The Medium: Das erste große Story-Highlight des Jahres im Test

Die düstere Melancholie von Silent Hill trifft stilvollen Charme von Baphomet’s Fluch. Die neuartige Splitscreen-Mechanik macht den Oldschool-Horror besonders, doch im Zentrum steht eine bittere Story.

The Medium fängt gut an und wird dann immer besser - Testvideo zum Next Gen-Horror auf PC und Xbox Series X | S Video starten 15:16 The Medium fängt gut an und wird dann immer besser - Testvideo zum Next Gen-Horror auf PC und Xbox Series X | S

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In gedimmtem Licht sehen wir eine junge Frau, ihr Gesicht ist so schmutzig wie der Tisch, an dem sie sitzt. »Alles beginnt mit einem toten Mädchen« sagt sie, und zieht nervös an ihrer Zigarette. Die Szene wechselt zu einem nächtlichen See.

Dort steht an einem Holzsteg ein Mädchen im Nachthemd, vielleicht 12 Jahre alt. Es zittert vor Angst. Denn hinter ihr erscheint eine Gestalt mit einer Pistole. Ein Schuss fällt, und Marianne, die Frau am Tisch, drückt ihre Zigarette aus. Es sei wie eine Erinnerung, die sie ständig verfolgt, jedoch ohne einen Sinn zu ergeben. Bis zu dem Tag, an dem ein gewisser Thomas anruft, der offenbar mehr über Mariannes Erinnerung weiß. Im verlassenen Niwa-Erholungsresort soll sie ihn treffen, um mehr über das Mädchen am See zu erfahren, dort beginnt die Geschichte von The Medium.

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Ein neues Silent Hill?

The Medium hat viel vom Horror-Klassiker Silent Hill. Und damit ist nicht nur der genial verstörende Soundtrack von Akira Yamaoka gemeint. Nein, es ist genauso durchzogen von einer absoluten Düsternis, legt Wert auf detaillierte Charakterzeichnung und verwendet oft halbstarre Kameraeinstellungen. Doch The Medium ist kein klassisches Survival-Horrorspiel, denn gekämpft wird in diesem Adventure nicht. Stattdessen gibt es ausgeklügelte Qualitätsrätsel, die wir mit viel Spaß an der Sache erledigen.

Trotzdem orientiert sich The Medium nicht nur an Spielegrößen vergangener Tage. So kommt häufig eine innovative Splitscreen-Mechanik zum Einsatz, die es uns erlaubt, das übersinnlich begabte Medium Marianne - die Frau aus der ersten Szene - simultan in zwei Realitäten zu steuern - in der materiellen und in der Geisterwelt. Dadurch verdoppelt sich in gewisser Weise der Spielspaß, weil sich manche der durchweg großen Areale zweifach erkunden lassen.

Rätseln im Hotel

Im Verlauf der hochemotionalen Geschichte steuern wir Marianne unter anderem durch idyllische Wälder, eine unheimliche Burgruine und sogar einen verlassenen Atombunker. Der Hauptschauplatz des Spiels ist aber das vielfältige Niwa-Erholungsresort, wo wir den mysteriösen Anrufer Thomas zu finden hoffen.

Kurz nachdem wir das Erholungsresort betreten haben, lernen wir »Trauer« kennen. Das tote Mädchen lebt in der Geisterwelt, ihr ist Schreckliches widerfahren. Kurz nachdem wir das Erholungsresort betreten haben, lernen wir »Trauer« kennen. Das tote Mädchen lebt in der Geisterwelt, ihr ist Schreckliches widerfahren.

Das Resort ist ein mehrstöckiges Gebäude mit zahllosen Zimmern, Schwimmbädern, einer Kindertagesstätte und unübersichtlichen Kelleranlagen. Das größte Problem für unser Medium ist jedoch die Tatsache, dass der gesamte Bau vom Tod durchdrungen ist. Wenn Geister oder dämonischen Kreaturen in der Nähe sind, triggert das Mariannes mediales Seelen-Ich und somit die Splitscreen-Mechanik.

Dann geht es vor allem darum, die teils sehr liebevoll gestalteten Rätsel zu lösen. Zum Beispiel wollen wir einen Fahrstuhl in Gang setzen, seine Energieversorgung kann Marianne aber nur in der Geisterwelt aktivieren. Also trennt sich Marianne von ihrem physischen Körper, umgeht in der Astralebene die materiellen Hindernisse der realen Welt und versorgt die Stromquelle des Aufzugs mit Energie, die sie zuvor aus einer sogenannten Geisterquelle entnommen hat.

Zur Lösung einiger Puzzles benötigen wir Energie, die sich aus Geisterquellen (rechts hinten im Bild) gewinnen lässt. Doch die Dinger sind nicht immer leicht zu erreichen.

Die fesselndsten Puzzles sind klassische Kombinationsrätsel wie eine große Wasserpumpen-Schalttafel, mit deren Hilfe wir uns nach und nach einen Weg durch den bereits erwähnten Bunker bahnen. Oder ein Fotolabor, wo wir mit Entwicklungs-, Stopp- und Fixierbädern experimentieren dürfen. Manchmal müssen wir für des Rätsels Lösung in den Untersuchungsmodus in Egoperspektive wechseln. Was sich dem bloßen Auge entzieht, wird hier quasi per Röntgenblick zutage gefördert. Das funktioniert allerdings auch im regulären Modus, um etwa Geisterfußspuren sichtbar zu machen, die uns zu wichtigen Orten führen.

Was den ohnehin motivierenden Adventure-Teil weiter aufwertet, ist die Art, wie Marianne Situationen und Objekte kommentiert. Das macht sie nämlich fast schon literarisch mit einer guten Portion schwarzem Humor - und untermalt ihre Ansagen mit mimischen Details wie einem kurzen, natürlichen Nasenzucken oder dem zielsicheren Blick auf einen interessanten Gegenstand.

In manchen Rätseln kann Marianne in die Vergangenheit schauen, allerdings nur schemenhaft. Hier bringt sie in Erfahrung, was ein bestimmter Mann während seiner letzten Stunden tat.

Lauf, Marianne, lauf!

So richtig ungemütlich wird's, wenn »Der Schlund« die Bühne betritt, der einzige echte Gegner in The Medium. Er ist ein unerbittlicher Seelenfresser in Gestalt eines aufrecht gehenden Gargoyles, mit dem wir bei jeder Begegnung anders umgehen müssen. Mal jagt uns das Vieh in einer episch inszenierten Verfolgungsjagd durch die Gänge, an anderer Stelle schleichen wir mit angehaltenem Atem an ihm vorbei.

Einige dieser Passagen erfordern zusätzlich die Lösung eines kleinen Puzzles, bei dem wir unserem Verfolger etwa eine Ladung Schutt vor die Füße kippen, um ihn zu verlangsamen. Noch dazu will uns der Schlund nicht nur in der Geister-, sondern auch in der echten Welt an den Kragen, wobei er auf der materiellen Ebene nahezu unsichtbar wird.

Während in der materiellen Welt alles in Ordnung zu sein scheint, bedroht uns auf der Geisterebene ein fies dreinschauender Skeletthund. Während in der materiellen Welt alles in Ordnung zu sein scheint, bedroht uns auf der Geisterebene ein fies dreinschauender Skeletthund.

Das alles klingt vielleicht so, als würde es den sonst eher ruhigen Adventure-Rhythmus stören, doch sämtliche Action-Sequenzen und Stealth-Passagen lassen sich hervorragend spielen. Ein Problem ist eher, dass die Checkpoints etwas zu weit auseinander liegen. Außerdem ist der Schlund eben der einzige richtige Widersacher. Zwar behindern uns zuweilen auch riesenhafte Höllengestalten beim Balancieren über eine Schlucht. Der Abwechslung wäre ein weiterer Jäger jedoch sehr förderlich gewesen.

Nicht alle Begegnungen der paranormalen Art sind indes gefährlich. So treffen wir im verdorrten Schattenreich ein kleines Mädchen mit kreideweißer Totenmaske, das sich selbst »Trauer« nennt. Sie fungiert als unsere Bezugsperson in dem ganzen Albtraum - und ist außerdem ein ziemlich tragischer Charakter. Mehr verraten wir hier aber aus Spoilergründen natürlich nicht.

Oberklassehorror für Rätselfans

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Mariannes (übersinnliche) Welt ist von Leere und Einsamkeit geprägt. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Mariannes (übersinnliche) Welt ist von Leere und Einsamkeit geprägt.

The Medium brilliert mit einer eindringlich erzählten Geschichte, qualitativ hochwertigen Puzzles sowie einer sagenhaft bedrohlichen Klangkulisse. Die Splitscreen-Mechanik mit zwei simultanen Realitäten ist zwar nicht das Herzstück des Spiels, bringt aber willkommene Abwechslung in die Abenteuerei. Obwohl Bloober Team (Layers of Fear, Observer, Blair Witch) die Action- und Stealth-Passagen erfrischend umgesetzt und gut integriert hat, ist das Gegnerarsenal zu dünn besetzt. Auch ein weiterer Story-Charakter wie »Trauer« hätte Abwechslung gebracht. Unter dem Strich bleibt trotzdem ein sehr erlebenswertes Gruselabenteuer, das Adventure-affine Horrorfans nicht auslassen sollten.

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