Die Welt von Dragon Age: Inquisition - Die Open-World-Krankheit

Im zweiten Teil seiner Dragon-Age-Analyse prangert Julius Busch die erzählerische Armut der Inquisition-Welt an – und das enttäuschende Ende des Spiels.

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»Leave the fucking Hinterlands!« Ein Ratschlag, den wir in den letzten Wochen auf diversen Dragon-Age-Fanseiten und Blogs lesen konnten und der mit etwas anderer Wortwahl wohl von den Entwicklern direkt stammen soll. Die Hinterlande sind das erste offene Spielgebiet von Dragon Age: Inquisition, das wir nach der linearen Einführungsquest besuchen. Eigentlich nur, um kurz ein paar Gespräche zu führen und anschließend wieder zu verschwinden.

Aber Inquisition ist ein Open-World-Spiel - na ja, also streng genommen eigentlich nicht. Es besteht wie schon die Vorgänger aus mehreren unterschiedlichen Gebieten, zwischen denen wir per Schnellreise hin- und herwechseln können. Doch waren diese Gebiete in den beiden Vorgängern meistens sehr lineare Pfade mit vielen unsichtbaren Mauern, so sind sie in Inquisition schlicht und ergreifend riesig.

Wer uninformiert zum ersten Mal die Hinterlande betritt, der mag wohl durchaus denken, er habe es hier mit dem Hauptgebiet des Spiels zu tun. Pustekuchen, die Hinterlande sind gerade einmal das erste von insgesamt zehn Gebieten in dieser Größenordnung! Dragon Age: Inquisitionist schlichtweg gigantisch. Man könnte sagen, es bestehe aus ganz vielen offenen Spielwelten.

Und hat dementsprechend auch all die Probleme im Gepäck, die so ein Open-World-Spiel mit sich bringt.

Der Autor
Julius Busch (23) ist ehemaliger IDG-Praktikant und wurde im übertragenen Sinne mit dem Gamepad in der Hand geboren. Als Filmstudent mit Bachelor-Thesis zum Thema »Dramaturgie in Videospielen« beschäftigt er sich ausgiebig mit dem erzählerischen Potenzial unseres Lieblingsmediums. In seiner Freizeit schreibt er selber gern und war schon bei einigen Filmprojekten für das Drehbuch verantwortlich. Sein großes Ziel ist es jedoch, eines Tages mal bei einem Videospiel als Autor mitzuwirken. Für ihn gibt es nur wenige Dinge, die so mitreißend sein können wie eine gute Geschichte.

Spoiler-Warnung
Auch dieser Teil meiner Analyse von Dragon Age: Inquisition verzichtet auf Spoiler - allerdings nur bis zum Absatz »Katastrophe am Ende«. Danach gehe ich notwendigerweise auf Details des Endes ein. Wer Inquisition noch nicht durchgespielt hat und nichts über das Ende erfahren möchte, sollte also nur bis dorthin lesen.

Was läuft hier schief?

Wenn ein Ratschlag wie eingangs genannter notwendig ist, damit ich ein Spiel richtig genießen kann, ist dann nicht irgendwo in der Entwicklung schon etwas schief gegangen? In der Tat habe ich die ersten zehn Stunden Spielzeit nur in den Hinterlanden verbracht und jede noch so unwichtige Nebenquest nach dem Schema »Sammle und töte X« erfüllt. Ich nenne das den Assassin's Creed-Effekt.

Die Anzahl der Nebenaktivitäten, die an jeder Ecke der Spielwelt auf mich warten, ist schier »mind-numbing«, wie der amerikanische Talkshow-Host Conan O'Brien in der Assassin's Creed Unity-Ausgabe seines Comedy-Formates »Clueless Gamer« so schön sagt. Das Problem: Bei den Ubisoft-Spielen sind wir daran gewöhnt, dass die Nebenaufgaben Quantität über Qualität stellen und dass nur echte »Completionists« wirklich alles erfüllen.

Die schiere Anzahl der Nebenaktivitäten überfordert Spieleinsteiger und lenkt zu sehr von der Story ab. Die schiere Anzahl der Nebenaktivitäten überfordert Spieleinsteiger und lenkt zu sehr von der Story ab.

Wir wissen, dass wir ohne Nachteile jederzeit mit der Hauptgeschichte fortfahren und im Zweifel auch nach Spielende fehlende Nebenaktivitäten nachholen können. Dragon Age: Inquisition aber ist ein Rollenspiel und dort lautet der Tenor für jene, die möglichst alles erleben wollen: Ein Gebiet abschließen, erst dann geht es ins nächste weiter.

Notwendige Ablenkung

Mir gelang es erst, aus dieser Konditionierung auszubrechen, als meine kleine Heldentruppe urplötzlich von einem deutlich höherstufigen Drachen-Bossgegner umgepustet wurde, der einen Teil des Gebietes bewachte. Ich nahm diesen feurigen Tod zum Anlass, unter lauthalsigen Racheschwüren zum ersten Mal die Hinterlande zu verlassen und mit der Hauptstory weiterzumachen.

Die Hauptstory von Dragon Age 2 wirkte etwas ziellos. Die Hauptstory von Dragon Age 2 wirkte etwas ziellos.

In der Tat eine gute Entscheidung, denn was bisher eine arg durchschnittliche Spielerfahrung war, gewann im Nullkommanichts deutlich an Fahrt. Die wirklich klasse inszenierten Story-Missionen sorgen wieder für ordentlich Dragon-Age-Feeling, so wie ich es mir wünsche, und die Geschichte mutet im Voranschreiten wieder deutlich epischer an als die etwas ziellose Erzählung eines Dragon Age 2.

Man könnte also denken, dass Spieler, die auf ein etwas linearer gestaltetes, spannendes Abenteuer mit einer dichten Inszenierung hoffen, sich größtenteils auf die Hauptgeschichte beschränken könnten. Doch Fehlanzeige: Die Hauptmissionen von Inquisition haben allesamt empfohlene Levelbereiche und entpuppen sich als extrem schwer, wenn wir uns deutlich darunter befinden.

Wer also nicht auf den leichtesten Schwierigkeitsgrad herunterstellen möchte, um seinen fehlenden Levelfortschritt auszugleichen, der ist dazu gezwungen, sich mit dem »Füllmaterial« (Ich muss es leider wirklich so nennen!) abzugeben.

Gegen die Tradition

Der Begriff »Füllmaterial« klingt hart, trifft aber leider zu. Zugegeben, das Füllmaterial von Inquisition macht vermutlich immer noch mehr Spaß als die Hauptgeschichte so manch anderen Spiels. Aber es ist eine solche Enttäuschung verglichen mit den Qualitätsstandards, die diese Serie einmal so groß gemacht haben.

In Dragon Age: Origins gibt es keine einzige Nebenaufgabe zu viel. Alles, was wir tun, steht in direkter Relation zu unserem großen Ziel und wirkt sich nachhaltig auf unseren Gesamterfolg aus. Das Spiel verkörpert für mich die perfekte Mischung aus der bombastisch-filmischen Inszenierung eines Uncharted-Titels und dennoch dem Gefühl, seine eigene Geschichte formen und erzählen zu können wie in Sandbox-Titeln à la Skyrim.

In Browserspiel-Manier schicken wir unsere Berater auf Missionen, die dann in Echtzeit ausgeführt werden. In Browserspiel-Manier schicken wir unsere Berater auf Missionen, die dann in Echtzeit ausgeführt werden.

Jedes Gebiet, was wir betreten, hat seine eigenen dunklen Geheimnisse, denen wir in spannend inszenierten Nebenquests auf den Grund gehen können, und selbst wenn einmal die eine oder andere stupide Sammelaufgabe dazwischen rutscht, so werden wir nach Abschluss wenigstens mit einer ausladenden Cutscene belohnt und wissen, dass unsere Taten etwas bewirkt haben.

Entkoppeltes Nebenwerk

Inquisition hat nichts davon. Die Nebenaktivitäten bestehen zum Großteil aus dem Sammeln von Gegenständen, Lösen von Rätseln und Schließen von dämonischen Rissen in der Welt. All dies wird nie in den Zusammenhang mit unserem Fortschritt in der Hauptgeschichte gebracht und hat fast gar keine spielerischen Auswirkungen, außer dem Verdienst der Währungen »Macht« und »Einfluss« für unsere Inquisition, mit denen wir neue Gebiete freischalten und uns bestimmte Vorteile wie neue Dialogoptionen verschaffen können.

In Dragon Age: Origins gibt es keine einzige Nebenaufgabe zu viel. In Dragon Age: Origins gibt es keine einzige Nebenaufgabe zu viel.

Da es jedoch für so gut wie jede Aktivität im Spiel Macht und Einfluss gibt, ist das nichts Besonderes. Wer die Hinterlande dann endlich verlassen hat, wird feststellen, dass es eben genannte Nebenaufgaben in jedem Gebiet des Spiels gibt. Wir machen die ganze Zeit das Gleiche, es verändert sich lediglich die Kulisse, in der wir das tun.

Jedes der Gebiete hat in der Regel dann noch eine Quest, in der wir einen für das jeweilige Gebiet spezifischen Konflikt lösen müssen. Meistens ist dieser Konflikt nicht sonderlich interessant und auch hier wird komplett auf die Verwendung von Videosequenzen verzichtet. Wir verlassen in Gesprächen nie die Außenperspektive unseres Charakters, werden also nicht wie etwa in Origins zumindest mit einer gut inszenierten Cutscene für unsere Mühen belohnt.

Die einzigen Nebenaufgaben, die von der Inszenierung her annähernd an Origins-Qualität heranreichen, sind die Begleiter-Quests. Serientypisch hat jeder unserer Mitstreiter wieder eine persönliche Aufgabe, mit deren Erfüllung wir uns sein Vertrauen verdienen können. Diese Aufgaben sind in der Regel bedeutungsvoller und am Ende winkt eine Videosequenz, in der wir unsere Gefolgsleute noch einmal besser kennenlernen können – was bei den wirklich toll geschriebenen Charakteren eine zufriedenstellende Belohnung ist.

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