Kleiner Blick hinter die Kulissen: Meine erste Reaktion zum Leak von GTA 6 am Sonntagmorgen war nicht »Yeah, Reichweite!« oder »Super Story!«, sondern – Pardon my French – »So eine verfluchte Scheiße!«.
Das hat weniger mit dem sonntäglichen Timing und zerstörten Wochenendplänen zu tun, sondern viel mehr damit, dass ein Leak über GTA 6 für eine große Gaming-Website wie GameStar alles andere als eine gute Nachricht ist. Und das, obwohl es wenig überraschend der mit Abstand meistgelesene Artikel des Tages war.
Warum wir über Leaks berichten
Wir machen diesen Job für euch. Nicht für die Publisher, nicht für die Studios. Und wenn es neue Informationen zu einem für euch relevanten Titel gibt, dann sehen wir es als unsere Aufgabe an, diese Informationen für euch auf Glaubwürdigkeit zu prüfen und anschließend nach unserem journalistischen Kodex aufzubereiten. Dabei fühlen wir uns selbstverständlich dem deutschen Presserecht und der damit einhergehenden unabhängigen redaktionellen Berichterstattung verpflichtet.
Uns ist natürlich bewusst, dass wir mit Berichterstattung über Leaks zu deren Verbreitung beitragen. Und ja, das verursacht auch bei uns kein gutes Gefühl. Gerade weil wir wissen, welchen Schaden solche Leaks anrichten.
Nur ändert das nichts daran, dass Leaks in der Regel einen Informationswert für euch haben. Hinzu kommt, dass es bei der Bemessung dieses Werts enorm viele Grauzonen gibt. Ist ein Leak zu Diablo 4 weniger »schlimm« und mehr berichtenswert als der zu GTA 6, nur weil hier ein potenziell unbeliebter Ingame-Shop im Mittelpunkt steht?
Noch unangenehmer wird die Beurteilung, wenn Informationen für Leaks auf illegalem Weg beschafft werden. Aber auch hier wird es schnell komplizierter, als es auf dem ersten Blick den Anschein hat. Wenn ein Entwickler einem Investigativ-Journalisten unter NDA stehende Infos zusteckt, handelt es sich streng genommen ebenso um einen Vertrags- bzw. Rechtsbruch wie wenn Microsoft ein noch unangekündigtes Spiel versehentlich zu früh in den Store stellt.
Es ist der Job der Unternehmen dafür zu sorgen, dass nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen auch nicht an die Öffentlichkeit gelangen.
Und wenn sie es doch tun, dann ist es der Job von Journalisten, diese Informationen unter Berücksichtigung aller presse-rechtlichen und -ethischen Gesichtspunkten sorgfältig aufzubereiten und in Kontext zu setzen.
Aus dem Nähkästchen geplaudert: Viele Publisher begrüßen es sogar, wenn GameStar über Leaks berichtet. Denn sie wissen sehr genau, dass sie sowieso nicht mehr den Deckel drauf bekommen, wenn etwas einmal im Netz ist. Und dann hilft ihnen eine seriöse Berichterstattung im Zweifel mehr als wilde Diskussionen und Spekulationen auf Reddit, Twitter & Co.
Was Leaks für Studios und Publisher bedeuten
Wir machen uns die Entscheidung, ob beziehungsweise wie wir über einen Leak berichten auch deshalb nicht leicht, weil uns vollkommen bewusst ist, welch großen Schaden sie anrichten.
Sie zerstören nicht nur die geplante Kommunikation, sondern können auch zu massiven Verzögerungen führen, weil PR-Pläne neu geschrieben, rechtliche Schritte eingeleitet, Sicherheitskonzepte geändert und womöglich sogar komplette Arbeitsprozesse umgestellt werden müssen. Im konkreten Fall von GTA 6 scheint es sich zum Glück in Grenzen zu halten.
Link zum Twitter-Inhalt
Fast noch schlimmer wiegt der emotionale Schaden. Die meisten Entwicklerinnen und Entwickler fiebern einem groß angelegten Reveal genauso entgegen wie dem Release. Und wenn dann statt eines spektakulären Trailers oder einer sauber polierten Demo der erste öffentliche Eindruck auf einer unscharf abgefilmten, womöglich völlig veralteten Entwickler-Version basiert, dann zieht das ihre Arbeit in den Schmutz.
Weshalb uns Leaks mehr Ärger als Gewinn bringen
Natürlich zählen spektakuläre Leaks wie die zu GTA 6 und Diablo 4 zu den meistgelesenen Inhalten des jeweiligen Tages.
Unterm Strich geht die Aufwand-Ertrag-Rechnung für eine größere Gaming-Website wie GameStar trotzdem so gut wie nie auf. Zum einen weil Leaks oft nur einen sehr kurzfristigen Reichweiteneffekt haben, während sorgfältig orchestrierte Reveals weitaus länger performen.
Zum anderen zählen wir in der Regel zu den Medien, die bei einem normalen Kommunikationsverlauf zu den offiziellen Presse-Events eingeladen werden, um zum vereinbarten Embargo einen Reveal mit einer aufwändig vorbereiteten Berichterstattung zu begleiten. Und natürlich funktioniert solch eine Reveal Coverage umso besser, je weniger vorher über den jeweiligen Titel bekannt ist.
Nicht selten sind wir dank unserer Reichweite und Relevanz außerdem das einzige deutschsprachige Medium, das zu einem Preview Event eingeladen wird. Und diese Exklusivität geht naturgemäß größtenteils flöten, falls es vorab zu einem Leak kommt.
Das heißt, dass wir häufig (Ausnahmen wie GTA 6 bestätigen die Regel) bereits wissen, was bei einem Leak stimmt und was nicht. Dies explizit schreiben dürfen wir jedoch nicht, weil wir uns selbstverständlich an vereinbarte NDAs (Non Disclosure Agreements) und Embargos halten.
Was ein NDA eigentlich ist, erklären wir übrigens hier:
Aber es bedeutet natürlich einen enormen Zusatzaufwand sicherzustellen, dass wir Leak-Information korrekt einordnen, ohne dabei bestehende Vereinbarungen zu verletzen. Meist sind hierfür auch zusätzliche Gespräche mit dem jeweiligen Publisher erforderlich.
Zusammengefasst: Leaks bringen zwar kurzfristig Reichweite, erfordern aber enorm viel Aufwand und schaden langfristig unserer eigenen geplanten Berichterstattung.
Wie wir mit Leaks umgehen
Aus den oben genannten Gründen bewerten wir jeden Leak in der Redaktion individuell und entscheiden nach folgenden Kriterien, ob wir berichten oder nicht:
1. Handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um echtes Material? Oder besteht die Gefahr, einen Fake zu verbreiten?
Wir berichten nur dann, wenn wir nach sorgfältiger Prüfung davon überzeugt sind, dass es sich um echtes und für unsere Community relevantes Material handelt.
2. Besteht die Chance, dass der Leak schnell wieder verschwindet?
Wenn wir einen Leak sehen, nehmen wir so schnell es geht Kontakt zum jeweiligen Publisher auf, um ihm die Chance zu geben, den Schaden noch zu beheben oder zumindest einzudämmen. Sollte der Leak keine weiteren Kreise ziehen, verzichten wir auf eine Berichterstattung.
3. Wo und wie wird das Material verbreitet?
Wir laden keine illegal erworbenen oder unter NDA stehenden Assets auf unsere eigenen Server. Falls sie aber wie bei GTA 6 das Netz fluten, arbeiten wir in unserer Berichterstattung mit Links zu Reddit, Twitter und Youtube.
Denn im Zweifel halten wir es für sinnvoller, dass ihr die Materialien bei uns mit entsprechender Einordnung seht als ohne oder möglicherweise falschen Kontext irgendwo im Netz. Falls ihr euch dennoch ein eigenes Bild machen wollt, findet ihr bei uns wie gehabt Links zu unseren kommunizierbaren Quellen.
4. Lässt sich gemeinsam mit dem Publisher eine Basis für eine offizielle Berichterstattung finden?
Im Gespräch mit dem betroffenen Publisher suchen wir nach Mitteln und Wegen, eine seriöse und unabhängige Berichterstattung zu gewährleisten, die den Schaden für den Publisher möglichst gering hält. Manchmal bekommen wir ein offizielles Statement, manchmal inoffizielle Infos, die uns dabei helfen, den Leak besser einzuordnen. Manchmal dürfen wir eine bereits vorbereitete Geschichte auch einfach früher veröffentlichen, weil das Embargo wegen eines Leaks nun vorgezogen wird.
Ihr seht: Wir machen uns die Sache alles andere als einfach. Aber wer eure erste und glaubwürdigste Informationsquelle für Core Gaming sein möchte, kann und darf Leaks auch nicht einfach ignorieren. Dazu passieren sie inzwischen einfach viel zu häufig. Leider.
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