Seite 4: Die Akte Ascaron - Große Hits, große Reinfälle

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Ascaron zerstört eine Marke

Als ab 2002 der gute Ruf der Firma Ascaron allmählich eine andere Färbung bekommt, geht es wieder einmal um Geld. Der Wendepunkt heißt Anstoss 4.

Mit Anstoss 3 erreichte die Serie ihren Höhepunkt, auch dank der 3D-Spielszenen. Mit Anstoss 3 erreichte die Serie ihren Höhepunkt, auch dank der 3D-Spielszenen.

Die vierte Episode der populären Manager-Serie bringt es auf 130.000 Vorbestellungen, nach dem Erscheinen im November 2002 schnellt sie an die Spitze der Verkaufscharts. »Anstoss 4 hat sich in den ersten Wochen stark verkauft, es gab ja viele Fans der Serie«, erzählt Guido Eickmeyer, der Projektleiter des Spiels. »Danach ist es gnadenlos abgestürzt.«

Anstoss 4 ist nicht nur in fast jeder Hinsicht ein spielerischer Rückschritt zu Teil 3. Es ist auch von massiven Fehlern geplagt, die es zum Teil unspielbar machen. Nach Gerald Köhlers Weggang hat bei Ascaron niemand mehr echte Erfahrung im Management-Genre, Holger Flöttmann setzt ein Junior-Team ein. Das stellt zuerst fest, dass der Programmcode von Anstoss 3 so verworren ist, dass ihn kein Mensch mehr entschlüsseln kann. Ascaron kündigt Anstoss 4 notgedrungen als »komplette Neuprogrammierung« an. »Wir sind da mit viel Enthusiasmus und viel Naivität reingesteuert«, sagt Guido Eickmeyer. Sein 20 Mann starkes Team hat große Pläne, aber keine Erfahrung und nur 12 Monate Zeit. Die Aufgabe ist zu groß, am Ende geht es nur noch darum, irgend etwas Lauffähiges zu produzieren. »Es gab finanzielle Zwänge. So blieb keine Zeit für notwendiges Bugfixing und Polishing.«

Ascaron steht wieder einmal am Rand der Zahlungsunfähigkeit, das Spiel muss raus. »Die Marke Anstoss«, sagt Eickmeyer, »hat sich von diesem Schock nie wieder erholt.« Aber Ascaron lernt nicht aus dem Debakel. Sacred ist beim Erscheinen 2004 so voll mit Fehlern, dass Ascaron zehn Monate später eine »Neue Auflage« in den Handel stellt, inklusive Patch 1.8. Die Pflege von Anstoss 2007 stellte Ascaron nach vier Patches ein, ohne dass alle Fehler behoben wären.

Im August 2007 findet in Leipzig die Games Convention statt, und Ascaron hat einen Deal mit dem Computerhersteller Dell vereinbart: Vor Ort soll Sacred 2 gezeigt werden, lauffähig, mit 16 Spielern im Multiplayer-Modus. Als die Nachricht Studio 2 erreicht, reagiert man dort konsterniert: Ein solcher Arena-Modus ist im Spiel nicht vorgesehen. Er muss extra gestaltet werden. Die existierenden Quests sind nicht mehrspielertauglich, außer der Seraphim liegt keiner der spielbaren Charaktere fertig vor, Animationen fehlen. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Erscheinungstermin auf März 2008. Der Arena-Modus für die Messe beschäftigt Studio 2 wochenlang. Nach der Games Convention wird er wieder gestrichen. Die Aktion bleibt ein Werbegag.

Ascaron versenkt zwei Millionen

Es gibt wohl kein anderes Projekt, das die Grundprobleme von Ascaron besser sichtbar macht als Tortuga: Two Treasures, die Fortsetzung eines kleinen Actionspiels namens Piraten: Herrscher der Karibik. Das hatte der Designer Daniel Dumont 2003 als simplen Ableger der Handelssimulation Port Royale ausgekoppelt, ein Klon des Klassikers Pirates!, der zwischen 50.000 und 100.000 Euro kostete und ein Vielfaches davon einspielte. Tortuga soll 2004 genau das Gleiche auf Basis von Port Royale 2 werden. Es ist kein besonders kompliziertes Konzept.

In den karibischen Gewässern von Tortuga: Two Treasures versenkte Ascaron sehr viel Geld. In den karibischen Gewässern von Tortuga: Two Treasures versenkte Ascaron sehr viel Geld.

Irgendwo auf dem Weg muss das vergessen worden sein. Tortuga: Two Treasures, wie das Spiel am Ende heißt, ist drei Jahre in der Entwicklung, verschlingt zwei Millionen Euro, verschleißt diverse Projektleiter, beschäftigt zeitweise die profilierten Branchenveteranen Bob Bates (Legend Entertainment) und Noah Falstein (LucasArts) als Drehbuchautoren, und als Daniel Dumont das Projekt am Ende übernimmt, da »war nichts fertig.« »Es fehlte die Vision, das Handwerkszeug und die Erfahrung«, urteilt Holger Flöttmann rückwirkend. Wie konnte das jahrelang unbemerkt bleiben? Wie kann ein Entwicklerteam so aus dem Ruder laufen?

»Ich habe meinen Leuten relativ viel Freiheit gelassen«, sagt Holger Flöttmann.
»Holger hat sich zuwenig gekümmert. Er hätte das Team entweder auf Vordermann bringen müssen oder das Projekt einstellen«, sagt Daniel Dumont.
»Mir ist es nicht gelungen, immer das richtige Personal zu finden«, sagt Holger Flöttmann.
»Man wollte das Tollste vom Tollen«, sagt Torsten Meier, der ehemalige Ascaron-Pressesprecher.
»Es fehlt in Deutschland an fähigen Producern und an Produktionserfahrung«, sagt Holger Flöttmann.
»Wie oft muss einer in den Misthaufen treten, bis er es lernt?«, fragt Daniel Dumont. »Jedes Mal gab es kein Konzept, jedes Mal große Kosten, jedes Mal sagte Holger: Nächstes Mal machen wir es besser.«
Dumont stellt Tortuga: Two Treasures fertig, »wir haben es dann als Casual-Spiel verkauft«, erzählt Torsten Meier. Eingespielt hat das Millionenprojekt, so hört man, 200.000 Euro.

Während Studio 2 in Aachen sich müht, Sacred 2 voranzubringen, hat man in Gütersloh immer neue Ideen für das Spiel. Es soll PhysX-Effekte unterstützen. Es soll auf Notebooks mit Nvivia-Grafikchips laufen. Es soll DirectX 10 nutzen. Zu diesem Zeitpunkt hat das Projekt bereits zwei externe Berater verschlissen. Beide rieten, den Aufwand zu begrenzen, zu kürzen statt zu erweitern. Es sind die Art Ratschläge, die Holger Flöttmann nicht hören will.

Nach der Games Convention 2007 trifft der Sacred 2-Projektleiter Franz Stradal eine Entscheidung. Das Team ist aufgebläht, die Aufgabenlast zu hoch. Der Erscheinungstermin im März 2008 erscheint utopisch. Stradal geht zu Flöttmann und macht einen Vorschlag: man solle die Hälfte des Sacred-Teams entlassen und dem Spiel deutlich mehr Zeit geben.

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