Gleich zwei Testreaktoren für Kernfusion sprengen bisherigen Rekord – was das für die Zukunft der Energieversorgung bedeutet

Neue Erfolge mit zwei Testanlagen sollen den Hoffnungsträger der kommerziellen Kernfusion entscheidend voranbringen.

Noch sehen sie nicht so aus, aber eines Tages stehen vielleicht Fusionsreaktoren selbst in abgelegenen Teilen der Erde. (Bildquelle: Adobe Firefly, generative KI) Noch sehen sie nicht so aus, aber eines Tages stehen vielleicht Fusionsreaktoren selbst in abgelegenen Teilen der Erde. (Bildquelle: Adobe Firefly, generative KI)

Der Traum tausender Physiker ist mehr als hundert Millionen Grad Celsius heiß: eine Miniatursonne, von Urkräften gestaucht und vor nutzbarer Energie nur so strotzend. Zwei Testanlagen überbieten sich derzeit mit neuen Rekorden.

Wir erklären euch, weshalb Meilensteine selten derart bedeutungslos und zugleich beachtlich sind wie in diesem Fall.

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Ein Wettrennen zugunsten der Menschheit

Gleich doppelt vermelden Forschungsteams neue Rekordzeiten für stabile Plasmazustände in Fusionsreaktoren. Im Januar schafften Wissenschaftler mit dem »Experimental Advanced Superconducting Tokamak« (EAST) das für 1066 Sekunden (ca. 18 Minuten).

Wenige Tage später übertreffen Kollegen in Frankreich mit dem »Wolfram Environment in Steady-state Tokamak« (WEST) diesen Topwert erneut um etwa vier auf nun 22 Minuten (1337 Sekunden). Der bisherige Rekord lag bisher bei nur einigen Minuten.

So funktioniert ein Tokamak-Fusionsreaktor mit angeschlossener Turbine zur Stromerzeugung:

  • Eine ringförmige Vakuumkammer wird mit Wasserstoffgas gefüllt
  • Magnetischer Einschluss: Supraleitende Spulen, die extrem heruntergekühlt werden, bilden ein Magnetfeld aus.
  • Es wird ein Plasma erzeugt, indem das Gas durch elektrischen Strom oder Neutronenbeschuss erhitzt wird. Das Magnetfeld hält das Plasma in der Schwebe und stabil. Bei ausreichender Temperatur fusionieren im Plasma Wasserstoff- zu Heliumatomen.
  • Schutzsysteme, Divertoren genannt, schützen die Reaktorwände der Vakuumkammer vor Überhitzung
  • Die bei der Fusion von Wasseratomen frei werdende Energie kann zur Erhitzung von Wasser abgezweigt werden. Dampf treibt schließlich eine Turbine an, sie wandelt Bewegungsenergie in elektrischen Strom um.

Abseits der Tokamak-Reaktoren sind zwei weitere Ansätze in der Erprobung, der Stellarator sowie das Prinzip der Trägheitsfusion. Im Feld letzterer zündete erst im vergangenen Jahr die mächtigste Kanone der Welt.

Diese sogenannte Plasmalaufzeit gilt als einer der Kernaspekte, um irgendwann echte Fusionsreaktoren dauerhaft zu betreiben. Erkenntnisse aus Experimenten mit beiden Anlagen, EAST sowie WEST, sollen langfristig dem derzeit im Bau befindlichen ITER-Reaktor in Frankreich zugutekommen.

WEST dient insbesondere der Erforschung von hitze- und strahlungsbeständigen Materialien für ITER. Er steht auch nur wenige Dutzend Kilometer entfernt.

Der »International Thermonuclear Experimental Reactor« (ITER) gilt gemeinhin als der vielversprechendste Ansatz, um die notwendigen Lehren für ein echtes Fusionskraftwerk zu ziehen. Sein angedachter Nachfolger namens DEMO soll irgendwann in den kommenden Jahrzehnten erstmals wirklich relevante Mengen Strom ins Netz einspeisen.

Wie lange genau dieser epochale Umbruch bei der Stromerzeugung noch auf sich warten lässt, fassen wir inklusive der größten Mythen für euch leicht lesbar hier zusammen.

Meilensteine der Forschung, aber mehr (noch) nicht

Gleichweg wie beeindruckend die Leistungen der Forscher und Anlagen auch ausfallen, wir sind immer noch weit von der ersten Megawattstunde an Strom für den Endverbraucher entfernt. Denn obschon das Plasma in beiden Fällen lange Bestand hatte, kam es nicht zu einer Fusion.

Dafür wären Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad nötig gewesen – über die gesamte Zeitspanne.

WEST erreichte nur die Hälfte. Bei EAST in China sei dieser wichtige Wert zwar erreicht worden, aber wir kennen keine weiteren Details, ob und in welchem Umfang sie die Abstoßung von Kernen überwanden.

Wie der Wissenschaftler Hartmut Zohm auf dem YouTube-Kanal Urknall, Weltall und das Leben erläutert, komme es auf hohe, beherrschbare Leistungswerte über lange Zeiträume an. Denn es brauche stabile Plasmazustände, aus denen anhaltend mehr Energie gezogen werden kann, als zur Verdichtung hineinfließt.

Langzeit-Plasmen wie die jetzt in EAST und WEST helfen zudem zu verstehen, inwiefern das Plasma die Vakuum-Reaktorkammern abnutzt. Das hier quasi abgeschälte Material beeinflusse nämlich die Plasmastabilität.

Deshalb seien beides unzweifelhaft Meilensteine, aber wir beträten durch sie »keine neue Welt der Kernfusion«. Sie bestätigen vor allem Berechnungen und Simulationen vergangener Jahre oder sogar Jahrzehnte.

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