Wenn man zusammenfasst, was E-Sportler, Journalisten, Streamer und andere Content-Schaffende derzeit über XDefiant zu sagen haben, kommt man (etwas vereinfacht ausgedrückt) bei folgender Aussage raus: Hier kommt der neue CoD-Killer!
Ubisofts neuer Free2Play-Shooter soll endlich den König vom Thron stoßen und alles besser machen: Ohne das verhasste SBMM, mit besseren Maps, einem Ranked-Modus ab Tag eins und vielen anderen verschwundene Features aus früheren CoD-Zeiten.
Längst liest man Schlagzeilen wie »Wird XDefiant der Untergang von CoD?« oder »Shooter-Profi erklärt, wie XDefiant Call of Duty schlagen wird« und so weiter und so fort.
Und der Erfolg scheint XDefiant recht zu geben: Die Beta ist mit über einer Million aktiver Spieler so beliebt, dass Ubisoft kurzfristig in die Verlängerung geht.
Tatsächlich gibt es viele Punkte, die für den CoD-Rivalen sprechen: Die Entwickler kommunizieren schnell und transparent mit den Fans. Es gibt wieder die klassische Minimap, um die es so große Proteste gab. Das Movement ist angenehm schnell und direkt. SBMM ist weg.
Kurzum: XDefiant liest sich auf dem Papier wie der Wunschzettel eines CoD-Spielers, der 2012 mit Black Ops 2 aufgehört hat. Ubisofts Strategie geht auf: Man setzt voll auf die Gunst von frustrierten Fans, denen die Laufrichtung des großen Platzhirsches nicht mehr gefällt.
In Wahrheit ist XDefiant aber bestenfalls eine CoD-Alternative (und kein CoD-Killer). Und vielleicht nicht mal das! Hier will ich erklären, warum.
Nur CoD kann CoD töten
Call of Duty ist eine Marktmacht von unvorstellbarem Ausmaß: 2022 erschien mit MW2 der erfolgreichste Teil ever und generierte einen Umsatz von über einer Milliarde US-Dollar allein in den ersten zehn Tagen nach Release. Die Spielerzahlen bei CoD sind auf einem nie dagewesenen Rekordniveau.
CoD ist längst nicht mehr nur Videospiel, es ist ein globales Phänomen. Es wird gespielt von zig Millionen von Fans weltweit, von denen nur ein Bruchteil überhaupt je von XDefiant gehört hat. Und noch ein viel kleinerer Teil verfolgt aktiv Gaming-Berichterstattung oder was YouTuber sagen.
Deshalb: Der einzig mögliche CoD-Killer am Markt kann nur CoD selbst sein. Sollte die Qualität so weit absinken, dass die breite Masse es nicht mehr gerne spielt – dann und erst dann – ist es vielleicht um den Shooter geschehen.
Splitgate, Shatterline, Ironsight, Warface, Blacklight Retribution: Ich habe vor langer Zeit aufgehört die ganzen vielversprechenden CoD-Killer zu zählen, die in den Jahren gekommen und wieder gegangen sind, Free2Play-Modell hin oder her. Und XDefiant hat bisher noch nicht bewiesen, warum es diesmal anders ist.
Viel Nostalgie, wenig Innovation
XDefiant macht absolut nichts neu oder anders, sondern setzt zu einhundert Prozent auf Althergebrachtes: Sämtliche Modi von Domination bis Team Deathmatch kennt man seit Jahren, die Waffen reichen von AK-47 bis M60 und scheinen alle dem Standard-Waffenhandbuch für Shooter-Entwicklung zu entstammen.
Dadurch fühlt sich XDefiant vielleicht angenehm oldschool an, aber auch ziemlich seelenlos. Nichts an diesem Spiel überrascht mich in irgendeiner Art und Weise, selbst die Fähigkeiten sind 0815-Skills: Schild. Unsichtbarkeit. Heilung. Gähn. Die Schauplätze wirken kaum greifbar und relativ steril, hier ein verlassender Freizeitpark, da ein Lagerhaus. Warum wird hier gekämpft? Keine Ahnung.
Stimmung kommt da jedenfalls ebenso wenig auf wie bei den Helden: Zusammengewürfelte Fraktionen aus Ubisoft-Marken wirken maximal beliebig und zeugen definitiv nicht von Kreativität. Hier trifft die eine NPC-Fraktion mit Flammenwerfern aus The Division auf die Rebellen aus Far Cry 6. Moment, wer sind die nochmal? Genau.
Es ruckelt und zuckelt
XDefiant ist außerdem bei allen Lobeshymnen eine technische Dauerbaustelle: Viele Animationen wirken steif oder schlicht veraltet, die Waffen klingen durchschnittlich und haben kein wuchtiges Treffer-Feedback, das Nachladen sieht aus wie in einem Shooter von 2009.
Insgesamt ist die Grafik nicht auf einem aktuellen Niveau, was vor allem an der flach wirkenden Beleuchtung und dem geringen Detailgrad in den Maps erkennbar ist.
Währenddessen überschlägt sich Call of Duty aktuell geradezu mit stimmungsvollen Wettereffekten, krachigen Knarren und wahnsinnig detailliert ausgearbeiteten Maps. Die Animationen in Modern Warfare 2 sind gefühlt drei Ligen über dem neuen Free2Play-Rivalen. Insgesamt sieht man XDefiant im direkten Vergleich das geringere Entwicklungsbudget dann eben doch an.
Und dann wären da noch die ständigen Server-Probleme, die Beta-Spieler zur Verzweiflung bringen: Spieler ruckeln und zucken mit Pings im gefühlt vierstelligen Bereich durchs Match, klare Kopftreffer werden nicht als solche erkannt, die Balance der Fähigkeiten ist bestenfalls zweifelhaft. Die Liste der Fehler ist lang.
Klar, genau für solche Dinge ist eine Beta ja da! Doch selbst wenn die Serverprobleme behoben sind, hat Ubisoft hier noch einen weiten Weg zu gehen, wenn sie oben bei den großen Multiplayer-Shooter mitmischen wollen. Das wird vielleicht klappen. Vielleicht auch nicht.
Die Quittung für Activision
Der gigantische Trubel um XDefiant ist weitestgehend ein konstruierter und aufgeblasener Hype, der mit der Realität aktuell (noch) recht wenig zu tun hat. Hier machen Leute aus einem potenziell guten Spiel deutlich mehr als es ist – nämlich einen Heilsbringer. Und das aus völlig offensichtlichen Gründen: Call of Duty verändert sich seit Modern Warfare 2019 stark. Das gefällt nicht jedem.
Einige langjährige Anhänger der Reihe sind unzufrieden mit den Entscheidungen der Entwickler und wünschen sich schon länger eine Alternative. Dass XDefiant gerade jetzt um die Ecke kommt, ist für sie ein Geschenk des Himmels – und eine Chance mit Activion abzurechnen.
Ja, XDefiant legt den Finger gezielt in die Wunde. Doch das allein macht einen Shooter nicht zu einem CoD-Killer.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.