Leveldesignerin ANGELINA
Die Chancen stehen gut, dass sich diese Ansicht durchsetzen wird und die prozedurale Generierung künftig auch in Bereiche und Genres vordringen kann, die ihr bislang verschlossen waren. Für Jim Rossignol ist dies beinahe unvermeidlich: »Der gemischte Ansatz von computergenerierten und anschließend handkorrigierten Inhalten ist schlicht der produktivste Ansatz für Studios aller Größenordnungen.«
Doch auch der »reinen Form«, die die Inhalte erst auf dem Rechner des Spielers errechnet, sagen die Schöpfer von Cloudberry Kingdom Großes voraus: »Bislang wurde die prozedurale Generierung nur in einer sehr beschränkten Zahl von Genres eingesetzt – für andere ist die Technologie noch nicht ausgereift. Aber wer weiß? Mit der zunehmenden Verbesserung der Algorithmen wird vielleicht irgendwann fast jedes Genres von der prozeduralen Generierung profitieren können. « Dass Shooter von zufallsgenerierten Waffen profitieren können, hat Borderlands gezeigt. Erwarten uns in Zukunft auch zufallsgenerierte Levels, zufallsgenerierte Gegnermodelle?
Chris Park führt aus: »Prozedural generierte Elemente werden künftig in fast jedem Spiel vorkommen. Im Moment setzt der AAA-Sektor auf Multiplayer, um die Spieler langfristig bei der Stange zu halten, und pfropft einen entsprechenden Modus auch Spielen auf, zu denen er nicht passt.
Zufallselemente und eine verbesserte künstliche Intelligenz scheinen mir da längerfristig die bessere Lösung zu sein.« Doch so kühn diese Prophezeiungen eines Siegeszugs der prozeduralen Generierung auch klingen mögen – sie sind geradezu bescheiden im Vergleich zu der Zukunftsvision, an der Michael Cook werkelt. Auch Cook arbeitet in seinem Dissertationsprojekt an der prozeduralen Generierung von Inhalten – doch er denkt weiter als nur an Level, Namen oder Monster. Viel weiter. »Ich war von Anfang an fasziniert von einer Idee: dass Software vollautomatisch ein komplettes Computerspiel für mich entwickeln kann«, schwärmt Cook.
Und tatsächlich hat ANGELINA – so der Name der künstlichen Intelligenz, die diesen Traum verwirklichen soll – bereits erste Spiele hervorgebracht. Sie sind auf den ersten Blick wenig spektakulär, aber sie haben es in sich. »In den meisten Spielen arbeiten die Systeme, die prozedurale Inhalte generieren, getrennt voneinander. Ein Algorithmus, der einen Level arrangiert, tut nur dies, und ignoriert alles um ihn herum. Wie aber bringt man diesen ›Leveldesigner‹ dazu, auf Veränderungen der Spielregeln zu reagieren?«
Unspielbare Level?
Cooks Lösung: ANGELINA darf etwas, das anderen Algorithmen verwehrt bleibt: Sie kann unspielbare Level generieren. Wie Cook erläutert, ist zum Beispiel ein Spelunky- Level immer darauf ausgerichtet, dass man sein Ende erreichen kann. ANGELINA dagegen kann unlösbare Levels schaffen und sie auch als solche erkennen.
Anstatt aber nun die Levelarchitektur anzupassen, kommt eine Funktion namens ›Mechanic Miner‹ zum Einsatz: Diese sucht in einer Code-Datenbank nach neuen Mechanismen, die eine Lösung für das Problem ermöglichen, und baut diese in den Level ein. Ist etwa eine Plattform unerreichbar hoch,entdeckt ANGELINA den Doppelsprung und konstruiert ein entsprechendes Item. Ein enormer Aufwand, um am Ende doch auch nur einen spielbaren Level zu erhalten, könnte man meinen. Cook widerspricht:
»Es gibt da dieses Sprichwort, das besagt: »Du kannst kein Neuland entdecken, wenn du nicht bereit bist, das Ufer aus dem Blick zu verlieren.« Indem ANGELINA ein breites Spektrum von Leveldesigns ausprobiert, sind die Chancen größer, dass sie etwas wirklich Neues und Innovatives entdeckt. Etwas, das wir nie zuvor gesehen haben.«
Cook ist sich allerdings bewusst, dass nicht alle seinen Enthusiasmus für eine vollständig zufallsgenerierte Zukunft des Computerspiels teilen. »Leute fragen oft, ob ANGELINA eines Tages Menschen ihren Job kosten wird. Ich glaube es nicht«, beschwichtigt er. »Sollte ANGELINA eines Tages tatsächlich bessere Spiele entwickeln als, sagen wir, Zynga, würde Zynga einfach Leute anstellen, die eine bessere ANGELINA bauen.
Industrien wie diese halten stets Gleichschritt mit dem technologischen Fortschritt.« Bei aller Liebe zu ANGELINA bestreitet er denn auch keineswegs den Wert des menschlichen Faktors: »Leute werden immer Spiele wollen, die von Menschen statt Computern gemacht wurden. Egal wie gut computergenerierte Spiele auch sein werden, wir schätzen das Gefühl, dass wir über ein Spiel in Kontakt treten mit einem anderen Menschen.«
Neue Ufer wirken aus der Ferne immer beängstigend – aber sie wecken auch die Neugier, sie zu erkunden. Für das Neuland der prozeduralen Generierung scheint dies doppelt zu gelten: Welcher Reichtum der Entdeckung harrt, wie entvölkert die neuen Ufer uns vorkommen werden – niemand weiß es genau. Fest steht lediglich: Die Erschließung des Zufallskontinents ist eines der großen Abenteuer, die das Medium Spiel noch bereithält.
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