Es gibt nur wenige Spiele, die so treffend einfangen, wie sich ein Frosch fühlen muss, der bei lebendigem Leib gekocht wird und es viel zu spät merkt, wie This Is The Police. Es ist die Geschichte des alten Polizeichefs Jack Boyd kurz vor seiner Rente.
Gesprochen wird er griesgrämig und voll triefendem Klischee von Duke-Nukem-Brummler Jon St. John. Im letzten halben Jahr im Job wird Jack Boyd in der fiktiven Stadt Freeburg unbarmherzig aufgerieben zwischen Verpflichtungen, Versprechen und dem Job. Ein Spiel der Papers, Please-Schule also über Menschen, die gefangen sind in einer unmenschlichen Bürokratie. In seinen besten Momenten ist This Is The Police ein Paradebeispiel dafür, wie knifflige, unangenehme Entscheidungen in Spielen aussehen können, in seinen schlechtesten, wie unüberlegtes Gamedesign viel Potenzial unter sich begräbt.
Sin City
Zunächst: Nein, This Is The Police ist kein Spiel über Polizeigewalt in den USA, #blacklivesmatter, Rassismus oder Ungleichheit. Es ist kein The Wire. Es ist eine Mischung aus Film Noir und Hardboiled-Detective-Groschenroman über korrupte Polizisten, verlogene Politiker, unschuldige Staatsanwältinnen. Vor allem aber ist This is the Police ein Strategiespiel.
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Wir verwalten ein Team aus Polizisten und Kriminalbeamten. Jeden Tag sitzen wir vor der Stadtkarte Freeburgs. Immer wieder erscheinen auf der Karte Notrufe: Im Vorort wird ein Mann von der Nachbarskatze angegriffen, vor dem Rathaus protestieren wütende Lehrer, in der Stadtmitte stürmen maskierte Männer das Kasino. Sobald solche Meldungen auftauchen, müssen wir Entscheidungen treffen: Schicken wir Streifenpolizisten? Wenn ja, wie viele? Und wen?
Jeder Polizist hat wie in einem Rollenspiel einen Punktwert und teils verdeckte Eigenschaften. So ist es beispielsweise keine gute Idee, den betrunkenen Cop in ein Auto zu setzen oder die Superpolizistin trotz totaler Übermüdung loszuschicken. Nur maximal 30 Sekunden haben wir meist, um eine Entscheidung zu treffen. Täglich gibt es mehr Notrufe, als wir abarbeiten könnten, wir müssen priorisieren.
Die Einsätze selbst erleben wir dabei nur in Textform. Auch hier stehen Entscheidungen an wie einem Text-Adventure mit Multiple-Choice-Auswahl: Wollen wir die Tür des Drogenlabors einrennen lassen oder warten wir ab, bis jemand das Haus verlässt? Großen Einfluss auf den jeweiligen Ausgang hat das nicht. Am Ende des Einsatzes steht immer nur, ob es zu Festnahmen und Todesfällen kam. Was wirklich passiert ist mit der Nachbarskatze und dem Kasinoraub, müssen wir uns selbst ausdenken.
Abwechslung bringen dabei die Morduntersuchungen, zu denen wir Kriminalbeamte schicken. Dann müssen wir den Tathergang rekonstruieren. Je nachdem, wie gut unsere Ermittler sind, schalten wir Bilder frei von möglichen Szenarien, die wir in die korrekte Reihenfolge setzen, um eine Festnahme des Täters freizuschalten.
Und zwischen den einzelnen Tagen und unseren Entscheidungen wird die Geschichte um Jack Boyd in einem animierten und vertonten Comic erzählt, dessen schicker Low-Poly/Rotoskopie-Look (wurde im Kinofilm »A Scanner Darkly genutzt) stilistisch an Éric Chahis Another World (Spiel von 1991) erinnert.
Soweit zu den Grundregeln. This is the Police wäre aber kein Spiel aus der »Papers, Please-Schule, wenn es nicht komplizierter werden würde. Fast täglich kommen Forderungen verschiedener Parteien rein: Der Bürgermeister will, dass wir eine feministische Demo gewaltsam unterdrücken, der Mafiaboss fragt, ob wir nicht ein paar Streifenpolizisten vorbeischicken könnten, um seinen Drogenkurieren die Straßenverkehrsordnung zu erklären.
Die besten Momente folgen diesen Entscheidungen. Dann stellt sich raus, dass auf der Demo auch die Staatsanwältin mitläuft und wir einen der besten Cops als Schuldigen für die Ausschreitungen präsentieren müssen, um nicht selbst zur Verantwortung gezogen zu werden; oder dass es zu Toten kommt bei einem Mafia-Überfall, während das gesamte Einsatzteam Drogenkurieren Fahrstunden gibt.
Die Todesspirale
Bei all den tollen, weil wirklich unangenehmen Entscheidungen hat This is the Police aber ein großes Problem: die Todesspirale. Fehler bestraft das Spiel hart. Erfüllen wir nicht brav jeden Gefallen des offensichtlich bösartigen Bürgermeisters, werden nach und nach Stellen gestrichen. Je weniger Polizisten und Ermittler wir zur Verfügung haben, desto schwerer wird es, Verbrechen zu verhindern und gleichzeitig weitere Gefallen für Bürgermeister und Mafia zu erledigen, was zu mehr gestrichenen Stellen führt.
Zwar können wir alle sieben Tage nach mehr Budget und Polizisten fragen, aber auch das ist gebunden an unsere Leistung. Kurz: Wer sich anfangs schlecht anstellt, wird es immer schwerer haben. Zwar versichern uns die Entwickler, Handlungsunfähigkeit würde dabei nie eintreten und die Geschichte ginge trotzdem weiter, spielerisch waren wir im Test um Tag 80 herum aber am Ende. Ohne Polizisten und Detectives können wir nur das jeweilige Tagesende abwarten und haben kaum Chancen, wieder auf die Beine zu kommen.
In FTL oder The Binding of Isaac ist das kein allzu großes Problem. Ein gescheiterter Durchgang kostet uns eine, vielleicht zwei Stunden, lehrt uns dabei aber viel über die Mechaniken des Spiels oder lässt uns absurde Situationen erleben. Ein Neustart ist bei This is the Police aber ist keine wirkliche Option. Weil das Spieltempo langsam ist, obwohl der Tag schon im Zeitraffer abläuft.
Trotzdem verbringen wir viel Zeit damit, einfach nur zuzuschauen, wie sich Polizeiautos langsam zum Einsatz und wieder zurückbewegen. Das Tempo soll so sein. Laut Publisher wollen die Entwickler Weappy daran erst mal nichts ändern. Das Rumgewarte ist aber nicht nur langweilig, es macht This is the Police auch noch frustrierend. Wir merken nach etwa sieben Stunden, dass unser Revier chancenlos ist. Ein Neustart bedeutet: Sieben Stunden von vorne warten und auf Polizeitautos starren, die zum Einsatz und wieder zurück fahren.
Keine Experimente
Auch Experimente verhindert This is the Police so. Weil es nur einen Speicherstand gibt, spielen wir lieber weiter, als auszuprobieren, wie es wäre, wenn Jack Boyd Mafiakomplize wird oder der rückgratlose Handlanger des Bürgermeisters. Der Moment, wann wir wirklich neustarten sollten, statt trotzig weiterzumachen, ist dagegen völlig undurchsichtig. Schon bei zwei verlorenen Angestellten? Bei drei? Der Niedergang verläuft schleichend, gestrichene Stelle um gestrichene Stelle. »Wird schon«, denken wir uns und machen weiter, bis es irgendwann zu spät sind. Wie der Frosch im Topf.
Das Absurde daran: Während der Bürgermeister das Revier unter uns wegfeuert, Ermittler an den einfachsten Fällen scheitern und unsere Streifenpolizisten nur noch ausrücken, wenn die Mafia mal wieder Fahrstunden braucht, geht die Geschichte über die harte Duke-Nukem-Stimme als Polizeichef ohne Änderungen weiter. Egal ob wir schwarze Cops auf Anordnung feuern oder nicht mal reagieren, wenn das Altersheim ausgeraubt wird, Jack Boyd bleibt der markige Held: der alkoholkranke, pillenabhängige »hardboiled« Cop, der einzige ehrliche Mann in Freeburg.
Bis wir merken: This Is The Police lässt uns nicht Jack Boyd sein, sondern in Wahrheit nur den namenlosen Polizisten in der Notleitstelle, dessen Revier sich nach und nach auflöst. Zumindest haben wir uns so gefühlt. Zugegeben: Wir haben gezittert und geflucht bei den wirklich fiesen Entscheidungen, vor allem aber sehr viel gegähnt und frustriert mit den Augen gerollt, als wir feststellten, dass zwischen den Entscheidungen eines Polizeichefs einfach viel Wartezeit, Monotonie und Langeweile lauert und wir schon vor einer gefühlten Ewigkeit verloren hatten. Wir hatten es nur noch nicht bemerkt.
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