Irak - So hatte ich es mir nicht vorgestellt!

Von belerad · 2. Juli 2023 ·
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  1. Terrorismus, wüstenartige Landschaften und strenge islamische Vorschriften waren die Gedanken die, mir vor nicht allzulanger Zeit in den Kopf geschossen sind, als ich mir den Irak vorgestellt habe - in der Realität zeigte sich teils aber ein ganz anderes Bild.


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    Vorurteile


    Vor der Grenze zum Irak hatte ich erst einmal ein ungutes Gefühl. Zu stark waren meine Gedanken über das Land durch die westlichen Medien gefärbt und ebenfalls musste ich mich auf die Aussage eines anderen Reisenden zum Grenzübertritt verlassen, dass ein Visa on Arrival kein Problem sei.

    Beim irakischen Grenzposten angekommen, lief es gänzlich ohne Probleme. Ich hatte am Schalter die Wahl, das Visum online oder direkt zu beantragen, sowie die Gebühr in Euro, Dollar oder in irakischen Dinars, Bar oder mit Kreditkarte zu bezahlen. Nach keinen fünf Minuten war die eigentliche Prozedur beendet und nach einem netten Plausch mit den Beamten, sowie einer Tasse Tee wurde ich in das Land entlassen, wo mich gleich viele Menschen, auch aufgrund des Rads, erstaunt angeschaut und gegrüßt haben.

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    Mein erster Weg führte mich direkt in die nächste Stadt, Zakho, wo ich die üblichen Notwendigkeiten - Sim-Karte und Bargeld - besorgen wollte, bevor es weiter ins Land ging. Nach kurzer Zeit war ich aber schon frustriert, als mich die ersten Mobilfunkläden immer wieder ins nächste Geschäft schickten, da sie keine Touristen Sim hatten. Das letzte, in dem ich war, schickte mir zur Führung sogar eine ganze Schar Kinder mit und mir war sofort klar, dass diese mir spätestens bei der Ankunft mit “Money Money” auf die Nerven gehen werden und kein Geld einstecken hab.

    Ich hatte aber Glück. Nachdem ich keine 20m, mit den Kids im Schlepptau, die Straße hoch geschoben habe, hielt plötzlich ein Auto an und fragte mich, wo ich herkomme, was ich hier tue und wo ich hin möchte. Nachdem ich ihm eine grobe Auskunft gegeben habe, schimpfte er über die Kinder und schickte sie erstmal weg.

    Es stellte sich heraus, mein “Retter” war Rahim, ein Iman und ebenfalls Tourenradler, auch wenn er aufgrund seiner Nationalität nicht weiter als Irak und Serbien kommt. Mir wurde mal wieder bewusst, wie privilegiert wir als Deutsche doch sind. Nachdem mich Rahim vorerst in einer Mischung aus Metzgerei und Schlachterei zum Tee eingeladen hat und wir das Bike mitsamt Ausrüstung in dem Laden stehen ließen, fuhren wir gemeinsam in die Stadt.
    Hier wurde mir gleich etwas mulmig. Nicht nur wurde ich zum Tee und später auch zum Essen eingeladen, sondern auch die SimKarte wurde mir bezahlt und ich bekam noch einen Sack frischer Datteln, Nüsse und sonstige Verpflegung für unterwegs. Ich kannte solch extrem ausufernde Gastfreundschaft nicht und war, je länger wir zusammen waren, immer überzeugter davon, dass das hier ein Scam wird. Als er mir dann auch noch mit dem Auto aus der Stadt heraus folgte, war ich im vollen Paranoia-Modus.

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    Was folgte war die schlimmste Nacht der kompletten Reise. Zwar hatte sich Rahim schon lange verabschiedet und folgte mir auch nicht mehr, als ich in die Wildnis abbog, um mein Zelt aufzubauen, aber ich traute dem Frieden nicht. Ebenso war mir bewusst, dass keine 20km nördlich von mir PKK Gebiet war, wo man als Reisender eigentlich nicht hin sollte. Kaum hatte ich mein Zelt aufgebaut, fuhr dann auch noch ein Auto genau auf dem Feldweg vorbei und hielt an. Der Fahrer erkundigte sich zwar nur, ob alles in Ordnung sei, aber wenn man mal negativen Gedanken verfallen ist, bleiben diese auch. So schlief ich diese Nacht nur sehr wenig und bei jedem Geräusch saß ich aufrecht im Schlafsack und lauschte, ob jemand kommt - aber es kam niemand.


    Schöne Landschaften und noch mehr Gastfreundschaft

    Am nächsten Morgen ging es erstmal durchgehend durch Nebelwände und an Flüchtlingslagern vorbei, bergauf weiter und aufgrund des mangelnden Schlafs war ich völlig fertig. Was mich ebenfalls genervt hat, waren die ständigen Straßensperren, an denen die einheimischen Autos alle durchgewunken wurden, ich aber jedesmal kontrolliert wurde. Zwar waren die Soldaten alle freundlich und überaus interessiert an meiner Reise, aber nach einer gewissen Zeit geht einem das schon auf die Nerven. Dafür wurde der Ausblick auf die Landschaft wieder umso schöner.

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    Gegen Mittag bin ich in der kleinen Stadt Batifa angekommen und wurde beim Durchfahren plötzlich von einem Fußgänger angehalten und eingeladen. Leicht überrumpelt hab ich einfach mal ja gesagt und wurde sofort in ein gegenüberliegendes Haus geführt, wo mir gefühlt alles angeboten wurde. Neben Essen, Trinken und Dusche, wollte man auch meine Wäsche waschen, das Fahrrad putzen und mehr. Aber das war mir alles zu viel, und aufgrund meiner immer noch anhaltenden Paranoia, war nach dem Mittagessen und noch etwas Tee mit Nuri und seinen Kindern Schluss. Hier fiel mir auch zum ersten Mal auf, dass das Frauenbild hier im Irak anders ist als bei uns. Die Frauen mussten fast immer getrennt von den Männern essen und haben sich auch nur selten bei mir, dem Gast, sehen lassen. Es gab zwar auch hier Ausnahmen, aber gerade im Irak ist mir das besonders stark aufgefallen.

    Ungeduscht und mit weiterhin schmutziger Wäsche fuhr ich schließlich weiter, da ich mich immer noch zu unwohl fühlte. Keine 5km weiter baute ich dann aber schon mein Zelt auf. Ich war so voll, dass ich nicht mehr weiterfahren konnte oder wollte.

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    Der nächste Tag führte mich weiter in die wunderschöne Bergregion des Iraks. Gerade für mich, als jemand der Berge liebt, unglaublich schön. Auch mit den Mandelbäumen, die langsam aber sicher das Blühen anfingen. Mittags wurde ich wieder angehalten, dieses Mal von der Polizei. Aber nicht zur Kontrolle, sondern ich wurde zu Tee und Essen eingeladen. Oder besser gesagt, nur zum Essen und den Tee hab ich spendiert. Langsam aber sicher war es mit der Paranoia auch vorbei und ich genoss die Gastfreundschaft, denn als wir gerade gemeinsam gegessen hatten, schrieb mir Rahim und lud mich zu sich nach Hause nach Duhok ein und ich nahm an.

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    Das kann man sich nicht vorstellen!

    Am nächsten Tag kam mir Rahim dann mit dem Rad entgegen und wir fuhren die restlichen 20km bergab bis zur Stadt zusammen. Dort angekommen ging es gleich ins “beste Restaurant der Stadt", wo ich eingeladen wurde und danach direkt in ein Hotel, wo mir auch gleich ein Hotelzimmer für zwei Nächte bezahlt wurde - so zeigte Rahim meiner anfänglichen Paranoia kommentarlos den Stinkefinger.

    An diesem Tag fuhren wir noch gemeinsam mit dem Auto durch die Stadt und er zeigte mir einige Sehenswürdigkeiten und anschließend ging es auf den Berg Zawa und wir genossen den Sonnenuntergang mit frittierten Nüssen und traditionellem Tanz.

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    Am nächsten Tag war ich bei ihm zu Hause zum Essen eingeladen und auch hier aß die Frau wieder getrennt von uns. Das Essen war aber sehr lecker und nach einer kurzen Besichtigung seiner Moschee, machten wir uns daran, auf den Baroshki zu steigen, wo wir eine tolle Sicht auf den Duhok Stausee und der Stadt hatten. Auf dem Weg hoch und runter wurde ich von vielen anderen Wanderern direkt als Tourist identifiziert und immer wieder zu Selfies aufgefordert.

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    Am dritten Tag begleitete mich Rahim noch mit dem Rad aus der Stadt, aber wir sind vorerst nicht weit gekommen. Kurz nach der Abfahrt merkte er, dass eins meiner Pedale locker war und lotste mich in eine Werkstatt, wo wir dann erst das Pedal reparieren lassen wollten, was aber nicht möglich war. Stattdessen gab es zwei neue und auch das wurde mir trotz Protest bezahlt.

    So wurde es schon wieder Mittag, bis es endlich losging und da es so spät war, aßen wir noch einmal zusammen bei ihm zu Hause. Anschließend ging es dann endlich wieder weiter Richtung Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan, wo ich von einem Freund von Rahim schon wieder eingeladen wurde.

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    Wie immer sind noch ein paar Bilder mehr in der Galerie zu finden

    Über den Autor

    belerad
    Baujahr 1982, 30 Jahre Videospielgeschichte und jetzt Abstinent, gehe ich auf Weltreise und versuche Menschen mitzunehmen, die neben dem Zocken, auch auf wirkliches Abenteuer Interesse haben.

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