Ahoi, Browser! - Vom Postspiel zum Browsergame

Warum sind Browser-Spiele eigentlich so erfolgreich? Wieso wurde aus einem furztrockenen Surf-Brett ein Eldorado für verspielte Hausfrauen, Studenten und Arbeitslose? Stimmt dieses Vorurteil überhaupt? Und was können »richtige« Spiele vom Erfolg lernen?

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Mein Briefträger ist Freund und Feind zugleich. Alle drei Wochen bringt er mir einen dicken Umschlag, gefüllt mit gewaltigen Schlachten zwischen Schwertkämpfern und Speerträgern, Katapulten und Armbrustschützen, Kriegsschiffen und Handelskähnen. Mein Reich ist gewachsen, Karawanen karren Güter herbei, denn ich handele viel mit Nachbarreichen. Toll! Doch alle vier Wochen ist D-Day, dann wird der Briefträger zum Feind – er bringt die Telefonrechnung. Meine telefonischen Verhandlungen mit den Nachbarreichen treiben die Gebühren locker über 100 Mark.

Mark? Richtig gelesen. Denn wir schreiben 1988, und ich spiele Ancient Empires, ein Postspiel, quasi der Ur-Opa der heutigen Browserspiele. Weil das Internet erst in zwei Jahren den Sprung aus Militär und Wissenschaft in die Öffentlichkeit schaffen wird, bin ich noch mit analogem Papier und Bleistift zugange. Ich fülle behördenartige Formulare aus (»schicke 70 Speerträger von X nach Y«), sitze vor einer großen Papierkarte der mittelalterlichen Spielwelt und messe mit dem Lineal nach, ob meine Armee es in einer oder zwei Runden von X nach Y schafft.

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Meine gesammelten Befehle packe ich in einen Briefumschlag und schicke ihn zum SSV Graz. Rund 50 Mitspieler machen das auch, und am Stichtag geben drei emsige Österreicher alle Formulare in ihren Computer ein. Der berechnet Bewegungen, Kämpfe, Handel und so weiter, druckt eine Auswertung aus, die wieder in einem Umschlag landet und zu meinem Briefträger reist, der wieder mein Freund ist.

Obskure Briefumschläge

Mit der stabileren 3,5-Zoll-Diskette konnten zum Beispiel Truppenbefehle am PC gespeichert und verschickt werden, das lästige Formularausfüllen der Briefspiele ist Geschichte. Mit der stabileren 3,5-Zoll-Diskette konnten zum Beispiel Truppenbefehle am PC gespeichert und verschickt werden, das lästige Formularausfüllen der Briefspiele ist Geschichte.

Kein Schwein kennt damals Postspiele. Wir wenigen Auserwählten werden schief angeguckt, weil man uns für Betreiber illegaler Pilotenspiele hält, auch Pyramidenspiele genannt, bei denen im Schneeballsystem Geld verschickt wird. Doch unsere Postspiele werden immer »moderner«. Statt stapelweise Papier verschicken wir Disketten, auf denen unsere Befehle gespeichert sind, sodass die Spielleiter nicht mehr langwierig alles abtippen müssen. Ein Zug dauert keine drei Wochen mehr, sondern »nur« noch anderthalb, wegen der Post. Auch das Lineal hat ausgedient, unsere Computer zeigen zum Beispiel Entfernungen direkt an.

Der nächste Sprung ist gewaltig: Modem! Mailbox! MausNet! Ich gebe meine Befehle direkt am Computer ein, schmeiße mein Modem an und logge mich für 23 Pfennig »Ortsgespräch« in eine MausNet-Mailbox ein. MausNet, kurz für Münster Apple User Service, wurde schon Mitte 1984 »erfunden«, lustigerweise in meiner Heimatstadt Münster. Doch wie bei allen Mailbox-Systemen startet ihr Siegeszug erst Anfang der 90er. Erst Mitte der 90er geht die Ära der Mailboxen zu Ende – das »richtige« Internet startet durch: das World Wide Web von heute.

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