Eigentlich könnte ich jeweils einen Blog darüber schreiben, was im Moment wie Gewehrsalven durch die Medien pfeift. Ich könnte einen über Würzburg schreiben und erörtern, inwiefern ich den IS und dessen Methoden verabscheue. Ich könnte aber auch über Reutlingen berichten und die Ängste von Flüchtlingen thematisieren. Ich könnte Nizza oder Paris zum Thema machen, oder mich vielleicht doch über Polizeigewalt und Rassismus bei unseren guten Freunden aus den USA auslassen.
Wir Spieler haben aber wieder ein ganz anderes Ereignis auf der Agenda. Es geht um München und David S.
Wir alle sind mal wieder bestürzt, dass es zu einem Amoklauf gekommen ist. Wir alle suchen wieder Gründe dafür, wie es so weit kommen konnte. Und wir alle sind wahrscheinlich unheimlich sauer über die verbalen Schnellschüsse von Politikern, die von Computerspielen so viel Ahnung haben wie wir vom Bauen einer Atombombe.
Und da ist sie wieder – fast schon in den Tiefen des journalistischen Archivs verschwunden, fast schon aus den Köpfen der Bürger getilgt. Die Killerspieldebatte ist zurück.
Einige Gedanken sind mir mal wieder durch den Kopf gegangen. Einige vermeindliche Beweggründe bewegten mein inneres Pendel von einem Argument zum nächsten, wieder war ich fast dabei, mir reflexartig und trotzig meine Parolen bereit zu legen. Aber – und das ist das Tolle daran – will ich gar nicht mal so auf die Killerspieldebatte eingehen. Das liegt nicht nur an meinem Misswillen, schon wieder dieselben Phrasen zu dreschen, die mir vor 14 Jahren wegen Erfurt oder vor sechs Jahren aufgrund der Tat von Winnenden von innen heraus sprudelten. Glaubt mir, ich war kurz davor... doch zum Glück ist das nicht nötig. München trägt plötzlich ganz andere Gründe zutage, und das ist schon ein gewaltiger Fortschritt.
Also lest ihr im Folgenden nicht über ständige Rechtfertigungen, warum ich meine Gewaltspiele spiele, warum ich virtuelle Gewalt nicht für voll nehme, auch nicht über meine Ablehnung gegenüber Spielegegnern. Nein, ihr werdet etwas anderes lesen, wie etwa Begleiterscheinungen von Onlinespielen, welche Verantwortung wir Spieler tragen sollten, aber auch über die Gründe, die in den Massenmedien glücklicherweise als die wichtigsten erachtet werden. Es werden Fragen gestellt, die vielleicht nicht beantwortet werden können, aber auch Vermutungen aufgestellt, die vielleicht gar nicht stimmen.
Es geht mir eher darum, vielleicht ein anderes Bewusstsein wachzurufen, wenn wir über das Thema Amok reden wollen (und auch sollen). Und vor allem möchte ich nicht ausklammern, in welchem Kontext wir selbst zu solchen Taten beitragen könnten.
Schon wieder Killerspiele?
Es dauerte ja schon ein paar Stunden, wenn nicht Tage, bis die Sachlage der Tat richtig offengelegt war. Erst war von drei Tätern die Rede, dann lediglich von Verletzten, bis die Zahl sich irgendwann bei der zehn Toten festgebissen hatte. Die Tragik manifestierte sich erst, als Terrorismus ausgeschlossen wurde und die Gewissheit eintrat, dass der Amokläufer sich das Leben nahm – also das „klassische“ Szenario eines Menschen, der aus vermeintlich unerfindlichen Gründen mit der Welt abrechnete.
Die Hintergründe lesen sich auch genau wie die letzten AfD-Posts und -tweets. Irgendwer schnappt irgendwo irgend ein Wort auf, konstruiert sich mal schnell eine Theorie daraus und blökt sie in die Welt hinaus – die sozialen Medien machen ihrem Ruf wieder alle Ehre. Dann schon mal die erste positive Nachwehe: die Polizei München reagiert mit Tweets, die die Menschen zur Besonnenheit aufrufen. Ihr Verhalten und die Führung der Bevölkerung war von Weitsicht und Deeskalation geprägt, und dafür hat sie meinen größten Respekt verdient. Ja, selbst die Politik war voll des Lobes für ihren Polizeiapparat.
Tja, zu früh gefreut...
Kaum wurde die Wohnung von David S. in Augenschein genommen, der Computer des Täters beschlagnahmt und untersucht, passierte das, was uns Spielern direkt darauf schwer im Magen lag. David S. spielte „Counter Strike“.
BUM!
Da ist es wieder. Die heilende Wunde brach wieder auf. Der gefangen geglaubte Geist der Vergangenheit ist seinem Käfig entwischt. Oder doch nicht?
Ich hatte schon früh angenommen, dass das Spiel (oder Ähnliches) auf seinem Computer gefunden werden würde. Ich erwartete, dass nach diesem Ermittlungsergebnis die Massenmedien diesen Fakt aufgreifen und sie in allen Facetten darstellen würden. Aber... nichts passierte. Nein, David S.´ Profil des Einzelgängers, des Depressiven, des isolierten Außenseiters wurde angesprochen. Auch die Verantwortlichen der Polizei verloren erst mal kein Wort darüber. Ähm... ja... und jetzt? Ich fühlte mich, so wie ihr wohl auch, wie Bart Simpson im Simpsons-Film, der mit Nad Flanders angeln geht und wegen einer Verfehlung reflexartig auf die Würgestrafe wartete – die aber nicht geschah.
Na ja, die kam dann doch noch. Ausgerechnet mein „Freund“, der Bundesinnenminister höchstpersönlich, griff dann doch noch nach unserem Hals und drückte ganz Homer-like zu. Jup, das saß. Tiefschlag. Böser Mensch. Ich würde mich jetzt wahrscheinlich erst mal getroffen in die Ecke verziehen und hoffen, dass mich niemand als potenziellen Amokläufer entlarven könnte – doch bei Herrn de Maizière sehe ich die Lage ganz anders. Denn wer sich schon so viele verbale Patzer geleistet hat, muss sich nicht wundern, wenn man ihn nicht ernst nimmt. Oder wie war das mit den „Antworten, die einen Teil der Bevölkerung verunsichern würde“? Wer hatte die Idee, Bürger zu „Hilfspolizisten zu schulen“? Wer hat Flüchtlinge mit gefälschten/erfundenen Statistiken in Verbindung gebracht? Das ist derselbe Mann, der nun Spieler als unvernünftig hinstellt. Die Millionen Deutschen, die Tag für Tag in großer Zahl „Counter-Strike“ zocken. Sie alle sind (mal wieder) die Amokläufer von morgen, sie alle, die Unvernünftigen...
Spätestens jetzt hätte ich erwartet, dass die Medien die Aussage ungefiltert weitergeben würden. Aber nein! Selbst der Spiegel, die Süddeutsche, alle wahrscheinlich seriösen Blätter und nicht mal die Tagesschau berichten darüber, und wenn, dann höchstens in den unteren Abschnitten. Ich so: „Uff.“, oder: „Wow.“. Ich glaube vielleicht doch wieder an einen Gott...
Was sagt die Psychologie?
Die wichtigsten Gründe wurden erstaunlich schnell in die Richtung des Außenseitertums des Täters und sein psychologisches Profil gelenkt. Ich bin dankbar dafür, dass hier nach tiefergehenden Beweggründen geforscht wird und diese nicht vollends ausgeklammert und irgendwas Schnelllebiges als Grund vorgeschoben wurde. Leider ist zwischendrin schon der allseits beliebte „Beißreflex“ angesetzt worden – sprich: die Spielemedien veröffentlichen kurz nach dem de Maiziére-Statement schon mal vorsorglich ihre Gegenargumente. Hier ist es Michael Graf, auf GamersGlobal Jörg Lange, also die Personen, die schon früher mit solchen Situationen zu tun hatten. Eigentlich jeder namhafte Spieleredakteur weiß sich vorsorglich warm zu diskutieren.
Doch laufen diese schnellen Aufrufe für meine Begriffe schnell ins Leere. „Was ist da denn passiert?“, fragte ich mich unweigerlich. Keine plakativen Aufrufe zum Verbot von Killerspielen?? Gut – Volker Kauder (CDU) schießt in einem Zeitungsinterview auch schon mal gegen uns Spieler, ganz im Tenor seines Parteikollegen aus dem Innenministerium. Aber sonst? Keine der großen Gazetten spricht ihre Aussagen nach. Es wird sogar relativiert, die Diskussion mehr oder weniger den Politikern aus dem Mund genommen, in eine andere Richtung gelenkt – in die der Person David S. und seine Lebensgeschichte. „Counter Strike“ - nur eine Begleiterscheinung.
Ihr werdet es vielleicht schon vom TV vernommen haben, vielleicht erzähle ich euch nichts Neues. David S. war einer dieser Einzelgänger, ein isolierter Sonderling, gemobbt, gehänselt und seiner eigenen Aussage kurz vor dem Suizid nach zutiefst gekränkt von diesen Misshandlungen und Denunzierungen. Da frage ich mich als Gründesucher natürlich, wie ein solches Verhalten solche Taten rechtfertigen mag. Ich kann hier nur mutmaßen, aber ich möchte euch deswegen noch einen Aspekt meiner eigenen Erfahrungen mit Mobbing beschreiben. Es ist nicht schön. Nein, gar nicht...
Wie ist es also, ein Mobbingopfer zu sein?
Ich muss sagen, dass ich schon in der Schule als ein wenig sonderbar galt. Von den „Coolen“ immer gemieden, hatte ich doch wenigstens ein paar in den Klassen, mit denen ich mich gut verstand. Es waren nicht viele, aber es waren wenigstens ein paar wenige. David S. schien dieses Privileg nicht genossen zu haben. Dies ist mir dann später widerfahren, bei einer Arbeitsstelle mit Zeitvertrag, den mir ein alter Ausbildungskollege verschafft hatte. Doch genau dieser Arbeitskollege war mit einer der Initiatoren für das Mobbingvergehen. Zusammen mit zwei engen Arbeitskollegen seinerseits wurde dann systematisch gemobbt. Mies über mich geredet, scheinbar unüberwindbare Aufgaben gestellt (die ich jedoch geschafft hatte), und als das nichts mehr half, wurden mir nur noch niedere Arbeiten aufgetragen. Und das alles unter der Schirmherrschaft des Abteilungsleiters.
Was war da genau passiert? Und was hat das mit David S. zu tun?
Der Ausschlag für das Mobbing waren Verhaltensauffälligkeiten meinerseits. Ich habe mich nicht untergeordnet und nicht den Verhaltenskodex eingehalten, also erst einmal stillhalten und sich einfügen. Das heißt: ich habe nicht funktioniert wie verlangt. Es ging sehr schnell. Danach wurde man schnell ignoriert, bedroht, beleidigt. Ich fühlte mich innerlich zerrissen. Schnell kam in mir die Schuldfrage auf – bin ich schuld? Sind die anderen schuld? Immer und immer wieder pendelte ich von einer Antwort zur nächsten. Okay, ich habe mich nicht regelkonform verhalten. Dann wieder: Was soll der Scheiß? Ich muss doch nicht nach Plan mein Verhalten anpassen... Nach deren Vorstellung anscheinend doch.
David S. war wohl schon grundsätzlich unten durch. Die Aussagen der Mitschüler - „Er redete komisch“ oder „Er hatte einen schrägen Gang“ - schienen schon zu reichen, ihn völlig auszuschließen. Jetzt kommt der Eidetiker in mir durch, und ich kann mir förmlich vorstellen, wie es ablief. David S., der lieb-gesichtige, der unauffällig gekleidete, der von Babos, Schminktussis und sonstigen Kids blöd beäugt und verunglimpft wird. Hier schwillt sich mir spontan der Hutkamm, wenn ich daran denken muss, wie die Babos und Schminktussis in Leggings David S. mobben, schlagen, ihn nachäffen. Wie er nicht nach Plan funktioniert und wohl auch nie funktioniert hätte...
Sind die Spieler schuld?
Jetzt muss ich doch noch die Spiele ansprechen. Er spielte eben recht lange „CS: Source“, ist in Teamspeak angemeldet. Hat Kontakt zu anderen. Verbreitet so irgendwann seine Hassbotschaften, wird „komisch“, aggressiv und widersetzt sich Spielregeln. Und hier ist genau der Punkt, an dem wir als Spieler unser Verantwortungsbewusstsein hinterfragen sollten. Es gab Anzeichen, die niemand zu deuten wusste. Seine wirren Aussagen, seine plötzliche Affinität zu Amokläufen, die Breijvik-Fotos als Whatsapp-Bild und letztlich seine Nicknames wie „Hass“ sind wohl kaum mehr in die Ecke von „derbem Spaß“ zu setzen. Dies hier war bitterer Ernst, und das sollte uns auch mal bewusst werden. Es geht auch um das Sich-Kümmern und darauf einzugehen, es konkret anzusprechen und es dem Betroffenen offen ins Gesicht urteilen.
Ich kann mir schon vorstellen, wie da sonst reagiert worden ist. Nämlich mit Schweigen, Kopfeinziehen und die Hoffnung, er möge sich bald aus der Runde entfernen. Dass David S. in seinem Entwicklungsprozess schon einen langen Weg hinter sich hatte, kann man als Spieler natürlich nicht wissen. Aber es sollte eine Grundvoraussetzung sein, angemessen zu reagieren anstatt die Situation nur zu verschlimmern. Wahrscheinlich wurde David S. durch sein Fehlverhalten auf den Servern abgewatscht, also eben auch in gewisser Weise malträtiert.
Wenn sich schon ein Gefährdeter in die Welt der Onlinespiele begibt, sind Verhaltensauffälligkeiten für das Spiel natürlich nicht von Vorteil. Doch kannten sich die Leute auch persönlich. Gingen ab und zu gemeinsam zum McDonalds, aßen, tranken und fachsimpelten über ihre Zocksessions. David S. hat wohl in diesem Moment entweder vermindert oder vollständig dieselben Zustände vorgefunden wie in der Schule. Saß für sich da, weil er „so komisch redet“ oder „einen komischen Gang hat“, eventuell. Vielleicht auch nicht ganz so direkt. Aber sollte uns bei solchen Dingen nicht doch die Schuld zugesprochen sein, dass wir in der Entwicklung des Gefährdeten, ganz im Einklang mit den anderen Amokläufern, so etwas wie die letzte Instanz bzw. der letzte Strohhalm für ihn sind und ihn abgewiesen haben? Indem wir genau dieselbe Verhaltensweise an den Tag gelegt haben wie Davids Mitschüler? Wie gesagt, da sitzt jemand, dessen Fass schon bis obenhin voll ist, und dann kommen wir daher und füllen die letzten Reste nach, bis es sprichwörtlich übergelaufen ist...
Was kommt als nächstes?
Wenn man Gründe für eine Tat wie diese sucht, bleiben die Opfer naturgemäß im Hintergrund. Da David S. seine Opfer, wie nachzulesen war, nach einem Muster aussuchte, wird der Hundert-Prozent-Status jedoch ein wenig herabgesetzt. Jetzt braucht ihr mir nicht sagen, dass man das nicht tut, ich will auch die Tragik und den Schock über die Unsinnigkeit der Tode nicht anzweifeln. Dass sie jedoch – zumindest optisch – in das „Beuteschema“ von David S. passten, hat etwas Bezeichnendes an sich.
Der Täter hat nichts anderes getan wie andere auch, nämlich seine eigenen Feindbilder kreiert, sie zum Ziel gemacht und zurückgeschlagen. Doch hat er nicht gemobbt oder gehänselt. Er hatte eben nicht gelernt, wie man das tut. Seine Reaktion war eine andere, aber es war eine. Da ist es für den Außenstehenden leicht, ihm unsinnige Ratschläge zu erteilen. Ihn dazu gedrängt, die Leute zu ignorieren – das vielleicht. Höre ich auch ständig. Aber man kann es nicht ignorieren, wenn eine labile Seele schon lange nicht mehr nach dem Muster funktioniert, die Demütigung wegzuwischen oder ganz schnell ganz nach innen zu transportieren. Eine frische Wunde fängt ja auch wieder an zu bluten, wenn man mit den Fingern kratzt. Tut man das ständig, entzündet sich diese, bis die Gliedmaße nicht mehr zu retten ist. Eigentlich ganz simpel, oder?
Da sich an unserem Verhaltensmuster und die Reaktionen Gefährdeter nichts oder nur wenig oder langsam etwas ändern wird, werden wir auch in Zukunft mit solchen Vorfällen rechnen müssen. Aber bin ich wirklich erstaunt und froh darüber, dass sich die Medien nicht schon wieder auf unser Hobby eingeschossen haben. Ja, selbst ein Christian Pfeiffer, unsere Nemesis schlechthin, hat sich in „hart aber fair“ nicht mal so wie sonst auch über den angeblichen Effekt von „Killerspielen“ ereifert.
Es war schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten es von der psychologischen Seite betrachten, uns anderweitig sensibilisieren und auffällige Menschen mit Macken nicht gleich in der Form ausschließen, wie es in Zügen David S. passiert ist. Jedenfalls kann es so nicht weitergehen, und wir sollten unseren Beitrag dazu auch mal überdenken. Einfach so weitermachen wie bisher, das ist der falsche Weg. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste David S. oder Tim K. vor uns steht und wir vielleicht in die Mündung eines echten Gewehres starren müssen...
Kommentare
Kommentare sortieren nach