Sprechenden Computern gegenüber sind Sie grundsätzlich misstrauisch eingestellt? Beim Liebesspiel verlassen Sie fluchtartig den Raum? Und bei der Bekämpfung von Feinden fragen Sie schon lange nicht mehr nach dem „Warum“? Haben Sie all diese Fragen mit „Ja“ beantwortet, dann haben Sie die vielen Klischees in Video- und Computerspiele inzwischen besser erzogen als Sie denken. Wir zeigen die wichtigsten der durchgekauten Kamellen und erklären, wo sie herkommen und weshalb sie auch heute noch so gut funktionieren.
Außerdem fordern wir Sie natürlich wieder auf uns in den Artikel-Kommentaren weitere Klischees zu nennen.
Kein Job ist dumm genug
Kommt in Der Herr der Ringe Online ein strahlender Level 65-Held, der bereits einen Balrog besiegt, den Kampf mit einem Nazgul überlebt und die Hauptstadt des Hexenkönigs infiltriert hat, zu einem Elben in Lothlorien. Sagt der Elb: »Gut, dass Ihr da seid! Ich würde gerne Farben anrühren. Dafür brauche ich zehn Brocken Kreide und rote Beeren von zehn Sträuchern. Helft Ihr mir?« Wie bitte, spinnt der? Farben anrühren? Kreide? Beeren? Was also antwortet ihm der gestählte Held? Genau: »Mach ich gerne!«
Es ist offensichtlich: »Held« ist in Spielen zumeist nur ein freundliches Synonym für »Depp vom Dienst«. Zwar winken nach der Ochsentour im Rattenkeller immerhin Belohnungen, aber selbst das ist gern Trödel. Lag da nicht irgendwo noch Großmutters Halskette verstaubt im Schrank? Den Plunder nimmt der Held sicher gerne. So, und nun aber los, zehn Rüben ernten, 25 Bärensteaks für die Kompanie holen, 20 Stapel Brennholz sammeln oder 15 Scherben aus einer feindversuchten Ruine für archäologische Zwecke bergen! Das ist wichtiger als schnödes Weltenretten! Ist die Arbeit getan, dann soll der Held bitte noch an meiner Stelle mit dem Nachbarn reden, die Hühner füttern und ausstehende Schulden eintreiben.
Ebenfalls beliebt ist die Adventure-Variante des Wucherhandels: »Ich gebe dir fast wertlosen Gegenstand A (Schlüssel, Hammer, abgenagten Hühnerknochen), wenn du mein großes Lebensproblem löst (Mafia, Beziehungskrise, tödliche Krankheit).« Von Mindestlöhnen und Heldentaten à la Herkules kann der Spieleheld nur träumen. Obwohl: Selbst der große Grieche musste Ställe ausmisten.
Gerade in Rollenspielen, die ganze Welten oder zumindest Landstriche simulieren wollen, müssen Entwickler nach genügend Questmaterial Ausschau halten. Dabei kann nicht gleich jede Aufgabe die Welt retten oder Erzdämonen bannen wollen. Während ein Siegfried von Xanten im Nibelungenlied von Heldentat zu Heldentat eilen darf (Riesen erschlagen, Drachen erschlagen, Schatz erbeuten, Sachsen besiegen, Kriemhild erst im Zweikampf, dann im Bett niederringen), braucht der Spieler vor allem in weniger linear angelegten Titeln mehr Abwechslung und auch alltägliche Erdung. Die Hilfe für eine alte Witwe oder wehrlose unterdrückte Bauern bietet da einen wohltuenden Kontrast zu den Drachen und Erzdämonen am Ende der Dungeons. Und die Dankbarkeit einer Mutter über ihren wiedergekehrten Sohn kann befriedigender sein als das Haupt eines gefällten Ork-Anführers.
Warum Gegner kein Motiv brauchen
Es ist einerlei, ob sie Reaper (Mass Effect), dunkle Brut (Dragon Age: Origins) oder Combine (Half-Life 2) heißen. Es ist ebenso egal, ob sie von einem Erzdämon (Gothic), einem untoten Drachen (Gothic 2) oder Satan höchstpersönlich (Doom) angeführt werden. Ihr Ziel ist immer dasselbe: die Vernichtung der Menschheit. Schön, und dann? Sind sie dann endlich glücklich, herrscht dann Frieden im Universum? Oder war ihnen nur unser TV-Programm lästig?
Wir wissen es nicht. So gut wie nie bekommen wir die Motive unserer Gegner im einen Spiel vermittelt. Erzdämonen und Höllenscharen sind böse. Punkt. Untote sind eine Gefahr. Punkt. Das funktioniert auch mit Feinden, die tatsächlich einer Ideologie folgen, deren Erklärung aber im Spiel nur stören würde. Nazis muss man umbringen. Wieso? Egal. Kommunisten muss man umbringen. Terroristen muss man umbringen. Weltanschauung, Religion, Armut, Wirtschaft, dynastische Interessen, Macht oder Ressourcen als Gründe für Kriege oder Vernichtungsfeldzüge kommen bei Feindbildern nur selten zu Geltung. Wozu auch? Die Blockbuster im Kino machen es ja vor: Die dunkle Seite der Macht, die Decepticons, Sauron, Nazis, Satan. Das Böse braucht kein Motiv.
Das ist ein Problem mit philosophischen Anklängen, den »das Böse« ist eine gedankliche Fiktion: der unbeholfene Versuch, Interessen in eine moralische Schublade zu zwängen und dann mit einem Stempel zu versehen. Niemand handelt aus dem Trieb heraus, »Böse« zu sein, sondern verfolgt stets persönliche Ziele. Jeder Handelnde hat einen Grund, einen Willen, ein Motiv. Das ist nun mal ein komplexer Sachverhalt, mit dem man sich bei seinem Freizeitspaß nicht unbedingt belasten möchte. Wer will jedes Mal die komplette Ideologie der Nationalsozialisten samt Rassentheorien, »Raum im Osten«-Plänen und Gleichschaltungsmechanismen präsentiert bekommen, wenn man gegen das dritte Reich in den Krieg zieht? Braucht man eine komplette Bibelexegese, um Spaß dabei zu haben, in der Hölle von Doom aufzuräumen? Nein, gewiss nicht.
Titel mit anspruchsloser Handlung können durchaus anspruchslose Feinde präsentieren. Titel aber, die »erwachsene« Geschichten erzählen, dürfen sich der Herausforderung komplexer Motive stellen. Man denke an The Witcher, das die legitimen Interessen der beiden Bürgerkriegsparteien gleichberechtigt gegenüberstellt. Selbst der finale Drahtzieher der Verschwörung agiert aus einem nachvollziehbaren Motiv heraus. Eine solche Differenzierung würden wir uns öfter wünschen. Wie wäre es mal mit einem Spiel zur Zeit des dreißigjährigen Krieges? Dort kollidieren religiöse, nationale, persönliche und dynastische Interessen in einem unentwirrbaren und hochgradig tödlichen Konflikt. Was für ein Szenario …
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