Seite 4: Chat: „Freie Rede, freie Kunst?“

GameStar Plus Logo
Weiter mit GameStar Plus

Wenn dir gute Spiele wichtig sind.

Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe für Rollenspiel-Helden, Hobbygeneräle und Singleplayer-Fans – von Experten, die wissen, was gespielt wird. Deine Vorteile:

Alle Artikel, Videos & Podcasts von GameStar
Frei von Banner- und Video-Werbung
Einfach online kündbar

Eine andere Realität?

Sukram71: Warum erzeugt ein Computerspiel "eine ganz andere (gefährlichere?) Scheinrealität"? Wie kommt man zu so einer Aussage? Ist das eigene Erfahrung? Mich bewegen Filme und Bücher emotional viel mehr.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Im Computerspiel habe ich viel weniger Abstand als vergleichsweise zur Bühne oder zum gelesenen Buch, weil ich eine viel größere eigene Freiheit in der Ausmalung von Szenen durch die eigene Fantasie habe, als wenn ich bei einem Killerspiel nur auf einen Knopf drücken muss und treffen muss, um das Geräusch eines platzenden Menschenkörpers zu vernehmen. Beim Killerspiel bin ich Bestandteil des Systems und habe kein "Du" als Gegenüber wie z.B. einen Schauspieler oder eine Figur in einem Roman. Außerdem ist im Theater und im Buch eine wertebezogene Deutung stets inbegriffen.

Olaf Zimmermann: Das Schöne an medialen Erscheinungen: Ob ich ein Buch lese oder ein Theaterstück sehe, mir einen Film anschaue, ein Computerspiel anschaue, die Wirkung ist von Mensch zu Mensch verschieden. "Titus Andronicus" hat mich bis in den letzten Nerv berührt und lässt mich nicht los. Die Gewaltdarstellungen der Schauspieler auf der Bühne sind für mich immer noch gegenwärtig. Kein Computerspiel, was ich je gespielt habe - und ich meine damit auch kein gewalthaltiges Computerspiel - das ich gespielt habe, hat mich nur annähernd so berührt und beschäftigt.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber „Titus Andronicus“ hat Sie in der Gewaltanwendung berührt und nicht, wie bei der Anwendung von Gewalt, durch Knopfdruck befriedigt - das ist der entscheidende Unterschied!

Olaf Zimmermann: Aber es ist eben Ihr Empfinden, Herr Grosse-Brockhoff. Und es muss nicht für alle dasselbe sein. Ihr persönliches Empfinden reicht nicht aus, um Spiele verbieten zu lassen. Glücklicherweise hat der Gesetzgeber im Strafgesetzbuch§131 klar gesagt. wann ein gewalthaltiges Computerspiel verboten werden muss. Aber das bedeutet umgedreht auch, dass Spiele, die nicht diesen engen Regeln unterliegen wie gewalthaltige Spiele, für Erwachsene zugänglich dürfen. Für Kinder und Jugendliche gibt es auch vernünftiger Weise eine erheblich engere Definition. Und ich bin sehr dafür, dass diese strikt eingehalten wird und dort, wo es Lücken gibt, diese auch geschlossen werden.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ich bleibe dabei: Es ist ein struktureller und grundsätzlicher Unterschied. Und wenn Sie den nicht begreifen, sind Sie in der Tat falsch am Platze.

Olaf Zimmermann: Aber ihre persönliche Vorliebe oder ihre persönliche Ablehnung kann nicht dazu führen, dass Spiele erlaubt oder verboten werden.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber deswegen sind Killerspiele, die nicht die Voraussetzungen des§131 erfüllen, nicht automatisch bereits Kunst.

Olaf Zimmermann: Sorry, Herr Grosse-Brockhoff. Noch einmal: Das habe ich ja auch nie gesagt. Nicht alle Killerspiele sind Kunst. Kunst ist das, was Kunst ist und Killerspiele können auch Kunst sein.
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Aber warum fordern Sie dann in dieser Intensität die Freiheit der Kunst auch für solche Computerspiele, die Gewalt enthalten?

Olaf Zimmermann: Ich fordere, dass die Freiheit für Kunst, die im Grundgesetz Artikel 5 festgeschrieben ist, selbstverständlich auch für die Spiele gilt, die Kunst sind. Nicht mehr und nicht weniger.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Warum formulieren Sie das dann nicht auch öffentlich so?

Olaf Zimmermann: Lieber Herr Grosse-Brockhoff. Das habe ich doch alles so öffentlich gesagt, aber ich denke, wir sollten jetzt auch in der Debatte ein bisschen weiterkommen. Computerspiele haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Am Anfang waren Sie auch von ihrer Gestaltung her sicherlich nur Spiele für junge Leute und wurden fast ausschließlich von Männern gespielt. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Immer mehr Erwachsene, Ältere, Rentner spielen Computerspiele und glücklicherweise kommen auch immer mehr Frauen auf den Geschmack, Computerspiele zu spielen. Das ist gut so, denn Computerspiele sind längst zu einem kulturellen Phänomen unserer Gesellschaft geworden. Und deswegen werden sie in der Zukunft in unserer Gesellschaft auch immer mehr von Männern und Frauen aller Gesellschaftsschichten gespielt werden.

4 von 9

nächste Seite


zu den Kommentaren (0)

Kommentare(0)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.