Macht mich zum Monster! - Warum der böse Pfad in Spielen so oft flach fällt

Maurice will keinen Dieb oder Mörder spielen – und wünscht sich gerade deswegen, dass Spiele ihn stärker dazu treiben. Aber dafür müssten sie sich mehr trauen.

Was treibt einen Menschen zum Bösen? Es gibt wohl tausende Dinge, die selbst einen guten Menschen dazu bringen können, seine Moral über Bord zu werfen - aber Spiele gehören nur selten dazu. In Spielen fällt es mir leicht, ein Held zu sein, selbst wenn's auch einen bösen Pfad gibt.

Und damit schadet sich das Medium selbst! Denn in Wahrheit ist es nun mal verdammt schwierig, ein Held zu sein, und das Böse viel mehr als nur eine witzige Alternativ-Option für ein wenig Spaß und Abwechslung zwischendurch. Die Versuchung, Schlechtes zu tun, ist oft heimtückisch, erdrückend, verführerisch. Spiele könnten das besser vermitteln als jedes Buch oder jeder Film, weil ich hier tatsächlich selbst handle, statt nur zuzuschauen.

Welch perfektes Mittel, den Spieler ernsthaft zum Nachdenken anzuregen über die Natur von Gut und Böse, seine eigenen Prinzipien und ihre Grenzen! Und welch großartiges Potenzial für erzählerische Momente, die wirklich unter die Haut gehen! Aber dafür ist das Böse in Spielen meistens viel zu zahnlos. Und nicht verführerisch genug.

Der Autor
Maurice Weber stolzierte schon beim Kinderfasching als Darth Vader durch die Gegend und findet die Schurken sowieso immer viel cooler als die Helden. In Spielen ist er dann aber trotzdem meistens der strahlende Recke - weil ihn sein nerviges Gewissen plagt, wenn er zu gemein wird. Und weil das Böse in Spielen viel zu selten wirklich gut umgesetzt ist.

Das leiste Flüstern des Bösen

Wer wacht schon auf und nimmt sich vor, heute einfach mal zum Spaß ein paar Waisenkindern ihr Pausengeld zu klauen? Gut, wohl jeder GTA-Spieler hat sich schon einmal wild durch die Stadt geballert, nur, um zu schauen, wie lange er der Polizei davonkommen kann. Aber durchgespielt werden Spiele dann doch mehrheitlich auf dem guten Pfad. Die meisten Spieler haben keinen Spaß an Grausamkeit als Selbstzweck - wie ja auch die meisten Menschen. Zum Glück.

Eher die Ausnahme als die Regel: Tyranny präsentiert uns eine Welt, in der das Böse bereits gewonnen hat - und es plötzlich ganz normal ist, dem Overlord Kyros zu dienen. Eher die Ausnahme als die Regel: Tyranny präsentiert uns eine Welt, in der das Böse bereits gewonnen hat - und es plötzlich ganz normal ist, dem Overlord Kyros zu dienen.

Es sind meist äußere Zwänge, die böse Taten wie eine gute Idee erscheinen lassen. Aber die fehlen in Spielen viel zu oft. Rollenspiele etwa sind in der Regel so balanciert, dass sogar der selbstloseste Held am Ende mehr Gold hat, als er je ausgeben kann. Also warum sollte er Bauern piesacken, Händler ausplündern, Geld über Ehre stellen? Wo es sich doch so viel besser anfühlt, der noble Recke zu sein!

Aber fühlt sich's immer noch so gut an, wenn die eigene Familie verhungert, weil man eine wunderbare Gelegenheit ausgeschlagen hat, mit ein wenig Niedertracht etwas Extrageld zu scheffeln? Vor diesem grausamen Dilemma stehe ich etwa als kleiner Grenzbeamter in Papers, Please. Und plötzlich ist sie da: Diese leise Stimme im Hinterkopf, die mir zuflüstert, dass die »böse« Tat in diesem Fall vielleicht doch noch meine beste Option ist.

Helfe ich der Rebellion und riskiere damit, meine Familie nicht mehr ernähren zu können? Die moralischen Entscheidungen in Papers, Please sind kniffliger als in so manchem RPG. Helfe ich der Rebellion und riskiere damit, meine Familie nicht mehr ernähren zu können? Die moralischen Entscheidungen in Papers, Please sind kniffliger als in so manchem RPG.

Sie kann aus allen Richtungen kommen. Aus der Not, aus ideologischer Überzeugung, aus einer Welt wie in Tyranny, in der die Herrschaft des Bösen der Normalzustand ist. Aber erst mit ihr im Ohr kann ich überhaupt moralische Entscheidungen treffen, die etwas wert sind - denn erst im Angesicht wahrhafter Versuchung ist es tatsächlich heldenhaft, trotzdem rechtschaffen zu bleiben.

Kolumnen-Duell: Entscheidungsfreiheit - Fluch oder Segen?

Konsequent zu Ende gedacht würde das sogar bedeuten, dass ein Spiel für »gute« Helden sehr viel schwerer wird. Rücksichts- und Gewissenlosigkeit ist der einfachere Weg. Wer rechtschaffen bleiben will, muss dafür arbeiten. Und vielleicht sogar leiden.

Schurkerei ohne Tiefgang

In den meisten Fällen ist der böse Pfad aber einfach nur drin, um mit mehr spielerischer Freiheit werben zu können. Ich beschreite ihn nicht, weil mir das Spiel tatsächlich Grund gibt, zu glauben, er sei der richtige. Es geht vielmehr darum, beim zweiten Durchspielen ein wenig Abwechslung zu erleben. Vielleicht diesmal möglichst viele Sith-Punkte anhäufen, damit ich auch ja den Machtblitz freischalte!

Wer in Knights of the Old Republic böse spielen will, sollte gleich so böse wie möglich sein - nicht aus Überzeugung, sondern um alle Fähigkeiten freizuschalten. Wer in Knights of the Old Republic böse spielen will, sollte gleich so böse wie möglich sein - nicht aus Überzeugung, sondern um alle Fähigkeiten freizuschalten.

Am ehesten zieht er seinen Reiz noch aus der oberflächlichen Coolness des Bösen ein - ich bin ein finsterer Kerl in schwarzer Rüstung, der sich von niemandem was sagen lässt! Aber das nutzt sich schnell ab. Es reicht nicht, um mich zu motivieren, wirklich ein ganzes Spiel lang ein Halunke zu sein.

Zumal meist sehr klar ist, dass das Spiel im Grunde auf den guten Weg ausgelegt ist. Ergibt ja auch Sinn, wenn den mehr Spieler wählen. Aber so ist der »böse« Charakter dann eben gern mal einer, der grob genau der gleichen Heldenreise folgt wie der gute und auf dem Weg halt ein paar süße Hündchen tritt.

Das Böse in Spielen: Alle Artikel und Videos unserer großen Themenwoche

Um tiefer in die Psychologie eines Schurken und seines Werdegangs einzutauchen, ist das nicht genug - aber genau das müsste ein Spiel tun, wollte es ernsthaft die gefährliche Faszination des Bösen begreiflich machen. Und so lasse ich den bösen Pfad meistens einfach links liegen - und ärgere mich jedes Mal wieder über die vom Spiel verpasste Gelegenheit.

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