Seite 2: Postal 3 im Test - Skandalös war gestern

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Moderne Mechanik von vorgestern

Nicht nur das Leveldesign hat sich bei Postal 3 gegenüber dem Vorgänger geändert. Auch an der Spielmechanik haben die Entwickler geschraubt (man möchte fast sagen: »herumgepfuscht«). Sofort ins Auge sticht der Sprung von der Ego- in die Third-Person-Ansicht, eine der wichtigsten und zugleich überflüssigsten Neuerungen: Als Shooter hatten die Vorgänger doch bestens funktioniert. Zumal die Steuerung in der Schulterperspektive ausgesprochen schwammig ausfällt -- Zielen ist in Postal 3 Glückssache.

Das neue Deckungssystem ist meist überflüssig und zudem fehlerhaft. Das neue Deckungssystem ist meist überflüssig und zudem fehlerhaft.

Während wir unsere Taten in den Vorgängern noch allein mit unserem Gewissen (und eventuell heranstürmenden Gesetzeshütern) ausmachen mussten, fährt in Postal 3 tatsächlich ein Gut-/Böse-System auf. Relativ früh im Spielverlauf können wir uns während einer Schießerei zwischen der Polizei von Catharsis und einer durchgeknallten Umweltsekte für eine Seite entscheiden (oder alternativ einfach alles abschießen, was sich bewegt).

So sind wir ab sofort als Deputy Dude oder irrer »Ecotologist« unterwegs. Wenn wir uns auf die Seite der Cops schlagen, laufen wir fortan Streife, schubsen Wildpinkler von der Straße oder verteidigen das Polizeirevier gegen einfallende Terroristen. Ein freundlich dreinblickender Smiley am Bildschirmrand informiert uns darüber, dass wir ein braver Mitbürger sind und nicht einfach wildfremde Menschen aufs Korn nehmen. Falls wir’s trotzdem tun, wandelt sich der Smiley langsam zur fies grinsenden Teufelsfratze. Wenn wir es gar zu bunt treiben, werden wir aus dem Polizeidienst entlassen und laufen automatisch zur Gegenseite über.

In anderen Spielen würde so etwas zum erneuten Durchspielen anregen, bei Postal 3 muss man allerdings schon die Zähne zusammenbeißen, um einmal durchzuhalten. Dabei könnte das Spiel den Wiederspielwert durchaus gebrauchen, kommt es mit einer Spielzeit von fünf bis sechs Stunden doch recht mager daher.

Monotonie im Porno-Shop

Egal welcher der beiden Fraktionen wir angehören: Unsere Aufgaben sind selten wirklich einfallsreich. So sammeln wir in einem Porno-Shop mit einem überdimensionalen Staubsauger »benutzte« Taschentücher auf, nur um wenig später unsere »Ausbeute« auf randalierende Hausfrauen abzufeuern.

In einer Mission sollen wir Videospielverfilmer Uwe Boll vor wütenden Spielefans beschützen ... oder eben auch nicht. In einer Mission sollen wir Videospielverfilmer Uwe Boll vor wütenden Spielefans beschützen ... oder eben auch nicht.

Ein andermal beschützen wir ein Postal-Babe bei einer Autogrammstunde vor ... randalierenden Hausfrauen und stürmen eine Spielothek voller ... randalierender Hausfrauen. Nun gut: Dort gibt’s auch amoklaufende Computerspiele-Junkies. Wie abwechslungsreich.

Die Aufgabenstellung mit den Taschentüchern entpuppt sich da sogar noch als die kreativste, denn in 90 Prozent der Fälle sollen wir in einem Abschnitt einfach nur 20 Gegner ausschalten. Manchmal auch 30 oder 40. Postal 3 wie seinen Vorgänger weitestgehend gewaltfrei durchzuspielen, klappt nicht mehr. Wobei es besonders nervig ist, dass wir am Ende der Levels ständig nach den noch verbliebenen Feinden suchen müssen, weil die einfach irgendwo mitten in der Botanik erscheinen.

Um dem Spieldesign des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden, haben es die Entwickler zudem scheinbar für nötig erachtet, die Dauerballerei um diverse »Modernisierungen« zu erweitern. Wenn der Dude schwer verletzt ist, gibt er ein ächzendes »I need some sweet health stuff!« von sich. Die Suche danach können Sie sich aber gleich sparen: Hallo automatische Selbstheilung! Und wo kann man diese am besten abwarten? Richtig: in Deckung! Und zwar dank des neuen Deckungssystems, das aber völlig fehlerbehaftet ist und sowieso kaum benötigt wird.

So spielt sich Postal 3 weitestgehend wie ein technisch veraltetes, nicht zu Ende entwickeltes Gears of War, das eigentlich niemand so richtig braucht. Außer vielleicht Spieler, die Uwe Boll schon immer mal für seine Videospielverfilmungen »danken« wollten, denn der umstrittene Regisseur hat, genau wie etwa Osama bin Laden, einen Gastauftritt spendiert bekommen.

Optik zum Durchdrehen

Der Vorgänger von Postal 3 hat mittlerweile gut acht Jahre auf dem Buckel, wenig später begannen die Arbeiten am Nachfolger. Doch trotz des Technik-Wechsels von der Unreal-Engine 2.0 auf Valves Source-Engine (Half-Life 2), hat Postal 3 dabei optisch kaum Fortschritte gemacht.

Bei sollchen Clippingfehlern hilft oft nur das Laden eines Spielstandes. Bei sollchen Clippingfehlern hilft oft nur das Laden eines Spielstandes.

Kurz: Das Spiel sieht aus wie von 2003. Modelle und Levels ermüden mit ihrer Detailarmut, die Charakteranimationen verursachen spontane Augenkrämpfe und weder von scharfen Texturen geschweige denn von Bump-Mapping scheinen die Macher jemals etwas gehört zu haben.

Die KI-Gegner rennen selbst für Postal-Maßstäbe komplett chaotisch und planlos durch die Levels, was kombiniert mit der äußerst schwammigen Steuerung und der quasi nicht vorhandenen Waffenpräzision das Treffen der Gegner (und das Vorbeischießen an anderen Charakteren) zur absoluten Glückssache macht.

Nach unten abgerundet wird das Postal-3-Paket mit zahlreichen Bugs wie Clipping-Fehlern, dem unzuverlässigen Deckungssystem, nervigen Soundproblemen sowie Abstürzen und massiven Performanceproblemen auch auf Highend-Rechnern. Oder um es noch einmal kurz zu machen: Technisch ist Postal 3 ein großer Haufen Datenmüll. Einzig die ordentlichen englischen Sprecher können zumindest ein wenig Atmosphäre aus diesem Brei ziehen. Aber das macht das Spielerlebnis dann auch nicht mehr rund.

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