Zusammenbau mit Tücken
Der Zusammenbau gelingt bis auf ein paar Ausnahmen ohne Komplikationen und ist weitestgehend so selbsterklärend wie mit aktueller Hardware. Der Pentium II gleitet auch nach 20 Jahren noch geschmeidig in den Slot des Mainboards. Mittlerweile etwas ungewohnt sind die zwei beweglichen Nasen der RAM-Slots, die aber mit etwas Druck gleichzeitig in die Kerben des Speicherriegels einrasten.
Von den schmalen SATA-Kabeln verwöhnt, erscheinen die alten Flachbandkabel sehr breit, unflexibel und platzraubend, um die Laufwerke mit dem Mainboard zu verbinden. Zudem ist unser Floppy-Kabel nicht verdrehsicher, sodass uns eine Fehlermeldung (floppy disk fail) beim erstmaligen Booten begrüßt. Für das CD-Laufwerk und die Festplatte muss ebenfalls an die korrekte Jumper-Konfiguration gedacht werden. Wir entscheiden uns für zwei Master-Laufwerke an unterschiedlichen IDE-Ports und Flachbandkabeln.
Ein größeres Problem bereiten uns die beiden PCI-Grafikkarten, die mithilfe eines sogenannten Loopkabels miteinander verbunden werden, das das Signal der primären 3D-Karte mit Riva-128-Chip an die Voodoo-Karte durchschleift und schließlich auf dem Monitor ausgibt. Ein solches Kabel haben wir weder in unserem Lager, noch finden wir eines im Internet.
Während der Suche stolpern wir allerdings über einen Workaround mithilfe eines vollbeschalteten, 15-poligen VGA-Verlängerungskabel und einem Gender-Changer, der einen der männlichen Anschlüsse des Kabels umpolt. So ist es möglich, die beiden Grafikkarten miteinander zu verbinden und das Signal weiterzuleiten.
Zerreißprobe Installation
Nach dem Zusammenbau ist vor der Installation: Der provisorische Start per Pin-Überbrückung mithilfe eines Schraubendrehers führte uns per Entfernen-Taste ins BIOS. Der markante Blauton und die nur per Tastatur zu bedienende Oberfläche weckt allerhand Erinnerungen an früher. Doch auch ohne Maus-Support, schicke Grafiken oder Anzeigen erfährt man mit wenigen Tastenbefehlen das Wichtigste über das eigene System. Unsere verbaute Hardware wird ordnungsgemäß erkannt, weiter geht es mit der Installation des Betriebssystems.
CD-Rom einlegen und los, so zumindest der Gedanke, die Praxis verlangt von uns eine Bootdiskette, damit unser System das CD-Laufwerk überhaupt erkennt. Ein neues Problem ist geboren: Jeder halbwegs aktuelle PC besitzt weder ein Diskettenlaufwerk noch den dazugehörigen Anschluss auf dem Mainboard. Abhilfe schafft nur ein USB-Diskettenlaufwerk, dessen Versand einige Tage dauert und das kurz nach dem Beschreiben der Bootdiskette den Dienst verweigert.
Die Installation per Eingabeaufforderung (Ordnerwechsel per dir-Befehl, Windows 95 CD einlegen und die setup.exe starten) aufzurufen, fühlt sich fast surreal an, obwohl die Befehle noch fest im Kopf verankert und abrufbereit sind. Die eigentliche Installationsroutine von Windows 95 unterscheidet sich kaum von neueren Versionen, einmal von der niedrigen Auflösung und dem schlecht gealterten Design abgesehen. Während des Setups, das uns mit unzähligen »Weiter«-Klicks beglückt, entsinnen wir uns, dass die Spiele-Klassiker Solitär und Minesweeper noch gesondert unter den Extras ausgewählt werden wollen.
Neustarts und rotierende Scheiben
Nach mehreren Neustarts erstrahlt das vertraute Windows 95-Logo während der Bootsequenz, anschließend werden wir vom türkisen Hintergrund mit dem ikonischen Arbeitsplatz-Symbol auf dem Windows-Desktop begrüßt. Die Hälfte der Arbeit ist geschafft, nun fehlen noch sämtliche Treiber. Das kann ja heiter werden. Doch in den Tiefen des Internets stolpern wir auf die benötigten Treiber und Programme.
Dazu zählen nicht nur Chipsatz- und Grafikkartentreiber, auch DirectX und sämtliche Mainboard-Hardware wie etwa die USB-Ports wollen bedacht werden. Und obwohl die USB-Ports nach mehrmaligen Neustarts und aufwändiger Treiber-Aktualisierung per manueller Auswahl funktionieren, kommuniziert bis heute kein USB-Gerät (Sticks eingeschlossen) mit unserem Retro-PC.
Kurzum: Wir müssen alle Treiber auf CD brennen. Nach der gängigen Faustregel Mainboard vor Grafikkarte vor restlicher Hardware ackeren wir uns durch die Treiberinstallation und nach vielen Reboots sieht der Geräte-Manager endlich davon ab, uns mit einem gelben Ausrufezeichen auf noch nicht korrekt installierte Hardware hinzuweisen.
Im Spielelager schnappen wir uns zeitgemäße Perlen und legen mit der Installation los, was gefühlte Jahre Wartezeit bedeutet, obwohl nur wenige Megabyte auf die Festplatte befördert werden. Nahezu alle Spiele verlangen nach der CD, durch das ständige Wechseln fühlen wir uns trotz nur fünf Titeln schnell wie ein DJ.
Ein weiteres Relikt alter Zeiten offenbart sich bei den Patches: Eine zentrale Plattform für Spiele wie Steam oder der Battle.net-Client existiert damals nicht, Patches oder ein nachträgliches 3Dfx-Update müssen von der Herstellerseite heruntergeladen oder von einer Heft-CD bezogen werden.
Unsere ausgesuchten Klassiker Age of Empires, Fifa 98, Quake 2, Starcraft und Tomb Raider 2 laufen bis auf ein paar Bluescreens beim Start von Microsofts Echtzeitstrategie-Hit problemlos. Allen voran Quake 2 und Tomb Raider 2 glänzen mit einer sauberen Implementierung der 3Dfx-Features, das die Grafik durch die dann benutzte Glide-Schnittstelle deutlich aufwertet.
Von einer hohen Auflösung und 60 Bildern pro Sekunde sind wir allerdings weit entfernt. Der 4,0 MB große VRAM der Voodoo-Grafikkarte erlaubt bei aktiviertem Z-Buffer eine maximale Auflösung von 640 x 480 Pixel. Die Framerate liegt bei gefühlt 30 fps mit deutlichen Schwankungen in die niedrigen Zwanziger.
Der Ausflug in vergangene Hardware- und Spielegenerationen hat sich als abenteuerliches Unterfangen entpuppt. Mit längst vergessenen Komponenten zu hantieren, auf Probleme von früher zu stoßen und die Spiele von damals erneut zu sehen, hat uns in Erinnerung schwelgen lassen. Zeitgleich zeigt uns der Retro-PC aber auch, dass früher eben nicht alles besser war und insbesondere der Softwarekomfort deutlich gestiegen ist.
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