforderung ist hier ebenso Fehlanzeige. Am Ende jedes Kampfes winkt eine Lootbox, die einen Gegenstand und eine Reagenz für das Crafting enthalten kann. Diese lassen sich mittels Schlüssel öffnen, wovon Funcom in der Gratis-Version zehn pro Tag spendiert. Du willst mehr Belohnung? Dann rück die Kohle raus.



    [​IMG]Die letzte Fahrt ist gratis

    Action heißt nicht zielen

    In den Instanzen offenbart sich dann die Zweischneidigkeit des gewählten Action-Kampfsystems: Es ist sehr gewöhnungsbedürftig, befreunde oder befeindete Ziele einzeln anzuvisieren. Innerhalb einer Gruppe passiert das ganz oldschool mittels den Tasten F1-F4 oder Mausrad. Doch für den anstehenden Raidcontent muss Funcom sich etwas überlegen, denn Gruppenübergreifend funktioniert diese Steuerung nicht. Da Heilen im Normalfall schnelle Reaktionen erfordert, sollte Funcom hier nachbessern. The Elder Scrolls Online löst dies zum Beispiel, in dem viele Heilzauber ohnehin auf die gesamte Gruppe wirken. Nicht optimal, aber funktionell. Bei alleinigem Beschreiten des Weges fällt die eingeschränkte Zielgenauigkeit zwar ebenso auf. Da aber ohnehin meist alles getötet werden will und muss, stört es nur, wenn ein stärkerer Schurke sich inmitten von Kleinvieh versteckt, was ein Fokussieren erschwert.

    Der Schwierigkeitsgrad hält sich allgemein sehr in Grenzen. Es kann natürlich immer wieder passieren, dass unseren seltsam gekleideten, hipsterartigen Cowboy das Zeitliche segnet, doch wenn, dann nur aufgrund zu großen Selbstvertrauens. Jeder, der sich zu viele Gegner zumutet, oder meint, durch drölf Zombies durchsprinten zu können, wird schnell an seine eigene Sterblichkeit erinnert. Abseits davon verendet unser Charakter meist nur aus Absicht, oder bei den doch herausfordernden Sabotage-Aufträgen.



    [​IMG]Der Toooooood

    Wer hat an der Uhr gedreht

    Für bessere Ausrüstung muss erfahrungsgemäß viel Schweiß, Tränen und vor allem Zeit investiert werden. Zeit ersetzt immerhin den fehlenden Geld-Faktor, und das sieht Funcom gleich. Jeder Gegenstand hat eine Maximalstufe. Diese wird erreicht, indem der Gegenstand mit Loot desselben Art aufgewertet wird. Waffe 1 erhöht die Stufe von Waffe 2, Waffe 1 wird dabei aber verbraucht. Auf der Maximalstufe angekommen (bei grünen Gegenständen ist diese zB 20), wird ein zweiter Gegenstand derselben Kategorie benötigt, welcher ebenso auf die Maximalstufe aufgewertet werden muss. Schlussendlich wird einer der beiden Gegenstände in den anderen fusioniert und hebt ihn somit auf die nächste Raritäts-Stufe, welche durch die, in MMOs oft benutzten Farben Grün, Blau, Violett, Orange und Rot beschrieben sind.

    Dieser Prozess kostet nicht nur Anima-Splitter, sondern zusätzlich noch den passenden Loot für die Verbesserung, was das Ganze zu einer zeitintensiven Angelegenheit macht. Auf Level 50, neben Dungeons, bilden wiederholbare Aufgaben die Haupteinnahmequelle für Gegenstände. F2P-Spieler stehen hier vor einem Cooldown, der 3 Tage lang dauert – ein weiterer Mechanismus, um den Spieler zu Investitionen zu bewegen. 72 Stunden sind aber viel zu lang, vor allem beim benötigten Materialaufwand für Upgrades. Eventuell spielt Funcom ein wenig Pink Panther und dreht noch an der Uhr.

    Generell ist das System nicht schlecht, da die gesamte Beute so einem Zweck abseits des simplen Verkaufens zugeführt wird. Der Nachteil ist der enorme Grind-Aufwand. Hat jemand seine grüne Waffe des Doofseins gerade in eine weniger doofe blaue Waffe upgegradet und findet kurz danach eine bessere, muss er fortan diese Waffe auf das Maximal-Level bringen, um sie dann fusionieren zu können. Auch wenn die Kämpfe trotz schlechterem Equip erfolgreich meisterbar sind, ist die Verbesserung der Ausrüstung oft ein wichtiger Wohlfühlfaktor.



    [​IMG]Das Inventar könnte größer sein

    Come in and find out

    Das Endgame außer Acht gelassen, wurden die F2P-Einschränkungen bereits ein wenig abgeschwächt, und das Spiel zugänglicher gemacht. Bei genauerer Betrachtung beschreitet SWL eher den Weg eines Action-Rollenspiels mit Multiplayerelementen, denn den eines MMOs. Wie üblich folgt hier noch die Empfehlung, sich vorab über die genauen Einschränkungen eines F2P-Spiels zu informieren. An dieser Stelle muss auf Reddit verwiesen werden, denn Funcom stellt leider kein eigenes Forum zur Verfügung, was doch ein wenig seltsam anmutet.

    Eine abschließende Empfehlung wird für jeden ausgesprochen, der sich in dem vorgegebenen Setting wohl fühlt. Man muss kein Fan von blutrünstigen Horrorfilmen sein, um SWL gut zu finden. Denn eine weitere Qualität ist, dass sich das Spiel selbst meist nicht ernst nimmt. Und diese Kombination aus leicht gruseliger Stimmung und teils fehlende Ernsthaftigkeit ist eine spannende. Wie Pommes mit Eis. Beides für sich genommen ist lecker, aber die Mischung kitzelt alle Sinne nochmal auf angenehme Weise. HP Lovecraft Fans kennen das Spiel vermutlich schon lange. Alle anderen sollten es spätestens jetzt genauer betrachten.

    Über den Autor

    Juetas
    Computerspieler aus Leidenschaft bei Tag. Schläfer bei Nacht. Versucht mit Worten umzugehen und damit Meinungen zu PC Spielen zu formulieren. Über einen Besuch auf meinem Blog (https://taschtestet.wordpress.com/) freu ich mich natürlich. Aber nur wenn ihr lieb seid. Ach, egal, kommt einfach.

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