Enthüllung der Xbox One - 1:0 für Sony

Mit der Enthüllung seiner Xbox One stürzt sich Microsoft in den Kampf gegen Sony – und um die Vorherrschaft im Wohnzimmer. Als Spieler fühlt sich unser stellvertretender Chefredakteur Michael Graf allerdings vernachlässigt.

34 Minuten. So lange dauert es, bis Microsoft bei der Enthüllung seiner Xbox One, seiner Next-Generation-Konsole, erstmals ein Spiel zeigt. Und selbst dann flimmert nur ein Trailer-Zusammenschnitt von EA Sports über die Leinwand, ein bisschen Fifa, ein bisschen NBA, ein bisschen Madden. Gut, danach kommt noch ein bisschen mehr, dazu komme ich gleich. Am Anfang aber muss ich mich 2.040 Sekunden lang fragen: Bin ich denen als Spieler überhaupt noch wichtig? Oder ist die Xbox, die als Spielekonsole begann, inzwischen doch vorrangig ein Mediencenter, mit dem ich eben auch ein bisschen spielen kann?

Das weckt unangenehme Erinnerungen an den Startbildschirm der Xbox 360. Das Spiel, das ich in 99,9 Prozent der Fälle sofort starten möchte, wenn ich die Konsole einschalte, quetscht sich irgendwo auf ein briefmarkengroßes Icon, drumherum blinkt Werbung, Werbung, Werbung - für Spiele, aber auch für Microsofts Video-Dienste. Das mag geschäftstüchtig sein, als Spieler fühle ich mich da aber zwangsläufig an den Rand gedrängt. Ein mulmiges Gefühl.

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Filme, Serien, Musik, und ja, irgendwie auch Spiele: Die Xbox One verbindet alles. Filme, Serien, Musik, und ja, irgendwie auch Spiele: Die Xbox One verbindet alles.

Die neue TV-Herrlichkeit

Dieses mulmige Gefühl wird nicht besser dadurch, dass Microsoft bei der Vorstellung der Xbox One lange, lange von den TV-, Video- und Web-Fähigkeiten der Konsole schwärmt. Ich kann jetzt also nahtlos zwischen Fernsehen, Film und Internet Explorer hin und her schalten, nebenher als »Bild im Bild« das aktuelle Kinoprogramm einblenden und Star Trek-Karten kaufen. Alles gesteuert mit Kinect-Gesten und Sprachbefehlen. Oder mit dem Smartphone. Nett, aber bald kann ich mit dem Smartphone sogar meine Mikrowelle vom Klo aus einschalten, dafür brauche ich keine Konsole!

Zumal viele Smart-TV-Gimmicks erst mal sowieso nur in den USA funktionieren dürften. Es ist die alte Leier: Da kann Microsoft noch so tolle Video- und Streaming-Dienste ankündigen, in Europa gucken wir doch wieder in die Röhre, weil sich die entsprechende Kooperation auf den Übersee-Markt beschränkt. Entsprechend richten sich auch die Präsentationen vorrangig an Amerikaner: Auf ESPN ein Basketball-Match angucken und nebenher die eigene Fantasy-Basketball-Liga verwalten? Technologisch sicher super, für viele Europäer aber ähnlich aufregend wie ein Schachturnier im Altenheim.

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Als europäischer Spieler empfinde ich mich nun schon als doppelte Randgruppe. Wollen die mir das Ding denn partout nicht schmackhaft machen? Ich mag da ein bisschen altmodisch sein und zu einer schrumpfenden Opa-Zielgruppe gehören, aber ich kaufe mir eine neue Konsole eben nicht wegen ihrer Web- und Video-Herrlichkeit, sondern, um zu spielen. Und zwar schöne, beeindruckende, Kinnladen-Gravitation ausströmende Exklusivtitel. Kurz: Ich! Will! Spiele! Sehen!

Enttäuschende Spiele

Spiele sehe ich dann auch, aber eben erst später. Und enttäuschend wenige. Symptomatisch: Als Bonnie Ross vom Halo 4-Entwickler 343 Industries auf die Bühne stapft, kündigt sie nicht etwa Halo 5 an - sondern eine Xbox-exklusive Halo-TV-Serie. Aha. Und wenn dann doch mal Software über die Leinwand saust, dann in überaus langweiliger Form.

Andrew Wilson von Electronic Arts philosophiert in ermüdender Breite über die Technikwunder der Xbox One und die Partnerschaft zwischen seiner Firma und Microsoft, um dann den erwähnten Trailer-Zusammenschnitt neuer EA-Sports-Titel zu zeigen, der vermutlich bewusst so unspektakulär geschnitten wurde, um dem Häkelkreis Herne-Ost beim kollektiven Public Viewing nicht die Herzschrittmacher durchbrennen zu lassen.

Schon mal hübscher als die Präsentation: ein Unterwasser-Bild von Call of Duty: Ghosts. Schon mal hübscher als die Präsentation: ein Unterwasser-Bild von Call of Duty: Ghosts.

Auch von Forza 5 gibt's wenig mehr zu sehen als polierte Karossen. Am interessantesten erscheint mir Quantum Break, das Neuwerk des Alan Wake-Entwicklers Remedy und ein klarer Mystery-Angriff auf Sonys Beyond, das derzeit von Quantic Dream entwickelt wird. Gewisse klangliche Ähnlichkeiten zwischen Quantum Break und Quantic Dream sind da sicher rein zufällig.

Die größte Enttäuschung hingegen serviert Call of Duty: Ghosts. Oh, klar, es wird ein Call of Duty und damit sicherlich knallig und intensiv und bombastisch und mit zerstörbarem Terrain und vielleicht auch mal weniger linear. Und jetzt mit Hunden! Doch was Activision hier als Next-Gen-Optik präsentiert, lässt nicht nur Crysis 3-verwöhnte PC-Spieler erst mal kalt. Da muss noch mehr kommen, deutlich mehr.

So richtig vom Hocker gerissen haben sie also nicht, die Spiele der nächsten Xbox-Generation. Offensichtlich wollen die Hersteller die großen Staunmomente für die E3 aufbewahren und erst mal nur das Nötigste zeigen. Auch Microsoft selbst hat nach eigener Aussage 15 Xbox-One-Exklusivtitel in der Mache, acht davon sollen auf neuen Marken fußen. Super, aber dann zeigt sie doch auch! Oder einen davon! Oder zumindest einen winzigen Teaser! Denn selbst der würde mich mehr interessieren als jede Basketball-Fantasy-Liga dieser Welt.

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Logische Strategie

Dass Microsoft die Xbox One nicht als Hardcore-Spielekonsole positioniert, sondern sich mit der TV-, Film- und Internet-Breitseite auf eine neue Zielgruppe einschießt, überrascht mich allerdings nicht. Im Gegenteil, es ist konsequent und in strategischer Hinsicht absolut nachvollziehbar. Schon die erste Xbox entstand aus der Befürchtung, Sonys immens erfolgreiche Playstation 2 könne den Windows-PC als wichtigste Entertainment-Plattform verdrängen. Das konnte Microsoft natürlich nicht zulassen.

Seitdem ringen die Redmonder um die Vorherrschaft in den weltweiten Wohnzimmern. Die Xbox One ist da nur der nächste logische Schritt: Auch Nicht- oder zumindest Wenigspieler sollen sich vom lifestyligen All-in-One-Medienzentrum angesprochen fühlen, sollen neue Folgen von Game of Thrones herunterladen, per Smartphone-Fingerzeig Kinokarten für Star Trek: Into Darkness reservieren und mit Kinect-Wedelgesten von TV-Kanal zu TV-Kanal springen wie einst Tom Cruise in Minority Report von Akte zu Akte. Microsoft möchte sie beherrschen, die schöne, neue, vernetzte und vor allem: kinderleicht zugängliche Medienwelt.

Und ja, dabei wird ihnen die Xbox One helfen, weil sie auch der mächtigen Entertainment-Konkurrenz durch Apple und Google Paroli bieten kann. Wer braucht schon ein Apple-TV-Kästchen, wenn die Xbox fast dasselbe kann - und noch dazu Spiele darstellt? Auch die Partnerschaft mit der amerikanischen Football-Profiliga NFL dürfte Microsoft auf dem US-Markt enorme Starthilfe leisten. Wenn die Xbox One tatsächlich ohne Zusatzkosten Live-Partien überträgt, werden die Redmonder alleine damit Millionen von Konsolen verkaufen – und Sony in die Schranken weisen, bevor der Konsolenkampf mit der Playstation 4 überhaupt begonnen hat. Andererseits werden Google, Apple und wohl auch Sony die Microsoft-Offensive nicht auf sich sitzen lassen. Man darf gespannt sein, welche Blüten dieser Medienkrieg noch treibt.

Microsofts Mediencenter-Strategie kann aufgehen. Begeistern kann sie nicht, zumindest nicht uns Spieler. Microsofts Mediencenter-Strategie kann aufgehen. Begeistern kann sie nicht, zumindest nicht uns Spieler.

Nur: Wer beherrscht derweil die Videospielewelt? Und vor allem: Wer gewinnt die Herzen der Spieler? Mit der Andeutung von Online-Aktivierungen, Kontenbindungen und Installationsgebühren für Gebrauchtspiele sowie der fehlenden Abwärtskompatibilität hat sich Microsoft schon mal unbeliebt gemacht. Mag sein, dass Sony - zumindest was die Gebrauchtspiele angeht - noch ähnliche Schikanen auf Lager hat. Bislang fühle ich mich bei den Japanern als Spieler aber besser verstanden, trotz nerviger Share-Funktionen und anderer Ärgernisse.

Denn die Präsentation der Playstation 4 hat mich zwar bekanntlich ebenfalls nicht dazu veranlasst, mir die Kleider vom Leib zu reißen und »Preiset Sony!« kreischend durch die Gassen zu stürmen, fühlte sich aber zumindest an wie die Vorstellung einer Spielekonsole. Einer Konsole für Menschen wie mich, nicht für amerikanische Durchschnittsfamilien. Nicht in erster Linie zumindest.

Kommt auch noch: die Steambox. Kommt auch noch: die Steambox.

Das könnte strategisch betrachtet ein falscher Weg sein. Womöglich braucht eine zukunftssichere Konsole die erweiterte Multimedia-Zielgruppe, womöglich wird Sony gegen Microsoft auf lange Sicht den Kürzeren ziehen. Denn die Entwicklung großer Spiele wird mit zunehmendem Technik-Aufwand auch immer teurer, Großprojekte können künftig locker dreistellige Millionensummen verschlingen. Wird sich das mit einer reinen Spielekonsole noch finanzieren lassen?

Mein Zwischenstand nach der ersten Präsentation lautet dennoch: ein knappes 1:0 für Sony. Nicht nur, aber auch, weil die Japaner seinerzeit schon nach 20 Minuten erste Spielszenen gezeigt hatten (was, wenn wir ehrlich sind, auch schon zu lange gedauert hatte). Kurioserweise kletterte auch der Sony-Aktienkurs nach der Xbox-Präsentation um 9 Prozent, was allerdings vorrangig daran gelegen haben dürfte, dass die Japaner derzeit laut über die Abspaltung ihres Film- und Musikgeschäfts nachdenken. Viel aussagekräftiger: Der Aktienkurs von Microsoft ist seit gestern ein wenig gefallen. So richtig eingeschlagen hat die Xbox One also noch nicht.

Vielleicht, nur vielleicht, findet die reine Spielezukunft ja auch ganz woanders statt. Irgendwo am Horizont lauert schließlich noch Valves Steambox.

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