Das erste Open-World-Spiel, das ich gespielt habe, muss Ultima 7: Serpent Isle von 1993 gewesen sein. Wohlgemerkt »gespielt«, nicht »verstanden«: Am Anfang erleiden mein Weltenretter und seine Gefährten Schiffbruch auf der Schlangeninsel, stapfen am Strand herum - und ein paar magische Blitze später sind nicht nur die Gefährten plötzlich weg, sondern auch meine magische Ausrüstung! Statt des furchteinflößenden Schwarzen Schwerts trage ich plötzlich einen Bimsstein, der funkelnde Helm mutiert zur Damen-Pelzmütze, im Rucksack ersetzen sexy Seidenstrümpfe den Zauberstab. Und der zehnjährige Micha sitzt da und denkt: Hä?
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Okay, dem 38-jährigen Micha geht es heute noch genauso, der Auftakt von Serpent Isle ist wirr. In bester Erinnerung bleibt mir jedoch, was danach kommt, nämlich das Städtchen Monitor, in dem ich frei herumlaufen und tun kann, was ich will: in fremden Häusern herumschnüffeln, mit Katzen und Hunden quatschen, die Pelzhändlerin und den Bildhauer besuchen, in der Taverne Bierkrüge auf den Boden werfen, auf der Laute zupfen und Dartpfeile werfen, beim Schmied einen Degen klauen, von einem Gardisten erwischt werden, den Gardisten erstechen. Und wenn's schiefgeht, lande ich im Gefängnis. Normale Sachen, die man als Zehnjähriger eben so macht.
Sogar das Umland von Monitor darf ich bereisen, der Straße durch den Wald folgen, eine Trollhöhle säubern. Und dabei kommt mir die Welt so unglaublich lebendig vor: Einwohner öffnen Fenster, um zu lüften, am Abend verkrümelt sich die halbe Stadt ins Wirtshaus, wo die Wirtin von Tisch zu Tisch huscht, während die Gäste abwechselnd nach Bier krakeelen oder rülpsen. Ich glaube, ich habe in Serpent Isle keine einzige Quest gelöst - meine Kenntnisse in Shakespeare-Englisch (»Begone with thee, stranger!«) waren mit zehn Jahren noch ausbaufähig -, aber diese Welt hat mich nachhaltig beeindruckt.
Und sie hat meine persönliche Top Ten der besten Open Worlds geprägt.
Der Autor
Michael Graf würde nicht behaupten, dass Spiele durch eine Open World Spiele automatisch besser werden. Wenn ein Spiel vor allem eine packende Handlung vermitteln soll, ist eine lineare Struktur deutlich sinnvoller - man stelle sich nur Life is Strange oder A Plague Tale: Innocence mit Open World vor, Unfug! Open Worlds spielen für Micha ihre Stärken aus, wenn er keine vorgefertigte Geschichte nacherleben, sondern seine eigene schreiben möchte. Einfach dadurch, wohin er als erstes geht.
Lass mal dorthin gehen
Das ist lange her - 28 Jahre, Wahnsinn! -, und auf die Schlangeninsel folgten noch zahlreiche andere Open-World-Spiele (darunter der Vorgänger Ultima 7: The Black Gate). Aber ich glaube, diese kleine Anekdote sagt schon einiges darüber aus, was ich von einer Open World erwarte. Oder besser, was mich an einer offenen Spielwelt am meisten fasziniert: Freiheit nämlich. Die Möglichkeit, zu gehen, wohin ich will, und zu tun, was ich will. Und dann zu schauen, wie die Welt, wie ihre Bewohner darauf reagieren. Okay, mit zehn Jahren mag das an meiner kindlichen Neugier gelegen haben. Doch die habe ich mir offensichtlich bewahrt.
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