Seite 2: Heldenbild in Dragon Age: Inquisition - Bioware und der Gottkomplex

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Zum Erfolg verdammt

Betrachten wir also das auch in Inquisition zum Einsatz kommende, gängige Trial-and-Error-Modell: Der Spiel schreitet nur voran, wenn der Spieler Erfolg hat, bei Misserfolg geht es nicht weiter. Daraus ergibt sich folgendes Problem: Die Handlung schreitet nur voran, wenn der Spieler seine Missionsziele erfüllt. Erfüllt der Spieler seine Missionsziele, erwartet er eine Belohnung.

Diese Belohnung ist in der Regel sowohl ludisch, also spielerisch (z.B. neue Waffen und Gegenstände) als auch narrativ (Anerkennung, steigende Macht des Protagonisten). Es stellt sich also als ausgesprochen schwierig dar, in der Handlung einen Rückschlag zu inszenieren, also einen narrativen Misserfolg, weil modellbedingt immer alle spielerischen Ziele erreicht werden müssen.

Ja, so ist es gut... Bejubelt mich, Gesindel! Ja, so ist es gut... Bejubelt mich, Gesindel!

In einem Beispiel ausgedrückt bedeutet das: Es wäre dramaturgisch befremdlich, den Spieler einen Bosskampf absolvieren zu lassen und ihm nach erfolgreichem Abschluss eine Videosequenz zu zeigen, in der eben dieser Boss nicht etwa stirbt, sondern siegreich aus dem Duell hervorgeht. (Was nicht heißen soll, dass es Vergleichbares nicht schon gegeben hat. Mir fallen auf Anhieb sogar mehrere Beispiele ein.) Wir sprechen von einer »ludonarrativen Dissonanz«.

Erfolg kommt langsam

Es ist also unerlässlich, dass sich unser spielerischer Fortschritt stets in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu der narrativen Interaktion der Spielwelt mit unserer Spielfigur, sowie umgekehrt den Interaktionsmöglichkeiten unserer Spielfigur mit der Spielwelt befindet. Je weiter wir kommen, desto ehrfürchtiger reagieren andere Figuren auf die Präsenz unseres Helden, und desto mehr verschiedene Fähigkeiten können wir erlernen, um bestimmte Hindernisse zu überwinden.

Nur der Inquisitior kann die Welt retten. Und das wird ihm auch gleich gesagt. Nur der Inquisitior kann die Welt retten. Und das wird ihm auch gleich gesagt.

Der Spieler muss das Gefühl haben, sich die ihm entgegengebrachte Anerkennung selbst verdient zu haben. Wenn ich also spielerisch noch nicht mehr geleistet habe, als auf »Neues Spiel« zu klicken, mir aber direkt im ersten Dialog verklickert wird, dass meine Superkraft und ich die letzte Hoffnung der Welt sind, das drohende Übel abzuwenden, dann sage ich grundsätzlich erstmal: »Houston, wir haben ein Problem!«

Eine derartige Erzählung kann nicht richtig funktionieren, wenn sowohl der weltbedrohende Konflikt (Antagonist), als auch die konfliktlösende Superkraft (Protagonist) gleich von Beginn an als solche etabliert sind.

Wir haben entweder einen renommierten Helden, dessen Gegenspieler im Laufe des ersten Aktes eingeführt wird (z. B. in Superheldenfilmen), oder eine bereits bedrohte Welt, in der unser zunächst unscheinbarer Protagonist im Laufe des ersten Aktes durch irgendeine Fügung zur einzigen Person wird, die die Bedrohung besiegen kann (z.B. in Kriegsfilmen). Seltener, aber ebenfalls möglich, ist eine Kombination aus beiden Varianten (z. B. in Der Herr der Ringe).

Person ohne Persönlichkeit

Schon der Spieleinstieg vonDragon Age: Inquisition ist also meiner Meinung nach sehr ungünstig gewählt. Er ist maximal unpersönlich, was für die Entwickler den großen Vorteil hat, keine verschiedenen Varianten je nach Rassen- und Klassenwahl des Spielers erschaffen zu müssen. Mit einem richtigen Prolog vor der konfliktbeginnenden Explosion, in dem wir uns kurz in das bisherige Leben unseres Charakters einfinden können, bevor sich dieses für immer verändert, hätten sich jedoch einige der genannten Probleme beseitigen oder zumindest vermindern lassen.

Das hätte nicht so variantenreich und aufwendig sein müssen wie in Dragon Age: Origins, aber so erfahren wir ohne selbstständige Recherche so gut wie nichts über unsere Hintergründe, werden aber doch an vielen Stellen im Spiel dazu befragt, was sich eigenartig anfühlt. Man könnte sagen: Wir fühlen uns als Spieler nicht informiert genug, um für diesen Charakter zu sprechen und in seinem Namen Entscheidungen zu treffen.

Über das Schicksal von Gefangenen dürfen wir von unserem Thron aus entscheiden. Wir triefen vor Macht! Über das Schicksal von Gefangenen dürfen wir von unserem Thron aus entscheiden. Wir triefen vor Macht!

Im Laufe des Spiels werden wir von unseren Begleitern oft darauf angesprochen, wie schwierig es sei, den Menschen in uns zu sehen und nicht das bloße Ideal des mächtigen und gottgesandten Inquisitors. Das wirkt dann schon fast selbstironisch, denn durch ihre Inszenierung bewirkt Bioware ja gerade, dass auch wir Spieler unseren eigenen Charakter nie über dieses Ideal hinausgehend kennenlernen.

Der Mann oder die Frau mit der grünen Hand und sagt, was wir ihm/ihr befehlen, aber sich wirklich in seine/ihre Gedankenwelt hineinzuversetzen, das fällt schwer. Zumal wir nie wirklich sicher sind, wie viel von unserer Vergangenheit festgelegt ist und wie viel davon die Entwickler unserer eigenen Rollenspiel-Fantasie überlassen haben.

Wofür kämpfe ich?

Ich will nicht irgendeine Welt retten, ich will *meine* Welt retten. Ich will nicht irgendeine Welt retten, ich will *meine* Welt retten.

Ein Prolog hätte diese Dinge aufgeklärt und unsere Identifikation mit der Spielfigur deutlich erhöht. Die Motivation des Spielers wäre dann nicht »Diese Welt hat Probleme und der Himmel schickt mich, um sie zu lösen«, sondern »Meine Welt ist in Gefahr und ich werde dafür kämpfen, sie zu retten«, wie das zum Beispiel in Origins sehr gut funktioniert hat.

Es ist mir an dieser Stelle sehr wichtig, anzumerken, dass ich Dragon Age: Inquisition insgesamt nicht für ein schlechtes Spiel halte. Ganz im Gegenteil, auch die Inszenierung funktioniert trotz der angesprochenen Probleme über weite Strecken hervorragend. Manche Szenen waren so episch, dass ich Tränen in den Augen hatte, trotz der so offensichtlichen Ausnutzung meiner Machtinstinkte.

Dieser Artikel soll kein Gesamturteil über das Spiel vermitteln, sondern eine allgemeine Problematik der Videospieldramaturgie anhand eines Beispiels analysieren, bei dem sie mir sehr prägnant ins Auge sticht.

Nehmt die Welt ernst!

Videospiele sind eine Kunstform (ob und warum sie das sind ist eine ganz eigene Erörterung für einen anderen Tag), die aufgrund der immens hohen Produktionskosten besonders abhängig von positiver Resonanz der Fachpresse und Spielerschaft ist, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen und finanziell rentabel zu sein.

Während ein Film einem passiven Zuschauer eine Narrative vermittelt, schaffen Videospiele ein mehrdimensionales System, in dem der Spieler die Geschichte beeinflussen und damit aktiv erleben kann, mit dem zusätzlichen Anspruch, vom reinen Gameplay her auch noch Spaß zu machen. Es ist klar, dass der Spagat, diesen profitbedingten Mainstream-Anforderungen und gleichzeitig seiner eigenen künstlerischen Vision gerecht zu werden, unglaublich schwer ist.

In Inquisition gibt es Drachen um der Drachen willen, Story-Relevanz haben sie kaum. In Inquisition gibt es Drachen um der Drachen willen, Story-Relevanz haben sie kaum.

Blockbuster-Franchises wie Call of Duty oder Assassin's Creed haben diesen Anspruch schon seit geraumer Zeit abgelegt, was nicht automatisch heißt, dass das keine hochwertigen Spielerfahrungen sein können. Aber Dragon Age ist ein mit reichhaltigen Hintergrundgeschichten gefülltes und mit viel Herzblut erdachtes Fantasy-Universum. Ich möchte, dass zukünftige Abenteuer in diesem Universum mit demselben Herzblut entstehen.

Daher mein Appell an Bioware und andere Entwickler: Gebt uns nicht von Anfang an die Macht, uns in eurer Welt aufzuführen wie ein Gott ohne wirkliche Konsequenzen. Nehmt die Welt ernst, die ihr geschaffen habt, dann haben wir Spieler Spaß daran, uns ihre Anerkennung zu verdienen. Folgt nicht der Ubisoft-Formel mit tausend irrelevanten Nebenaufgaben und Sammelgegenständen, nur weil das bei Open-World-Spielen gerade im Trend ist.

Packt nicht in jedes eurer Gebiete einen in der Story nicht mal erwähnten Drachen, nur weil der 13jährige Horst findet, dass Drachen coole Bossgegner sind. Hört euch unser Feedback an, aber setzt nur das um, was ihr selber in eurem Spiel haben wollt. Wir Spieler werden immer etwas zu meckern haben, meistens sogar berechtigterweise, aber letztendlich kennen wir die Formel für ein perfektes Spiel erst recht nicht.

Nur eine Sache darf dabei garantiert nicht fehlen: das Herzblut eines ambitionierten Teams mit einem gemeinsamen Ziel. Ihr seid die Künstler, es ist euer Spiel, eure Vision. Ich als Spieler bin nur dankbar, daran teilhaben zu dürfen.

Fortsetzung folgt
Im zweiten Teil seiner Dragon Age-Analyse schreibt Julius über Biowares Open-World-Krankheit.

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