25 Jahre GameStar - Martin Dietrich: »Recherchen lassen mich verzweifeln«

Für GameStar Plus schreibt Martin seit fünf Jahren ausführliche Reportagen, die ihn immer wieder kirre machen. Was Besseres hätte ihm nicht passieren können.

Martin Dietrich taucht für GameStar Plus gerne tief in die Recherche ein. Warum ihm das nicht immer leicht fällt, erzählt er in seiner Kolumne. Martin Dietrich taucht für GameStar Plus gerne tief in die Recherche ein. Warum ihm das nicht immer leicht fällt, erzählt er in seiner Kolumne.

Greg Zeschuk sagte in einem seiner letzten Interviews als Geschäftsführer von Bioware, dass Electronic Arts ihnen als Firma ein ausreichend langes Seil geben würde, um sich selbst zu erhängen. Mit der GameStar und mir ist es ein bisschen ähnlich, wenn ich ehrlich bin. Das liegt selbstredend nicht an der Redaktion, die mich wie ein Mafioso auf die seidene Konsequenz hinweisen, wenn ich nicht mehr Artikel liefern würde.

Als freier Journalist, der über Videospiele berichtet, kann man schließlich an einer ganzen Palette von Formaten mitwirken: Previews, Test, Video-Scripte, News, Guides, Analysen, Bestenlisten oder Kolumnen. Einiges davon habe ich in der Vergangenheit bereits umgesetzt oder mache es heute noch mit großer Freude. Am liebsten stürze ich mich aber in die Recherche für eine aufwendige Reportage, die spezifische Ereignisse aufdröselt oder Phänomene aus möglichst vielen Blickwinkeln beleuchtet.

Wie steht es angesichts der jüngsten Microsoft-Studioübernahmen um Monopoltendenzen in der Branche? Was fasziniert Menschen an hyperkomplexen Strategiespielen?

Am Ende lernen dabei hoffentlich nicht nur die Leser und Leserinnen etwas Neues, sondern auch ich. So komme ich in Kontakt mit Experten, die in einer bestimmen Nische einen fast unheimlichen Fundus an Wissen aufgebaut haben. Oder ich übertrage das Wissen von eigentlich fachfremden Personen auf das große weite Feld der Videospiele. GameStar Plus ist ein Ort, wo genau solche Texte abseits der tagesaktuellen Berichterstattung florieren können.

Das kann wunderbar erhellend sein. Gleichzeitig befinde ich mich dadurch aber auch regelmäßig in der Situation, mir selbst ein Bein gestellt zu haben. Recherchen ufern aus, eigentlich simple Fragestellungen stellen sich als doch nicht so selbsterklärend heraus.

Mehr Inhalte zum Jubiläum findet ihr auf unserer Themenseite. Die persönlichen Rückblicke aller Redakteure haben wir für euch als übersichtliche Webstorys zusammengestellt:

Wo hin mit dem Interview?

Um mal konkret zu werden: Die Redaktion fragte mich einmal, ob ich einen Text darüberschreiben könnte, wie deutsche Spiele im Ausland wahrgenommen werden und welche Titel nicht nur hier so begehrt sind wie eine Mass auf dem Oktoberfest. Spannendes Thema – gerade, weil damals der bundesweite Förderfonds seine ersten tapsigen Schritte hinter sich hatte.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten gesprächswillige Stimmen zu finden, war der Report auch auf einem guten Weg. In der Zwischenzeit hatte ich nur eine folgenschwere Feststellung. Bis auf die paar üblichen Verdächtigen gibt es kaum Leuchtturmprojekte, die jeder mit deutschem Videospielhandwerk assoziiert wie The Witcher mit Polen. Ganz ähnlich ergeht es der deutschen Musik-, Film-, und Buchszene, die nur alle paar Jubeljahre einen internationalen Hit produziert.

Warum ist Deutschland eigentlich so schlecht darin, Kunst zu schaffen, die global anschlussfähig ist? Ich mag es sehr, wenn journalistische Texte es schaffen, nicht nur eine spezifische Frage zu beantworten, sondern das Ganze auch noch in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Ich war mir in meiner Hybris sicher, dass ich genau das hier leisten könnte.

Ich muss zugeben, dass ich einen kleinen Faible dafür habe, mir wissenschaftliche Artikel über Videospiele durchzulesen, auch wenn sie mit meiner eigentlichen Recherche nur wenig zu tun haben. Es klingt eben sehr clever, wenn dann doch mal daraus zitiere. Für meinen Report über komplexe Strategiespiele, habe ich beispielsweise eine Studie gefunden, die Dark-Souls-Spieler und Spielerinnen dahingehend analysierte, wie der hohe Schwierigkeitsgrad sich auf ihr Spielfreude auswirkt. Ich muss zugeben, dass ich einen kleinen Faible dafür habe, mir wissenschaftliche Artikel über Videospiele durchzulesen, auch wenn sie mit meiner eigentlichen Recherche nur wenig zu tun haben. Es klingt eben sehr clever, wenn dann doch mal daraus zitiere. Für meinen Report über komplexe Strategiespiele, habe ich beispielsweise eine Studie gefunden, die Dark-Souls-Spieler und Spielerinnen dahingehend analysierte, wie der hohe Schwierigkeitsgrad sich auf ihr Spielfreude auswirkt.

Ich wälzte einige wissenschaftliche Artikel dazu und sprach über eine Stunde lang mit Prof. Dr. Thomas Hecken von der Uni Siegen. Prof. Hecken ist Germanist, Experte für Popmusik und Herausgeber der Zeitschrift »Pop. Kultur und Kritik«. Er selbst kann mit Videospielen nicht so viel anfangen, aber es war trotzdem ein sehr schönes Gespräch. Es ging unter anderem um Freddy Mercurys und Giorgio Moroders Zeit in München und natürlich auch den künstlerischen Exodus, den Deutschland nach 1933 erlebte.

Am Ende sind wir einer Antwort auf meine Frage schon ein ganzes Stück nähergekommen. Als ich dann aber am Text selbst saß und mich meine Notizen anstarrten, dämmerte es mir. Das passt ja gar nicht zum Thema!

Also irgendwie mit zwei zugekniffenen Augen schon, aber wenn der Artikel die vereinbarte Seitenzahl nicht überschreiten soll, dann stehe ich vor einem Problem. Zwischen meinen anderen Themenschwerpunkten war schlicht kein Platz mehr für einen derartigen Ritt durch die deutsche Popkultur-Nachkriegsgeschichte. Ein Herunterdampfen auf das Allernötigste kam nicht in Frage, dann wäre es so oberflächlich wie redundant gewesen. Je länger ich mir darüber Gedanken machte, Absätze anfing und wieder löschte, desto weniger Vertrauen hatte ich in die Aussagekraft meiner Worte.

Schließlich musste ich das Interview und meine Recherche dazu schweren Herzens komplett rausnehmen. Bis auf den Einstieg konzentriere ich mich im Artikel komplett auf die Videospielbranche. Es war schon die richtige Entscheidung, auch wenn's weh tat.

Wem soll ich glauben?

Schon bei meinem Gespräch mit Peter über die Recherche zum fünfteiligen Gothic-Report habe ich die Schwierigkeiten erwähnt, eine Entwicklungshistorie nachzuzeichnen, die viele Jahre her ist. Die menschliche Erinnerung hat leider so ihre Eigenheiten und genau dort Lücken, wo es einem gar nicht in den Kram passt. Vielfach können sich Beteiligte nicht an wichtige Details erinnern oder bringen Ereignisse durcheinander.

Der riesige Gothic-Report brauchte drei Monate Recherche Video starten PLUS 24:48 Der riesige Gothic-Report brauchte drei Monate Recherche

Im Vergleich mit meinem Artikel über die Entwicklungsgeschichte von Sacred war das aber ein Kindergarten. Die ersten beiden Diablo-Konkurrenten entstanden Anfang der 2000er-Jahre unter der Schirmherrschaft von zwei Entwicklerteams, die in Aachen und Gütersloh saßen.

Die Beziehung zwischen beiden Standorten war bisweilen angespannt, vorsichtig formuliert. Vorwürfe standen immer wieder im Raum, die jeweils anderen würden einem in die Suppe spucken. Selbst über 15 Jahre später hatten einige der Beteiligten noch den Nachgeschmack im Mund.

Das merkte man zum einen daran, dass mir Geschichten darüber erzählt wurden, was sich den jeweils die Leute aus Aachen oder Gütersloh bei jener Firmenfeier damals erlaubt haben sollen. In den allermeisten Fällen hielt aber keine der Erzählungen einer näheren Betrachtung stand und brach schon nach der ersten Nachfrage auseinander.

Klar, Crysis kommt aus Frankfurt und war sehr erfolgreich. Das weiß man. Aber warum sind nur so wenige Videospiele aus Deutschland auf internationale Verkaufscharts zu finden? Ich habe versucht, darauf eine Antwort zu finden und habe mich dabei nur ein bisschen verrannt. Klar, Crysis kommt aus Frankfurt und war sehr erfolgreich. Das weiß man. Aber warum sind nur so wenige Videospiele aus Deutschland auf internationale Verkaufscharts zu finden? Ich habe versucht, darauf eine Antwort zu finden und habe mich dabei nur ein bisschen verrannt.

Das herauszufinden, war zeitraubender als es mir lieb war. Zwischenzeitlich stellte ich den gesamten Text in Frage, weil ich mir gar nicht mehr sicher war, was überhaupt belegbar ist. Wenn ich fragte, welche Farbe die Wand im Entwicklerbüro hatte, antwortete der eine mit großer Sicherheit grün. Der andere meint wiederum, es muss hundertprozentig ein gelbes Muster gewesen sein und der dritte meinte einfach nur: Wir hatten eine Wand?

Irgendwie ist dann aber doch ein recht ordentlicher Text herausgekommen. Der Weg dahin war aber gepflastert von viel zu vielen schlaflosen Nächten.

Obwohl es vielleicht so wirkt, möchte ich all das nicht missen. Die Detektivarbeit, das Ausprobieren und manchmal auch das Scheitern haben mir viel über den Job beigebracht und tun es auch noch heute. Dafür bin ich der GameStar sehr dankbar. Und irgendwann finde ich auch noch heraus, welche Farbe die Wand hatte.

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