Es ist ein früher Mittwochnachmittag, als Eric Pope im Hauptquartier von Ubisoft Montreal erfährt, dass For Honor von den Lesern der US-Videospielwebsite IGN den Publikumspreis "Bestes Kampfspiel" erhalten hat. Wenige Minuten später bedankt sich der Community Developer im offiziellen Subreddit des Spiels mit folgenden Worten:
"Auf gewisse Weise sind Awards bedeutungsloser Quatsch, gleichzeitig aber bedeuten sie uns Entwicklern, die jahrelang (...) an diesem Spiel unermüdlich gearbeitet haben, unheimlich viel. Ich danke allen, die abgestimmt haben. Das bedeutet allen hier sehr viel."
Es mag nach einer abgedroschenen PR-Floskel klingen, doch die Erleichterung scheint wirklich aufrichtig zu sein - kaum etwas anderes ist denkbar: Fast ein komplettes Jahr führte das Entwicklerteam von For Honor einen verzweifelten Kampf gegen technische Probleme, eine wütende Community und niedrigste Testwertungen. Die Auszeichnung, so "bedeutungslos" sie auch sein mag, markiert für Ubisoft Montreal damit einen wichtigen Wendepunkt: Das Comeback vom Hassspiel zum Liebling einer leidenschaftlichen Community. Zwar mag das ungewöhnliche Kampfspiel nun nicht plötzlich an der Spitze aller Verkaufscharts stehen, doch hat sich For Honor endlich Anerkennung in den Reihen der eigenen Community gesichert. Der Weg bis zu diesem Erfolg war allerdings lang und schwierig.
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Eine Idee, an die niemand glauben möchte
Bis noch vor wenigen Monaten war Jason Vandenberghe die Galionsfigur von For Honor: Mit langem Bart, kernigem Lachen und altmodischem Gehstock stellte der charismatische Redner während der E3 2015 sein Spiel erstmals der Öffentlichkeit vor.
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Für den damaligen Creative Director ging damit ein Traum in Erfüllung: Jahrelang hatte er die Idee mit sich herumgetragen, ein Videospiel zu entwickeln, das den Nahkampf in den Vordergrund stellt. Wie Vandenberghe während seines Vortrags auf der Entwicklerkonferenz GDC dieses Jahr allerdings zugab, gelang es ihm lange Zeit nicht, einen Publisher mit seiner Idee zu überzeugen: "Meine Pitches waren immer zu technisch, zu umständlich, zu kompliziert, zu langweilig. Also änderte ich die Art, wie ich meine Idee den Publishern vorstellte, nicht aber die Idee selbst." Schließlich besuchte er das Ubisoft-Hauptquartier, zeigte das Bild eines einzelnen Soldaten im unüberschaubaren Chaos einer mittelalterlichen Schlacht und sagte: "Seine Perspektive will ich zum Spiel machen." Bald darauf begann die Entwicklung an For Honor.
Am 14. Februar erschien For Honor dann und erlebte in den ersten 48 Stunden einen ordentlichen Spielerandrang: Alleine auf Steam teilten sich kurz nach Release bis zu 45.000 Spieler die Server und duellierten sich als Wikinger, Samurai oder Ritter. Neben dem ungewöhnlichen Setting sorgte aber vor allem das innovative Kampfsystem, das Ubisoft "The Art of War" nennt, für neugierige Spielerblicke: Angelehnt an die Schaukämpfe des Theaters teilten die Entwickler die Körper der Duellanten in drei Angriffs- und Verteidigungszonen ein. Eine simple Idee, doch das darauf aufbauende Kampfsystem erwies sich gleichsam für Anfänger wie auch Fortgeschrittene als angenehm fordernd.
Doch nicht einmal einen Monat nach Release sanken die Spielerzahlen unaufhaltsam in den Keller: Im März waren nur noch rund 4.000 Duellanten auf den Servern von For Honor aktiv, Tendenz weiter sinkend. Der Grund: Vor allem technische Probleme im Multiplayer, häufige Server-Abstürze und Lags, die das Entwicklerteam über Monate hinweg nicht in den Griff bekam. Aber auch das Game Design selbst schreckte mit seinen hunderten, freischaltbaren Items ab, der Verdacht auf Pay2Win lag in der Luft. Die allgemeine Stimmung im Spiel, aber auch im offiziellen Subreddit, war so schlecht, dass es fast schon nachvollziehbar erschien, wenn die Entwickler einfach den Stecker gezogen hätten.
Aber Ubisoft stellte sich offen der Kritik, überarbeitete das Levelsystem und versprach eine gründliche Technik-Politur. Doch die wirklich entscheidende Reaktion geschah außerhalb des Spiels selbst: Die Entwickler beschlossen, sich jede Woche in einem mehrstündigen Livestream den Fragen der Community zu stellen, Spott im Live-Chat grinsend auszuhalten und mit viel Selbstironie die Vorwürfe der Zuschauer über sich ergehen zu lassen. Wie es sich herausstellen sollte, war diese Entscheidung ein psychologischer Genie-Streich: Indem sich die Entwickler regelmäßig vor der Kamera zeigten, gaben sie dem anonymen Blockbuster-Titel und seinen Problemen ein menschliches Gesicht - und das zeigte sich betreten, unglücklich aber auch entschlossen, nach und nach an den Fehlern zu arbeiten.
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"Diese wöchentlichen Streams haben mir und meinen Freunden gezeigt, dass Ubisoft nicht egal ist, was wir von For Honor halten", erklärt mir Ewan. Der Teenager ärgerte sich wie ein Großteil der Community vor allem über die technischen Probleme von For Honor. Die Leidenschaft aber, mit der Ubisoft Woche um Woche klarstellte, wie wichtig ihnen ihr "Baby" ist, steckte ihn an: "Kurz nach dem ersten Stream entschlossen meine Freunde und ich uns dazu, einfach auf eigene Faust für mehr positive Stimmung auf den Servern zu sorgen."
Also begannen sie, wütende Mitspieler zu beschwichtigen und im Subreddit erhitzte Diskussionen zu deeskalieren. Freilich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber allmählich entstand aus der Idee eine Bewegung mit immer mehr Mitgliedern, die sich schließlich einen Namen gab: Der "Orden des Lorbeerkranzes" wurde aktiv - aber nicht, um Kritik an For Honor zu unterdrücken, sondern eine faire Diskussion zu ermutigen.
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Auf dem Rücken dieser Spieler und dank der Hartnäckigkeit der Entwickler, sich über Monate hinweg jede Woche neuer Kritik zu stellen, gelang For Honor zumindest in Teilen die Politur des eigenen Images. Zwar bleiben die Steam-Wertungen weiterhin durchwachsen und die Spielerzahlen erholen sich nur langsam, doch der Stimmungswechsel innerhalb der Community ist spürbar: For Honor ist nach einem zehn Monate andauerndem Fall schließlich fest auf beiden Beinen gelandet und blickt nach dem erfolgreichen Comeback vom Hassspiel zum Nischenliebling optimistisch dem neuen Jahr entgegen.
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