Seite 4: Zufallsgenerierte Spielwelten - Das Spiel mit dem Zufall

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Leveldesignerin ANGELINA

Die Chancen stehen gut, dass sich diese Ansicht durchsetzen wird und die prozedurale Generierung künftig auch in Bereiche und Genres vordringen kann, die ihr bislang verschlossen waren. Für Jim Rossignol ist dies beinahe unvermeidlich: »Der gemischte Ansatz von computergenerierten und anschließend handkorrigierten Inhalten ist schlicht der produktivste Ansatz für Studios aller Größenordnungen.«

Doch auch der »reinen Form«, die die Inhalte erst auf dem Rechner des Spielers errechnet, sagen die Schöpfer von Cloudberry Kingdom Großes voraus: »Bislang wurde die prozedurale Generierung nur in einer sehr beschränkten Zahl von Genres eingesetzt – für andere ist die Technologie noch nicht ausgereift. Aber wer weiß? Mit der zunehmenden Verbesserung der Algorithmen wird vielleicht irgendwann fast jedes Genres von der prozeduralen Generierung profitieren können. « Dass Shooter von zufallsgenerierten Waffen profitieren können, hat Borderlands gezeigt. Erwarten uns in Zukunft auch zufallsgenerierte Levels, zufallsgenerierte Gegnermodelle?

Dwarf Fortress: Dwarf Fortress ist wohl das komplexeste Spiel aller Zeiten – seine Berechnungen sind derart vertrackt, dass es trotz Minimalgrafik selbst moderne Rechner in die Knie zwingen kann. Seit mehr als zehn Jahren arbeiten die Brüder Tarn und Zach William finanziert von wohlwollenden Fans (das Spiel selbst ist kostenlos) an der Verfeinerung der Algorithmen, die Zwergenfestungen von wortwörtlich unfassbarer Detailfülle entstehen lassen. Der Spieler, beauftragt mit dem Management der zufallsgenerierten Trotzburgen, kann unmöglich alle Faktoren überblicken, die zum Scheitern führen könnten.

Betrunkene Zwerge stiften Unheil Wie Dutzende von Tagebüchern faszinierter Spieler belegen, ist die Katastrophe absolut vorprogrammiert – aber dabei oftmals so herrlich absurd in ihren Ursachen, dass dem inoffiziellen Spielmotto »Losing is fun« unbedingt beizupflichten ist: Depressive, alkoholabhängige Zwerge, die in ihrem Rausch Pforten zu Unterwelten aufstoßen, in denen blutdurstige Elefantengötter hausen? Das ist bei Weitem nicht das Sonderbarste, was in diesem faszinierenden Indie-Geheimtipp passieren kann.

Chris Park führt aus: »Prozedural generierte Elemente werden künftig in fast jedem Spiel vorkommen. Im Moment setzt der AAA-Sektor auf Multiplayer, um die Spieler langfristig bei der Stange zu halten, und pfropft einen entsprechenden Modus auch Spielen auf, zu denen er nicht passt.

Zufallselemente und eine verbesserte künstliche Intelligenz scheinen mir da längerfristig die bessere Lösung zu sein.« Doch so kühn diese Prophezeiungen eines Siegeszugs der prozeduralen Generierung auch klingen mögen – sie sind geradezu bescheiden im Vergleich zu der Zukunftsvision, an der Michael Cook werkelt. Auch Cook arbeitet in seinem Dissertationsprojekt an der prozeduralen Generierung von Inhalten – doch er denkt weiter als nur an Level, Namen oder Monster. Viel weiter. »Ich war von Anfang an fasziniert von einer Idee: dass Software vollautomatisch ein komplettes Computerspiel für mich entwickeln kann«, schwärmt Cook.

Und tatsächlich hat ANGELINA – so der Name der künstlichen Intelligenz, die diesen Traum verwirklichen soll – bereits erste Spiele hervorgebracht. Sie sind auf den ersten Blick wenig spektakulär, aber sie haben es in sich. »In den meisten Spielen arbeiten die Systeme, die prozedurale Inhalte generieren, getrennt voneinander. Ein Algorithmus, der einen Level arrangiert, tut nur dies, und ignoriert alles um ihn herum. Wie aber bringt man diesen ›Leveldesigner‹ dazu, auf Veränderungen der Spielregeln zu reagieren?«

Unspielbare Level?

Dieses Weltraum-Hüpfspiel hat die Entwickler-KI ANGELINA selbst generiert. Dieses Weltraum-Hüpfspiel hat die Entwickler-KI ANGELINA selbst generiert.

Cooks Lösung: ANGELINA darf etwas, das anderen Algorithmen verwehrt bleibt: Sie kann unspielbare Level generieren. Wie Cook erläutert, ist zum Beispiel ein Spelunky- Level immer darauf ausgerichtet, dass man sein Ende erreichen kann. ANGELINA dagegen kann unlösbare Levels schaffen und sie auch als solche erkennen.

Anstatt aber nun die Levelarchitektur anzupassen, kommt eine Funktion namens ›Mechanic Miner‹ zum Einsatz: Diese sucht in einer Code-Datenbank nach neuen Mechanismen, die eine Lösung für das Problem ermöglichen, und baut diese in den Level ein. Ist etwa eine Plattform unerreichbar hoch,entdeckt ANGELINA den Doppelsprung und konstruiert ein entsprechendes Item. Ein enormer Aufwand, um am Ende doch auch nur einen spielbaren Level zu erhalten, könnte man meinen. Cook widerspricht:

»Es gibt da dieses Sprichwort, das besagt: »Du kannst kein Neuland entdecken, wenn du nicht bereit bist, das Ufer aus dem Blick zu verlieren.« Indem ANGELINA ein breites Spektrum von Leveldesigns ausprobiert, sind die Chancen größer, dass sie etwas wirklich Neues und Innovatives entdeckt. Etwas, das wir nie zuvor gesehen haben.«

A Valley Without Wind: Mit A Valley Without Wind wollten Arcen Games anno 2012 die auf Erkundung ausgelegten Platformer der 16-Bit-Ära mithilfe des Zufalls neu beleben. Hüpfend und schießend durchforstet man eine von lebenswidrigen Stürmen heimgesuchte Welt auf der Suche nach Rohstoffen, die nach und nach eine Siedlung im titelgebenden Tal entstehen lassen. Das Spiel war optisch allerdings gewöhnungsbedürftig und so detailverbliebt wie uninituitiv – der Erfolg blieb aus.

Lebensfeindliche Zufalls-Welt Der gerade erst erschienene Nachfolger nimmt sich die Kritik zu Herzen: Er ist grafisch generalüberholt, spielerisch entschlackt und weniger chaotisch in der Weltengenerierung. Dabei wird Valley 2 allerdings nicht nur zum zugänglicheren, sondern auch zum anderen Spiel: Die Platformer-Level wurden erweitert um eine brettspielartige Strategieebene, auf der Terrain bebaut, erkämpft und gegen einen Gegner verteidigt werden muss, der mit seiner Aggressivität und vermeintlichen Allmacht an AI War erinnert.

Cook ist sich allerdings bewusst, dass nicht alle seinen Enthusiasmus für eine vollständig zufallsgenerierte Zukunft des Computerspiels teilen. »Leute fragen oft, ob ANGELINA eines Tages Menschen ihren Job kosten wird. Ich glaube es nicht«, beschwichtigt er. »Sollte ANGELINA eines Tages tatsächlich bessere Spiele entwickeln als, sagen wir, Zynga, würde Zynga einfach Leute anstellen, die eine bessere ANGELINA bauen.

Industrien wie diese halten stets Gleichschritt mit dem technologischen Fortschritt.« Bei aller Liebe zu ANGELINA bestreitet er denn auch keineswegs den Wert des menschlichen Faktors: »Leute werden immer Spiele wollen, die von Menschen statt Computern gemacht wurden. Egal wie gut computergenerierte Spiele auch sein werden, wir schätzen das Gefühl, dass wir über ein Spiel in Kontakt treten mit einem anderen Menschen.«

Neue Ufer wirken aus der Ferne immer beängstigend – aber sie wecken auch die Neugier, sie zu erkunden. Für das Neuland der prozeduralen Generierung scheint dies doppelt zu gelten: Welcher Reichtum der Entdeckung harrt, wie entvölkert die neuen Ufer uns vorkommen werden – niemand weiß es genau. Fest steht lediglich: Die Erschließung des Zufallskontinents ist eines der großen Abenteuer, die das Medium Spiel noch bereithält.

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