Die Schattenseiten von Temu: Greenwashing & verletzte Menschenrechte

Der Internet-Shop Temu steht vor allem für billige Preise, doch wie sieht es mit der Umwelt und den Arbeitsbedingungen aus?

Der Shopping-Gigant Temu steht vor allem für eins: günstige Preise. (Bild: Ascannio - stock.adobe.com) Der Shopping-Gigant Temu steht vor allem für eins: günstige Preise. (Bild: Ascannio - stock.adobe.com)

Update vom 17. August 2023, 11.07 Uhr: Link zu Artikel So werden wir manipuliert: Die perfiden Tricks der Billig-Online-Shops wie Temu, Wish und Co. am Ende des Artikels eingefügt.

An Temu kommt man derzeit kaum vorbei. Aggressive Werbung über Social Media, Website-Ads und Influencer-Deals haben den Shop berühmt gemacht, der mit seinen Kampfpreisen und schier unerschöpflichen Rabatten um die Gunst der Käuferinnen und Käufer wirbt.

Dass die Qualität bei absoluten Dumpingpreisen gerne mal auf der Strecke bleibt, habe ich selbst getestet: 7 Euro für identisch aussehende Apple AirPods sind kein Schnäppchen, sondern Elektroschrott, der um den halben Erdball verschifft wurde.

In diesem Artikel geht es allerdings nicht um die Qualität der Produkte, sondern um die Fragen: Wie gut ist Temus Umweltbilanz und wie fair ist der Umgang mit den eigenen Mitarbeitern? Die Antworten mögen vermeintlich auf der Hand liegen, doch einfach sind sie nicht.

Am Ende des Tages bleibt eine Frage: Ist Temu ethisch vertretbar? Bei dieser Antwort wollen wir euch helfen.

Das ist Temu

Temu ist eine Shopping-App. Der Shop selbst hat kein Warenlager, sondern fungiert als digitaler Marktplatz für Händler, vorrangig aus China.

Hinter Temu steht der chinesische e-Commerce-Gigant Pinduoduo. Gründer ist der Chinese Colin Huang, dessen Vermögen laut Forbes zum Zeitpunkt des Artikels auf 26,7 Milliarden Dollar geschätzt wird. Er trat als CEO von Pinduoduo 2020 zurück. 

2022 berichtete Reuters, dass das Office of the United States Trade Representative (USTR) Pinduoduo auf die Notorious Markets List gesetzt hat. Diese führt Märkte auf, die Markenfälschung und Urheberrechtpiraterie begünstigen. 

Gegründet wurde Temu 2022 in Boston und ist ein Tochterunternehmen der an der US-Technologiebörse Nasdaq gehandelten PDD Holdings Inc. Bis Februar 2023 hieß diese noch Pinduoduo, wurde dann aber umbenannt.

Mehr zu Temu selbst lest ihr in diesem Artikel:

Darum wurde Temu so schnell so groß

Binnen anderthalb Jahren gehen die Erträge von Temu in die Milliarden, wie PDD Holdings im Quartalsbericht verlauten lässt. Wie kam es dazu?

Zum einen durch aggressives Marketing. In sämtlichen sozialen Medien spielt der Shop seine Werbung aus und verspricht absolute Billigpreise - und das funktioniert. Bei vielen Userinnen und Usern siegt die Neugier, damit gelangen diese in die Kaufspirale von Temu.

Bei anderen werden Apps wie Temu womöglich zur Notwendigkeit, weil die angebotenen Produkte schlichtweg finanzierbar sind. Wenn das Notwendigste wie Lebensmittel durch die Inflation immer teurer wird, greifen von Armut betroffene Menschen auf solche Shops zurück.

Darüber hinaus gibt es bei Shops von PDD Holdings ein sogenanntes Team Purchase-Modell. Sprich: Wer Sammelbestellungen tätigt, bekommt niedrigere Preise. So werden mögliche Kundinnen und Kunden für Mundpropaganda direkt belohnt.

Zum anderen setzt Temu auf Verluste und kalkuliert diese mit ein. Das Unternehmen geht bewusst Verluste ein, die durch Subventionen aufgefangen werden, um Marktanteile zu gewinnen. Das ist nicht unähnlich zu dem, was Amazon lange Zeit getan hat, so Douglas Schmidt, Professor für Computerwissenschaften an der Vanderbilt University, in der amerikanischen Time.

(Bild: michelangeloop - stock.adobe.com) (Bild: michelangeloop - stock.adobe.com)

So umweltrechtlich bedenklich ist Temu

Der eingangs erwähnte Test der AirPods-Attrappe zeigt: Die Ohrhörer waren billig und vermutlich wenig nachhaltig produziert, was weder mir noch der Umwelt zugutekommt.

Der Frage nach dem Umweltschutz liegt jedoch vor allem eine Veränderung der Gesellschaft zugrunde. Man muss nicht mehr zwingend die eigenen vier Wände verlassen, um einzukaufen; es ist bequem, sich alles nach Hause liefern zu lassen.

Diese Möglichkeit hat das Leben vieler positiv beeinflusst, besonders der Menschen, für die Einkaufen eine Herausforderung darstellt. Doch mit dem Onlinehandel gehen auch Probleme einher, allen voran der Überkonsum respektive die Übernutzung des Angebots. 

Darüber fand in der Kommentarsektion des nachstehenden Artikels eine sehr lesenswerte und respektvolle Diskussion statt, denn wir alle sind nicht mit lupenreiner Umweltbilanz versehen:

In diesem Fall mit dem Finger auf Temu zu zeigen, ist leicht, doch der Shop ermutigt Kunden, kleine Bestellungen zu kombinieren, um Abfall durch überflüssige Verpackungen zu vermeiden. Darüber hinaus hat sich das Unternehmen selbst Richtlinien auferlegt

Unter dem Punkt Was unternimmt Temu, um nachhaltiger zu werden? steht:

Soziale Verantwortung ist einer der Grundwerte von Temu. Einer der Wege, wie wir unser Engagement zeigen, ist durch ökologische Nachhaltigkeit. Zum Beispiel gleichen wir für jede Bestellung auf Temu die Kohlenstoffemissionen aus, um unseren CO2-Fußabdruck zu kompensieren und unseren Beitrag dazu zu leisten, den Planeten zu schützen.

Temu.com, Richtlinien

Und das stimmt. Um seinen CO2-Fußabdruck zu verringern, greift Temu zu folgenden Maßnahmen:

  • Kauf von Emissionsgutschriften: Damit finanzieren verschiedene Nachhaltigkeitsinitiativen die Erhaltung natürlicher Lebensräume oder den Artenschutz von Tieren.
  • Kauf von Carbon Credits: Diese vermindern den Kohlenstoff, der in die Atmosphäre gelangt.
  • Investment in nachhaltige Technologie

(Quelle: Fashionweekdaily)

Temu behauptet sogar, noch weiter zu gehen. Anstatt nur CO2-Ausstöße zu kompensieren, will das Unternehmen das Problem an der Wurzel packen und Emissionen bereits bei Herstellung und Vertrieb mindern. Wie? Durch Next-Gen Manufacturing.

Was ist Next-Gen Manufacturing (NGM)?

Next-Gen Manufacturing ist ein Modell, das sich Temu angeblich selbst auferlegt hat. Über gekaufte Advertorials lässt die Firma folgendes Modell zur Nachhaltigkeitsunterstützung verbreiten:

(Bild: Temu) (Bild: Temu)

Auf Deutsch bedeuten diese Punkte:

  • Besseres Kundenverständnis für maßgeschneiderte Produkte
  • Akkurate Verkaufsvorhersagen, um Ausschuss zu minimieren
  • Effizientes Inventarmanagement, das Lagerkosten reduziert
  • Weniger Marketingausgaben aufgrund der maßgeschneiderten Produkte
  • Flexible Logistik, sodass Ware nicht lang lagert

Kurzum bedeutet das: Durch zeitnahe Einblicke in Verbrauchervorlieben sollen sich Überproduktion, entstandener Abfall, Lagerkosten und die verbrauchte Energie verringern lassen. Lieferketten werden angeblich optimiert und Transportwege verkürzt.

Im Gegenzug sollen die Verbraucher einen Anreiz haben, den Herstellern mehr Feedback zu geben, um günstigere und besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Produkte zu erhalten.

Die Ersparnisse des Systems kommen angeblich den Verbrauchern zugute.

Anscheinend will Temu nicht als Dreckschleuder gebrandmarkt sein, weswegen Geld in eine Kampagne mit Advertorials gesteckt wird, deren Informationen wir während unserer Recherche abseits dieser gekauften Artikel nirgends finden und somit nicht verifizieren konnten.

Das sind zwei Beispiele gekaufter Artikel. Das sind zwei Beispiele gekaufter Artikel.

Die Nachhaltigkeit von Temus Produkten

Im Erfahrungsbericht zu den AirPod-Attrappen wurde klar, dass es mit der Produktionsqualität nicht weit her ist - zumindest, was Elektronik betrifft.

Im Gespräch mit einer befreundeten Etsy-Künstlerin, die in ihrem Shop selbstgemachten Schmuck verkauft, sagt diese, dass sie Rohmaterial mittlerweile immer über Temu bestellt. Vorher bezog sie die Einzelteile über Amazon oder PandaHall, einen chinesischen Großhandel für Handarbeitszubehör.

Die Qualität ist laut ihrer Aussage dieselbe, da das Material ohnehin aus China stammt und über Großhändler teurer ist als im direkten Einkauf. Ganz klar ein Vorteil für die Shop-Betreiberin: Sie kann ihren Schmuck ebenfalls günstiger anbieten.

Da Temu Waren aus allen möglichen Sparten anbietet, lässt sich die Qualität nicht einheitlich beurteilen. Neben Elektronik wird vor allem viel Kleidung über Temu verkauft. 

Der Fast-Fashion-Shop Shein steht derzeit stark in der Kritik, weil er Content Creator instrumentalisiert, um das eigene Image zu verbessern. Diese bewerben Shops wie Shein ungefiltert und geben das an ihre vorwiegend junge Zielgruppe weiter. Die Kritik hat dem Erfolg des Unternehmens allerdings keinen Abbruch getan.

(Bild: Koukichi Takahashi - stock.adobe.com) (Bild: Koukichi Takahashi - stock.adobe.com)

Auch das Klima bezahlt einen hohen Preis für Fast-Fashion.

Temus menschenrechtlicher Standpunkt

Es ist kein Geheimnis, dass viele Hersteller, vor allem in spezialisierten Bereichen, einen Teil ihrer Tätigkeiten an Drittanbieter auslagern. Temu fungiert nur als Marktplatz, nicht als Hersteller. 

Daraus folgt: Temu hat keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung seiner Hersteller, Arbeitskräfte auszulagern, sei es für den Kundenservice, den Vertrieb, das Marketing oder die Produktion. 

Temu behauptet, dass es von seinen Herstellern verlangt, vorgegebene Standards einzuhalten und ein qualitativ hochwertiges Arbeitsumfeld für ihre Subunternehmer sowie alle Arbeitskräfte zu bieten. Es liegt in der Verantwortung der Hersteller, sicherzustellen, dass die ausgelagerten Subunternehmer ihre Arbeiterinnen und Arbeiter fair behandeln und ihren Angestellten faire Löhne zahlen.

Ob und wie Temu das überprüft, ist nicht klar. Es bleibt offen, ob das Unternehmen darauf bedacht ist, für bessere Arbeitsumgebungen zu sorgen oder Menschenrechte zu schützen, oder die Verantwortung einfach abschiebt und somit Augenwischerei betreibt. Beweise für fair hergestellte Produkte liefert Temu jedenfalls nicht.

(Bild: lnunes - stock.adobe.com) (Bild: lnunes - stock.adobe.com)

Besonders der Modemarkt ist bekannt für seine ausbeuterischen Praktiken. In einem Interview mit der Northeastern University sagt die Assistenzprofessorin, Designerin und Pädagogin Bolor Amgalan, dass hinter den Kulissen vermutlich unlautere Arbeitspraktiken stattfinden, obwohl etwas anderes behauptet würde.

Diese Aussage unterstreicht auch die Dokumentation Untold: Inside the Shein Machine, die genau diese Missstände aufdeckt.

Der Standort des Herstellers sagt viel über seine Geschäftspraktiken aus, sagt Amgalan. Das gilt natürlich auch für den Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Besonders in Bezug auf China ist Amgalans Aussage wichtig. Das Land ist ein großer Produzent. Im Vergleich zu anderen südostasiatischen Ländern wie Vietnam, Bangladesch oder Sri Lanka sind die Kosten für die Produktion von Waren in China höher, da das Land Vorschriften und Richtlinien für Mindestlöhne und sichere Arbeitsbedingungen hat.

Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass dort gute Bedingungen herrschen müssen. Wie Amnesty International am 17. Juli 2023 berichtet, befinden sich die Menschenrechte in China an einem neuen Tiefpunkt.

Ein finales Urteil lässt sich nicht fällen. Temu ist erst seit Kurzem auf dem Markt. Die Marke bezeichnet sich selbst als ethisch und nachhaltig, mit Werten wie Vielfalt und Inklusivität, handfeste Belege dafür liefert sie allerdings nicht.

Das Unternehmen hinter Temu, PDD Holdings, ist beispielsweise in der Vergangenheit von der Kommission zur Überprüfung der Wirtschafts- und Sicherheitslage zwischen den USA und China (USCC) wegen seiner unethischen Arbeitspraktiken, Produktsicherheit und Umweltauswirkungen in Frage gestellt worden.

(Bild: HongKi - stock.adobe.com) (Bild: HongKi - stock.adobe.com)

Temus Produkte in Verbindung mit Zwangsarbeit

Der Global Slavery Index 2023 stellt fest, dass 2021 weltweit 49,6 Millionen Menschen in moderner Sklaverei leben, 5,8 Millionen davon in China. Zu belegen, ob ein bestimmtes Temu-Produkt in Zwangsarbeit, also von Menschen gegen ihren Willen oder als Strafe, hergestellt wurde, ist so gut wie unmöglich.

Ein aktueller Bericht des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses für die Kommunistische Partei Chinas vom Juni 2023 stellt jedoch fest, dass die unzureichende Kontrolle von Temu und Shein so gut wie garantiert, dass einige Produkte in Zwangsarbeit hergestellt werden. 

Wie auch die Los Angeles Times schreibt, wurden bereits mindestens zehn Produkte wie Sandalen oder Sonnenbrillen im Portfolio entdeckt, die geltendem US-Recht widersprechen.

Es gibt zwar den Certa Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA), der internationale Importe verbietet, die durch Zwangsarbeit unter anderem von Uiguren hergestellt werden. Durch die amerikanische De-minimis-Bestimmung, unter welche die meisten Sendungen von Temu fallen, kann der Zoll Ware, die direkt an einzelne Kunden adressiert sind, allerdings nicht überprüfen.

Das besagt die amerikanische De-minimis-Bestimmung:

Die  De-minimis-Bestimmung befreit Unternehmen von der Zahlung von Zöllen auf Produkte mit einem Einzelhandelswert von weniger als 800 US-Dollar, wenn sie direkt an einzelne Kunden versandt werden.

Dem Bericht des chinesischen Repräsentantenhauses zufolge sind Temu und Shein wahrscheinlich für mehr als 30 Prozent aller Pakete verantwortlich, die täglich im Rahmen der De-minimis-Bestimmung in die Vereinigten Staaten versandt werden.

Das bedeutet: Da die Unternehmen keine Zölle zahlen, erhalten die Zoll- und Grenzschutzbehörden der USA nur sehr wenige Informationen über den Inhalt dieser Pakete, um diesen nachverfolgen zu können.

(Bild: lovelyday12 - stock.adobe.com) (Bild: lovelyday12 - stock.adobe.com)

In der Antwort von Temu heißt es im selben Bericht, dass das UFLPA und die Handelsverbote nicht direkt auf das Unternehmen zutreffen würden, da es ein Betreiber einer Online-Plattform ist und nicht der Importeur von Produkten. 

Der Verhaltenskodex von Temu verbietet den Lieferanten zwar den Einsatz von Zwangsarbeit, nicht aber die Beschaffung von Produkten aus einer bestimmten Region, zu der zum Beispiel auch die autonome Region Xinjiang gehört. 

Information zur Region Xinjiang und dem Volk der Uiguren

In der Region Xinjiang im Westen Chinas leben turkstämmige Völker wie die Uiguren. Diese werden vom chinesischen Regierungsapparat überwacht und unterdrückt, unter anderem unter Vorhaltung etwaiger terroristischer Akte, für die es keine Beweise gibt.

Weitere Informationen zur Situation in Xinjiang und der Unterdrückung der Uiguren hat der Deutschlandfunk zusammengefasst.

Temu führt auch keine Überprüfungen durch und überlässt es stattdessen anderen, etwaige Missstände zu erkennen und zu melden - oder eben nicht. Wäre es dem Unternehmen ein Anliegen, würde es sicherstellen, dass seine Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt werden. 

Dem Bericht zufolge verlässt sich Temu darauf, dass sowohl Verbraucher als auch Verkäufer und Aufsichtsbehörden Verstöße gegen seine Richtlinien melden - und zieht sich damit aus der Verantwortung. Aussagen über Ethik bleiben damit reine Lippenbekenntnisse.

Laut eigenen Angaben habe Temu bisher auch noch keine Beschwerden über Zwangsarbeitspraktiken erhalten, schreibt Business Insider.

Beim schieren Angebot von Temu fällt schwer, hinter die Fassade eines Produkts zu blicken. Beim schieren Angebot von Temu fällt schwer, hinter die Fassade eines Produkts zu blicken.

Temu und der Tierschutz

Es existieren keine Informationen über die Tierschutzpolitik von Temu oder seiner Muttergesellschaft PDD Holdings. Auch hier liegt die Verantwortung bei den einzelnen Subunternehmen, geltendes Recht einzuhalten.

Wenn euch als Verbraucherinnen und Verbrauchern der Tierschutz wichtig ist, solltet ihr einzelne Verkäufer auf Temu recherchieren, bevor ihr dort etwas kauft, oder explizit nach Unternehmen suchen, die dem Tierschutz Priorität einräumen und dazu dedizierte Statements veröffentlicht haben.

So geht PDD Holdings mit seinen Mitarbeitern um

Pinduoduo-Gründer Colin Huang. (Bild: Bloomberg) Pinduoduo-Gründer Colin Huang. (Bild: Bloomberg)

Betrachtet man die humanitären Bereiche, in denen Temus Muttergesellschaft PDD Holdings Einfluss hat, stößt man recht schnell auf zwei Todesfälle, die mit dem Unternehmen in Zusammenhang gebracht werden, und einen nationalen Skandal in China auslösten.

Die erste Mitarbeiterin starb am 29. Dezember 2020, als sie nach einer Reihe von extrem langen Schichten gegen 1.30 Uhr auf dem Weg nach Hause zusammenbrach. Der zweite Mitarbeiter, ein Ingenieur in den Zwanzigern, stürzte sich am 9. Januar 2021 in den Tod, nachdem er das Unternehmen spontan um Urlaub gebeten hatte und noch am selben Tag nach Hause gefahren war.

Laut der South China Morning Post löste bereits der erste Fall eine Untersuchung der Shanghaier Behörden gegen PDD Holdings aus und führte zu neuen Diskussionen in den chinesischen sozialen Medien über die berüchtigte 996-Überarbeitungskultur in Tech-Unternehmen. 

Ein Trend-Hashtag namens 996, die sich auf die Arbeitszeit von 9 bis 21 Uhr an sechs Tagen der Woche bezieht, wurde von Weibo, einer beliebten Mikroblogging-Plattform, die als chinesisches Pendant zu Twitter zu verstehen ist, entfernt. In der rasant wachsenden Tech-Industrie des Landes gilt 996 seit langem als gängiger, inoffizieller Arbeitsplan.

(Bild: Rafael Henrique - stock.adobe.com) (Bild: Rafael Henrique - stock.adobe.com)

In dasselbe Horn wie viele chinesische Weibo-Nutzerinnen und -Nutzer stößt auch Li Qing, ein langjähriger Arbeitsaktivist und Gründer der gemeinnützigen Organisation China Labor Watch. Er sagt:

Pinduoduo [jetzt: PDD Holdings] ist für seine extremen Überstunden bekannt. Der Wettbewerb ist extrem hart, und die Bedingungen sind viel grausamer als in Amerika.

Li Qing, Gründer von China Labor Watch

Die Kritik an Pinduoduo riss allerdings nicht ab.

Nur Tage später meldete sich ein Mann namens Wang Taixu zu Wort. Er wurde entlassen, nachdem er ein Foto eines Kollegen veröffentlicht hatte, der nach einem Zusammenbruch in einen Krankenwagen gebracht wurde, so The Guardian.

Wang publizierte daraufhin ein Video auf der chinesischen Videoplattform Bilibili, in dem er detailliert über Arbeitsmissbräuche berichtete. Er behauptete, dass einige Arbeiter bis zu 380 Stunden pro Monat arbeiten müssten, was PDD Holdings bestritt.

Wang beklagte sich auch über die starke Überfüllung der Büros und den akuten Mangel an Toiletten. In einigen Fällen gab es laut seiner Aussage auf einer Etage mit mehr als 1.000 Beschäftigten nur acht Toilettenkabinen, sodass die Beschäftigten gezwungen waren, in langen Schlangen anzustehen oder sich in benachbarte Gebäude zu schleichen.

Was absurd klingt, sind Auswüchse der rapide wachsenden Tech-Branche im Reich der Mitte.

Fazit

Temu, Pinduoduo oder PDD Holdings abschließend zu bewerten, ist aufgrund der schwierigen Faktenlage unmöglich.

Das Unternehmen gibt vor, die Umweltbelastung mindern zu wollen, indem es sich sein eigenes NGA-System auferlegt. Auf dem Papier klingt das gut, Beweise, dass Temu wirklich so handelt, wie es behauptet, gibt es keine.

Vielmehr wirkt das Schalten von dedizierten Anzeigen, als wolle Temu nach außen umweltbewusst wirken, also sogenanntes Greenwashing betreiben, ohne wirklich viel dafür zu tun. Das Unternehmen zieht sich allerdings an entscheidenden Punkten aus der Verantwortung, und versteckt sich hinter seiner eigenen Kampagne.

Nicht anders scheint es bei Zwangsarbeit und dem Umgang mit den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszusehen. Temu verdient genügend Geld, um die Umstände seiner Subunternehmer zu überprüfen und Beweise zu liefern, dass die Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Dass das Unternehmen das nicht tut, spricht für sich.

Die Todesfälle bei PDD Holdings sind weitere eindeutige Beweise, dass sich Temu und dessen Mutterkonzern unbedingt bessern müssen, um ihre eigenen Versprechen halten zu können.

Abschließend bleibt zu sagen: Auch wenn Temu vorgibt, sich um die Umwelt und die faire Behandlung von Menschen im Rahmen seiner Möglichkeiten zu scheren, so bleiben diese Aussagen ohne Belege nicht mehr als reine Behauptungen.

Temu mag recht haben, wenn sie uns, die Konsumentinnen und Konsumenten, in die Verantwortung ziehen, denn wir sollten überprüfen, wo wir einkaufen. Doch genau so befindet sich Temu - und jeder andere Händler - in der Pflicht, nicht bloß leere Versprechen zu geben, um sich einen guten Ruf zu erkaufen. Auf Worte müssen Taten folgen oder zumindest Beweise, denn die suchen wir aktuell vergeblich.  

Temu ist einer der Online-Shops, die psychologische Tricks nutzen, um uns zum Kauf seiner Produkte zu bewegen. Wir haben mit der Psychologin Jolina Bering darüber gesprochen, welche manipulativen Muster angewendet werden, um uns zu beeinflussen.

So werden wir manipuliert: Die perfiden Tricks der Billig-Online-Shops wie Temu, Wish und Co.

Die Umweltbilanz von Temu und die Verantwortung gegenüber seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu durchblicken, ist nicht einfach. Wir hoffen, dass ihr mit diesem Artikel einen Einblick gewinnen konntet und besser abschätzen könnt, ob ihr bei Temu bestellen möchtet, oder lieber einen großen Bogen um den Shop macht.

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